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Adelung, Johann Christoph. Mithridates oder allgemeine Sprachenkunde. Erster Theil – T03

Einleitung.
Fragmente
über die
Bildung und Ausbildung der Sprache.

Mufta fiunt eadem sed aliter.

Einleitung.

Wenn wir die Sprache im Besitze des aufgeklärten
Europäers unserer Tage betrachten,
wenn wir die unendliche Menge Vorstellungen
aller Art erwägen, welche mit Tönen nicht die
geringste Verbindung zu haben scheinen, und
doch durch Hülfe weniger Töne nicht allein gebildet,
sondern auch fest gehalten, und mit allen
ihren Modificationen auch in andern erweckt
werden können: so kann man leicht in Versuchung
gerathen, in dieser Erscheinung eben so
sehr etwas Übernatürliches zu ahnden, als der
Hurone ein Kriegsschiff von hundert Kanonen,
welches mit mehr als tausend Menschen und
einer Last von fünf Millionen Pfund auf dem unermesslichen
Ocean mitten in der Wuth zweyer
empörter Elemente eben so sicher dahin fähret,
als in dem festesten Schlosse, für nichts geringer
als für das Werk eines Gottes halten wird.I

Allein, wenn wir das Wunder der heutigen
Schifffahrt rückwärts durch alle Stufen seiner
Fortbildung bis zu dem armseligen Flosse oder
hohlen Baumstämme verfolgen, in welchem sich
der erste Wilde zitternd dem nassen Elemente
anvertrauete: so wird sich das Wunder immer
mehr verlieren, je mehr wir vorwärts schreiten;
der Gott wird verschwinden, und es wird am
Ende nichts als der rohe Naturmensch übrig
bleiben. Eben so die Sprache. Es kommt nur
auf ein wenig Aufmerksamkeit an, sie rückwärts
durch alle Zeiträume ihrer Ausbildung bis zu ihren
ersten rohen Anfängen zu belauschen.

Diese ersten rohen Anfänge gehören freylich
eben so sehr in die Kindheit des menschlichen
Geschlechts, als das einfache Floss und der
hohle Baumstamm. Mit dieser Kindheit verhält
es sich eben so als mit der Kindheit des einzelnen
Menschen. Beyde gehen von dunkelen Begriffen
aus und schreiten nur stufenweise zu klärern
fort; nur mit dem Unterschiede, dass das Kind
an der Hand erwachsener Menschen es in wenig
Jahren weiter bringt, als das blosse sich selbst
überlassene Kind der Natur vielleicht in eben so
vielen Jahrhunderten. Zwar sind die Annalen
unserer Kindheit, so wie alles, was jenseit unserer
klaren Begriffe liegt, für uns verloren; die
ersten Keime, welche wir trieben, sind auf immer
verwelkt, und wir freuen uns jetzt nur der
Früchte, welche sie vorbereitet, und in der
Folge getragen haben. Aber wenn das Spielzeug
unserer frühern Jahre noch vor Augen
liegt, so gelingt es uns doch oft, manche der
dunkeln Vorstellungen wieder zurück zu rufen,
welche damahls unsere Glückseligkeit ausmachten.
Eben so verhält es sich mit der KindheitII

des menschlichen Geschlechts. Sie fällt in den
Zeitraum dunkeler Vorstellungen, von welchen
kein Erinnern mehr Statt findet. Aber zum
Glück ist noch manches Spielzeug dieses Zeitraumes
übrig. Es ist noch die ganze Stufenleiter
von dem ersten Flosse bis zu dem heutigen
Schiffe von hundert Kanonen vorhanden. Auch
haben wir in der unzähligen Menge noch lebender
Sprachen und Mundarten die ganze Geschlechtsreihe
der Sprachbildung von dem ersten
rohen Versuche des ungebildeten Menschen
an vor uns, und können auf dieser Leiter von
der ausgebildeten Sprache eines Plato und Voltaire
bis zu dem ersten articulirten Geschrey
des erstgebornen Sohnes der Natur hinauf steigen.
Es kommt nur darauf an, sie in der unermesslichen
Natur aufzusuchen, sie mit Verstande
zusammen zu lesen, sie in ihre Reihen zu ordnen,
und sie an der Hand der Erfahrung und Analogie
zu benutzen. Wie viele lockere Träume und
leere Luftschlösser hätte man sich und andern
ersparen können, wenn man diesen Weg früher
betreten hätte.

I. Bildung der Sprache. Sprache und
Vernunft bilden sich gegenseitig aus.

Der erste Sohn der Natur brachte so wie
noch jetzt jeder einzelne Mensch nichts als die
blosse Fähigkeit zu alle dem, was er werden
konnte und werden sollte, mit auf die Welt.
(S. 5.) Das ist ein Satz, der sich bey ein wenig
Nachdenken von selbst als ein Grundsatz
darstellet, und keines weitern Beweises bedarf.
Als Thier hatte er nicht allein das Vermögen der
wilikührlichen Bewegung, und auch ohne klare
IIIBegriffe nach dem blossen dunkeln Triebe der
Natur für die ihm so liebreich zubereitete Nahrung
zu sorgen, (S. 6.) sondern auch seine innern
Empfindungen andern seiner Art durch
Töne hörbar zu machen. Der Schmerz stöhnt
und winselt aus ihm, wie aus dem leidenden
Hunde; nur jedes auf seine Art. Aber er würde
ewig Thier bleiben, wenn das die Grenze seiner
Fähigkeiten wäre. Noch mehr als Thier,
ward ihm auch das Vermögen, die Eindrücke
der Körperwelt ausser ihm mit Bewusstseyn aufzufassen,
sich Merkmale davon zu sammeln, sie
eben so wieder zu geben, als er sie empfangen
hatte, und dadurch die ganze Fülle seiner künftigen
Erkenntniss vorzubereiten. Die Körperwelt
strömet durch fünf Pforten in seine Seele
ein; aber nur zwey darunter sind geschickt, sie
fest zu halten, das Mannichfaltige daran zu unterscheiden,
und es wieder zu geben, das Gesicht
und das Gehör. Jenes nur mangelhaft und
unvollkommen; denn es fasst zwar Umriss, Farbe
und Bewegung auf, aber diese bleiben immer
was sie sind, Umriss, Farbe und Bewegung, und
fuhren in der Folge zu nichts. Auch ist sein
Hülfs-Organ, die Hand, ein wenig ungeschickt,
und wenn sie auch die Hand eines Rubens und
Raphael ist, so muss sie doch auf die Bewegung
auf immer Verzicht leisten. Das Feld seiner
Kenntnisse würde sehr eingeschränkt und arm
bleiben, die Welt würde eine Welt voll Taubstummer
seyn, welche ewig deuten und mahlen,
und sich nie über die Grenzen der rohen Sinnlichkeit
erheben würden, wenn ihm kein anderer
Sinn als dieser zu Theil geworden wäre. Zum
Glück ward ihm ein anderer, welcher mehr
und schneller auffasst, tiefer auf das Gedächtniss
IVwirkt, und zur Wiedergabe ein weit geschmeidigeres
und vollkommneres Hülfs-Organ hat.
Das ist das Gehör und dessen Hülfs-Organ, die
Sprache. Fasst jenes gleich dem Anscheine nach
nur den Ton der ihn umgebenden Natur auf,
und giebt diese dem ersten Blicke nach nichts
als den Ton wieder, so liegt doch eben darin
der Same einer künftigen unermesslichen Ernte
von Begriffen und Kenntnissen, auf welche die
Eindrücke vermittelst des Gesichts auf immer
Verzicht leisten müssen. So lange der Mensch
diese Fähigkeit nicht bis zu einem gewissen
Grade ausgebildet hat, ist Horazens Ausspruch
nicht zu hart:

Quum prorepserunt primis animalia terris,
Mutum ac turpe pecus…
Donec verba, quibus voces sensusque notarent,
Nominaque invenere.

Denn Sprache und Vernunft gehen Hand
in Hand, und klären sich wechselsweise auf.
Beyde knüpfen sich an dunkele Eindrücke an,
und schreiten nur stufenweise zu klärern Begriffen
fort. Dem erstgebornen Sohne der Zeit
strömt die ganze Natur entgegen; er sieht, fühlt
und höret alles nur verworren. Die Eindrücke
würden vorüber rauschen, und wie ein Bild im
Wasser verschwinden, gäbe es kein Mittel, sie
fest zu halten. Dieses Mittel ist der Ton und
dessen Festhaltung durch die Stimme. Hier ist
das Floss, auf welchem sich der Wilde zitternd
dem reissenden Bache anvertrauet; wir wollen
sehen, wie daraus das Schiff von hundert Kanonen
wird. Gewiss nicht auf Ein Mahl, sondern
durch unmerkliche Stufen einer immer höher
steigenden Verbesserung.V

Blosser Vocal-Laut.

Unser Sprach-Organ hat ein doppeltes Mittel,
Töne nachzuahmen, die blosse Öffnung des
Mundes mit oder ohne Hauch, und den Druck
der Zunge an irgend einen Theil des Mundes.
Die erste gibt den Vocal mit allen seinen Abstufungen,
der zweyte die Consonanten mit ihren
unzähligen Abänderungen. Der erste ist der
leichteste, denn es gibt kein Volk in der Welt,
welches nicht jeden Vocal-Laut sehr vernehmlich
darstellen könnte. Der erste Sprachversuch
bestand also wahrscheinlich in blossen Vocal-Lauten,
weil das noch ungeübte Gehör nur diese
zu empfinden glaubte, und das noch ungelenke
Sprach-Organ nur noch diesen nachzubilden
wagte. Zwar haben wir jetzt keine Sprache
mehr, welche aus lauter Vocalen bestände, wohl
aber viele alte Sprachen, welche noch häufige
Beweise dieser ihrer Kindheit aufbehalten haben.
Man sehe die Zend-Sprache, die Sprachen
der östlichen Südsee-Inseln, der Basken,
Huronen, Algonquinen, Galibi, Karaiben, Esquimaux,
u. s. f. Auch bekanntere Sprachen
haben noch eine Menge Überbleibsel dieses ersten
Sprachversuches. Beyspiele sind der Griechen
αω, ich blase, ἐω, ich bin, ἐει, er ist,
ἐαω, ich lasse zu, ἀϊω, ich höre, ἠω-ος, der
Morgen, ὀα, der Sperberbaum, ὀιω, ich trage,
ὠ-α, das Schaf, ἀει, allezeit, ἀια, Erde, ἀι-ων,
Dauer; die Taitischen E-a, Wurzel, (o und e
voran sind der Artikel, ) Ao der Tag, E-iow, die
Nase, Hoa, Freund, ai, essen, o-ai, der Stein,
eo, schreyen, e-ao, Wolken, u. s. f. Da die
Öffnung des Mundes unzähliger Abstufungen fähig
ist, welche erst eine lange fortgesetzte Ausbildung
VIauf gewisse bestimmte Töne zurückgeführet
hat, so musste die erste Anwendung derselben
nothwendig sehr schwankend und unbestimmt
seyn, welches sich in manchen Sprachen
noch bis jetzt erhalten hat, daher die Schrift
viele solcher Vocal-Laute, so einfach sie immer
in dem Munde des Sprechenden sind, nicht anders
als durch zwey und mehr Vocale nachbilden
kann, Man sehe das Sinesische.

Fortschritt zu Consonanten.

So leicht aber auch diese Art der Nachahmung
ist, so unvollkommen ist sie auch, weil
der Vocal eigentlich nur die Höhe und Tiefe,
nicht aber die eigenthümliche Art des Tones
nachbildet und nachbilden kann. Das kann nur
der Consonant oder der Druck der Zunge an
irgend einen Theil des Mundes. Das musste der
Sprachbildner an der Hand der Natur vermuthlich
sehr bald empfinden; daher wird er auch
sehr bald Versuche dieser Art gewagt haben,
welche ihm aber bey der anfänglichen Ungeübtheit
seiner Gehör- und Sprach-Organe manche
vergebliche Anstrengung müssen gekostet haben.
Denn diese Drucke rein und bestimmt
nachzubilden, ist dem Ungeübten schwerer, als
sich der vorstellet, dessen Sprachwerkzeuge von
der ersten Kindheit an eine bestimmte Biegsamkeit
erhalten haben. La Hontan brachte viele
Tage vergebens zu, einen Huronen die Lippenbuchstaben
b, p, m, zu lehren, die uns so
leicht scheinen, und welche unsere Kinder am
ersten lernen. Daher zeigt sich auch das eigene
und schwankende der Organe hier am mannigfaltigsten
und stärksten. Kaum gibt es Eine
VIISprache, welche nur die bekanntesten Consonanten,
und diese auf einerley Art hätte. Viele
Völker können kein b und d sprechen; die Tahiter
haben keine Sibilanten, welche in andern
Sprachen im grössten Überflusse herrschen, und
wie viele Völker und selbst einzelne Menschen
gibt es nicht, welche kein r und l unterscheiden
können?

Der Grund liegt wohl in dem Gehör, und
bey ganzen Völkern in dem Gehöre ihrer ersten
Sprachbildner, dessen natürliche Mängel oder
zufällig unterlassene Ausbildung sich auf die
Nachkommen fortpflanzet, und alsdann zu einer
Art unüberwindlicher Nothwendigkeit wird.
Wenn der Sinese Christus nicht anders als Ki-li-su-tu,
und der Tahiter Cook nicht anders als
Tutu aussprechen kann, so rühret es daher, weil
er jene Schälle nicht anders empfindet, und von
seinen Ahnherren nicht anders zu empfinden gelehret
ist. Ein wichtiges Beyspiel zu der Lehre
von der Trüglichkeit und Unsicherheit unserer
Sinne!

Deren verschiedene Anwendung.

Hat man der Natur einmahl das Geheimniss
abgelernet, das Eigenthümliche jedes Naturtones
durch den Druck der Zunge nachzubilden, so
gibt es so viele Fälle, als sich dieser Druck mit
der Öffnung des Mundes verbinden lässt. Dass sie
nicht alle den Naturton gleich rein und bestimmt
nachbilden, versteht sich von selbst. Aber bey
der ersten Ungeübtheit der Organe nimmt man
es nicht so genau, sondern ist mit einer ungefähren
und oft sehr schwachen Ähnlichkeit zufrieden.VIII

Die erste und einfachste Art war wohl, den
Druck der Zunge vor der Öffnung des Mundes
hergehen zu lassen, Ba, Lo. Diese einfachste
Art herrscht in der ganzen Sinesischen Sprache,
deren sämmtliche Wörter aus einem einzigen
Consonanten mit einem folgenden Vocale bestehen,
daher sie mir auch die einfachste in der
Welt und der nächste Abkömmling der ersten
Ursprache zu seyn scheinet. Auch in der Sprache
der östlichen Südsee-Inseln findet sich dieser
Bau der Wörter, indem die meisten aus
einem Consonanten vor einem Vocale bestehen.
Andere Sprachbildner, vielleicht eben so
früh, schlossen den Vocal-Laut mit einem Consonanten,
Ab, Ot; dergleichen Wörter man in
den übrigen einsylbigen Sprachen, und selbst
in den mehrsylbigen in Menge antrifft.

Aber schon mehr Fortschritte in der Entwickelung
der Fähigkeiten und in der Übung der
Organe musste es erfordern, wenn man einsehen
wollte, dass dieser einfache Druck den Naturlaut
noch nicht bestimmt nachahmte, daher
man hier bald durch einen doppelten Druck sowohl
vorn als hinten, bald durch Verbindung
zweyer Drucke nachzuhelfen suchte, bad, bild,
froh. Hier ist die Mannigfaltigkeit sehr gross,
und bey nahe unerschöpflich, daher auch alle
Sprachen Beyspiele in Menge davon aufzuweisen
haben. Ja da man einmahl den Nutzen des
Druckes der Zunge eingesehen hatte, so konnten
manche Sprachbildner dessen nicht genug
bekommen, und wandten denselben oft ohne
Noth und Nutzen an. Daher rührt es, dass
manche Sprachen sich so sehr mit Consonanten
überladen haben, dagegen andere Sprachschöpfer
besonders von weichern Organen und unter
IXeinem mildern Himmel mit wenig oder schwachen
Drucken zufrieden waren. Das Verhältniss
der Consonanten gegen die Vocalen mag nun
seyn, welches er will, so ist das auf diesem
Wege erhaltene Produkt eine Sammlung von
Wurzellauten, deren Anzahl dem Kreise des nächsten
Bedürfnisses, ihr Verhältniss gegen den Naturlaut
aber, der natürlichen Fähigkeit, Besonnenheit
und Anstrengung jedes kleinen Häufchens,
welches sich Sprache bildete, angemessen
ist.

Einsylbigkeit der Wurzellaute.

Jeder dieser Wurzellaute, womit der Sprachbildner
den von aussen empfangenen Eindruck
wieder darstellet, ist allemahl einsylbig. Die
Ursache liegt wohl in der eingeschränkten Fähigkeit
des Menschen. Der Naturton rauscht
schnell vorüber. Das noch ungeübte Organ
kann nur den hervorstechendsten Theil desselben
fest halten und wiedergeben, und dieser ist
allemahl einsylbig. Scheinen manche solcher
nachahmenden Wörter zweysylbig zu seyn, z. B.
schmettern, so sind das schon keine einfachen Wurzellaute
mehr, sondern zusammengesetzte Ausdrücke,
wo der zweyte Theil eine allgemeinere
zitternde Eigenschaft bezeichnet, daher er sich
auch an mehrern ähnlichen Wörtern befindet.
Diese Einsylbigkeit wird auch durch die Erfahrung
bestätiget, nicht allein der vielen noch vorhandenen
einsylbigen Sprachen, welchen wohl
niemand das Recht ihrer Erstgeburt streitig machen
wird, sondern auch aller mehrsylbigen, deren
Wörter sich insgesammt auf eine einfache
Wurzelsylbe auflösen lassen, und aufgelöset werden
müssen, wenn man den Weg der Natur nicht
Xverfehlen will. Mag es doch seyn, dass die Semitischen
Sprachlehrer aus blinder Anhänglichkeit
an kopfleere und unphilosophische Rabbinen
des zehnten Jahrhunderts immer noch den zweysylbigen
Wurzeln huldigen, und dass die Hemsterhuisische
Griechische Schule (die ältern
Schulen liessen sich nichts von Wurzelwörtern
träumen, ) aus Gefälligkeit gleichfalls davon ausgehet,
so ist das nicht das erste Mahl, dass der
menschliche Verstand den ebenen Pfad der Natur
verlässt, und sich dafür ungebahnte Schleifwege
sucht.

1. Erste Sprache, Nachbildung des
Gehörten.

Ich habe bisher voraus gesetzt, dass die ersten
Versuche der vernehmlichen Sprache in der
Nachbildung des Gehörten bestehen, und glaube
nicht bloss behaupten, sondern auch beweisen
zu können, dass für Menschen in dem noch ganz
ungebildeten Zustande ihrer Fähigkeiten, wie
man sich die ersten Spracherfinder denken muss,
kein anderer Bestimmungsgrund möglich ist,
dass dieser aber auch dem rohen Sohne der Natur
so nahe liegt, dass jedes noch sprachlose
Häufchen Menschen, welches man sich unter
zehn verschiedenen Himmeln denken könnte,
auf diesem Wege Sprache erfinden wird und erfinden
muss. Die Sprache ist jetzt noch hörbarer
Ausdruck des Empfundenen. Die Absicht
ist, theils ein Merkmahl von dem Empfundenen
abzusondern, um dasselbe fest zu halten, und
sich klar zu machen, theils eben denselben Eindruck,
und eben so, wie man ihn selbst empfunden
hat, auch in andern hervorzubringen. Der
XIdadurch entstehende Ausdruck setzt doch wohl
einen vorher gegangenen ihm gemässen Eindruck
voraus, weil nichts hörbar dargestellet
werden kann, was nicht vorher eben so ist empfunden
worden. Wäre das nicht, so würde es
nicht so schwer, ja gewisser Massen unmöglich
seyn, gebohrne Taubstumme zur vernehmlichen
Sprache zu bringen. Durch das Gehör
hingegen fordert die ganze Natur zur Sprachbildung
auf. Die Schlange zischt, die Biene summt,
der West säuselt, der Donner rollt, der Sturm
brauset, der Wind aus Klüften heult. Der noch
unerfahrne Sohn der Natur staunt, horcht, überlegt,
und ohne, dass er es deutlich will, zischt,
summt, säuselt, rollt, brauset und heult er
nach, bekommt dadurch schon einen klaren Begriff
von der Naturerscheinung, welchen sein
Gedächtniss fest hält, und welcher ihn in den
Stand setzt, sie nicht allein in andern künftigen
Fällen von andern zu unterscheiden, sondern sie
auch den Gefährten seines angehenden Lebens
klar und bemerkbar zu machen. So erweitert
jeder neue Eindruck und dessen Nachbildung
seine klaren Vorstellungen; jeder ist ihm ein
Schritt mehr zur erwachenden Vernunft, und
der erste Keim allgemeiner Begriffe, des Grundes
seiner ganzen vernünftigen Erkenntniss. So
oft eine Biene vor ihm vorüber summt, wird er
sie nicht allein von allen andern Dingen unterscheiden,
sondern in ihr auch ein Geschlecht
von Wesen eigener Art erkennen lernen. Alle
Sprachen weisen uns noch auf diese ihre ersten
rohen Anfänge zurück, und zwar alte und
ungebildete Sprachen mehr als andere, z. B.
die Hebräische, die Mantschuische, die Deutsche
u. s. f.XII

Einwurf dagegen.

Man hat gegen diesen Ursprung der Sprache
mehr als Ein Mahl den Einwurf gemacht,
theils dass diese Nachahmung des Hörbaren an
so wenig Wörtern in den Sprachen mehr merkbar
sey; theils dass da, wo sie sich finden müsste,
z. B. wenn einerley bestimmter Naturlaut ausgedruckt
werden soll, dessen Bezeichnung in jeder
Sprache anders ist, da sie sich doch in jeder
Sprache gleich seyn müsste; theils endlich, dass
unzählige Begriffe Nahmen haben, bey welchen
auch nicht die leiseste Ähnlichkeit mit einem
Tone Statt findet, wenigstens nicht mit einem
Tone, der nur die geringste Ähnlichkeit mit
dem Begriffe hätte. Die Sache ist nicht zu läugnen,
lässt sich aber leicht erklären. Der letzte
Einwurf wird sich in der Folge von selbst beantworten;
ich bemerke in Ansehung der beyden
ersten nur folgendes.

1. In denjenigen Fällen, wo der Naturlaut
sehr bestimmt und sich immer gleich ist, ist es
auch dessen Bezeichnung. Z. B. der Nahme des
Kuckuks, Lat. Cucullus, Griech. Κοκκυξ, Irländ.
Cuach, Baskisch Cucua, Slav. Kukulka, Kukuschka,
Kukācka, Kukawa, Ungar. Kukuk, Hebr. Cacatha,
Syr. Coco, Arab. Cuchem, Pers. Kuku, Koriäk.
Kaikuk Kamtschad. Koakutschith, Kuril. Kakkok,
Tatar. Kauk, u. s. f. 2. Aber das ist denn doch
nur selten der Fall. Gemeiniglich ist der Naturlaut
schon an sich sehr verschieden, und da
wählt ein Völkchen diese, ein anderes eine andere
Art der Abänderung. Ein auffallendes Beyspiel
geben die Nahmen des Donners. So bestimmt
diese Naturerscheinung ist, so sehr verschieden
kündigt sie sich doch dem Ohre an,
XIIIund so verschieden sind auch ihre Nahmen, ob
sie gleich alle verrathen, dass sie unmittelbar
nach der Natur gebildet sind. Ich habe in meiner
ältesten Geschichte der Deutschen S. 353
dessen Nahmen aus den Europäischen Sprachen
zum Beweise angeführet. 3. Sehr oft ist der
Naturlaut selbst schwankend und unbestimmt,
und da kann es nicht fehlen, dass dessen Nachbildung
eben so gerathen, und sich in mehrern
Sprachen, deren jede ihren eigenen Weg
gehet, noch unähnlicher werden muss. 4 Das
muss noch mehr der Fall seyn, wenn man erwäget,
dass ungeübte Organe, wie die der ersten
Sprachbildner nothwendig seyn müssen, den
Ton nur unvollkommen auffassen und wiedergeben
können. Man bemerke nur Kinder, wenn
sie anfangen zu sprechen, und einen gehörten
Ton nachbilden wollen, wie unähnlich sich hier
oft Bild und Nachbild sind. Und hier ist ein
Kind nicht besser als das andere. Lernt man
gleich bey mehr Cultur die Unvollkommenheit
manches gebildeten Wortes einsehen, so ist es
doch einmahl gangbar und allgemein verständlich,
und wird daher beybehalten. 5. Fanden
sich in den Organen Fehler, entweder der ersten
Anlage, oder aus Gewohnheit, so ist die
Abweichung noch grösser, so dass sie oft alle
Ähnlichkeit auslöscht. Die Sinesen, Grönländer
und Mexicaner lassen statt des r allemahl ein
l hören, daher heisst der Donner Sinesisch Lei,
Grönländ. Kallak, und Mexicanisch Tlatlatnitzel.
Man gebe diesen Wörtern das r wieder, so werden
sie dem Naturlaute schon ähnlicher. Manche
Völker, z. B. die Grönländer und Sinesen
können keinen Consonanten aussprechen, ohne
ihn auf einen Vocal zu stützen; dadurch wird
XIVder Naturlaut sehr oft geschwächt und unkenntlich.
6. Durch die mehrmalige Übertragung
der Begriffe wird ein Wort immer weiter von
seiner ersten Quelle entfernt, bis sich endlich
selbige ganz verliert. Doch davon hernach.

Verschiedene Bedeutung gleichlautender Wörter.

Einer der vornehmsten Mängel dieser Bildungsart
ist, dass wenn sich mehrere Naturerscheinungen
mit einerley Laut ankündigen, selbige
auch mit einerley Nahmen beleget werden
müssen, wodurch denn der erste Grund zur Vieldeutigkeit
der Wörter gelegt wird. Schäumen
bedeutet wie bekannt ist, einen Schaum von sich
geben. Aber ehedem bedeutete es auch laufen,
sich schnell bewegen, daher ein Meerschäumer,
Seeräuber, und das Nieder-Sächsische Intensivum
schummeln. Kurzsichtige Sprachforscher
pflegen dergleichen Wörter gern von einander
abzuleiten, da sie doch nur neben einander bestehen.
Man sehe von Deutschen Wörtern mein
Wörterbuch v. Bär, Katze, Scheren und hundert
andere.

Geringe Anzahl der Wurzellaute.

Diese Sprachbildung, als Nachahmung des
Gehörten; gibt uns den Schlüssel zu verschiedenen
Erscheinungen, welche ohne denselben unerklärbar
bleiben. Eine der vornehmsten ist die
geringe Anzahl der Wurzelwörter in allen Sprachen.
Leibnitz berechnete in seiner Arte combinatoria,
wie oft sich die 24 Grundtöne der
bekannten Sprachen versetzen lassen, und erhielt
eine Zahl, welche die Hälfte einer Quadrillion
übersteigt. Das wäre nun ein herrlicher Fund
XV

für die unermessliche Menge von Begriffen aller
Art, wenn die Sprache eine willkührliche Verbindung
von Tönen wäre und seyn könnte, wie
mehrmals ist behauptet worden. Man dürfte
nur in diesen Schatzkasten greifen, und für jeden
neuen Begriff einen beliebigen Nahmen heraus
hohlen. Allein die Natur ist nicht so verschwenderisch
mit ihren Schätzen. Sie hat dem
Menschen ein sehr kleines Pfund anvertrauet, damit
zu wuchern. Sie lehrte ihn nicht gleich, ein
Schiff von hundert Kanonen bauen, sondern sie
wiess ihm das Floss und sprach: siehe zu, wie
weit du es damit bringst, und sie sprach es nicht
vergebens. Wenn man die verschiedenen Wurzellaute
aller Sprachen zusammen zählet, so finden
sich deren nicht mehr als wenige hundert, welche
in allen Sprachen von dem Ganges bis
zum Lorenz-Flusse wieder kommen, und in jeder
hinreichen müssen, die unermessliche Menge
Begriffe, welche das menschliche Geschlecht
unter allen Zonen, und in allen Graden der Cultur
nicht allein hat, sondern auch in allen künftigen
Weltaltern noch erwerben kann, auszudrucken.
Man hat sich die Mühe gegeben, diese
Wurzellaute in mehrern Sprachen zu zählen.
Fulda fand ihrer in der Deutschen 3-400,
Court de Gebelin in der Französischen noch
nicht 400, Fourmont in der Griechischen, dieser
so reichen Sprache, nur 300, Bayer und
Fourmont in der Sinesischen 330-350. Genau
lässt sich nun diese Anzahl nicht bestimmen,
weil es bey der nahen Verwandtschaft mancher
Laute ungewiss bleibt, was verschieden oder
nicht ist. Genug, die Zahl der Wurzellaute beträgt
in keiner Sprache über wenige hundert;
jeder dieser Laute kommt in jeder Sprache von
XVIneuen vor, und dieser kleine Vorrath zusammen
genommen macht den Grund des ganzen
gegenwärtigen und künftigen Sprachreichthums
aus. Diese Erscheinung muss von einem allmächtigen
Naturgesetze abhangen, weil sich
sonst nicht begreifen lässt, warum so unzählige
Völker und Völkchen, welche sich unter so verschiedenen
Himmeln Sprache gebildet haben,
immer von einerley Laut ausgegangen seyn
sollten, und wenn sie gleich in Ansehung der
Anwendung dieses Lautes von einander abweichen,
doch immer auf einerley Art abweichen.
Und sie erklärt sich von selbst, diese Erscheinung,
so bald man die Nachbildung des Gehörten
zum Grunde legt. Die Zahl der Naturtöne,
welche der Mensch mit den ihm zu
Theil gewordenen Organen fassen und wiedergeben
kann, ist nur eingeschränkt, und da jedes
Völkchen diesen Vorrath in seinem Wirkungskreise,
sey er so enge wie er wolle, sehr
bald erschöpft, so legt es auch frühe den Grund
zu seinem ganzen künftigen Reichthum dieser
Art. So bald aber auch dieser Vorrath erschöpft
ist, kann es kein neues Wort mehr bilden, sondern
es muss den künftigen Reichthum neuer
Begriffe auf andere Art darzustellen suchen.

2. Sprache, Ausdruck des als hörbar
gedachten.

Es belohnet schon die Mühe, nachzuforschen,
auf welchem Wege er sich diesen Reichthum
erwerben konnte. Bis jetzt ist seine Sprache
nur noch eine Sammlung yon wenig hundert
einsylbigen Lauten, die er der Natur abgelauscht
hat, die aber seiner angehenden Menschheit
XVIIhinreichen, sich die Erscheinungen der
ihn umgebenden Natur klar zu denken, und
sie andern eben so klar wieder darzustellen.
Aber wie arm und eingeschränkt würde seine
Sprache und mit ihr auch seine Erkenntniss
seyn, wenn er hier müsste stehen bleiben,
und nicht weiter gehen könnte. Das Floss
müsste ewig ein armseliges Floss bleiben, und
würde sich nie zu dem höhern Range eines Kahnes
erheben können. Doch die Natur, welche
ihm den Weg zum ersten rohen Sprachversuche
gezeiget hatte, führte ihn an ihrer wohlthätigen
Hand weiter. So wie der erste Eindruck, welchen
die Körperwelt auf seine Sinne machte,
Empfindung, noch nicht Begriff war, so war
auch das, was sein Sprach-Organ wieder gab,
der blosse empfundene Schall, es war Interjection,
und noch nicht Wort, krach, platz, sum,
von Ton, Hand und Geberde unterstützt. Ein
wenig Überlegung musste ihn lehren, dass die
Interjection nicht bloss den Schall, sondern auch
etwas Verwandtes bezeichnen könnte. Das nächste
Verwandte, welches sich ihm darstellte, war
das Wesen, von welchem dieser Schall herkam,
welches nunmehr davon seinen Namen erhielt,
und ihm zugleich das erste Substantiv gab. Die
heftige Bewegung der Luft, welche er durch
saus ausgedruckt hatte, hiess ihm nunmehr auch
Saus. Das nächste Verwandte war das handeln
und wirken, welches diesen Laut hervor brachte,
und ihm den Weg zu der Bildung eines Verbi
bahnte. So erstieg er an der Hand der Natur eine
Staffel nach der andern auf der Leiter der Ähnlichkeiten,
und lernte von der hörbaren Welt einen
Schritt nach dem andern in der weniger hörbaren
zu thun. Eine sehr wichtige Entdeckung
XVIIIfür ihn war es, als er das Geheimniss fand,
den Eindruck der übrigen Sinne auf den Sinn des
Gehörs zurück zu führen. Der Sinn des Gesichts
bot sich am ersten dar. Er hatte bemerkt,
dass ein Körper, wenn er in eine grosse Tiefe
fällt, einen gewissen dumpfigen Ton gibt, und
nun ward ihm dieser dumpfige Ton der Nahme
der Tiefe. Aber da die Tiefe in einer andern
Rücksicht auch die Höhe ist, so behielt er oft
jenen Nahmen auch für die Höhe bey. Daher
so oft einerley Nahmen für scheinbar entgegen
gesetzte Begriffe. Gewisse mit einer leichten
Geschwindigkeit vor ihm vorbey eilende Körper
hatten ihm für diese Art der Bewegung die Nahmen
blitz, licht gegeben. Er bemerkte diese Geschwindigkeit
an gewissen Erscheinungen der
Körperwelt, und hatte nunmehr Nahmen für
den Blitz und das Licht, so wie hell und klar,
eigentlich Bezeichnungen gewisser höherer Töne,
auch zu Nahmen stärkerer Arten des Lichts
dienen mussten. War der Weg einmahl gebahnt,
so war es leicht, auf demselben weiter
zu gehen, und bey dem nachgebildeten Naturlaute
nicht mehr diesen Naturlaut, sondern etwas
ähnliches zu denken, und so von einem
ähnlichen zu dem andern fortzuschreiten, bis
am Ende alle Ähnlichkeit mit dem ersten Naturlaute
verschwand; zumahl wenn man bey jedem
ähnlichen etwas von dem demselben anklebenden
körperlichen zu vergessen, und sich dafür
etwas ähnliches unkörperliches zu denken suchte.
Wie weit man es in dieser Abstraction endlich
bringen kann, zeiget unser Wort Geist, wo sich
der menschliche Verstand von der ersten Bedeutung
des Windes und eines gährenden Körpers,
durch mehrere unmerkliche Stufen bis zu der
XIXBedeutung eines vernünftigen unkörperlichen
Wesens hinaufgearbeitet hat.

Verschiedenheit des Tones der einsylbigen
Sprachen.

Doch so weit sind wir mit unserm Naturmenschen
noch lange nicht; er ist immer noch
mit der Nachbildung des hörbaren, und der Anwendung
des weniger hörbaren, aber immer
noch sinnlichen, auf dasselbe beschäftiget. Das
unsinnliche bleibt seinen müssigern Enkeln vorbehalten.
Aber er hatte doch schon hier in
der Vorhalle der Sprachbildung mit wichtigen
Schwierigkeiten zu kämpfen, welche ihm nicht
lange entgehen konnten. Die übertragenen Begriffe
machten mit dem ersten Urbegriffe oft
Zweydeutigkeiten und stellten den Sinn des
Sprechenden in den Schatten. Oft hob Zusammenhang
und Geberdenspiel, welches in diesem
ersten Zustande sehr lebhaft ist, die Dunkelheit;
aber nicht allemahl. Doch er lernte
sich auch hier helfen. Er musste bemerkt haben,
dass einerley Naturlaut, wenn er bloss nach
den Consonanten beurtheilet wird, durch die
Höhe, Tiefe, Länge und Kürze des Tones, d.i.
durch den Vocal und dessen abgeänderten Vortrag
gar sehr vervielfältiget werden kann, (piff,
puff, paff; platz, pletz, blitz, plotz, plutz.) Hatte
er nun schon gelernet, dem Naturlaute selbst
tropische Bedeutungen unterzulegen, so lernte
er nun auch das auf die möglichen Arten des Tones
zu übertragen. Da sich nun fünf und mehr
solche Abänderungen des Tones unterscheiden
lassen, so konnte nun sein kleines Wörterbuch
um eben so viel vermehret, und die Zahl seiner
Begriffe durch eben so viel neue Tropen vergrössert
XXwerden. Daher spielen Ton und Accent
in den einsylbigen Sprachen, dergleichen wir
hier noch voraus setzen, eine so wichtige Rolle.
Ich habe bey der folgenden ersten Classe, den
einsylbigen Sprachen, mehr davon gesagt, und
kann daher abbrechen.

Folgerungen aus dem vorigen.

Die Lehre von den übergetragenen Begriffen
ist sehr reichhaltig, besonders wenn man
aus den wirklich vorhandenen Sprachen die grosse
Stufenleiter der Ähnlichkeiten nachzeichnen
wollte. Aber ich muss mich hier kurz fassen,
und es bey einem Paar allgemeiner Anmerkungen
bewenden lassen, welche sich ein jeder
nach Belieben weiter ausspinnen und vermehren
kann.

1. War die Sprache ursprünglich Nachbildung
des gehörten, so ist sie nun Ausdruck des
als hörbar gedachten. Gleich nach den ersten
Stufen der Übertragung hört die Nachbildung
auf, und an die Stelle des Naturlautes tritt die
Ähnlichkeit, da denn die nächst vorher gehende
Ähnlichkeit immer die folgende zeuget, und das
gehet so lange fort, als Sprache dauert, und als
der Sprechende noch an Erfahrungen und
Kenntnissen wächst, wenn gleich das gehörte,
von welchem er ausging, längst verhallet, ja
zum grössten Verdrusse des Sprachgrüblers längst
vergessen ist. Der Stamm stirbt ab, die unsichtbare
Wurzel lebt nur noch in ihren Schösslingen.

2. Die Ähnlichkeit, welche hier die grosse
Rolle spielt, hängt ganz von der eigenthümlichen
Empfindungsart jeder beysammen lebenden
Menge Menschen ab, welcher sie ohne gelehrte
Vorlesungen und Beweise so gleich als
XXIÄhnlichkeit einleuchten muss. Da dies in den
ersten Jahrhunderten oft Jahrtausenden der
Sprache rohe und ungebildete Menschen sind,
so siehet man bald, was sich da erwarten lässt.
Daher zeiget sich die Verschiedenheit der Sprachen
in den übergetragenen Begriffen immer
am häufigsten und stärksten. Manche liegen
freylich so nahe, dass auch die entferntesten Völker
sie nicht leicht verfehlen. So sind fast alle
von dem Wehen des Windes oder dem Athem
auf den Begriff der Seele und eines Geistes geleitet
worden. Aber nur zu oft spielet hier der
noch ganz ungebildete Verstand mit seinen wunderlichen
Launen, und entdeckt oder vielmehr
erschafft Ähnlichkeiten, zu welchen sein späterer
Enkel mit aller Anstrengung kaum den Faden
wieder finden kann. Besonders zeichnet sich
hier der kühne Flug der Phantasie des Morgenländers
aus. Zuweilen verbessert die folgende
Ähnlichkeit die Quersprünge der vorhergehenden;
sehr oft aber nicht, und da kreuzigt und
segnet sich der spätere Sprachgrübler, wenn er
der Phantasie des Barbaren nicht auf die Spur
kommen kann, und macht oft noch tollere
Kreuz- und Quersprünge als jener.

3. Die Bedeutungen jedes Wortes, sie seyen
so mannigfaltig und abstract als sie wollen, gehen
allemahl von einem sinnlichen Begriffe, und
dieser von einem empfundenen Schalle aus, und
werden erst nach und nach zu immer weniger
sinnlichen ausgebildet. Der Begriff eines Geistes
ist von dem Begriffe des wehenden Windes oder
eines gährenden Körpers empfangen, geboren
und erzogen worden. Man sehe die ganze lange
Stufenleiter der mittlern Bedeutungen in meinem
Wörterbuche. Tugend, Virtus, Άρετη, Fromm,
XXIIbedeuten ursprünglich Stärke und Tapferkeit.
Sünde, Schande, Laster, bedeuten körperliche
Verunstaltungen.

4. Wörter, welche ursprünglich einen
schwankenden und unbestimmten Naturlaut
nachbildeten, sind zu übergetragenen Begriffen
die geschicktesten, und werden auch in allen
Sprachen am häufigsten dazu gebraucht. (Sollte
das Schwankende und Unbestimmte nicht auch
auf die Wahrheit des übergetragenen Begriffes
Einfluss haben?) Bezeichnen sie eine sanfte
kaum merkliche Bewegung, z. B. gehen, so werden
sie gerne auf alle Bewegungen angewandt,
welche sich durch keinen eigenthümlichern oder
merklichen Laut ankündigen.

5. Der menschliche Verstand kann es an
der Hand der Ähnlichkeit sehr weit bringen; er
kann mit Hülfe der Phantasie und Abstraction
immer eine weniger sinnliche Ähnlichkeit an die
vorige reihen, und sich so aus der sichtbaren
Welt eine unsichtbare bauen, über deren Grösse
und Reichthum er am Ende selbst erstaunen
muss. Aber wie viele Wahrheit hat diese aus
den Trümmern der sichtbaren erschaffene unsichtbare
Welt? Ihre ganze Grundfeste bestehet
aus wenig hundert durch das Gehör empfundenen
Erscheinungen der groben Körperwelt.
Davon reisst er nach Belieben einen Begriff nach
dem andern ab, entkleidet ihn von dem Körperlichen,
so weit er kann, würfelt zusammen und
bauet daraus Systeme, reisst wieder ein, entkleidet
von neuem, bis von dem ersten Begriffe
nichts mehr übrig bleibt, als der leere Schall,
tritt dann auf die Zinne seines Luftschlosses,
schlägt die Flügel, und ruft siegreich aus:
Auch ich bin Schöpfer!XXIII

II. Ausbildung der Sprachen. Mehrsylbigkeit.

Bisher war die Sprache nur noch einsylbig,
und ob sie gleich nicht mehr blosse tönende Natur
war, sondern bereits merkliche Schritte in
das Gebieth des Unsinnlichen gethan hatte, so
fehlte ihren Vorstellungen und deren Ausdrücken
noch Klarheit, Bestimmtheit und Zusammenhang.
Aus dem Flosse war schon ein stattlicher
Kahn geworden; aber er bedurfte noch der Ruder,
und musste sich mühsam an der Küste hinwinden.
Eben so schmiegte sich die Sprache
noch kümmerlich an der sichtbaren Welt hin,
wagte es kaum, diese aus dem Gesichte zu verlieren,
und hing dabey immer von Ton und Geberde
ab Bey der rohen Einsylbigkeit lagen
noch alle Begriffe ungeschieden unter einander.
Das handelnde Ding zeichnete sich noch durch
nichts von dem handeln und wirken selbst, das
Selbstständige noch durch nichts von dem Zufälligen,
Eigenschaften noch durch nichts von
Umständen und Verhältnissen aus. Kurz die Redetheile
waren noch nicht abgesondert; jeder
Wurzellaut war Substantiv, Verbum, Adjectiv,
oder was man sonst wollte. Manches empfand
man wohl dunkel, und suchte es auch durch
eigene Laute eben so dunkel auszudrucken. Allein
die ganze Sprache bestand noch aus einfachen
Lauten, wo die hervorstechendsten Begriffe,
oft noch blosse Empfindungen, schroff
und abgeschnitten neben einander gestellt, alle
feinere Begriffe und Verhältnisse aber unbezeichnet
gelassen wurden.

So einsylbig leben und weben noch ganze
Millionen Menschen in dem südöstlichen Asien
XXIVfort, ohne zu ahnden, dass ihre Sprache noch
einer grössern Ausbildung fähig sey. Ich habe
davon im folgenden umständlicher gehandelt,
und zugleich gezeigt, was für Fesseln dadurch
ihrem Verstande angelegt werden.

Was andere Volkshaufen dunkel bewogen
hat, (denn an freye Wahl aus Einsicht ist hier
so wenig als an irgend eine andere Erscheinung
in der Sprache zu denken, ) sich von den Fesseln
der Einsylbigkeit los zu machen, die dunkeln
Begriffe mehr aufzuhellen, immer mehr weniger
in die Sinne fallende Begriffe zu bezeichnen,
und dadurch der Sprache mit der Mehrsylbigkeit
zugleich Klarheit, Bestimmtheit, Zusammenhang
und Wohlklang zu geben, lässt sich nun
wohl nicht nachzeichnen, weil Zeit und Ort zu
entfernt sind, die Natur auf frischer That zu belauschen.
Genug, ausser den gedachten südöstlichen
Sprachen sind jetzt alle Sprachen in der
Welt mehrsylbig, und da sich diese Mehrsylbigkeit
auf eine grössere Klarheit und Geschmeidigkeit
der Begriffe gründet, so haben sich alle
diese Sprachen dadurch den Weg gebahnt, zur
immer weitern Vollkommenheit fortzuschreiten.
Der Sinese hat sich durch seine steife Einsylbigkeit
den Weg zu aller weitern Cultur des Geistes
verschlossen; aber die Sprache des Huronen
und Grönländers hat alles in sich, sich zu der
Sprache eines Plato und Voltaire zu erheben.
Sehr unnütz ist daher der Streit über die Vorzüge
einer Sprache vor der andern. Sie sind
alle auf einerley Art angelegt, und auf Einen
Grund gebauet; es kann daher aus einer jeden
alles werden, was Zeit, Umstände und Cultur
nur wollen.XXV

Geschiehet nach dunkeln Gefühlen.

Nur etwas von den Stufen lässt sich errathen,
auf welchen der sich selbst überlassene
Mensch von der einen Art der Ausbildung zu
der andern fortgeschritten ist. Es verstehet sich,
dass alles nur nach und nach, nach dem dunkeln
Gefühle der Nothwendigkeit und Schicklichkeit
hat geschehen können und müssen, und da es
dem durch lange Cultur des Geistes ausgebildeten
und von der frübesten Kindheit an an klare
Begriffe gewöhnten Menschen, schwer, wo nicht
gar unmöglich ist, dem rohen Sohne der Natur
nachzuempfinden und nachzudenken: so können
wir jetzt auch von den wenigsten Erscheinungen
in den Sprachen Grund und Ursache angeben,
sondern müssen uns in den meisten Fällen
mit Errathen begnügen; und auch zum Errathen
fehlen uns oft die Fingerzeige. Grund
und Ursache zu allem, was wir in der Sprache
bemerken können, war indessen da; denn was
eine beysammen lebende, und auf gleiche Art
empfindende und denkende Menge Menschen
auf einerley Art bestimmen soll, kann nicht willkülirlich
seyn, sondern muss auf alle gleichförmig
wirken. Ganz widersinnig wäre es, wenn
man hier feine Grübeleyen suchen und der
Sprach-Philosophie des rohen aber gesunden
Menschenverstandes eine gerechte Schul-Philosophie
unterschieben wollte.

Arten der Ausbildung. Unterscheidung
der Redetheile.

Man wird hier ohnehin wohl keine gelehrte
Vorlesung über die Ausbildung und die dadurch
bewirkte Mehrsylbigkeit der Sprachen, und ihre
XXVIeinzelne Theile erwarten. Das gehört in die
philosophische, so wie die Anwendung auf die
wirklich vorhandenen Sprachen in die allgemeine
Sprachlehre
. Aber nennen muss ich doch die
vornehmsten Arten derselben.

Einer der ersten Schritte zur Ausbildung der
Sprachen war wohl, die rohen Empfindungen,
welche man endlich zu Begriffen aufzuklären gelernt
hatte, in diejenigen Klassen zu theilen, in
welche die Natur sie selbst vertheilt hatte. Ein
anderes war doch das handelnde Wesen, der
Gegenstand des ganzen Sprachgeschäftes, ein
anderes das, was an demselben befindlich war,
wieder ein anderes, das handeln und wirken,
ein anderes die Beschaffenheit, und mancherley
Umstände des Handelns und Wirkens. In den
einsylbigen Sprachen lag alles ungeordnet unter
einander. Ein und eben derselbe Laut war zugleich
Substantiv, Verbum, Adjectiv, u. s. f.
Dass diese Begriffe verschieden waren, musste
man wohl bald bemerken, nur war es nicht allemahl
leicht, sich diesen Unterschied klar zu
machen, ihn an dem Wurzellaute zu bemerken,
und denselben dadurch zu der höhern Würde
eines Wortes zu erheben. Konnte man ihn sich
klar machen, so geschahe es durch Übertragung
dieser klaren Vorstellung auf den Ausdruck einer
hörbaren ähnlichen Vorstellung, (flieh, fluh,
Flucht, reis, Reise, reisen.) Aber oft behielt man
auch den Wurzellaut unverändert, (platz! der
Platz
, bau, der Bau.) Da jedes gebildete Substantiv
ursprünglich der Nahme eines gewissen
einzelnen Dinges war und seyn konnte, und
doch in der Folge alle Dinge derselben Art bezeichnen
sollte, es sollte aus einem eigenen Nahmen
ein Klassen-Nahme, ein Appellativum werden:
XXVIIso fanden manche Sprachbildner für gut,
dieses durch ein eigenes Wort anzukündigen,
welches dann den Artikel gab. Andere, welche
nicht so fein empfanden, übersahen das, und
liessen ihn weg.

Zusammenziehung und Zusammensetzung.

Das nächste Mittel der Ausbildung sey die
Verbindung zweyer Begriffe und Wörter zu Einem,
theils dadurch einen gewissen dritten Begriff
zu bilden (Zusammensetzung), theils gewisse
Verhältnisse und Nebenbegriffe mit dem einen
Worte zu verschmelzen (Zusammenziehung). Diese
ist der Grund der ganzen Biegung und Ableitung.
In den einsylbigen Sprachen stellet man die hervorstechendsten
Verhältnisse und Nebenbegriffe,
(die feinern achtet man nicht, ) daneben; man
sehe die einsylbigen Sprachen. Aber bey der
Ausbildung ziehet man sie mit dem Worte zusammen,
und bekommt dadurch gebogene und
abgeleitete Wörter, (Mann-es, Lieb-e, les-en, herrlich.)
Bey der Dunkelheit des Begriffes verlieret
sich mit dem Tone auch der erste Urbegriff sehr
bald, und verleitet dadurch spätere Sprachforscher,
alles das für willkührliche Laute zu halten.

Bezeichnung der Mehrheit. Bildung
des Plurals.

Das handelnde oder leidende Ding, in der
grammatischen Kunstsprache das Substantiv, war
entweder ein einziges oder es war mehrfach; im
letzten Falle musste das bezeichnet werden. In
den einsylbigen Sprachen geschiehet dieses entweder
durch Wiederhohlung, (Baum Baum) oder
durch besondere Wörter (ander, viel, mehr.)
Bey der Ausbildung knüpft man diese letztern
XXVIIIAusdrücke unmittelbar an das Wort an, und so
entstehet der Plural. Grübelköpfe, (denn auch
der roheste Menschenverstand hat seine Grübeleyen,)
wollten bemerken, dass zwey weder eins
noch viel sey; daher bezeichnete man diesen
Umstand in manchen Sprachen besonders, und
wählte dazu das Zahlwort zwey, welches man
unmitttelbar mit dem Worte zusammen zog.

Declination und Conjugation.

Auf ähnliche Art bildeten sich alle übrige
Zweige der Biegung, besonders die Declination
und Conjugation; jene, die Verhältnisse an dem
Worte selbst zu bezeichnen, in welche das handelnde
oder leidende Ding von dem Verbo gesetzt
werden kann. Nicht durch leere Schälle,
sondern durch Sylben, oft einfache Laute, welche
ursprünglich ihre bestimmte obgleich dunkele
Bedeutung hatten, und sie in den einsylbigen
Sprachen noch haben. Da mit dem Verbo
so mancherley Umstände der Zeit, der Person,
der Art und Weise, wie der Begriff des Verbi
vorgetragen wird, u. s. f. verbunden werden können,
so waren manche Völker, da sie einmahl
in das Ausbilden durch Zusammenziehen kamen,
unersättlich, und bürdeten besonders dem Verbo
alles auf, was sie einem andern Redetheile zu
tragen nicht zumuthen durften; selbst den Umstand
der Bejahung und Verneinung. Daher ist
die Conjugation in manchen selbst noch ungebildeten
Sprachen überaus verwickelt und
schwer; dagegen andere es sich hier desto leichter
machten, und manche Umstände und Verhältnisse
entweder ganz übergingen, oder sie
durch eigene Wörter besonders bezeichneten.
Die Wurzel, d. i. derjenige Theil des Verbi,
XXIXworan sich alle diese Begriffe anschmiegen müssen,
ist der Natur der Sache nach der Imperativ,
indem dieser in den meisten Sprachen noch
die reine einsylbige Interjection ist, welche dem
Naturtone nachgebildet wurde. Im Deutschen,
Griechischen und Hebräischen, häufig auch
noch im Lateinischen, ist sie nicht zu verkennen,
und es ist blosser Überrest jüdischen Quersinnes,
wenn in den Semitischen Sprachlehren
die dritte Person der vergangenen Zeit, so abgeleitet
sie auch seyn mag, dafür aufgestellet wird.

Ton der Wurzelsylbe.

In den einsylbigen Sprachen hat jedes Wort
seinen bestimmten Ton, weil es seine bestimmte
klare Bedeutung hat. In den mehrsylbigen Wörtern
hat eigentlich nur Eine Sylbe diesen Ton,
und die übrigen entweder nur einen halben oder
auch gar keinen. In allen mehrsylbigen Wörtern
rühret, die Zusammensetzung ausgenommen,
die Mehrsylbigkeit entweder von der Biegung
oder von der Ableitung her. In der ersten
werden Verhältnisse und Umstände, in der letztern
aber Nebenbegriffe an ein Wort angeknüpft.
Dasjenige Wort, oder diejenige Sylbe, welche
selbige empfängt, heisst die Wurzel, oder Wurzelsylbe.
Es scheint der Natur der Sache gemäss,
dass diese Sylbe, da sie den Hauptbegriff,
um dessen willen alle übrige da sind, enthält,
auch durch die Erhebung der Stimme hervor gehoben,
d. i. betont werde. Folglich müsste sich
diese Eigenschaft in allen ursprünglichen Sprachen
antreffen lassen; denn dass sie in vermischten,
wo der Bau der Wörter gemeiniglich zerstöret
wird, verloren gehet, begreift sich leicht.
Daher darf man sie weder in der Lateinischen,
XXXwelche eine Mischung des Keltischen und Griechischen
ist, noch in ihren Töchtern, der Italienischen,
Spanischen, Französischen u. s. f. erwarten.
Die Deutsche, eine unverkennbar ursprüngliche
Sprache, hat sie, und zwar herrscht
sie hier so allgemein, und mit so wenig Ausnahmen,
als keine andere Eigenheit. Dagegen vermisset
man sie in so vielen andern Sprachen,
welchen man doch ihre Ursprünglichkeit nicht
streitig machen kann, z. B. der Griechischen,
den Semitischen, der Slavischen. In den meisten
ist es wohl eine Folge der Ausbildung durch
die Ableitung, weil durch die gehäuften Ableitungssylben
die Wurzelsylbe zu weit von dem
Ende entfernet werden kann, als dass sie durch
ihren Ton das Ganze beherrschen könnte, und
ihn daher einer Nebensylbe auftragen muss,
Libellulus; wo der Hauptton auf lib ruhen sollte.
Das scheinet auch im Griechischen der Fall zu
seyn. In andern Sprachen mögen andere Ursachen
gewirket haben.

Unterschied und Übereinstimmung.

Diese Art der Ausbildung durch Verlängerung
der Wurzelsylben herrscht in den vorhandenen
Sprachen in einer unübersehbaren Mannigfaltigkeit.
Hier kann man den menschlichen
Verstand auf allen Schritten seiner Fortbildung
belauschen. In den Malayischen, Mongolischen
und Mantschurischen Sprachen, welche unmittelbar
an die einsylbigen Sprachen grenzen, und
wahrscheinlich auch von ihnen ausgegangen
sind, ist sie noch am unvollkommensten; denn
da hat man zwar Ableitung und Zusammensetzung,
aber die Biegung ist noch sehr mangelhaft,
besonders in Ansehung des Nennwortes.
XXXISo auch in der Sprache der östlichen Südsee-Inseln,
und andern mehr. Auf der andern Seite
ist sich die grammatische Einrichtung, dieser
Verschiedenheit und der grossen Menge der
Sprachen, die es gibt und je gegeben hat, ungeachtet,
wieder so ähnlich, dass man sehr bald
überzeugt wird, sie ist nichts weniger als willkührlich,
sondern in der allen selbst den ungebildetsten
Menschen eingepflanzten eigenthümlichen
Art, die Dinge anzusehen, gegründet.
So ist die Zahl und Art der Redetheile, die Behandlung
des Substantives und des Verbi, der
Begriff des Pronominis, u. s. f. sich fast in allen
Sprachen von Athen bis zu den Pescheräs gleich,
so verschieden sie auch alle in der Anwendung
seyn mögen.

Vortheile der Mehrsylbigkeit.

Vergleicht man solche mehrsylbige Sprachen,
auch wenn sie noch so wenig ausgebildet
sind, mit einer der einsylbigen, so wird man
die Vorzüge jener vor diesen nicht verkennen
können. In den mehrsylbigen Sprachen ist man
im Stande, die Begriffe in die von der Natur
selbst geordneten Klassen zu theilen, und jede
Klasse nothdürftig zu bezeichnen; schon ein
grosser Gewinn für die Klarheit. Man hat daselbst
offene Bahn, auch die feinsten Verhältnisse,
die dem einsylbigen Menschen unerreichbar
sind, an dem Worte selbst auszudrucken,
die Begriffe auf mancherley Art zu verbinden,
und dadurch der Sprache statt der einsylbigen
Eintönigkeit, Mannigfaltigkeit und Wohlklang
zu geben. In den einsylbigen Sprachen ist die
Übertragung der Begriffe sehr eingeschränkt,
und kann wohl nicht über die bereits eingeführte
XXXIIAnzahl gehen, weil das Wort in jeder
andern Bedeutung einen andern Ton bekommt,
die Zahl dieser Tone aber eingeschränkt ist, und
nicht nach Willkühr vermehret werden kann.
In den mehrsylbigen Sprachen gehet dieser Ton
mit der Einsylbigkeit verloren, und es bleibt
der Ton der Wurzelsylbe oder welche an ihre
Stelle tritt, übrig. Daher hat die Bildung neuer
Wörter durch die Ableitung und Zusammensetzung,
und neuer Bedeutungen durch die
Übertragung und Abstraction hier einen unbegrenzten
Spielraum, und der menschliche Verstand
kann hier so weit gehen, dass ihm gar
nichts zu denken, sondern blosses Staunen über
seine eigene Kraft übrig bleibt. Die Sprache
ist nun nicht mehr Nachbildung des Gehörten,
auch nicht mehr blosse Darstellung des als hörbar
gedachten, sondern vernehmlicher Ausdruck
aller unserer Vorstellungen und Begriffe. So
ward aus dem armseligen Flosse ein stattlicher
Kahn, und aus diesem ein Schiff von hundert
Kanonen, welches auf dem unermesslichen
Meere des menschlichen Wissens und Nichtwissens
mit allen Winden selbst der Speculation
und Abstraction segelt, und, wie ehemahls
Alexander, es bejammert, dass es nicht noch
mehr Welten zu ergrübeln gibt.

Und das Floss guckt doch immer vor.

Was Wunder, dass es mehr als Einen Philosophen
gab, der sich mit dieser Schöpferkraft
seines Geistes brüstete, und das ganze Reich des
Unsichtbaren zu beherrschen wähnte. Und da
kann es denn nicht schaden, ihn ein wenig an
das Floss zu erinnern, aus welchem sein Schiff
von hundert Kanonen entstanden ist, und
XXXIIIwelches, trotz aller Verzimmerung und Ausschmückung,
doch überall hervor guckt. Denn
zu geschweigen, dass seine unsichtbare Welt
aus den Trümmern der sichtbaren zusammen
gestümpert, und sein eigenes Geschöpf ist, so
athmet die ganze Einrichtung der Sprache,
selbst in dem Munde eines Cicero und Neuton
die ungebildete Sinnlichkeit des rohen Naturmenschen.
Dieser, der Jahrhunderte, vielleicht
Jahrtausende lang, wenig mehr als sein eigenes
Ich klar dachte, beurtheilte alles ausser sich,
nach diesem seinem Ich. Alles war ihm beseelt,
alles handelte, wirkte und dachte wie er. Der
Wind brauset, die Sonne geht, der Donner
schlägt ein. Thales, doch schon ein Philosoph,
konnte die anziehende Kraft des Bernsteines
noch von einer inwohnenden lebendigen Seele
herleiten. Ja, da er selbst entweder männlich
oder weiblich ist, so ist ihm auch ein jedes
selbständiges oder als selbständig gedachtes
Ding entweder männlich oder weiblich, nachdem
es thätig oder leidend ist. Diese und andere
Irrrhümer mehr sind mit der ersten Bildung
der Sprache und der Vernunft so tief in
unsere Erkenntniss eingeflochten, dass wir nun
nicht anders denken können, und bey aller
Abstraction doch die irrige sinnliche Form beobachten
müssen. Das und noch so vieles andere
mehr, was man selbst finden kann, wenn
man nur will, sollte den menschlichen Geist,
wenn er sich zu hoch erheben will, fein an
der Erde halten, und den stolzen Pfau an den
Schmutz seiner Füsse erinnern.XXXIV