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Humboldt, Wilhelm von. Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues – T02

Ueber den Nationalcharakter der Sprachen

Bruchstück

Ich habe in einer meiner früheren akademischen Vorlesungen die Aufmerksamkeit
darauf zu richten versucht, dass die Verschiedenheit der
Sprachen in mehr, als einer blossen Verschiedenheit der Zeichen besteht,
dass die Wörter und Wortfügungen zugleich die Begriffe bilden
und bestimmen, und dass, in ihrem Zusammenhange, und ihrem Einfluss
auf Erkenntniss und Empfindung betrachtet, mehrere Sprachen in
der That mehrere Weltansichten sind.

Ich habe in einer andren Vorlesung in dem Baue der Sprachen die
Stufe aufgesucht, von welcher aus Dichtung und wissenschaftliche Forschung
erst in Klarheit und Freiheit möglich werden, und mithin eine
Forderung aufgestellt, die, ohne Rücksicht auf besondre Eigenthümlichkeit,
an alle ergeht.

Ich wünschte gegenwärtig auf diesen Grund fortzubauen, die Sprachen
an dem Punkte aufzunehmen, wo sie im Stande sind, in das Tiefste
und Feinste des geistigen Strebens einzugreifen, allein die Individualität
in Betrachtung zu ziehen, in der sie sich auf verschiedene Wege
vertheilen, um, jede mit der ihr einwohnenden Kraft, das allen gemeinschaftlich
vorliegende Gebiet in das Eigenthum des Geistes umzuschaffen.

Dass Individualität Einheit der Verschiedenheit ist, braucht kaum
erwähnt zu werden. Sie wird nur da bemerkbar, wo man in der Beschaffenheit,
durch welche sich eine Sprache von der andren unterscheidet,
auf gleiche Weise bewirkte und zurückwirkende Einerleiheit erkennt.
Eine wahrhaft geistige aber kann nur in Sprachen vorhanden seyn, die
schon eine höhere Stufe der Ausbildung erreicht haben.

Die Untersuchung dieser Individualitaet, ja sogar ihre genauere Bestimmung
in einem gegebenen Falle ist das schwierigste Geschäft der
Sprachforschung. Es ist unläugbar, dass dieselbe, bis auf einen gewissen
Grad, nur empfunden, nicht dargestellt werden kann, und es fragt sich
daher, ob nicht alle Betrachtung derselben von dem Kreise des wissenschaftlichen
Sprachstudiums ausgeschlossen bleiben sollte?

Die Zergliederung des Baues und der Bestandtheile der einzelnen
Sprachen gewährt zwei Arten des Gewinnes, die niemand leicht in Abrede
13stellen wird. Sie verbreitet Licht über die Art, wie der Mensch die
Sprache zu Stande bringt, und ist allein fähig, mit Sicherheit über die
Abstammung der Sprachen und Nationen zu entscheiden.

Von der letzteren dieser beiden Aufgaben ist es nicht nothwendig,
hier weiter besonders zu reden. Die erstere hat man bisher meistentheils
nur auf dem philosophischen Wege zu lösen versucht. Dies ist
auch so wenig zu tadeln, dass man ihn auch künftig wird immer, neben
dem historischen, verfolgen müssen, da jede Vernachlässigung des reinen
Denkens sich in allen wissenschaftlichen Bemühungen immer empfindlich
rächt. Allein das Schlimme war, dass man die philosophische
Untersuchung zugleich durch Thatsachen, und durch unvollständig gesammelte,
unterstützte, wodurch sich in den meisten Versuchen allgemeiner
Grammatik dem entschieden Richtigen viel Halbwahres, und
manches offenbar Falsche beimischte. 1 Das geschichtliche Studium
kann zwar niemals Vollständigkeit gewähren, weshalb auf keinem Gebiete,
auf welchem das reine Denken Gültigkeit hat, Erfahrung an die
Stelle desselben treten kann. Allein es ist ganz etwas Andres, wenn die
gesammte Masse des geschichtlich Bekannten, als wenn nur ein Theil
davon zusammengestellt wird, da die Erfahrung immer in dem Grade
ihrer Ausdehnung Allgemeinheit gewährt.

Es muss aber durch das vergleichende Sprachstudium dreierlei geschichtlich
dargestellt werden:

1. wie jede Sprache die verschiedenen, bei dem Bedürfniss der Rede
vorkommenden Aufgaben löst?

auf der einen Seite die grammatischen, und zwar wiederum:

welche Ansicht sie von jedem der einzelnen Redetheile, und von ihrer
Verbindung gewährt?

welcher Bezeichnungsart der grammatischen Begriffe, der Anfügung,
der Beugung, des Umlauts u. s. f. sie sich bedient?

welche Laute sie hierzu bestimmt, ob nur gewisse, wie die Arabische die
sogenannten servilen, oder alle, und welche in jedem einzelnen Fall?

auf der andren Seite die lexicalischen Aufgaben:

wie in Absicht der Laute Wörter aus Wörtern entstehen?

nach welcher Vorstellungsweise, in der Bedeutung der Wörter Begriffe
aus Begriffen hergeleitet werden?

wie die Wörter sich zu den Begriffen, jedes den ihm angewiesenen erschöpfend,
oder auch mehrere verwandte umfassend, verhalten?

ob und welcher erkennbare Zusammenhang zwischen den Lauten und
ihren Bedeutungen Statt findet?

2. wie und woran die Sprachen, welchen wir einen langen Zeitraum
hindurch folgen können, Veränderungen in ihrem Inneren erfahren haben?

3. welche Verschiedenheiten in Wortbau und Redefügung die näheren
14und entfernteren Verwandtschaftsgrade in Sprachen gemeinschaftlicher
Abkunft zulassen?

Die systematische Zusammenstellung aller Thatsachen, welche die
bekannten lebenden und todten Sprachen zur Beantwortung der hier
aufgeworfenen Fragen liefern, ist ein Unternehmen, an dessen Möglichkeit
und Wichtigkeit niemand zweifeln wird. Sie muss der Abfassung
einer wahren Geschlechtstafel der Sprachen sogar vorangehen, da sich
erst aus ihr ergeben kann, welche Uebereinstimmungen? in welchen
Punkten und welchem Umfange? auf Gleichheit der Abstammung zu
schliessen berechtigen.

Es giebt aber noch eine dritte Anwendung des geschichtlichen
Sprachstudiums, die, deren Schwierigkeiten im Vorigen erwähnt worden
sind, die Untersuchung der Individualität, in welcher die Sprachen
auf das Denken und Empfinden einwirken.

Ich habe nicht geglaubt, dass mich diese Schwierigkeiten von der
Behandlung dieses Gegenstandes abhalten dürften. Die Frage, ob die
Sprachen in der That eine bestimmte Form geistiger Einwirkung besitzen,
und ob, und woran diese Form in ihnen erkennbar ist, kann nicht
übergangen werden, wenn das Sprachstudium es nicht aufgeben will,
sich gerade in seiner höchsten und wichtigsten Beziehung klar zu werden.
Richtige Ansicht lebendiger Kräfte muss allerdings die Hoffnung
abschneiden, das Wirken derselben in seiner Individualitaet erschöpfend
darzustellen. Man kann aber dem Umriss, dessen Linien wahrhaft
zu beschreiben allerdings unmöglich bleibt, so nahe kommen, so viele
Punkte bemerken, die seine Richtung bestimmen, dass sich dasjenige,
was der genauen Schilderung widerstrebt, dennoch bis auf einen gewissen
Grad empfinden und erahnden lässt. Man kann um so weniger der
Begierde widerstehen, wenigstens den Versuch zu wagen, als das ermüdende
Sammeln der unzähligen Einzelheiten, welches die Erforschung
jeder Sprache voraussetzt, erst durch diese höheren Betrachtungen
wirklich belohnt wird.

Die Eigenthümlichkeit der Nationen und Zeitalter vermischt sich so
innig mit der der Sprachen, dass man unrecht thun würde, den letzteren
zuzuschreiben, was ganz oder grössentheils den zuerst genannten Umständen
angehört, und wogegen sich die Sprachen nur leidend verhalten.
Schon einzelne Schriftsteller vermögen, mit denselben Wörtern,
denselben Redefügungen, nur durch einen andren Gebrauch, vermittelst
des kräftigen Anhauchs ihres Geistes, der Sprache in ihren Werken
einen neuen Charakter aufzudrücken. So bleibt darum doch nicht weniger
wahr:

1. dass die Sprache durch die auf sie geschehende Einwirkung eine
Individualität erhält, die insofern ganz eigentlich auch zu ihrem Charakter
wird, als sie nun auch wiederum in demselben zurückwirkt, und
15als sie sich nur innerhalb der Gränzen desselben mit Willigkeit gebrauchen
lässt.

2. dass ihre Rückwirkung um so bestimmender ist, als in ihr das vermittelst
ganzer Zeiträume und Nationen in Masse Hervorgebrachte auf
das Individuum einwirkt, dessen selbst schon, durch die Gleichheit der
Einwirkungsursachen ähnlich gestimmte Individualität ihr nur wenig
zu widerstehen vermag.

3. dass, insofern auch, wie eben gesagt worden, einzelne Eigenthümlichkeit
den Sprachen einen neuen Charakter verleihen kann,
auch solche Bildungsfähigkeit zu ihrem ursprünglichen Charakter
selbst gehört.

4. dass, da alle Folgen von Ursachen und Wirkungen stätige Reihen
sind, in welchen jeder Punkt durch einen vorhergehenden Punkt bedingt
wird, und da unsre geschichtlichen Hülfsmittel uns immer nur in
die Mitte, nie in den Anfang einer solchen Reihe versetzen, jede einzelne
Sprache der Nation, welcher wir sie zuschreiben, schon in einer gewissen
Gestalt, mit bestimmten Worten, Formen und Fügungen überkommen
ist, und daher eine Einwirkung auf sie ausgeübt hat, die nicht
bloss Rückwirkung einer von ihr empfangenen, sondern für diese Nation
ursprünglicher Charakter der Sprache selbst war.

5. dass mithin, wenn man die Nation mit der Sprache zusammendenkt,
in der letzteren allemal ein ursprünglicher Charakter mit einem
von der Nation empfangenen in Eins zusammengeschmolzen ist. Zwar
darf man auch hier nicht, und am wenigsten geschichtlich, einen gleichsam
festen Punkt annehmen, wo eine Nation ihre Sprache im Entstehen
empfängt, da das Entstehen der Nationen selbst nur ein Uebergehen in
stätigen Reihen ist, und sich ebensowenig ein Anfangspunkt einer Nation,
als einer Sprache gedenken lässt. Allein unsre Geschichtskunde
rechtfertigt doch nirgends die Annahme, dass je eine Nation durchaus
vor ihrer Sprache vorhanden gewesen, oder um es mit andren Worten
auszudrücken, dass irgend eine Sprache allein durch die Nation, der sie
angehört, gebildet worden wäre. Demnach liegt auch in jeder Sprache
eine ursprüngliche Eigenthümlichkeit und Einwirkungsweise. Doch
kann in den Sprachen, deren Ursprung in das Dunkel der Zeiten zurückgeht,
diese Verbindung eines doppelten Charakters gleichgültig erscheinen,
da sich über den ursprünglichen nichts mehr ausmachen
lässt. Wo aber Sprachen, wie die lateinischen Töchtersprachen, durch
Veränderung und Vermischung uns als völlig ausgebildet bekannter entstanden
sind, und, wie in diesem Fall, auch die Literatur der früheren
auf die späteren einwirkt, da wird die Unterscheidung des Gemeinsamen
und Eigenthümlichen leicht und wichtig zugleich.

So lässt sich, ohne Verwechslung der wirkenden Ursachen, eine Eigenthümlichkeit
in den Sprachen erkennen, die wirklich die ihrige ist,
16oder doch zu der ihrigen wird, und man würde das innerste Wesen und
die bedeutungsvolle Mannigfaltigkeit der Sprachen verkennen, wenn
man das Gepräge des Nationalcharakters in ihnen unbeachtet liesse.
Man würde ebensosehr die feine, aber tiefe Verwandtschaft zwischen
den verschiedenen Arten geistiger Hervorbringung und der eigenthümlichen
Weise jeder Sprache übersehen, wenn man nicht sich zu erklären
versuchte, wie und warum jede sich vorzugsweise der einen, oder anderen
aneignet, und nur wenn man den Charakter der Nationen in allen
nicht mit Sprache zusammenhängenden Aeusserungsweisen, den von
subjectiver Individualität unabhängigen der verschiedenen Bahnen des
Denkens und Schaffens, und denjenigen, welche die Sprachen besitzen,
und annehmen können, in der Betrachtung verbindet, nähert man sich
der Einsicht in die Mannigfaltigkeit und Einheit, in welchen sich das
unendliche und unerschöpfliche Ganze des geistigen Strebens zusammenwölbt.

Der zarte Sprachsinn der Griechen fühlte den engen Zusammenhang
der Dichtungsarten und Sprachweisen so sehr, dass, auch als
Volksmässigkeit nicht mehr die Veranlassung war, jede nur in einem ihr
besonders gewidmeten Dialect der reichen Sprache ausgeführt ward,
und die Macht des Sprachcharakters zeigt sich hier an einem lebendigen
Beispiel. Denn wenn man die Rollen verwechselt, sich die epische
Dichtung in Dorischer, die lyrische in Ionischer Mundart denkt, fühlt
man sogleich, dass nicht Laute, sondern Geist und Wesen umgetauscht
sind. Die höhere Prose hätte sich, ohne den Attischen Dialect, niemals
wahrhaft entfalten können, und die Entstehung desselben, so wie seine
merkwürdige Verwandtschaft mit dem Ionischen, wird daher zu einem
der wichtigsten Ereignisse in der Geschichte des menschlichen Denkens.
Denn schwerlich hat es vor, oder unabhängig von ihm Prosa im
höchsten Verstande des Worts gegeben; diejenige, welcher der menschliche
Geist zu seiner edelsten und freiesten Entwicklung bedurfte, ist
erst in und nach ihm entstanden. Allein dies verdienet und fordert eine
eigne, der Folge dieser Untersuchungen vorzubehaltende Ausführung.

Ich habe im Vorigen festzustellen versucht, dass und inwiefern es einen
Charakter der Sprachen giebt. Zunächst und am vollsten und reinsten
liegt er in dem lebendigen Gebrauche der Rede. Dieser aber stirbt
mit den Redenden und Hörenden dahin, und wir müssen daher den
Charakter der Sprachen auf dasjenige beschränken, was davon in ihren
todten Werken, und wo sie dieser entbehren, in ihrem Bau und ihren
Bestandtheilen übrigbleibt. In noch engerem Sinn verstehen wir darunter
das, was sie ursprünglich besitzen, oder sich doch schon so früh angeeignet
haben, dass es auf die Generation der Sprechenden, als ihr gewissermassen
fremd, bedingend einwirkt.

Durch diesen Charakter wirken aber die Sprachen weit über alle
17Geschlechter der Nationen, denen sie angehören, hinaus, wenn sie nemlich
früh, oder spät, oft nur als schon erstorbene, in ihren Werken, oder
auch nur in der Kenntniss ihres Baues mit andren in Berührung treten.
Ihr Einfluss auf einander wird dadurch ein zwiefacher; ein bewusstloser,
indem sie Wesen und Charakter den von ihnen abstammenden mittheilen,
und ein andrer, gerade im Verhältniss der Tiefe und der Klarheit
des Bewusstseyns immer wachsender, wenn sie ein Gegenstand des Studiums
für Nationen anderweitig gebildeter Sprachen werden, oder mit
diesen in lebendige Verbindung gerathen. Die Griechische und Lateinische
Sprache, um jetzt nur diese zu nennen, verdanken in ihrem ursprünglichen
Bau ihre Anlage zum gelingenden Ausdruck jedes Gedankens
der Alt-Indischen. Aber diese Verbindung war auf dem Wege
vorgegangen, auf dem die Natur, auch das höchste Geistige vorbereitend,
wirkt; tiefe Nacht hatte sich darüber verbreitet; und sie war für
die Geschichte verloren, ohne die Niederlassung Europaeischer Nationen
auf Indischem Boden, von welcher die Bekanntschaft mit dieser
Sprache nicht gerade für das weltliche Treiben der Völker, aus der jene
Niederlassung entstand, eine besonders wichtige Folge ist, allein für die
Menschheit in der Erweiterung und Erhöhung ihres Denkens wohl die
dauerndste seyn dürfte. Man ist dadurch plötzlich in ein Alterthum hinabgestiegen,
das, dem Ausdruck und Charakter nach, weit über das
Griechische hinausreicht, und in dem man, wundervoll ergriffen von
der Würde geistiger Ansicht, der eisernen Beharrlichkeit tiefsinniger
Betrachtung, und der grossartigen Fülle immer in ganzen Massen aufgestellter
Naturbeschreibung, verweilt. Man kann aber mit Zuversicht
vertrauen, dass sich an jenen mächtigen Einfluss, welchen die Alt-Indische
Sprache durch den nur historisch verdunkelten Zusammenhang
mit unsrer vaterländischen, und den classischen, welchen diese einen
grossen Theil ihrer Ausbildung verdankt, auf unsre heutigen wissenschaftlichen
Fortschritte ausübt, mit der Zeit ein zweiter anknüpfen
wird. Wenn, wie es bei der Wissbegierde unsrer Zeit schwerlich fehlen
kann, Indische Literatur und Sprache unter uns so bekannt werden, als
es die Griechischen sind, so wird der Charakter beider einestheils Spuren
in der Behandlung unsrer Sprache, unsrem Denken und Dichten
hinterlassen, andrentheils aber ein mächtiges Hülfsmittel abgeben, das
Gebiet der Ideen zu erweitern, und die mannigfaltigen Wege auszuspähen,
auf welchen der Mensch mit demselben vertraut wird.

Von dieser Seite gewinnt die Verschiedenheit der Sprachen eine
welthistorische Ansicht. Das Zusammentreten verschiedenartiger Eigenthümlichkeiten
leiht dem Denken neue Formen, auf die nachfolgenden
Geschlechter überzugehen; die Kraft und das Gebiet der Ideen
wachsen zugleich, und werden zum gemeinsamen Eigenthum eines jeden,
der nicht die Mühe scheut, sich den Zugang dazu zu bahnen. Solange
18diese Kette, welche die Gedanken und grossentheils auch die
Empfindungen der Nationen Jahrtausende hindurch an einander
knüpft, nicht durch gewaltsame Umwälzungen zerrissen wird, geht nie
das Alte verloren, indem es immer neuen Zuwachs empfängt, und dies
Fortschreiten kennt ebensowenig, als der Gedanke und die Empfindung
selbst, eine Schranke.

Jede menschliche Einrichtung hat einen Gipfelpunkt, über den es
vergeblich seyn würde, sie hinausführen zu wollen, weil einmal in ihm
das Ziel wirklich erreicht ist; allein die Idee, welche einer solchen Einrichtung
zum Grunde liegt, kann bis ins Unendliche hin reiner, vollständiger,
in mannigfaltigeren Berührungen mit allen übrigen gedacht und
empfunden werden. So liesse sich denken, dass die Abschaffung der
Sklaverei, welche von dem Augenblick begann, als durch die Verbreitung
des Christenthums die Scheidewand zwischen den Nationen sank,
und eine allgemeine Verbrüderung aller entstand, einst auf dem ganzen
Erdboden vollendet seyn könnte. Es wäre dieser Einrichtung alsdann
nichts mehr hinzuzusetzen. Allein die innere Würdigung dieser Freiheit,
gegründet auf die Erkenntniss desjenigen in der menschlichen Natur,
worauf das Anrecht auf Freiheit beruht, kann ebensowenig in ihrem
Wachsthum, als in jener Erkenntniss ein Ende finden.

In dem Gebiete des Denkens selbst aber wirkt die Sprache gerade
auf eine Weise, die von selbst jedes Stillstehen bei einem erreichten
Punkte verbietet. Denn es hängt nicht von ihrer Beschaffenheit die Erforschung
einer Wahrheit, die Bestimmung eines Gesetzes, als wobei
auch das Geistige eine feste Gränze sucht, wohl aber die Stimmung ab,
in welcher der Mensch seine gesammten inneren Kräfte entwickelt; und
wie er darin einem Unendlichen nachstrebt, so begleitet auch sie ihn
durch Aufforderung, und Verleihung von Muth und Kraft auf diesem
endlosen Wege.

Daher ist das Fortschreiten in der Wechselwirkung des Gemüths und
der Sprache auf einander nicht zu vermischen weder mit dem Fortschreiten
in gesellschaftlichen Einrichtungen, und der daraus entspringenden
sittlichen Vervollkommnung, noch mit dem Fortschreiten in
Wissenschaft und Kunst, obgleich es mit beiden in der engsten Berührung
steht. In sich selbst aber äussert sich der aus dem Einfluss der
Sprache hervorgehende Gewinn auf eine zwiefache Weise, als erhöhete
Sprachfähigkeit, und als eigenthümliche Weltansicht. Man lernt sich
des Gedankens besser und sicherer bemeistern, ihn in neue anregende
Formen giessen, und die Fesseln minder fühlbar machen, welche die
nach einander fortschreitende, und immer sondernde und wieder verbindende
Sprache der Schnelligkeit und Einheit des reinen Gedankens
anlegt. Insofern aber die Sprache, indem sie bezeichnet, eigentlich
schafft, dem unbestimmten Denken Gestalt und Gepräge verleiht,
19dringt der Geist, durch das Wirken mehrerer unterstützt, auch auf neuen
Wegen in das Wesen der Dinge selbst ein.

Was in langen Reihen auf einander folgender Ursachen und Wirkungen
hinläuft, hat vorzugsweise ein Recht, der Weltgeschichte anzugehören,
und um so mehr, als es näher das gesammte Wesen der Menschheit
betrift. Darum sagte ich im Vorigen, dass die Verschiedenheit der Sprachen,
in ihrem, hier beschriebenen Einfluss auf das durch sie bestimmte
Wirken des Gemüths, eine welthistorische Ansicht gewänne. Denn Vorzeit
und Gegenwart stehen darin nicht bloss durch die Reihe vermittelnder
Geschlechter, zwischen welchen die Sprache gleichsam eine
fortwährende geistige Zeugung bildet, in Verbindung, sondern das Aufbewahren
des Geistes in der Schrift knüpft auch unmittelbar Zeiten
und Fernen an einander.

Die Sprachen und ihre Verschiedenheit müssen daher als eine die
Geschichte der Menschheit durchwaltende Macht betrachtet werden,
und wenn man sie übersieht, oder ihren Einfluss nicht rein, oder zu beschränkt
auffasst, so muss es allemal dem Begriff, wie die Menschheit
zu dem Besitz der geistigen Masse - wenn der Ausdruck erlaubt ist - gelangt
ist, welche sie dem Reich der Gedanken in Bestimmtheit und
Klarheit abgewonnen hat, an Vollständigkeit mangeln. Es wird ihm sogar
gerade das Wichtigste fehlen, weil die Sprache am unmittelbarsten
auf den Punkt hinwirkt, wo die Erzeugung des objectiven Gedankens
und die Erhöhung der subjectiven Kraft in gegenseitiger Steigerung aus
einander hervorgehen. Die Betrachtung der Einwirkung der Fortschritte
der Nationen in Wissenschaft und Kunst, und des Zusammenhanges
ihrer Literaturen kann allein diesen Mangel nicht ersetzen. Es ist darin
mehr, als was die Sprache wirkt, und nicht Alles, was ihr angehört, enthalten.

Von diesem Gesichtspunkt aus treten nun die verschiedenen Sprachen
in verschieden umgränzte Kreise des Einflusses. Einige müssen
wir als solche anerkennen, die zu unsrer heutigen Bildung wesentlich
beigetragen haben, und zu der Reihe von Entwickelungen gehören, in
welcher diese von dem fernsten Alterthume aus fortgeschritten ist. Andre
haben sich ein abgesondertes Gebiet geistiger Bildung, ohne unmittelbaren
Zusammenhang mit dem unsrigen, geschaffen. Viele haben
entweder den Grad der Entwicklung nicht erreicht, aus dem Geisteswerke
hervorgehen, oder sind wieder von dieser Höhe herabgesunken.
Sie sind daher hier nur wichtig, insofern sie zur Stammgeschichte andrer
Sprachen gehören, oder insofern sie die verschiedenen Culturzustände
der Nationen an einzelnen Beispielen beweisen. Denn die durch
diese weltgeschichtliche Betrachtung der Sprachen zu lösende Aufgabe
ist zu zeigen, wie die Sprache, hervorgehend aus Naturlaut und Bedürfniss,
zur Erzeugerin und Erhalterin des Höchsten und Zartesten in der
20Menschheit wird. Nach der Verschiedenheit dieser ihrer Schicksale, so
wie nach ihren anderweitigen Verbindungen und Verwandtschaften
müsste man nun die uns bekannt gewordenen Sprachen absondern und
zusammenstellen, ihren Charakter bestimmen, die Ursachen desselben
in ihrem Bau aufsuchen, und ihre geschichtliche Geltung würdigen.

Vorher aber ist es nothwendig, um sich nicht in unbestimmten und
schwankenden Begriffen zu verlieren, im Allgemeinen genauer festzustellen
und durch Beispiele anschaulich zu machen, worin der Charakterunterschied
der Sprachen bestehen, wie an der Kraft, die vermittelst
der Sprache den Gedanken erzeugt, und an dem Gedanken selbst offenbar
werden kann? sowie durch welche Anlagen der Sprache, und welche
Beschaffenheiten ihres Baues die Eigenthümlichkeit des Charakters
entsteht? Ja es hätten sogar diese Untersuchungen der Darstellung, wie
sich die Sprachen,, nach dem Einfluss ihrer Charaktereigenthümlichkeit,
geschichtlich bearbeiten lassen, vorausgehen sollen, da es erst von
ihnen abhängt, ob sich ihr Einfluss mit einer zu solcher Bearbeitung genügenden
Bestimmtheit auffassen lässt.

Ich habe aber die natürliche Ordnung hier absichtlich umgekehrt,
weil es mir darauf ankam, zu zeigen, wie wichtig und wesentlich das
vergleichende Sprachstudium für die Einsicht in die Gesammtheit des
geistigen Wirkens der Menschheit ist, da die Vernachlässigung desselben
augenblicklich eine bedeutende Lücke darin sichtbar macht. Denn
es giebt noch immer nur zu Viele, welche den Werth der Beschäftigung
mit einer Sprache nur nach dem Werth ihrer Literatur abmessen, das
Studium solcher, welche gar keine besitzen, nur für Befriedigung müssiger
wissenschaftlicher Neugier ansehn, und die Untersuchung von Lauten,
Wörtern und Beugungen kleinlich, und einer philosophischen Behandlung
unwürdig finden. Dennoch ist die Sache sehr einfach. Ist es
wahr, und im Ganzen dringt sich schon aus eigner Erfahrung dem Gefühl
die Ueberzeugung davon auf, dass die blosse Eigenthümlichkeit
der Sprache Einfluss auf das Wesen der Nationen ausübt, sowohl derer,
welchen sie angehört, als derer, die nur, als mit einer fremden, mit ihr
vertraut werden, so lässt sich das sorgfältige Studium der Sprache von
nichts ausschliessen, was sich, in Geschichte und Philosophie, mit dem
innersten Menschen beschäftigt. Da aber die Sprache nur durch sich
wirkt, so muss man dieselbe auch, wie überhaupt jeden Gegenstand,
den man wahrhaft ergründen will, nur um ihrer selbst willen, und unabhängig
von jedem andren Zwecke studiren. Dies, sie nicht als Mittel
zum Verstehen, sondern als Zweck in sich, als Werkzeug des Denkens
und Empfindens einer Nation, anzusehen, ist die Grundlage alles eigentlichen
Sprachstudiums, von welchem sich jede andre Erlernung einer
Sprache, wie gründlich sie sey, ihrem Wesen nach entfernt. Dies
Studium der Sprache in sich ist nun wie das jedes andren Naturgegenstandes.
21Es muss, so viel als möglich, alle Gattungen umfassen, weil
jede zu dem Ganzen des Begriffes überhaupt gehört, es muss in die feinste
Zergliederung der Bestandtheile eingehen, weil die Gesammtheit
des Einflusses der Sprache nur aus der immer wiederkehrenden Wirksamkeit
dieser Bestandtheile zusammengesetzt ist.

Es kommt also jetzt auf die Beantwortung der Frage an, in welcher
Art die Charakterverschiedenheit der Sprachen erweiternd und erhebend
auf die Erkenntniss und Empfindung einzuwirken vermag?

Die Sprache hat, nach der Insensitaet ihrer Wirksamkeit, einen dreifachen
Zweck.

Sie vermittelt das Verständniss, und bedarf insofern der Bestimmtheit
und Klarheit.

Sie leiht der Empfindung Ausdruck, und ruft die Empfindung hervor,
und bedarf insofern der Stärke, der Zartheit und der Geschmeidigkeit.

Sie regt, selbst schaffend, durch die Gestalt, die sie dem Gedanken
ertheilt, zu neuen Gedanken und Gedankenverbindungen an, und bedarf
insofern des Geistes, der sein Gepräge, als Spur seines Wirkens, in
dem Worte zurücklässt.

Eine Sprache kann sich von der andren durch die hervorstechende
Stärke in einer dieser Wirkungsarten, wie durch Schwäche in andren
unterscheiden, allein jede der drei fordert eigentlich die andern, und
wie eine allein waltet, geräth sie auf einen Abweg, die Klarheit auf
nüchterne Gehaltlosigkeit, der Empfindungsausdruck auf schwülstige,
oder gezierte Empfindelei, die sinnvolle Gewichtigkeit auf grübelnde
Dunkelheit. Die fehlerfreie Eigentümlichkeit entsteht daher durch ein
angemessenes Zusammenstimmen dieser Wirkungsarten, in dem aber
eine vorherrschend ist.

Die Sprache drückt den Gedanken und die Empfindung, als Gegenstände,
aus, aber sie folgt auch der Bewegung des Denkens und des
Empfindens, der Schnelligkeit, Gleichartigkeit und Ungleichartigkeit ihres
Ganges, den eigenthümlichen Wahlverwandtschaften, nach welchen
sich bei verschiedenen Nationen Gedanken und Empfindungen an einander
reihen. Beides, das formale Begleiten des Denkens, und das materiale
Bezeichnen des Gedankens wirken befördernd, aber auch beschränkend
auf einander. Die zu gehaltvolle Bezeichnung nach innerer Ideenverbindung
hemmt die leichte Gewandtheit, die zu geschmeidige Schnelligkeit
raubt dem Gewicht der sinnlicher werdenden Bezeichnung.

Der Mensch denkt, fühlt und lebt allein in der Sprache, und muss
erst durch sie gebildet werden, um auch die gar nicht durch Sprache
wirkende Kunst zu verstehen. Aber er empfindet und weiss, dass sie
ihm nur Mittel ist, dass es ein unsichtbares Gebiet ausser ihr giebt, in
dem er nur durch sie einheimisch zu werden trachtet. Die alltäglichste
22Empfindung und das tiefsinnigste Denken klagen über die Unzulänglichkeit
der Sprache, und sehen jenes Gebiet als ein fernes Land an, zu
dem nur sie, und sie nie ganz führt. Alles höhere Sprechen ist ein Ringen
mit dem Gedanken, in dem bald mehr die Kraft, bald die Sehnsucht
fühlbar wird.

Daraus entstehen zwei höchst merkwürdige Unterschiede unter den
Sprachen; der eine aus dem Grade des Gefühls jener Unzulänglichkeit,
und dem Streben sie aufzuheben, der andre aus der Verschiedenheit der
vorherrschenden Ansichten in der Bezeichnungsart, da die Vielseitigkeit
der Gegenstände, verbunden mit der Mannigfaltigkeit der Auffassungsorgane,
eine unbestimmbare Anzahl derselben erlaubt.

Einige Nationen begnügen sich gleichsam mehr an dem Gemälde,
das ihre Sprache ihnen von der Welt entwirft, und suchen nur in sie
mehr Licht, Zusammenhang und Ebenmass zu bringen. Andre graben
sich gleichsam mühseliger in den Gedanken ein, glauben nie genug in
den Ausdruck legen zu können, ihn anpassend zu machen, und vernachlässigen
darüber das in sich Vollendete der Form. Die Sprachen
beider tragen dann das Gepräge davon an sich. Es sind aber auch hierin
noch Nuancen. Die mehr auf die Form, wenn auch der Gehalt leiden
sollte, bedachten Nationen suchen bald vorzugsweise die logische, besonders
Klarheit und leichtes Verständniss fordernde, bald eine, mehr
die Einbildungskraft ansprechende, sinnlichere.

Die andre, aus der Bezeichnungsart entstehende Gattung der
Sprachunterschiede beruht auf der Ansicht der Gegenstände, und der
nach ihnen gebildeten Begriffe. Ungeachtet der unendlichen Verschiedenheit
derselben, liegt in allen, indem sie von Einer Nation aufgefasst
werden, etwas Gemeinsames der Erscheinung, das sich dem Worte, als
Zeichen, mittheilt. Man kann dies wohl, in groben Umrissen, so charakterisiren,
dass die Wörter einer Sprache mehr sinnliche Anschaulichkeit,
einer andren mehr innre Geistigkeit, einer dritten mehr nüchterne
Begriffsdarlegung u.s.f. besitzen, allein die Mannigfaltigkeit, und vor
allem die Eigenthümlichkeit der Auffassung in der Bezeichnung lässt
sich nicht in so allgemeine Ausdrücke bannen. Keine jener angeführten
Eigenschaften steht so vereinzelt da, und wo sie sich auch in verschiedenen
Nationen gemeinsam finden, sind sie in keiner dieselben. Man muss
die Nationen in ihrer Eigenthümlichkeit, ihre Werke, endlich die Bestandtheile
der Sprache studiren, dann dem Gefühl überlassen, sich ein
Bild zu entwerfen, und dies erst, so gut als es angeht, in Worte kleiden.
Auch die Gattung der Gegenstände und Gefühle, durch welche eine
Nation überhaupt vorzugsweise, oder in ihrem frühesten Daseyn, wo
die Sprache ihre erste Form empfängt, getroffen wird, wirkt auf die
Sprache ein.

Die Sprache, und dies betrift vorzüglich ihre hier erwähnten Verschiedenheiten,
23ist von einer Seite mit der Kunst zu vergleichen, da sie,
wie diese, das Unsichtbare sinnlich darzustellen strebt. Denn wenn sie
auch im Einzelnen und in ihrem alltäglichen Gebrauche sich nicht über
die Wirklichkeit zu erheben scheint, so liegt doch immer das ganze Bild
aller Gegenstände, und nicht bloss dieser, sondern auch ihrer unsichtbaren
Verknüpfungen und Verwandtschaften in ihrem Schoosse aufgerollt
da. Wie also das Gemälde des Künstlers bleibt sie der Natur mehr,
oder minder getreu, verbirgt, oder zeigt sie mehr die Kunst, stellt sie
ihren Gegenstand vorzugsweise in diesem oder jenem Ton der Farben
dar.

Von der andren Seite aber ist die Sprache der Kunst gewissermassen
entgegengesetzt, da sie sich nur als Mittel der Darstellung betrachtet,
diese aber, Wirklichkeit und Idee, insofern sie abgesondert vorhanden
sind, vernichtend, ihr Werk an die Stelle beider setzt. Aus dieser beschränkteren
Eigenschaft der Sprache, als Zeichen, entstehen neue
Charakterunterschiede derselben. Eine Sprache zeigt mehr Spuren des
Gebrauchs, und der Verabredung, trägt mehr Willkühr, die andre mehr
Natur an sich, was vorzüglich bei der Herleitung der Bedeutungen bei
verschiedenen sowohl, als denselben Wörtern sichtbar wird. In jeder
Sprache sind, ausser der Bezeichnung der wirklichen Gegenstände des
Denkens und Empfindens, Bestandtheile, die nur der Verknüpfung,
der grammatischen Technik angehören. Von dem Verhältniss dieser ihrer
beiden Theile zu einander hängt es ab, wie sich die Begriffe dem
Gemüth darstellen, in gedrängteren, oder leichteren Massen, in mehr
fliessendem, oder schroffem und unterbrochnem Zusammenhange. Der
Grund dazu, die Möglichkeit, oder Unvermeidlichkeit des einen, oder
andren Charakters, liegt in dem festen und ursprünglichen Bau der
Sprache; die Folgen aber äussern sich in dem feinsten und durch Bildung
ausgearbeitetsten Wirken des Geistes.

Je nachdem nun eine Sprache anders geformt ist, erhält sie auch eine
andre Tauglichkeit zu dieser, oder jener geistigen Wirksamkeit. Es wäre
aber dennoch unrichtig, wenn man, wie wohl versucht worden ist, die
Sprachen hiernach absondern, die einen der Dichtung, andre der Philosophie,
andre dem unmittelbar praktischen Wirken u.s.f. zutheilen
wollte. Wenn eine Sprache, die vorzugsweise der Erforschung abgezogener
Wahrheit gewidmet scheint, die Dichtung wenig begünstigt, so
liegt das nicht in ihrer philosophischen Richtung, und umgekehrt, sondern
in andren Ursachen, nicht in ihren Vorzügen, sondern ihren Mängeln.
Auch die Philosophie, in ihrer das ganze Wesen der Dinge umfassenden
Tiefe, wird in solcher Sprache nicht ihre wahre Förderung
antreffen. Denn alle diese Aeusserungen der hauptsächlichsten Geisteskräfte
unterstützen und tragen einander gemeinschaftlich, und gleichen
aus Einem Brennpunkt schiessenden Strahlen. Will man das intellectuelle
24Streben so abtheilen, wie es in der That in der Sprache abgetheilt
erscheint, so muss man es, wenn die Vergleichung erlaubt ist, nicht der
Fläche, sondern der Tiefe nach thun. Wie gesammelt in sich der Geist,
frei von Einseitigkeit in der Sprache waltet, wie nah er dem Grunde aller
Erkenntniss und Empfindung zu treten sucht, wirkt auf jeder Stufe,
die er erreicht, auf jede seiner Richtungen auf analoge Weise zurück.

Aus allem bisher Gesagten erhellt, dass dasjenige, worin die Charakterverschiedenheit
der Sprachen zunächst sichtbar wird, die Stimmung
des Geistes, die Art des Denkens, und des Empfindens ist. Der Einfluss
derselben auf die Subjectivitaet ist unbestreitbar. Daher leuchtet auch
die Eigenthümlichkeit jeder Sprache am meisten in ihren Dichtungen
hervor, wo die Beschaffenheit eines gegebnen Stoffes dem Geist wenig,
oder keine Fesseln anlegt. Noch natürlicher äussert sie sich in dem lebendigen
Leben des Volks, und den Gattungen der Literatur, auf weiche
dies Einfluss hat. Am schönsten aber und seelenvollsten tritt die Individualitaet
der Sprache in dem philosophischen Gespräch auf, wo sie die
Entdeckung objectiver Wahrheit aus der harmonischen Anregung der
edelsten Subjectivitaet hervorgehen lässt. Die Empfindung nimmt die
Ruhe und Milde des Gedankens, der Gedanke die Wärme und die Farbe
der Empfindung an, das Ernsteste und Grösseste, was den Geist zu ergreifen
vermag, ist der Vorwurf und Zweck, und die Beschäftigung damit
scheint ein leichtes, nur durch die freiwillige Freude daran fortgesetztes
Spiel. Wo sich diese schönste Blüthe der Geselligkeit entfalten
soll, muss die Menschheit in einer Nation durch wundervoll glückliche
Zufälle gesteigert seyn, und die Sprache ihre Kraft gerade in der engen
Verschwisterung des Objectiven und Subjectiven besitzen, in welcher
das erstere die Oberhand behält, ohne die Rechte des letzteren zu kränken.
Das lebendig in einander eingreifende, Ideen und Empfindungen
wahrhaft umtauschende Wechselgespräch ist schon an sich gleichsam
der Mittelpunkt der Sprache, deren Wesen immer nur zugleich als Hall
und Gegenhall, Anrede und Erwiderung gedacht werden kann, die in
ihren Ursprüngen, wie ihren Umwandlungen, nie Einem, sondern immer
Allen angehört, in der einsamen Tiefe des Geistes eines jeden liegt,
und doch nur in der Geselligkeit hervortritt. Die Tauglichkeit der Sprachen
zu dieser Gattung des Gesprächs ist daher der beste Prüfstein ihres
Werthes, und die natürlichsten Vorzüge, die leichtesten und reichsten
Anlagen zu dem mannigfaltigsten Gebrauch wird immer diejenige
besitzen, die darin hervorstechend ist.

Der Einfluss der durch die Sprache bestimmten und bedingten Subjectivitaet
auf die Objecte des Geistes, den Gedanken und die Empfindung,
die Erkenntniss und die Gesinnung ist insofern leicht zu ermessen,
als mit stärker und vielseitiger angeregter Kraft nothwendig auch
mehr errungen werden muss.25

Dagegen scheint es nicht, dass die wahrhaft objective Erkenntniss
durch Verschiedenheit der Sprachen gewinnen könne, wenn das Denken
einmal in einer die zu Auffassung der Wahrheit nothwendige Schärfe
und Klarheit erreicht hat.

Anmerkungen26

1voir Ich erinnere hier nur an das oft über die Folge der Ausbildung der verschiedenen
Redetheile Behauptete, wo man bald das Nomen, bald das Verbum für
den ursprünglichen hielt, und das Pronomen ganz spät entstehen liess, ohne
zu bedenken, dass ursprünglich Nomen und Verbum gar nicht grammatisch
geschieden waren, und das letztere erst durch die Verbindung des Pronomen
mit dem noch grammatisch zwitterartigen Wort entstand.