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Humboldt, Wilhelm von. Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues – T03

Ueber das Vergleichende Sprachstudium
in Beziehung auf die Verschiedenen Epochen der
Sprachentwicklung

[Vorgelesen den 29. Junius 1820.]

1. Das vergleichende Sprachstudium kann nur dann zu sichren und bedeutenden
Aufschlüssen über Sprache, Völkerentwicklung und Menschenbildung
führen, wenn man es zu einem eignen, seinen Nutzen und
Zweck in sich selbst tragenden Studium macht. Auf diese Weise wird
zwar allerdings selbst die Bearbeitung einer einzigen Sprache schwierig.
Denn wenn auch der Totaleindruck jeder leicht aufzufassen ist, so verliert
man sich, wie man den Ursachen desselben nachzuforschen strebt,
in einer zahllosen Menge scheinbar unbedeutender Einzelheiten, und
sieht bald, dass die Wirkung der Sprachen nicht sowohl von gewissen
grossen und entschiednen Eigenthümlichkeiten abhängt, als auf dem
gleichmässigen, einzeln kaum bemerkbaren Eindruck der Beschaffenheit
ihrer Elemente beruht. Hier aber wird gerade die Allgemeinheit des Studiums
das Mittel, diesen feingewebten Organismus mit Deutlichkeit vor
die Sinne zu bringen, da die Klarheit der in vielfach verschiedner Gestalt
doch immer im Ganzen gleichen Form die Forschung erleichtert.

2. Wie unsre Erdkugel grosse Umwälzungen durchgangen ist, ehe sie
die jetzige Gestaltung der Meere, Gebirge und Flüsse angenommen,
sich aber seitdem wenig verändert hat; so giebt es auch in den Sprachen
einen Punkt der vollendeten Organisation, von dem an der organische
Bau, die feste Gestalt sich nicht mehr abändert. Dagegen kann in ihnen,
als lebendigen Erzeugnissen des Geistes, die feinere Ausbildung, innerhalb
der gegebenen Gränzen, bis ins Unendliche fortschreiten. Die wesentlichen
grammatischen Formen bleiben, wenn eine Sprache einmal
ihre Gestalt gewonnen hat, dieselben; diejenige, welche kein Geschlecht,
keine Casus, kein Passivum, oder Medium unterschieden hat,
ersetzt diese Lücken nicht mehr; ebensowenig nehmen die grossen
Wortfamilien, die Hauptformen der Ableitung ferner zu. Allein durch
Ableitung in den feineren Verzweigungen der Begriffe, durch Zusammensetzung,
durch den inneren Ausbau des Gehalts der Wörter, durch
ihre sinnvolle Verknüpfung, durch phantasiereiche Benutzung ihrer ursprünglichen
Bedeutungen, durch richtig empfundene Absonderung gewisser
27Formen für bestimmte Fälle, durch Ausmerzung des Ueberflüssigen,
durch Abglättung des rauh Tönenden geht in der, im Augenblick
ihrer Gestaltung armen, unbehülflichen und unscheinbaren Sprache,
wenn ihr die Gunst des Schicksals blüht, eine neue Welt von Begriffen,
und ein vorher unbekannter Glanz der Beredsamkeit auf.

3. Es ist eine bemerkenswerthe Erscheinung, dass man wohl noch
keine Sprache jenseits der Gränzlinie vollständigerer grammatischer
Gestaltung gefunden, keine in dem flutenden Werden ihrer Formen
überrascht hat. Es muss, um diese Behauptung noch mehr geschichtlich
zu prüfen, ein hauptsächliches Streben bei dem Studium der Mundarten
wilder Nationen bleiben, den niedrigsten Stand der Sprachbildung
zu bestimmen, um wenigstens die unterste Stufe auf der Organisationsleiter
der Sprachen aus Erfahrung zu kennen. Meine bisherige aber hat
mir bewiesen, dass auch die sogenannten rohen und barbarischen
Mundarten schon Alles besitzen, was zu einem vollständigen Gebrauche
gehört, und Formen sind, in welche sich, wie es die besten und vorzüglichsten
erfahren haben, in dem Laufe der Zeit das ganze Gemüth
hineinbilden könnte, um, vollkommner oder unvollkommner, jede Art
von Ideen in ihnen auszuprägen.

4. Es kann auch die Sprache nicht anders, als auf einmal entstehen,
oder um es genauer auszudrücken, sie muss in jedem Augenblick ihres
Daseyns dasjenige besitzen, was sie zu einem Ganzen macht. Unmittelbarer
Aushauch eines organischen Wesens in dessen sinnlicher und geistiger
Geltung, theilt sie darin die Natur alles Organischen, dass jedes in
ihr nur durch das Andre, und Alles nur durch die eine, das Ganze
durchdringende Kraft besteht. Ihr Wesen wiederholt sich auch immerfort,
nur in engeren und weiteren Kreisen, in ihr selbst; schon in dem
einfachen Satze liegt es, soweit es auf grammatischer Form beruht, in
vollständiger Einheit, und da die Verknüpfung der einfachsten Begriffe
das ganze Gewebe der Kategorien des Denkens anregt, da das Positive
das Negative, der Theil das Ganze, die Einheit die Vielheit, die Wirkung
die Ursach, die Wirklichkeit die Möglichkeit und Nothwendigkeit, das
Bedingte das Unbedingte, eine Dimension des Raumes und der Zeit die
andre, jeder Grad der Empfindung die ihn zunächst umgebenden fordert
und herbeiführt, so ist, sobald der Ausdruck der einfachsten Ideenverknüpfung
mit Klarheit und Bestimmtheit gelungen ist, auch der
Wortfülle nach, ein Ganzes der Sprache vorhanden. Jedes Ausgesprochene
bildet das Unausgesprochene, oder bereitet es vor.

5. Es vereinigen sich also im Menschen zwei Gebiete, welche der
Theilung bis auf eine übersehbare Zahl fester Elemente, der Verbindung
dieser aber bis ins Unendliche fähig sind, und in welchen jeder
Theil seine eigenthümliche Natur immer zugleich als Verhältniss zu den
zu ihm gehörenden darstellt. Der Mensch besitzt die Kraft, diese Gebiete
28zu theilen, geistig durch Reflexion, körperlich durch Articulation,
und ihre Theile wieder zu verbinden, geistig durch die Synthesis des
Verstandes, körperlich durch den Accent, welcher die Silben zum Worte,
und die Worte zur Rede vereint. Wie daher sein Bewusstseyn mächtig
genug geworden ist, um sich diese beiden Gebiete mit der Kraft
durchdringen zu lassen, welche dieselbe Durchdringung im Hörenden
bewirkt, so ist er auch im Besitz des Ganzen beider Gebiete. Ihre wechselseitige
Durchdringung kann nur durch eine und dieselbe Kraft geschehen,
und diese nur vom Verstande ausgehen. Auch lässt sich die
Articulation der Töne, der ungeheure Unterschied zwischen der
Stummheit des Thiers, und der menschlichen Rede nicht physisch erklären.
Nur die Stärke des Selbstbewusstseyns nöthigt der körperlichen
Natur die scharfe Theilung, und feste Begränzung der Laute ab, die wir
Articulation nennen.

6. Die feinere Ausbildung hat sich schwerlich gleich an das erste
Werden der Sprache angeschlossen. Sie setzt Zustände voraus, welche
die Nationen erst in einer langen Reihe von Jahren durchgehen, und inzwischen
wird gewöhnlich das Wirken der einen von dem Wirken andrer
durchkreuzt. Dieses Zusammenfliessen mehrerer Mundarten ist
eins der hauptsächlichsten Momente in der Entstehung der Sprachen;
es sey nun, dass die neu hervorgehende mehr oder weniger bedeutende
Elemente von den andren, sich mit ihr vermischenden empfange, oder
dass, wie es bei der Verwilderung und Ausartung gebildeter Sprachen
geschieht, des Fremden wenig hinzukomme, und nur der ruhige Gang
der Entwicklung unterbrochen, die gebildete Form verkannt, und entstellt,
und nach andren Gesetzen gemodelt und gebraucht werde.

7. Die Möglichkeit mehrerer, ohne alle Gemeinschaft unter einander,
hervorgegangener Mundarten lässt sich im Allgemeinen nicht bestreiten.
Dagegen giebt es auch keinen nöthigenden Grund, die hypothetische
Annahme eines allgemeinen Zusammenhanges aller zu verwerfen.
Kein Winkel der Erde ist so unzugänglich, dass er nicht Bevölkerung
und Sprache habe anderswoher bekommen können; und wir vermögen
nicht einmal über die, von der jetzigen vielleicht ganz verschiedene ehemalige
Vertheilung der Meere und des festen Landes abzusprechen. Die
Natur der Sprache selbst, und der Zustand des Menschengeschlechts,
solange es noch ungebildet ist, befördern einen solchen Zusammenhang.
Das Bedürfniss, verstanden zu werden, nöthigt, schon Vorhandenes
und Verständliches aufzusuchen, und ehe die Civilisation die Nationen
mehr vereinigt, bleiben die Sprachen lange im Besitz kleiner
Völkerschaften, die, ebensowenig geneigt, ihre Wohnsitze dauernd zu
behaupten, als fähig, sie mit Erfolg zu vertheidigen, sich oft gegenseitig
verdrängen, unterjochen und vermischen, was natürlich auf ihre Sprachen
zurückwirkt. Nimmt man auch keine gemeinschaftliche Abstammung
29der Sprachen ursprünglich an, so mag doch leicht später kein
Stamm unvermischt geblieben seyn. Es muss daher als Maxime in der
Sprachforschung gelten, solange nach Zusammenhang zu suchen, als
irgend eine Spur davon erkennbar ist, und bei jeder einzelnen Sprache
wohl zu prüfen, ob sie aus Einem Gusse selbstständig geformt, oder in
grammatischer, oder lexicalischer Bildung mit Fremdem, und auf welche
Weise vermischt ist?

8. Drei Momente also können zum Behuf einer prüfenden Zergliederung
der Sprachen unterschieden werden:

die erste, aber vollständige Bildung ihres organischen Baues;

die Umänderungen durch fremde Beimischung, bis sie wieder zu einem
Zustande der Stätigkeit gelangen;

ihre innere und feinere Ausbildung, wenn ihre äussere Umgränzung
(gegen andre) und ihr Bau im Ganzen einmal unveränderlich feststeht.

Die beiden ersten lassen sich nicht mit Sicherheit von einander absondern.
Aber einen entschiedenen und wesentlichen Unterschied begründet
der dritte. Der Punkt, welcher ihn von den andren trennt, ist der der
vollendeten Organisation, in welchem die Sprache im Besitz und freien
Gebrauch aller ihrer Functionen ist, und über den hinaus sie in ihrem
eigentlichen Bau keine Veränderungen mehr erleidet. Bei den Töchtersprachen
der Lateinischen, bei der NeuGriechischen und bei der Englischen,
welche für die Möglichkeit der Zusammensetzung einer Sprache
aus sehr heterogenen Theilen eine der lehrreichsten Erscheinungen,
und der dankbarsten Gegenstände für die Sprachuntersuchung ist, lässt
sich die Organisationsperiode sogar geschichtlich verfolgen, und der
Vollendungspunkt bis auf einen gewissen Grad ausmitteln; die Griechische
finden wir, bei ihrem ersten Erscheinen, in einem, uns sonst bei
keiner bekannten Grade der Vollendung, aber sie betritt, von diesem
Moment an, von Homer bis auf die Alexandriner, eine Laufbahn fortschreitender
Ausbildung; die Römische sehen wir einige Jahrhunderte
hindurch gleichsam ruhen, ehe feinere und wissenschaftliche Cultur in
ihr sichtbar zu werden beginnt.

9. Die hier versuchte Absonderung bildet zwei verschiedene Theile
des vergleichenden Sprachstudiums, von deren gleichmässiger Behandlung
die Vollendung desselben abhängt. Die Verschiedenheit der Sprachen
ist das Thema, welches aus der Erfahrung, und an der Hand der
Geschichte bearbeitet werden soll, und zwar in ihren Ursachen und ihren
Wirkungen, ihrem Verhältniss zu der Natur, zu den Schicksalen,
und den Zwecken der Menschheit. Die Sprachverschiedenheit tritt aber
in doppelter Gestalt auf, einmal als naturhistorische Erscheinung, als
unvermeidliche Folge der Verschiedenheit, und Absonderung der Völkerstimme,
als Hinderniss der unmittelbaren Verbindung des Menschengeschlechts;
30dann als intellectuell-teleologische Erscheinung, als
Bildungsmittel der Nationen; als Vehikel einer reicheren Mannigfaltigkeit,
und grösseren Eigenthümlichkeit intellectueller Erzeugnisse, als
Schöpferin einer, auf gegenseitiges Gefühl der Individualität gegründeten,
und dadurch innigeren Verbindung des gebildeten Theils des Menschengeschlechts.
Diese letzte Erscheinung ist nur der neueren Zeit eigen,
dem Alterthum war sie bloss in der Verbindung der Griechischen
und Römischen Literatur, und da beide nicht zu gleicher Zeit blühten,
auch so nur unvollkommen bekannt.

10. Der Kürze wegen, will ich, mit Uebersehung der kleinen Unrichtigkeit,
welche daraus entsteht, dass die Ausbildung auch auf den schon
feststehenden Organismus Einfluss hat, und dass dieser, auch ehe er
diesen Zustand erreichte, schon die Einwirkung jener erfahren haben
kann, die beiden beschriebenen Theile des vergleichenden Sprachstudiums
durch

die Untersuchung des Organismus der Sprachen, und

die Untersuchung der Sprachen im Zustande ihrer Ausbildung
bezeichnen.

Der Organismus der Sprachen entspringt aus dem allgemeinen Vermögen
und Bedürfniss des Menschen zu reden, und stammt von der
ganzen Nation her; die Cultur einer einzelnen hängt von besondren Anlagen
und Schicksalen ab, und beruht grossentheils auf nach und nach
in der Nation aufstehenden Individuen. Der Organismus gehört zur
Physiologie des intellectuellen Menschen, die Ausbildung zur Reihe der
geschichtlichen Entwickelungen. Die Zergliederung der Verschiedenheiten
des Organismus führt zur Ausmessung und Prüfung des Gebiets
der Sprache und der Sprachfähigkeit des Menschen; die Untersuchung
im Zustande höherer Bildung zum Erkennen der Erreichung aller
menschlichen Zwecke durch Sprache. Das Studium des Organismus
fordert, soweit, als möglich, fortgesetzte Vergleichung, die Ergründung
des Ganges der Ausbildung Isoliren auf dieselbe Sprache, und Eindringen
in ihre feinsten Eigenthümlichkeiten, daher jenes Ausdehnung, diese
Tiefe der Forschung. Wer folglich diese beiden Theile der Sprachwissenschaft
wahrhaft verknüpfen will, muss sich zwar mit sehr vielen
verschiedenartigen, ja, wo möglich, mit allen Sprachen beschäftigen,
aber immer von genauer Kenntniss einer einzigen, oder weniger ausgehen.
Mangel an dieser Genauigkeit bestraft sich empfindlicher, als Lücken
in der, doch nie ganz zu erreichenden Vollständigkeit. So bearbeitet
kann das Erfahrungsstudium der Sprachvergleichung zeigen, auf welche
verschiedene Weise der Mensch die Sprache zu Stande brachte, und
welchen Theil der Gedankenwelt es ihm gelang in sie hinüberzuführen?
wie die Individualität der Nationen darauf ein, und die Sprache auf sie
zurückwirkte? Denn die Sprache, die durch sie erreichbaren Zwecke
31des Menschen überhaupt, das Menschengeschlecht in seiner fortschreitenden
Entwicklung, und die einzelnen Nationen sind die vier Gegenstände,
welche die vergleichende Sprachforschung in ihrem wechselseitigen
Zusammenhang zu betrachten hat.

11. Ich behalte Alles, was den Organismus der Sprachen betrift, einer
ausführlichen Arbeit vor, die ich über die Amerikanischen unternommen
habe. Die Sprachen eines grossen, von einer Menge von Völkerschaften
bewohnten und durchstreiften Welttheils, von dem es sogar
zweifelhaft ist, ob er jemals mit andren in Verbindung gestanden hat,
bieten für diesen Theil der Sprachkunde einen vorzüglich günstigen
Gegenstand dar. Man findet dort, wenn man bloss diejenigen zählt,
über welche man ausführlichere Nachrichten besitzt, etwa 30. noch so
gut, als ganz unbekannte Sprachen, die man als eben so viel neue Naturspecies
ansehen kann, und an welche sich eine viel grössere Anzahl anreihen
lässt, von denen die Data unvollständiger sind. Es ist daher wichtig,
diese sämmtlich genau zu zergliedern. Denn was der allgemeinen
Sprachkunde noch vorzüglich abgeht, ist, dass man nicht hinlänglich in
die Kenntniss der einzelnen Sprachen eingedrungen ist, da doch sonst
die Vergleichung noch so vieler nur wenig helfen kann. Man hat genug
zu thun geglaubt, wenn man einzelne abweichende Eigenthümlichkeiten
der Grammatik anmerkte, und mehr, oder weniger zahlreiche Reihen
von Wörtern mit einander verglich. Aber auch die Mundart der rohesten
Nation ist ein zu edles Werk der Natur, um, in so zufällige Stücke
zerschlagen, der Betrachtung fragmentarisch dargestellt zu werden. Sie
ist ein organisches Wesen, und man muss sie, als solches, behandeln.
Die erste Regel ist daher, zuvörderst jede bekannte Sprache in ihrem
inneren Zusammenhange zu studiren, alle darin aufzufindende Analogien
zu verfolgen, und systematisch zu ordnen, um dadurch die anschauliche
Kenntniss der grammatischen Ideenverknüpfung in ihr, des
Umfangs der bezeichneten Begriffe, der Natur dieser Bezeichnung, und
des ihr beiwohnenden, mehr, oder minder lebendigen geistigen Triebes
nach Erweiterung und Verfeinerung, zu gewinnen. Ausser diesen Monographien
der ganzen Sprachen, fordert aber die vergleichende
Sprachkunde andre einzelner Theile des Sprachbaues, z. B. des Verbum
durch alle Sprachen hindurch. Denn alle Fäden des Zusammenhanges
sollen durch sie aufgesucht, und verknüpft werden, und es gehen von
diesen einige, gleichsam in der Breite, durch die gleichartigen Theile aller
Sprachen, und andre, gleichsam in der Länge, durch die verschiedenen
Theile jeder Sprache. Die ersten erhalten ihre Richtung durch die
Gleichheit des Sprachbedürfnisses und Sprachvermögens aller Nationen,
die letzten durch die Individualität jeder einzelnen. Durch diesen
doppelten Zusammenhang erst wird erkannt, in welchem Umfang der
Verschiedenheiten das Menschengeschlecht, und in welcher Consequenz
32ein einzelnes Volk seine Sprache bildet, und beide, die Sprache,
und der Sprachcharakter der Nationen, treten in ein helleres Licht,
wenn man die Idee jener in so mannigfaltigen individuellen Formen
ausgeführt, diesen zugleich der Allgemeinheit, und seinen Nebengattungen
gegenübergestellt erblickt. Die wichtige Frage, ob und wie sich
die Sprachen, ihrem inneren Bau nach, in Classen, wie etwa die Familien
der Pflanzen, abtheilen lassen, kann nur auf diese Weise gründlich
beantwortet werden. Das bisher darüber Gesagte bleibt, wie scharfsinnig
es geahndet seyn möchte, ohne strengere factische Prüfung, dennoch
nur Muthmassung. Die Sprachkunde, von der hier die Rede ist,
darf sich aber nur auf Thatsachen, und ja nicht auf einseitig und unvollständig
gesammelte stützen. Auch zu der Beurtheilung der Abstammung
der Nationen von einander nach ihren Sprachen müssen die
Grundsätze durch eine noch immer mangelnde genaue Analyse solcher
Sprachen und Mundarten gefunden werden, deren Verwandtschaft anderweitig
historisch erwiesen ist. Solange man nicht auch in diesem Felde
vom Bekannten zum Unbekannten fortschreitet, befindet man sich
auf einer schlüpfrigen und gefährlichen Bahn.

12. Wie genau und vollständig man aber auch die Sprachen in ihrem
Organismus untersuche, so entscheidet, wozu sie vermittelst desselben
werden können, erst ihr Gebrauch. Denn was der zweckmässige Gebrauch
dem Gebiet der Begriffe abgewinnt, wirkt auf sie bereichernd
und gestaltend zurück. Daher zeigen erst solche Untersuchungen, als
sich vollständig nur bei den gebildeten anstellen lassen, ihre Angemessenheit
zur Erreichung der Zwecke der Menschheit. Hierin also liegt
der Schlussstein der Sprachkunde, ihr Vereinigungspunkt mit Wissenschaft
und Kunst. Wenn man sie nicht bis dahin fortführt, nicht die Verschiedenheit
des Organismus in der Absicht betrachtet, dadurch die
Sprachfähigkeit in ihren höchsten und mannigfaltigsten Anwendungen
zu ergründen, so bleibt die Kenntniss einer grossen Anzahl von Sprachen
doch höchstens für die Ergründung des Sprachbaues überhaupt,
und für einzelne historische Untersuchungen fruchtbar, und schreckt
den Geist nicht mit Unrecht von dem Erlernen einer Menge von Formen,
und Schällen zurück, die am Ende doch immer zu demselben Ziel
führen, und dasselbe, nur mit andrem Klange, bedeuten. Abgesehen
vom unmittelbaren Lebensgebrauch, behält dann nur das Studium derjenigen
Sprachen Wichtigkeit, welche eine Literatur besitzen, und es
wird der Rücksicht auf diese untergeordnet, wie es der ganz richtig gefasste
Gesichtspunkt der Philologie ist, insofern man dieselbe dem allgemeinen
Sprachstudium entgegensetzen kann, welches diesen Namen
führt, weil es die Sprache im Allgemeinen zu ergründen strebt, nicht
weil es alle Sprachen umfassen will, wozu es vielmehr nur wegen jenes
Zweckes genöthigt wird.33

13. Werden wir nun aber so zu den gebildeten Sprachen hingedrängt,
so fragt es sich zuvörderst, ob jede Sprache der gleichen, oder
nur irgend einer bedeutenden Cultur fähig ist? oder ob es Sprachformen
giebt, die nothwendig erst hätten zertrümmert werden müssen,
ehe die Nationen hätten die höheren Zwecke der Menschheit durch
Rede erreichen können? Das Letztere ist das Wahrscheinlichste. Die
Sprache muss zwar, meiner vollesten Ueberzeugung nach, als unmittelbar
in den Menschen gelegt angesehen werden; denn als Werk seines
Verstandes in der Klarheit des Bewusstseyns ist sie durchaus unerklärbar.
Es hilft nicht, zu ihrer Erfindung Jahrtausende und abermals Jahrtausende
einzuräumen. Die Sprache liesse sich nicht erfinden, wenn
nicht ihr Typus schon in dem menschlichen Verstande vorhanden wäre.
Damit der Mensch nur ein einziges Wort wahrhaft, nicht als blossen
sinnlichen Anstoss, sondern als articulirten, einen Begriff bezeichnenden
Laut verstehe, muss schon die Sprache ganz, und im Zusammenhange
in ihm liegen. Es giebt nichts Einzelnes in der Sprache, jedes ihrer
Elemente kündigt sich nur als Theil eines Ganzen an. So natürlich
die Annahme allmähliger Ausbildung der Sprachen ist, so konnte die
Erfindung nur mit Einem Schlage geschehen. Der Mensch ist nur
Mensch durch Sprache; um aber die Sprache zu erfinden, müsste er
schon Mensch seyn. So wie man wähnt, dass dies allmählig und stufenweise,
gleichsam umzechig, geschehen, durch einen Theil mehr erfundner
Sprache der Mensch mehr Mensch werden, und durch diese Steigerung
wieder mehr Sprache erfinden könne, verkennt man die
Untrennbarkeit des menschlichen Bewusstseyns, und der menschlichen
Sprache, und die Natur der Verstandeshandlung, welche zum Begreifen
eines einzigen Wortes erfordert wird, aber hernach hinreicht, die ganze
Sprache zu fassen. Darum aber darf man sich die Sprache nicht als etwas
fertig Gegebenes denken, da sonst ebensowenig zu begreifen wäre,
wie der Mensch die gegebene verstehen, und sich ihrer bedienen könnte.
Sie geht nothwendig aus ihm selbst hervor, und gewiss auch nur
nach und nach, aber so, dass ihr Organismus nicht zwar, als eine todte
Masse, im Dunkel der Seele liegt, aber als Gesetz die Functionen der
Denkkraft bedingt, und mithin das erste Wort schon die ganze Sprache
antönt und voraussetzt. Wenn sich daher dasjenige, wovon es eigentlich
nichts Gleiches im ganzen Gebiete des Denkbaren giebt, mit etwas andrem
vergleichen lässt, so kann man an den Naturinstinct der Thiere
erinnern, und die Sprache einen intellectuellen der Vernunft nennen. So
wenig sich der Instinct der Thiere aus ihren geistigen Anlagen erklären
lässt, ebensowenig kann man für die Erfindung der Sprachen Rechenschaft
geben aus den Begriffen, und dem Denkvermögen der rohen und
wilden Nationen, welche ihre Schöpfer sind. Ich habe mir daher nie
vorstellen können, dass ein sehr consequenter, und in seiner Mannigfaltigkeit
34künstlicher Sprachbau grosse Gedankenübung voraussetzen,
und eine verloren gegangene Bildung beweisen sollte. Aus dem rohesten
Naturstande kann eine solche Sprache, die selbst Product der Natur,
aber der Natur der menschlichen Vernunft ist, hervorgehen. Consequenz,
Gleichförmigkeit, auch bei verwickeltem Bau, ist überall
Gepräge der Erzeugnisse der Natur, und die Schwierigkeit, sie hervorzubringen,
ist nicht die hauptsächlichste. Die wahre der Spracherfindung
liegt nicht sowohl in der Aneinanderreihung und Unterordnung
einer Menge sich auf einander beziehender Verhältnisse, als vielmehr in
der unergründlichen Tiefe der einfachen Verstandeshandlung, die überhaupt
zum Verstehen und Hervorbringen der Sprache auch in einem
einzigen ihrer Elemente gehört. Ist dies gegeben, so folgt alles Uebrige
von selbst, und es kann nicht erlernt werden, muss ursprünglich im
Menschen vorhanden seyn. Der Instinct des Menschen aber ist minder
gebunden, und lässt dem Einflüsse der Individualität Raum. Daher
kann das Werk des Vernunftinstincts zu grösserer oder geringerer Vollkommenheit
gedeihen, da das Erzeugniss des thierischen eine stätigere
Gleichförmigkeit bewahrt, und es widerspricht nicht dem Begriffe der
Sprache, dass einige in dem Zustande, in welchem sie uns erscheinen,
der vollendeten Ausbildung wirklich unfähig wären. Die Erfahrung bei
Uebersetzungen aus sehr verschiedenen Sprachen, und bei dem Gebrauche
der rohesten und ungebildetsten zur Unterweisung in den geheimnissvollsten
Lehren einer geoffenbarten Religion zeigt zwar, dass
sich, wenn auch mit grossen Verschiedenheiten des Gelingens, in jeder
jede Ideenreihe ausdrücken lässt. Dies aber ist bloss eine Folge der allgemeinen
Verwandtschaft aller, und der Biegsamkeit der Begriffe, und
ihrer Zeichen. Für die Sprachen selbst und ihren Einfluss auf die Nationen
beweist nur was aus ihnen natürlich hervorgeht; nicht das, wozu sie
gezwängt werden können, sondern das, wozu sie einladen und begeistern.

14. Den Gründen der Unvollkommenheit einiger Sprachen mag die
historische Prüfung im Einzelnen nachforschen. Dagegen muss ich hier
eine andre Frage anknüpfen: ob nemlich irgend eine Sprache zur vollendeten
Bildung reif ist, ehe sie nicht mehrere Mittelzustände, und gerade
solche durchgangen ist, durch welche die ursprüngliche Vorstellungsweise
dergestalt gebrochen wird, dass die anfängliche Bedeutung der
Elemente nicht mehr völlig klar ist? Die merkwürdige Beobachtung,
dass eine charakteristische Eigenschaft der rohen Sprachen Consequenz,
der gebildeten Anomalie in vielen Theilen ihres Baues ist, und
auch aus der Natur der Sache geschöpfte Gründe machen dies wahrscheinlich.
Das durch die ganze Sprache herrschende Princip ist Articulation;
der wichtigste Vorzug jeder feste und leichte Gliederung; diese
aber setzt einfache, und in sich untrennbare Elemente voraus. Das Wesen
35der Sprache besteht darin, die Materie der Erscheinungswelt in die
Form der Gedanken zu giessen; ihr ganzes Streben ist formal, und da
die Wörter die Stelle der Gegenstände vertreten, so muss auch ihnen,
als Materie, eine Form entgegenstehen, welcher sie unterworfen werden.
Nun aber häufen die ursprünglichen Sprachen gerade eine Menge
von Bestimmungen in dieselbe Silbengruppe, und sind sichtbar mangelhaft
in der Herrschaft der Form. Ihr einfaches Geheimniss, welches den
Weg anzeigt, auf welchem man sie, mit gänzlicher Vergessenheit unsrer
Grammatik, immer zuerst zu enträthseln versuchen muss, ist, das in
sich Bedeutende unmittelbar an einander zu reihen. Die Form wird in
Gedanken hinzu verstanden, oder durch ein in sich bedeutendes Wort,
das man auch als solches nimmt, mithin als Stoff, gegeben. Auf der
zweiten grossen Stufe des Fortschreitens weicht die stoffartige Bedeutung
dem formalen Gebrauch, und es entstehen daraus grammatische
Beugungen, und Wörter grammatischer, also formaler Bedeutung. Aber
die Form wird nur da angedeutet, wo sie durch einen einzelnen, im Sinn
der Rede liegenden Umstand, gleichsam materiell, nicht wo sie durch
die Ideenverknüpfung formal gefordert wird. Der Plural wird wohl als
Vielheit, aber der Singular nicht gerade als Einzelnes, sondern nur als
der Begriff überhaupt gedacht, Verbum und Nomen fallen zusammen,
wo nicht gerade Person, oder Zeit auszudrücken ist; die Grammatik
waltet noch nicht in der Sprache, sondern tritt nur im Fall des Bedürfnisses
auf. Erst wenn kein Element mehr als formlos, gedacht, und der
Stoff, als Stoff, ganz in der Rede besiegt wird, ist die dritte Stufe erstiegen,
welche aber insofern, dass auch in jedem Element die Form hörbar
angedeutet wäre, kaum die gebildetsten Sprachen erreichen, obgleich
darauf erst die Möglichkeit architektonischer Eurythmie im Periodenbau
beruht. Auch ist mir keine bekannt, deren grammatische Formen
nicht noch, selbst in ihrer höchsten Vollendung, unverkennbare Spuren
der ursprünglichen SilbenAgglutination an sich trügen. Solange nun auf
den früheren Stufen das Wort, als mit seiner Modification zusammengesetzt,
nicht als in seiner Einfachheit modificirt erscheint, fehlt es an der
leichten Trennbarkeit der Elemente, und wird der Geist durch die
Schwerfälligkeit des Bedeutenden, mit der jedes Grundtheilchen auftritt,
niedergedrückt, nicht durch Gefühl des Formalen wieder zu formalem
Denken angeregt. Der dem Naturstande noch nahe stehende
Mensch verfolgt auch eine einmal angenommene Vorstellungsweise
leicht zu weit, denkt jeden Gegenstand, und jede Handlung mit allen
ihren Nebenumständen, trägt dies in die Sprache über, und wird nachher
wieder von ihr, da der lebendige Begriff doch in ihr zum Körper
erstarrt, überwältigt. Dies nun auf das wahre Maass zurückzuführen,
und die Kraft des materiell Bedeutenden zu mindern, ist Kreuzung der
Nationen und Sprachen durch einander ein höchst wirksames Mittel.
36Eine neue Vorstellungsweise gesellt sich zu der bisherigen, die sich vermischenden
Stämme kennen gegenseitig nicht die einzelne Zusammensetzung
der Wörter ihrer Mundarten, sondern nehmen sie bloss als Formeln
im Ganzen auf, das Unbequemere und Schwerfälligere weicht, bei
der Möglichkeit der Wahl, dem Leichteren und Fügsameren, und da
Geist und Sprache nicht mehr so einseitig verwachsen sind, so übt jener
eine freiere Gewalt über diese aus. Der ursprüngliche Organismus wird
allerdings gestört, aber die neu hinzutretende Kraft ist wieder eine organische,
und so wird das Gewebe ununterbrochen, nur nach grösserem
und mannigfaltigerem Plane fortgesetzt. Das anscheinend verwirrte
und wilde Durcheinanderziehen der Völkerstämme der Urzeit bereitete
also die Blüthe der Rede, und des Gesanges in lange darauf folgenden
Jahrhunderten vor.

15. Auf die eben berührte Unvollkommenheit einiger Sprachen darf
aber hier nicht gesehen werden. Nur durch die Prüfung gleich vollkommener,
oder doch solcher, deren Unterschied nicht bloss dem Grade
nach gemessen werden kann, lässt sich die allgemeine Frage beantworten,
wie die Verschiedenheit der Sprachen überhaupt im Verhältniss zur
Bildung des Menschengeschlechts anzusehen ist? ob nur als ein zufälliger,
das Leben der Nationen begleitender Umstand, der aber mit Geschicklichkeit
und Glück benutzt werden kann, oder als ein nothwendiges,
sonst durch nichts zu ersetzendes Mittel zur Bearbeitung des
Ideengebiets? Denn zu diesem neigen sich alle Sprachen, wie convergirende
Strahlen, und ihr Verhältniss zu ihm, als ihrem gemeinschaftlichen
Inhalt, ist daher der Endpunkt unsrer Untersuchung. Kann dieser
Inhalt von der Sprache unabhängig, oder ihr Ausdruck für ihn gleichgültig
gemacht werden, oder sind beide dies schon von selbst, so hat die
Ausbildung und das Studium der Verschiedenheit der Sprachen nur
eine bedingte und untergeordnete, im entgegengesetzten Fall aber eine
unbedingte, und entscheidende Wichtigkeit.

16. Am sichersten wird dies beurtheilt an der Vergleichung des einfachen
Worts mit dem einfachen Begriff. Das Wort macht zwar nicht
die Sprache aus, aber es ist doch der bedeutendste Theil derselben,
nemlich das, was in der lebendigen Welt das Individuum. Es ist auch
schlechterdings nicht gleichgültig, ob eine Sprache umschreibt, was
eine andre durch Ein Wort ausdrückt; nicht bei grammatischen Formen,
da diese bei der Umschreibung, gegen den Begriff einer blossen Form,
nicht mehr als modificirte Ideen, sondern als die Modification angebende
erscheinen; aber auch nicht in der Bezeichnung der Begriffe. Das
Gesetz der Gliederung leidet nothwendig, wenn dasjenige, was sich im
Begriff als Einheit darstellt, nicht ebenso im Ausdruck erscheint, und
die ganze lebendige Wirksamkeit des Worts, als Individuum, fällt für
den Begriff weg, dem es an einem solchen Ausdrucke fehlt. Dem Verstandesact,
37welcher die Einheit des Begriffes hervorbringt, entspricht,
als sinnliches Zeichen, die des Worts, und beide müssen einander im
Denken durch Rede möglichst nahe begleiten. Denn wie die Stärke der
Reflexion Trennung und Individualisirung der Töne durch Articulation
hervorbringt, so muss diese wieder trennend und individualisirend auf
den Gedankenstoff zurückwirken, und es ihm möglich machen, vom
Ungeschiedenen ausgehend, und zum Ungeschiedenen, der absoluten
Einheit, hinstrebend, diesen Weg durch Trennung zurückzulegen.

17. Das Denken ist aber nicht bloss abhängig von der Sprache überhaupt,
sondern, bis auf einen gewissen Grad, auch von jeder einzelnen
bestimmten. Man hat zwar die Wörter der verschiedenen Sprachen mit
allgemein gültigen Zeichen vertauschen wollen, wie dieselben die Mathematik
in den Linien, Zahlen, und der Buchstabenrechnung besitzt.
Allein es lässt sich damit nur ein kleiner Theil der Masse des Denkbaren
erschöpfen, da diese Zeichen, ihrer Natur nach, nur auf solche Begriffe
passen, welche durch blosse Construction erzeugt werden können, oder
sonst rein durch den Verstand gebildet sind. Wo aber der Stoff innerer
Wahrnehmung, und Empfindung zu Begriffen gestempelt werden soll,
da kommt es auf das individuelle Vorstellungsvermögen des Menschen
an, von dem seine Sprache unzertrennlich ist. Alle Versuche, in die Mitte
der verschiedenen einzelnen allgemeine Zeichen für das Auge, oder
das Ohr zu stellen, sind nur abgekürzte Uebersetzungsmethoden, und
es wäre ein thörichter Wahn, sich einzubilden, dass man dadurch, ich
sage nicht, aus aller Sprache, sondern auch nur aus dem bestimmten
und beschränkten Kreise seiner eigenen hinausträte. Es lässt sich zwar
allerdings ein solcher Mittelpunkt aller Sprachen suchen, und wirklich
finden, und es ist nothwendig, ihn, auch bei dem vergleichenden
Sprachstudium, sowohl dem grammatischen, als lexicalischen Theile,
nicht aus den Augen zu verlieren. Denn in beiden giebt es eine Anzahl
von Dingen, welche ganz a priori bestimmt, und von allen Bedingungen
einer besondren Sprache getrennt werden können. Dagegen giebt es
eine weit grössere Menge von Begriffen, und auch grammatischen Eigenheiten,
die so unlösbar in die Individualität ihrer Sprache verwebt
sind, dass sie weder am blossen Faden der inneren Wahrnehmung zwischen
allen schwebend erhalten, noch, ohne Umänderung, in eine andre
übertragen werden können. Ein sehr bedeutender Theil des Inhalts jeder
Sprache steht daher in so unbezweifelter Abhängigkeit von ihr, dass
ihr Ausdruck für ihn nicht mehr gleichgültig bleiben kann.

18. Das Wort, welches den Begriff erst zu einem Individuum der
Gedankenwelt macht, fügt zu ihm bedeutend von dem Seinigen hinzu,
und indem die Idee durch dasselbe Bestimmtheit empfängt, wird sie zugleich
in gewissen Schranken gefangen gehalten. Aus seinem Laute, seiner
Verwandtschaft mit andren Wörtern ähnlicher Bedeutung, dem
38meistentheils in ihm zugleich enthaltenen Uebergangsbegriff zu dem
neu bezeichneten Gegenstande, welchem man es aneignet, und seinen
Nebenbeziehungen auf die Wahrnehmung, oder Empfindung entsteht
ein bestimmter Eindruck, und indem dieser zur Gewohnheit wird, trägt
er ein neues Moment zur Individualisirung des in sich unbestimmteren,
aber auch freieren Begriffs hinzu. Denn an jedes irgend bedeutendere
Wort knüpfen sich die nach und nach durch dasselbe angeregten Empfindungen,
die gelegentlich hervorgebrachten Anschauungen und Vorstellungen,
und verschiedene Wörter zusammen bleiben sich auch in
den Verhältnissen der Grade gleich, in welchen sie einwirken. So wie
ein Wort ein Object zur Vorstellung bringt, schlägt es auch, obschon oft
unmerklich, eine, zugleich seiner Natur, und der des Objects entsprechende
Empfindung an, und die ununterbrochene Gedankenreihe im
Menschen ist von einer ebenso ununterbrochenen Empfindungsfolge
begleitet, die allerdings durch die vorgestellten Objecte, allein zunächst,
und dem Grade, und der Farbe nach, durch die Natur der Wörter,
und der Sprache bestimmt wird. Das Object, dessen Erscheinung
im Gemüth immer ein durch die Sprache individualisirter, stets gleichmässig
wiederkehrender Eindruck begleitet, wird auch in sich auf eine
dadurch modificirte Art vorgestellt. Im Einzelnen ist dies wenig bemerkbar,
aber die Macht der Wirkung im Ganzen liegt in der Gleichmässigkeit,
und beständigen Wiederkehr des Eindrucks. Denn indem
sich der Charakter der Sprache an jeden Ausdruck, und jede Verbindung
von Ausdrücken heftet, erhält die ganze Masse der Vorstellungen
eine von ihm herrührende Farbe.

19. Die Sprache ist aber kein freies Erzeugniss des einzelnen Menschen,
sondern gehört immer der ganzen Nation an; auch in dieser empfangen
die späteren Generationen dieselbe von früher da gewesenen
Geschlechtern. Dadurch dass sich in ihr die Vorstellungsweise aller Alter,
Geschlechte, Stände, Charakter- und Geistesverschiedenheiten desselben
Völkerstamms, dann, durch den Uebergang von Wörtern und
Sprachen, verschiedener Nationen, endlich, bei zunehmender Gemeinschaft,
des ganzen Menschengeschlechts mischt, läutert, und umgestaltet,
wird die Sprache der grosse Uebergangspunkt von der Subjectivität
zur Objectivität, von der immer beschränkten Individualität zu Alles
zugleich in sich befassendem Daseyn. Erfindung nie vorher vernommener
Lautzeichen lässt sich nur bei dem, über alle menschliche Erfahrung
hinausgehenden Ursprung der Sprachen denken. Wo der Mensch
irgend bedeutsame Laute überliefert erhalten hat, bildet er seine Sprache
an sie an, und baut nach der durch sie gegebenen Analogie seine
Mundart aus. Dies liegt in dem Bedürfniss, sich verständlich zu machen,
in dem durchgängigen Zusammenhange aller Theile und Elemente
jeder Sprache, und aller Sprachen unter einander, und in der Einerleiheit
39des Sprachvermögens. Es ist auch, selbst für die grammatische
Spracherklärung, wichtig, fest im Auge zu behalten, dass die Stämme,
welche die auf uns gekommenen Sprachen bildeten, nicht leicht zu erfinden,
aber da, wo sie selbstthätig wirkten, das von ihnen Vorgefundene
zu vertheilen und anzuwenden hatten. Von vielen feinen Nuancen
grammatischer Formen lässt sich nur dadurch Rechenschaft geben.
Man würde schwerlich verschiedene Bezeichnungen für sie erfunden
haben; dagegen war es natürlich, die schon vorhandenen verschiedenen
nicht gleichgültig zu gebrauchen. Die Hauptelemente der Sprache, die
Wörter, sind es vorzüglich, die von Nation zu Nation überwandern. Den
grammatischen Formen wird dies schwerer, da sie, von feinerer intellectueller
Natur, mehr in dem Verstande ihren Sitz haben, als materiell,
und sich selbst erklärend, an den Lauten haften. Zwischen den ewig
wechslenden Geschlechten der Menschen, und der Welt der darzustellenden
Objecte stehen daher eine unendliche Anzahl von Wörtern, die
man, wenn sie auch ursprünglich nach Gesetzen der Freiheit erzeugt
sind, und immerfort auf diese Weise gebraucht werden, ebensowohl, als
die Menschen und Objecte, als selbstständige, nur geschichtlich erklärbare,
nach und nach durch die vereinte Kraft der Natur, der Menschen,
und Ereignisse entstandene Wesen ansehen kann. Ihre Reihe erstreckt
sich so weit in das Dunkel der Vorwelt hinaus, dass sich der Anfang
nicht mehr bestimmen lässt; ihre Verzweigung umfasst das ganze Menschengeschlecht,
so weit je Verbindung unter demselben gewesen ist;
ihr Fortwirken, und ihre Forterzeugung könnte nur dann einen Endpunkt
finden, wenn alle jetzt lebende Geschlechter vertilgt, und alle
Fäden der Ueberlieferung auf einmal abgeschnitten würden. Indem nun
die Nationen sich dieser, schon vor ihnen vorhandenen Sprachelemente
bedienen, indem diese ihre Natur der Darstellung der Objecte beimischen,
ist der Ausdruck nicht gleichgültig, und der Begriff nicht von der
Sprache unabhängig. Der durch die Sprache bedingte Mensch wirkt
aber wieder auf sie zurück, und jede besondre ist daher das Resultat
drei verschiedner, zusammentreffender Wirkungen, der realen Natur
der Objecte, insofern sie den Eindruck auf das Gemüth hervorbringt,
der subjectiven der Nation, und der eigenthümlichen der Sprache durch
den fremden ihr beigemischten Grundstoff, und durch die Kraft, mit
der alles einmal in sie Uebergegangene, wenn auch ursprünglich ganz
frei geschaffen, nur in gewissen Gränzen der Analogie Fortbildung erlaubt.

20. Durch die gegenseitige Abhängigkeit des Gedankens, und des
Wortes von einander leuchtet es klar ein, dass die Sprachen nicht eigentlich
Mittel sind, die schon erkannte Wahrheit darzustellen, sondern
weit mehr, die vorher unerkannte zu entdecken. Ihre Verschiedenheit
ist nicht eine von Schällen und Zeichen, sondern eine Verschiedenheit
40der Weltansichten selbst. Hierin ist der Grund, und der letzte Zweck
aller Sprachuntersuchung enthalten. Die Summe des Erkennbaren
liegt, als das von dem menschlichen Geiste zu bearbeitende Feld, zwischen
allen Sprachen, und unabhängig von ihnen, in der Mitte; der
Mensch kann sich diesem rein objectiven Gebiet nicht anders, als nach
seiner Erkennungs- und Empfindungsweise, also auf einem subjectiven
Wege, nähern. Gerade da, wo die Forschung die höchsten und tiefsten
Punkte berührt, findet sich der von jeder besonderen Eigenthümlichkeit
am leichtesten zu trennende mechanische und logische Verstandesgebrauch
am Ende seiner Wirksamkeit, und es tritt ein Verfahren der inneren
Wahrnehmung und Schöpfung ein, von dem bloss soviel deutlich
wird, dass die objective Wahrheit aus der ganzen Kraft der subjectiven
Individualität hervorgeht. Dies ist nur mit und durch Sprache möglich.
Die Sprache aber ist, als ein Werk der Nation, und der Vorzeit, für den
Menschen etwas Fremdes; er ist dadurch auf der einen Seite gebunden,
aber auf der andren durch das von allen früheren Geschlechten in sie
Gelegte bereichert, erkräftigt, und angeregt. Indem sie dem Erkennbaren,
als subjectiv, entgegensteht, tritt sie dem Menschen, als objectiv,
gegenüber. Denn jede ist ein Anklang der allgemeinen Natur des Menschen,
und wenn zwar auch der Inbegriff aller zu keiner Zeit ein vollständiger
Abdruck der Subjectivität der Menschheit werden kann, nähern
sich die Sprachen doch immerfort diesem Ziele. Die Subjectivität
der ganzen Menschheit wird aber wieder in sich zu etwas Objectivem.
Die ursprüngliche Uebereinstimmung zwischen der Welt und dem Menschen,
auf welcher die Möglichkeit aller Erkenntniss der Wahrheit beruht,
wird also auch auf dem Weg der Erscheinung stückweise und fortschreitend
wiedergewonnen. Denn immer bleibt das Objective das
eigentlich zu Erringende, und wenn der Mensch sich demselben auf der
subjectiven Bahn einer eigenthümlichen Sprache naht, so ist sein zweites
Bemühen, wieder, und wäre es auch nur durch Vertauschung einer
SprachSubjectivität mit der andren, das Subjective abzusondern, und
das Object möglich rein davon auszuscheiden.

21. Vergleicht man in mehreren Sprachen die Ausdrücke für unsinnliche
Gegenstände, so wird man nur diejenigen gleichbedeutend finden,
die, weil sie rein construirbar sind, nicht mehr, und nichts anders enthalten
können, als in sie gelegt worden ist. Alle übrigen schneiden das
in ihrer Mitte liegende Gebiet, wenn man das durch sie bezeichnete
Object so benennen kann, auf verschiedene Weise ein und ab, enthalten
weniger und mehr, andre und andre Bestimmungen. Die Ausdrücke
sinnlicher Gegenstände sind wohl insofern gleichbedeutend, als bei allen
derselbe Gegenstand gedacht wird, aber da sie die bestimmte Art
ihn vorzustellen ausdrücken, so geht ihre Bedeutung darin gleichfalls
auseinander. Denn die Einwirkung der individuellen Ansicht des Gegenstandes
41auf die Bildung des Wortes bestimmt, solange sie lebendig
bleibt, auch diejenige, wie das Wort den Gegenstand zurückruft. Eine
grosse Menge von Wörtern entspringt aber aus der Verbindung sinnlicher
und unsinnlicher Ausdrücke, oder aus der intellectuellen Bearbeitung
jener, und alle diese theilen daher das sich nicht so wieder findende
individuelle Gepräge der letzteren, wenn auch das der ersteren sollte
im Laufe der Zeit erloschen seyn. Denn da die Sprache zugleich Abbild
und Zeichen, nicht ganz Product des Eindrucks der Gegenstände, und
nicht ganz Erzeugniss der Willkühr der Redenden ist, so tragen alle besondren
in jedem ihrer Elemente Spuren der ersteren dieser Eigenschaften,
aber die jedesmalige Erkennbarkeit dieser Spuren beruht, ausser
ihrer eigenen Deutlichkeit, auf der Stimmung des Gemüths, das Wort
mehr als Abbild, oder mehr als Zeichen nehmen zu wollen. Denn das
Gemüth kann, vermöge der Kraft der Abstraction, zu dem letzteren gelangen,
es kann aber auch, indem es alle Pforten seiner Empfänglichkeit
öfnet, die volle Einwirkung des eigenthümlichen Stoffes der Sprache
aufnehmen. Der Redende kann durch seine Behandlung zu dem einen,
und dem andren die Richtung geben, und der Gebrauch eines dichterischen,
der Prosa fremden Ausdrucks hat oft keine andre Wirkung, als
das Gemüth zu stimmen, ja nicht die Sprache, als Zeichen anzusehen,
sondern sich ihr in ihrer ganzen Eigentümlichkeit hinzugeben. Will
man diesen zwiefachen Gebrauch der Sprache in Gattungen einander
gegenüberstellen, welche ihn schärfer trennen, als er es in der Wirklichkeit
seyn kann, so lässt sich der eine der wissenschaftliche, der andre
der rednerische nennen. Der erstere ist zugleich der der Geschäfte, der
letztere der des Lebens in seinen natürlichen Verhältnissen. Denn der
freie Umgang löst die Bande, welche die Empfänglichkeit des Gemüths
gefesselt halten könnten. Der wissenschaftliche Gebrauch, im hier angenommenen
Sinne, ist nur auf die Wissenschaften der reinen GedankenConstruction,
und auf gewisse Theile und Behandlungsarten der Erfahrungswissenschaften
anwendbar; bei jeder Erkenntniss, welche die
ungetheilten Kräfte des Menschen fordert, tritt der rednerische ein. Von
dieser Art der Erkenntniss aber fliesst gerade auf alle übrigen erst Licht
und Wärme über; nur auf ihr beruht das Fortschreiten in allgemeiner
geistiger Bildung, und eine Nation, welche nicht den Mittelpunkt der
ihrigen in Poesie, Philosophie und Geschichte, die dieser Erkenntniss
angehören, sucht und findet, entbehrt bald der wohlthätigen Rückwirkung
der Sprache, weil sie, durch ihre eigne Schuld, sie nicht mehr mit
dem Stoffe nährt, der allein ihr Jugend und Kraft, Glanz und Schönheit
erhalten kann. In diesem Gebiet ist der eigentliche Sitz der Beredsamkeit,
wenn man nemlich darunter, in der weitumfassendsten, und nicht
gerade gewöhnlichen Bedeutung, die Behandlung der Sprache insofern
versteht, als sie entweder von selbst wesentlich auf die Darstellung der
42Objecte einwirkt, oder absichtlich dazu gebraucht wird. In dieser letzteren
Art kann die Beredsamkeit auch, mit Recht, oder Unrecht, in den
wissenschaftlichen, und den Geschäftsgebrauch übergehen. Der wissenschaftliche
Gebrauch der Sprache muss wiederum von dem conventionellen
geschieden werden. Beide gehören insofern in Eine Classe, als
sie, die eigentümliche Wirkung der Sprache, als eines selbstständigen
Stoffes, vertilgend, dieselbe nur als Zeichen ansehen wollen. Aber der
wissenschaftliche Gebrauch thut dies auf dem Felde, wo es statthaft ist,
und bewirkt es, indem er jede Subjectivität von dem Ausdruck abzuschneiden,
oder vielmehr das Gemüth ganz objectiv zu stimmen versucht,
und der ruhige und vernünftige Geschäftsgebrauch folgt ihm
hierin nach; der conventionelle Gebrauch versetzt diese Behandlung
der Sprache auf ein Feld, das der Freiheit der Empfänglichkeit bedürfte,
drängt dem Ausdruck eine, nach Grad und Farbe bestimmte Subjectivität
auf, und versucht es, das Gemüth in die gleiche zu versetzen. So
geht er hernach auf das Gebiet des rednerischen über, und bringt entartete
Beredsamkeit und Dichtung hervor. Es giebt Nationen, welche
nach der Individualität ihres Charakters, den einen, oder andren dieser
falschen Wege einschlagen, oder dieser richtigen einseitig verfolgen; es
giebt solche, die ihre Sprache mehr, oder minder glücklich behandeln;
und wenn das Schicksal es fügt, dass ein, dem Gemüthe, Ohr und Ton
nach, vorzugsweise für Rede und Gesang gestimmtes Volk gerade in
den entscheidenden Congelationspunkt des Organismus einer Mundart
eintritt, so entstehen herrliche, und durch alle Zeit hin bewunderte
Sprachen. Nur durch einen solchen glücklichen Wurf kann man das
Hervorgehen der Griechischen erklären.

22. Diesen letzten und wesentlichsten Anwendungen der Sprache
kann der ursprüngliche Organismus derselben nicht fremd seyn. In ihm
liegt der erste Keim zur folgenden Ausbildung, und die beiden, im Vorigen
geschiedenen Theile des vergleichenden Sprachstudiums finden
hier ihre Verbindung. Aus der Erforschung der Grammatik, und des
Wortvorrathes aller Nationen, soweit Hülfsmittel dazu vorhanden sind,
und aus der Prüfung der schriftlichen Denkmale der gebildeten muss
die Art, und der Grad der Ideenerzeugung, zu welcher die menschlichen
Sprachen gelangt sind, und in ihrem Baue der Einfluss ihrer verschiedenen
Eigenschaften auf ihre letzte Vollendung zusammenhängend
und lichtvoll dargestellt werden.

23. Es ist hier nur meine Absicht gewesen, das Feld der vergleichenden
Sprachuntersuchungen im Ganzen zu überschlagen, ihr Ziel festzustellen,
und zu zeigen, dass, um es zu erreichen, der Ursprung und die
Vollendung der Sprachen zusammengenommen werden muss. Nur auf
diesem Wege können diese Forschungen dahin führen, die Sprachen
immer weniger als willkührliche Zeichen anzusehen, und, auf eine, tiefer
43in das geistige Leben eingreifende Weise, in der Eigenthümlichkeit
ihres Baues Hülfsmittel zur Erforschung und Erkennung der Wahrheit,
und Bildung der Gesinnung, und des Charakters aufzusuchen. Denn
wenn in den, zu höherer Ausbildung gediehenen Sprachen eigne Weltansichten
liegen, so muss es ein Verhältniss dieser nicht nur zu einander,
sondern auch zur Totalität aller denkbaren geben. Es ist alsdann
mit den Sprachen, wie mit den Charakteren der Menschen selbst, oder
um einen einfacheren Gegenstand zur Vergleichung zu wählen, wie mit
den Götteridealen der bildenden Kunst, in welchen sich Totalität aufsuchen,
und ein geschlossener Kreis bilden lässt, da jedes das allgemeine,
als gleichzeitiger Inbegriff aller Erhabenheiten nicht individualisirbare
Ideal von Einer bestimmten Seite darstellt. Dass dies je in irgend einer
Gattung der Vorzüge rein vorhanden wäre, darf man allerdings nicht
wähnen, und man würde der Wirklichkeit nur Gewalt anthun, wenn
man Charakter- oder Sprachverschiedenheiten historisch so darstellen
wollte. Allein die Anlagen und nur nicht rein durchgeführten Richtungen
sind vorhanden, und es lässt sich weder bei Menschen und Nationen,
noch bei Sprachen eine Charakterbildung (die nicht Unterwerfung
der Aeusserungen unter ein Gesetz, sondern Annäherung des Wesens
an ein Ideal ist) denken, als wenn man sich auf einer Bahn begriffen
ansieht, deren, durch die Vorstellung des Ideals gegebene Richtung bestimmte
andre, erst alle Seiten desselben erschöpfende voraussetzt. Der
Zustand der Nationen, auf welchen dies in ihren Sprachen Anwendung
finden kann, ist der höchste und letzte, zu welchem Verschiedenheit der
Völkerstämme führen kann; er setzt verhältnissmässig grosse Menschenmassen
voraus, weil die Sprachen diese erfordern, um sich zu ihrer
Vollendung zu erheben. Ihm zum Grunde liegt der niedrigste, von
dem wir ausgiengen, der aus der unvermeidlichen Zerstückelung und
Verzweigung des Menschengeschlechts entsteht, und dem die Sprachen
ihren Ursprung schuldig sind; dieser setzt viele und kleine Menschenmassen
voraus, weil das Entstehen der Sprachen in diesen leichter ist,
und viele sich mischen und zusammenfliessen müssen, wenn reiche und
bildsame hervorgehen sollen. In beiden vereinigt sich, was in der ganzen
Oeconomie des Menschengeschlechts auf Erden gefunden wird,
dass der Ursprung in Naturnothwendigkeit, und physischem Bedürfniss
liegt, aber in der fortschreitenden Entwicklung beide den höchsten geistigen
Zwecken dienen.44