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Adelung, Johann Christoph. Mithridates oder allgemeine Sprachenkunde. Erster Theil – T02

Vorrede.

Eine Kenntniss der vielen unter dem
Monde befindlichen Sprachen hat, auch
wenn sie ohne höhere Zwecke, aus
blosser Wissbegierde gesucht und erlangt
wird, ihren Werth. Hält man es
nicht für überflüssig, die Münzen, Trachten,
Gebräuche u. s. f. der verschiedenen
Völker in der Welt zu sammeln, und
sich bekannt zu machen, warum sollte
man nicht auch die verschiedenen Arten
zu kennen wünschen, wie so viele Völker
von so vielfachen Graden der Cultur
sich ihre Gedanken, ihren Sinn und Unsinn
mittheilen. Aber diese Kenntniss
ist eines noch höhern Zweckes fähig, indem
sie dem Geschichtsforscher dienen
kann, der Verwandtschaft und Herkunft
alter und neuer Völker nachzuspüren;
ein Umstand, welcher oft von grosser
Wichtigkeit ist. Unsere Geschichtbücher würden
weniger Irrthümer enthalten,
wenn man diese Kenntniss früher
gesucht, und auf die gehörige Art angewandt
hätte. Man würde die Cimbern
IIIund Germanen nicht von den Kimmeriern,
die Deutschen nicht von den Celten,
die Alanen nicht von den Deutschen,
die Geten nicht von den Gothen
abgeleitet haben, wenn man auf ihre
Sprachen, wären es auch nur die eigenen
Nahmen aus denselben, aufmerksamer
gewesen wäre.

Es haben sich daher seit der Wiederherstellung
der Wissenschaften auch
mehrere gelehrte Männer angelegen
seyn lassen, diese Kenntniss zu befördern
und zu verbreiten; nur dass sie dabey
verschiedene Wege gegangen sind.
Dafs eine blosse historische Nachricht
von dem Eigenen dieser und jener Sprache,
auch bey hinlänglicher eigenen
Kenntniss derselben, bey weitem nicht
hinreicht, weil sie nicht anders als sehr
allgemein und trocken gerathen kann,
sahe man bald ein; daher kam man auch
schon frühe auf den Gedanken, diese
Kenntniss auf wahre aus den Sprachen
selbst hergenommene Proben zu gründen.
Werden diese Proben aus mehrern
Sprachen auf eine gewisse gleichförmige
Art gewählt, so können sie,
wenn sie neben einander gestellt werden,
schon für sich allein zu einiger Beurtheilung
der Verwandtschaft und des
Unterschiedes der Sprachen dienen. Es
kommt nur darauf an, was für Proben
IVman dazu wählt, einzelne Wörter, oder
ein Stück einer zusammen hangenden
Rede.

Seit dem der Italiäner, Anton Pigafetta,
um 1536 zuerst Wörter in den von
ihm bereiseten Ländern sammelte, sind
mehrere Reisende auf diesen Umstand
aufmerksam gewesen, und haben uns
mit einer Menge Wörtersammlungen aus
allen Zungen und Sprachen beschenkt.
Allein, zu geschweigen, dass ein jeder
nur das sammelte, was ihm das Ungefähr
und seine jedesmahlige Lage in den
Wurf brachte, daher ihren Sammlungen
das gehörige Verhältniss gegen einander
fehlt, welches sie doch haben müssten,
wenn sie zur Vergleichung der Sprachen
dienen sollen: so haben sie schon an
sich wesentliche Mängel. Wie schwer
es hält, aus einer unbekannten Sprache,
wo man sich den Sprechenden nur
durch Zeichen, Mienen und Geberden
verständlich machen kann, Wörter aufzufassen,
und wie wenig dabey auf einige
Zuverlässigkeit, auch bey aller Aufmerksamkeit
und Geschicklichkeit des
Sammlers zu rechnen ist, hat der ältere
Forster in seinen allgemeinen Reisebemerkungen
hinlänglich gezeigt. Die auf
solche Art gesammelten Wörter dienen
daher nur im höchsten Nothfall, wenn
man gar nichts bessers hat.V

Dieses bessere sind denn vornehmlich
Wörter Einer Art, weil nur diese
zur Vergleichung dienen können. Man
hat dazu mehrmahls die Zahlwörter für
geschickt gehalten, sie auch mehrmahls
dazu angewandt *)1. Allein sie sind dazu
gerade die ungeschicktesten. Denn
zu geschweigen, dass sie allemahl sehr
abstract sind, und dass daher die ursprüngliche
Bedeutung jedes Zahlwortes,
worauf es doch hier vornehmlich
ankommt, in den meisten Sprachen
längst veraltet ist: so haben auch viele
Völker diese Wörter von andern geborgt,
wenn sie auch gleich sonst in
ihren Sprachen nichts gemein haben;
daher eine hier bemerkte Übereinstimmung
leicht zu falschen Schlüssen führen
kann.

Weit angemessener war es daher
dem ersten Anscheine nach, als man
den Vorschlag that, zur Vergleichung
der Sprachen eine gewisse Anzahl von
Wörtern des ersten Bedürfnisses zu wählen,
d. i. von Nahmen solcher Gegenstände,
für welche jedes auch noch so
ungebildete Völkchen Nahmen hat, und
VIhaben muss, z. B. die Theile des Leibes,
die Verwandtschaftsnahmen, Nahmen
der Haus- und anderer bekannten
Thiere, der allgemeinsten Nahrungsmittel,
der gewöhnlichsten Naturerscheinungen
u. s. f. Indessen lässt sich
auch gegen diese der Einwurf machen,
dass auf diesem Wege die Verwandtschaft
leicht zu gross ausfallen dürfte.
Die Nahmen des ersten Bedürfnisses erhalten
sich in allen Sprachen am leichtesten
und längsten, wenn sie auch sonst
in allen übrigen Theilen alle Übereinstimmung
verlieren. Kopf, Lat. Caput,
Gr. Κεφλὴ; Fuss, Lat. Pes, Gr. Πους, Pers.
Pah, Wallis. Pedd; Gans, Lat. Anser, Gr.
Χαν, Χην, Britagn. Goas (Nieders. Goos),
Wend. Gus, Pohln. Ges. Der Vater- und
Mutternahmen nicht zu gedenken.
Treffen mehrere solcher Wörter zusammen,
so können Sprachen verwandt
scheinen, welche ausser diesen und wenig
andern Wörtern nichts mit einander
gemein haben. Bey dem allen hat doch
ein solcher Gedanke viel Glänzendes,
und er bekam einen noch höhern Werth,
als eine grosse Monarchinn es nicht unter
ihrer Würde hielt, dessen Ausführung
zu veranstalten und die zur Vergleichung
nöthigen Wörter selbst zu
wählen. Das dadurch entstandene und
in Russischer Sprache abgefasste Glossarium
VIIcomparativum linguarum totius orbis
,
Petersburg, 1787 , 4, 2 Voll. ist bekannt *)2,
welches aber nur die Asiatischen und
Europäischen Sprachen enthält.

Überhaupt reichen Sammlungen einzelner
Wörter weder zur nothdürftigen
Kenntniss Einer Sprache, noch zur Vergleichung
mehrerer Sprachen hin. Sie
haben wesentliche Mängel, welche sich
hier nicht aufzählen lassen, aber bey ein
wenig Nachdenken von einem jeden
selbst gefunden werden können. Der
VIIIwichtigste ist, dass sie nichts von dem
Gange und Geiste einer Sprache in der
Verbindung der Begriffe zeigen. Das
kann nur ein Stück einer zusammen hangenden
Rede, und dazu both sich das
Vater Unser von selbst an, weil man
keine Formel in so vielen Sprachen haben
kann, als diese. Und nun erhielten
wir, seit dem Conrad Gesner hier den
ersten Versuch von Bedeutung machte,
eine Menge Sammlungen dieser Art,
wo aber die Herausgeber über das Sammeln,
den Zweck warum sie sammelten,
gar bald aus dem Gesichte verloren,
und ihr höchstes Verdienst darin
setzten, eine Menge Vater Unser, oft
selbst ohne alle Ordnung, neben einander
zu stellen *)3.

Da dieses neben einander stellen
eigentlich zu nichts führte, so erwachte
schon vor langer Zeit in mir der Gedanke,
etwas besseres an dessen Stelle
zu setzen, und die Ausführung desselben
machte die angenehmste Nebenbeschäftigung
eines beträchtlichen Theiles
meines Lebens aus. Es fehlte mir daher
weder an Zeit noch an Veranlassung,
denselben von allen Seiten zu betrachten,
und in mehrere Formen zu giessen.
IXNach mehrmahligen Umarbeitungen
scheint mir diejenige Art der Ausführung
die beste und zweckmässigste zu
seyn, welche ich gegenwärtig den
Sprachfreunden vorlege, und von deren
Einrichtung ich ein Paar Worte sagen
muss.

1. Da es nicht die Absicht war und
seyn konnte, in einem solchen Werke
Sprachen zu lehren, sondern nur einen
allgemeinen, aber doch so viel möglich
richtigen und vollständigen Begriff von
einer jeden zu ertheilen, so musste dieser
Zweck die ganze nähere Einrichtung
bestimmen.

2. Ich habe mich bloss an die Sprache
gehalten, und von der Schrift, ein
Paar Fälle ausgenommen, gänzlich abgesehen.
Schrift und Sprache sind zwey
ganz verschiedene Gegenstände, und
haben ganz verschiedene Erkenntnissquellen.
Diejenigen meiner Vorgänger,
welche beyde mit einander verbinden
wollten, haben sich in ihre eigenen
Netze verwickelt, und auf die Sprache
angewandt, was nur von der Schrift
gesagt werden konnte.

3. Ich habe mich über alle noch
lebende Sprachen verbreitet, von welchen
man nur einige Nachricht hat.
Aber auch alte und längst verhallte Sprachen
habe ich mit in meinen Plan gezogen,
Xso fern sich nur etwas fruchtbares
von ihnen sagen lässt. Kennt man von
ihnen weiter nichts als den Nahmen, so
habe ich sie übergehen müssen, weil
das blosse Nennen eben so wenig zu
etwas führet, als wenn man in der Geschichte
Kaiser und Könige ohne Thaten
aufstellt.

4. Ich hatte keine Lieblingsmeinung,
keine Hypothese zum Grunde zu legen, sondern
ging unmittelbar von dem aus,
was ist, und wie es ist, ohne mich um
das zu kümmern, was seyn kann, oder
was seyn sollte. Ich leite nicht alle Sprachen
von Einer her; Noah's Arche ist
mir eine verschlossne Burg, und Babylons
Schutt bleibt vor mir völlig in seiner
Ruhe. Aber da ich doch mit etwas
anfangen musste, so führte mich die Natur
der Sache von selbst auf die einsylbigen
Sprachen des südöstlichen Asiens,
als die Erstlinge des ganzen Sprachwesens,
und von diesen durch Indien und
Persien in das westliche Asien, welches
so oft und so lange für die Quelle des
ganzen Sprach- und Menschenstammes
gehalten worden, was es doch nicht ist,
und nicht seyn kann. Der Gedanke,
oder wenn man will, der Traum von
der Lage des Paradieses ist die einzige
Hypothese, welche ich mir erlaubt
habe; aber sie drang sich mir auch so
XIsehr von selbst auf, dass es schwer war,
ihr zu widerstehen. Wem sie nicht gefällt,
der überschlage sie; es wird ohne
hin nichts darauf gebauet.

5. Da man sich von der Sprache
eines Volkes keinen Begriff machen
kann, wenn man nicht das Volk nothdürftig
kennet, welches sie spricht, weil
schon dessen Lage und Geschichte vieles
darin aufkläret: so war es oft nothwendig,
von dieser auszugehen. Allein
ich habe mich dabey der grössten Kürze
beflissen, und mich hoffentlich nicht
weiter verstiegen, als es der Zweck des
Ganzen nothwendig machte.

6. Das wichtigste für mich war, in
den innern und äussern Bau jeder Sprache
zu dringen, weil nur auf diesem
Wege das Eigenthümliche einer jeden,
und ihr Unterschied von allen übrigen
erkannt werden kann. Aber das war
denn auch das schwerste, und blieb mir
bey mehrern Sprachen, aller Bemühung
ungeachtet, unerreichbar. Die Aufzählung
der gewöhnlichen grammatischen
Erscheinungen reicht dazu nicht hin,
weil sich darin so viele sonst ganz verschiedene
Sprachen gleich und ähnlich
sind; und das ist denn doch alles, was
man, wenn es hoch kommt, selbst von
den bekanntesten Sprachen mit ihren
Myriaden von Sprachlehren hat. Ich
XIIhabe in den voran geschickten Fragmenten
gezeigt, dass in einem jeden mehrsylbigen
Worte nur Eine Sylbe die
Grundbedeutung hat, welche von den
übrigen näher bestimmt wird, daher sie
auch die Wurzelsylbe heisst. Man lernet
eine Sprache, und wenn man sie
auch wie ein Cicero spräche, nur oberflächlich,
nie gründlich kennen, wenn
man sie nicht bis auf diese ihre ersten
Bestandtheile auflösen kann. Nur aus
der Vergleichung der Wurzelsylben lässt
sich die Verwandtschaft und Verschiedenheit
der Sprachen beurtheilen. Urtheilet
man, wie gewöhnlich geschiehet,
bloss nach dem äussern Klange, so ist
man unaufhörlich in Gefahr zu irren,
und hat in tausend und aber tausend
Fällen auf diesem Wege geirret *)4. Aber
XIIIwie viele Sprachen sind es, welche man
bisher auf diese Art behandelt hat? Ich
kenne deren nur drey, und davon sind
noch dazu die zwey ersten in unglückliche
Hände gefallen. Die Hebräische,
wo quersinnige Rabbinen Hirngespinste
statt Wahrheit eingeführet haben; die
Griechische, wo die Hemsterhuisische
Schule die Wahrheit zwar ahndete, sie
aber mehr auf dem Wege willkührlicher
Speculation als der Natur suchte, und
die Deutsche, seit dem Wächter den
Weg zu einer vernünftigem Auflösung
gebahnet hat. In allen übrigen Sprachen
kennet man nichts Höheres, als
den alten grammatischen Leisten, auf
den alles passen muss. Bey dieser Armuth
an wahrer philosophischer Sprachkunde
war es mir nicht möglich, jede
Sprache so darzustellen, als ich wünschte,
daher ich vieles einer bessern Zukunft
überlassen muss.

7. Da hier von jeder Sprache nur
ein allgemeiner Begriff gegeben werden
XIVkann, so war es nothwendig, diejenigen
Hülfsmittel anzuführen, wo man mehrern
Unterricht von einer jeden erhalten
kann. Bey den gelehrten ausgestorbenen,
und den neuern gangbaren
Sprachen haben sich diese Hülfsmittel
bis in das unendliche gehäuft, und nur
einige Vollständigkeit wäre hier ganz am
unrechten Orte angebracht gewesen.
Ich habe mich daher in Ansehung dieser
Sprachen der Kürze beflissen, und bey
einer jeden nur das wichtigste und
neueste angeführet; vielleicht hätte ich
noch sparsamer seyn können und sollen.
Bey den unbekannten Sprachen hingegen
habe ich mich bemühet, der Vollständigkeit
so nahe zu kommen, als mir
nur möglich war. Marsden's Werk war
dazu ein treffliches Hülfsmittel; nur
Schade, dass das Buch so unkritisch eingerichtet
ist *)5. Des Hrn. von Murr Bibliotheca
XVglottica
wird, wenn sie erscheint,
hoffentlich auch den lüsternsten
Forderungen auf die vollständigste
Art Genüge thun.

8. Eines der vornehmsten Bedürfnisse
eines solchen Werkes ist eine
schickliche Sprachprobe, und dazu
musste ein Stück einer zusammen hangenden
Rede gewählet werden. Aber
welches? Natürlich ein solches, welches
man, wo nicht aus allen, doch
aus den meisten Sprachen haben kann.
Man hat mehrmahls darüber gespottet,
dass man gemeiniglich das Vater Unser
dazu zu wählen pflegt. Allein es ist
denn doch die einzige Formel, welche
man in so vielen Sprachen haben kann;
und denn hat sie auch in Ansehung der
Richtigkeit grosse Vorzüge. Eine solche
Formel kann von niemand übersetzt
XVIwerden, der die Sprache nicht hinlänglich
verstehet. Die meisten rühren
daher auch von Missionarien her, welche
die Sprachen um ihres Berufs willen
lernen mussten. Es kam nur darauf an,
diese Formel theils richtig, theils zweckmässig
zu liefern. In Ansehung der
Richtigkeit habe ich es an keiner Sorgfalt
fehlen lassen, sie so zuverlässig als
möglich zu erhalten. Aber ich war bey
dem allen doch oft den ältern Sammlungen
überlassen, wo nicht allemahl diejenige
Genauigkeit herrscht, welche
man wünschen möchte. Was die Zweckmässigkeit
betrifft, so schien mir eine
solche Formel ihres Zweckes ganz zu
verfehlen, wenn sie nicht mit einer
buchstäblichen Übersetzung versehen
ist, weil sich nur daraus der Gang und
Geist einer Sprache beurtheilen lässt.
War es mir möglich, so habe ich die
Übersetzung noch mit einer grammatischen
Auflösung begleitet. Aber ich
hatte in diesem Stücke nur selten eine
solche gelehrte und freundschaftliche
Hülfe, als mir unser Herr Legations-Rath
Beigel, welcher aus des Herrn
von Zach Briefwechsel schon als ein
geschickter Astronom und Physiker bekannt
ist, bey den sämmtlichen Semitischen,
ingleichen der Persischen und
Türkischen Sprache geleistet hat. In
XVIIdem folgenden Bande werde ich die Unterstützung
mehrerer geschickter Männer
zu rühmen haben. Wo ich keine
vollständige Formel liefern konnte, da
habe ich, wie schon Leibnitz wünschte,
wenigstens die in derselben vorkommenden
einzelnen Wörter aufzustellen
gesucht; aber oft war mir auch das
versagt.

9. Ich habe die fremden Sprachen
durchaus mit Lateinischer Schrift geschrieben,
und dabey die Aussprache,
wo ich eine fremde ahnden konnte,
nach der Deutschen eingerichtet. Die
Lateinische Schrift ist dazu wirklich bequemer,
als irgend eine andere, theils
weil sie allgemein lesbar ist, theils weil
sie, wenn sie rein, d.i. nach Deutscher
Art gesprochen wird, sich allen fremden
Sprachtönen ziemlich genau anschmiegen
lässt. Auf eine strenge Bezeichnung
aller feinen Eigenheiten
kommt es hier ohne hin nicht an, weil
niemand aus einem solchen Buche eine
Sprache lernen will und kann. Diejenigen
Sammlungen, wo jedes V. U. mit
der Schrift seiner Sprache dargestellet
wird, sind blosse Bilderbücher, wo man
die Schrift ansiehet, ohne etwas dabey
zu denken.

10. Bin ich bey manchen Sprachen
über die mir selbst gesetzten Grenzen
XVIIIhinaus gegangen, und habe ich zuweilen
mehr gegeben, als ich geben wollte,
und zu geben nöthig hatte, so wird man
das entschuldigen. Die Wichtigkeit des
uns doch noch so sehr unbekannten Indiens
verleitete mich zu einer grössern
Ausführlichkeit in Ansehung dessen Geschichte,
Religion und Sprache, als
eigentlich erfordert ward. Auch die
Abschweifung von den Chaldäern war
nicht nothwendig, ist aber doch wohl
nicht ganz unnütz. Sollte der sel. Michaelis
noch leben, dem diese Chaldäer
so viel Noth machten, als ehedem den
Propheten des alten Testamentes, so
glaube ich, sein Beyfall würde mir nicht
entstehen.

11. Was in den voran gesetzten
Fragmenten über Bildung und Ausbildung
der Sprachen gesagt worden, ist
das Resultat, welches sich von selbst
ergibt, wenn man die in diesem Bande
befindlichen Sprachen auf die gehörige
Art untersucht. Eben darum habe ich
auch blosse Fragmente geliefert, und
die Gegenstände mehr angedeutet, als
ausgeführt, weil man das übrige nunmehr
leicht selbst nachtragen kann. Es
hätte noch manches können gesagt werden,
über die Verwandtschaft und den
Unterschied der Sprachen; über Hauptsprachen
und Dialecte, über ursprüngliche
XIXund vermischte Sprachen, über
die Verfeinerung der ausgebildeten
Sprachen, über die historische Benuzzung
der Sprachen, über den wahren
Begriff der Etymologie, deren Gebrauch
und Missbrauch, u. s. f., welches hier
vielleicht nicht am unrechten Orte
würde gestanden haben. Allein da nur
wenig Leser Liebhaber von solchen allgemeinen
Betrachtungen zu seyn pflegen,
so habe ich sie nicht gleich an der
Schwelle des Werkes abschrecken wollen.
Vielleicht trage ich das vornehmste
davon noch in den folgenden Theilen
nach, deren hoffentlich noch zwey nöthig
seyn werden, wovon der zweyte,
woran bereits fortgedruckt wird, die
Europäischen, der letzte aber die Afrikanischen
und Amerikanischen Sprachen
enthalten wird.

Ist es erlaubt, noch etwas von mir
selbst hinzu zu setzen, so soll es die
Versicherung seyn, dass es mir wenigstens
nicht an dem besten Willen gefehlet
hat, dem Ideale, welches ich mir
von einem solchen Buche schuf, so
nahe zu kommen, als es das Mass meiner
Kräfte nur verstatten wollte. Es ist
das jüngste und wahrscheinlich auch
letzte Kind meiner Muse, welches mit
aller der Vorliebe genährt, gekleidet
und erzogen worden, deren sich die
XXjüngsten Kinder gewöhnlich zu erfreuen
haben. Gewiss würde es auch
die Früchte dieser Vorliebe in mehrern
Fällen gezeiget haben, wenn nicht dessen
angeborne Eigenheit sich so oft dawider
gesträubt hätte. Ich will sagen,
die Ausführung würde bey manchen
Sprachen besser ausgefallen seyn, wenn
nicht der Mangel hinlänglicher Hülfsmittel
meine Wünsche vereitelt hätte.
Man betrachte es als ein blosses Fachwerk,
worein ein jeder seine bessern
Kenntnisse tragen kann, bis endlich
einmahl ein vollständiges Ganzes daraus wird.

Dresden, den 20sten Julius 1806.XXI

1*) Das vollständigste Werk dieser Art ist des
Abbate Lorenzo Hervas Aritmetica delle Nationi e divisione
del tempo fra l'Orientali. Cesena, 1785, 4; ein
Theil seines in dem Anhange beschriebenen grossen
Werkes.

2*) Nicht so bekannt scheint die neue ganz umgearbeitete
Ausgabe desselben zu seyn, von welcher
der jetzige wirkliche Staatsrath, Mitglied der Ober-Direction
der Lehranstalten, und Ritter des Wladimir-Ordens
von der dritten Klasse, Theodor Jankiewitsch
de Miriewo
, Verfasser ist. Es ist derselbe ein geborner
Serbe, war anfänglich bey den Normal-Schulen im
Österreichischen angestellt, und wurde, als man
diese Anstalt in Russland einführen wollte, dahin
berufen. Er unternahm diese Umarbeitung auf Befehl
der verstorbenen Kaiserinn, und führte sie mit
Hülfe verschiedener Gelehrten aus. Die sämmtlichen
in dem ersten Werke befindlichen Wörter wurden hier
in alphabetischer Ordnung aufgestellt, mit einer Russischen
Übersetzung versehen, und mit den Wörtern
der Afrikanischen und Amerikanischen Sprachen,
welche bey der ersten Ausgabe noch nicht geliefert
werden konnten, vermehrt. So erschien das Werk,
Petersburg, 1790, 1791, in vier Bänden in 4. Allein
da es nicht den höchsten Beyfall erhielt, so ward die
ganze Auflage von 1000 Exemplaren zurück gehalten,
daher es in Petersburg selbst eine Seltenheit ist. Ich
habe ein Exemplar von meinem daselbst befindlichen
Neffen erhalten, welches sich jetzt in der hiesigen
churfürstlichen Bibliothek befindet.

3*) Ich habe die mir bekannt gewordenen Sammlungen
dieser Art in dem Anhange aufgezählet.

4*) Selbst die ganze Etymologie ist verächtliches
Taschenspiel, wenn sie nicht von dieser Auflösung
der Sprachen ausgehet. Wer bloss nach dem Schellenklange
der Sylben urtheilet, leitet αναινομαι, verneinen,
frisch weg von ναιν, nein αινυμαι, nehmen, von diesem
Deutschen Worte απαγε, von packen αναλογος,
von ähnlich her; da doch das erste von αν, und αινος,
Wort, Rede, das zweyte von ανω, ανυω, das dritte von
απ-αγω, und das vierte von ανα und λογος zusammen
gesetzt ist, bey welcher Auflösung denn freylich
alle Ähnlichkeit mit den vorgegebenen Stammwörtern
verschwindet. Im Bomanischen bedeutet Aza, Speise,
das könnte man leicht mit essen, Atz, Esca, vergleichen.
Allein, wenn man weiss, dass Za eigentlich
die Wurzelsylbe ist, welche essen bedeutet, und
dass a die Partikel ist, welche Substantiva aus Verbis
bildet, so verschwindet die Ähnlichkeit, und der Etymolog
sitzt mit seiner Ableitung auf dem Blossen.
Beyspiele dieser Art sind unzählig, und haben eben
die Etymologie bey jedem vernünftigen Manne verächtlich
gemacht, so schätzbar sie auch ist, wenn sie
auf die gehörige Kenntniss der Sprachen gegründet ist.
Jenes ist diejenige Etymologie, von welcher schon der
heil. Augustin sagt: „ut somnorum interpretatio, ita
verborum origo, pro cujuscunque ingenio praedicatur.”

5*) Will. Marsden Catalogue of Dictionaries, Vocabularies,
Grammars and Alphabets
. London, 1796, 4.
Der Verfasser hat die Hebräische, Griechische und
Lateinische Sprache, die gangbaren neuern Sprachen
nebst der Holländischen, Dänischen und Schwedischen
völlig ausgeschlossen. Von den übrigen werden
die ihm bekannt gewordenen Schriften doppelt
aufgeführt, erst alphabetisch nach den Nahmen der
Verfasser, und dann nach den Sprachen; aber diese
nicht systematisch, sondern wieder alphabetisch; wo
es oft nicht an auffallenden Missgriffen fehlet. So
werden No. 5. Sinesisch, Tunkinisch und Japanisch
zu Einer, und No. 20. Persisch, Kurdisch, Zend und
Palmyrenisch wieder zu Einer Sprache gerechnet.
Noch unordentlicher und noch dazu sehr mangelhaft
ist das Verzeichniss, welches sich in des Abbé
de Petity Encyclopédie élémentaire, Th. II, Band 2,
S. CLXXVII-CCLXXXII befindet, wo die umständliche
Nachricht von den Polyglotten vielleicht das beste
ist. Übrigens enthält das Buch manche schätzbare
Nachrichten von den Schriftarten der Asiatischen Völker.
Es erschien zuerst unter dem Titel: Bibliothèque
des Amateurs
, Paris, 1767, 4, und da es unter demselben
vermuthlich keinen Abgang fand, so ward ihm
der Titel Encyclopédie élémentaire, Paris, 1767, vorgesetzt.
Das vorige abgerechnet, als Encyclopädie betrachtet,
ist es unter aller Kritik.