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Humboldt, Wilhelm von. Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues – T05

Ueber die Buchstabenschrift und ihren Zusammenhang
mit dem Sprachbau

[Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 20. Mai 1824.]

Es hat mir bei dem Nachdenken über den Zusammenhang der Buchstabenschrift
mit der Sprache immer geschienen, als wenn die erstere in
genauem Verhältniss mit den Vorzügen der letzteren stände, und als
wenn die Annahme und Bearbeitung des Alphabets, ja selbst die Art
und vielleicht auch die Erfindung desselben, von dem Grade der Vollkommenheit
der Sprache, und noch ursprünglicher, der Sprachanlagen
jeder Nation abhienge.

Anhaltende Beschäftigung mit den Amerikanischen Sprachen, Studium
der Alt-Indischen und einiger mit ihr verwandten, und die Betrachtung
des Baues der Chinesischen schienen mir diesen Satz auch
geschichtlich zu bestätigen. Die Amerikanischen Sprachen, die man
zwar sehr mit Unrecht mit dem Namen roher und wilder bezeichnen
würde, die aber ihr Bau doch bestimmt von den vollkommen gebildeten
unterscheidet, haben, soviel wir bis jetzt wissen, nie Buchstabenschrift
besessen. Mit den Semitischen und der Indischen ist diese so innig verwachsen,
dass auch nicht die entfernteste Spur vorhanden ist, dass sie
sich jemals einer andren bedient hätten. Wenn die Chinesen beharrlich
die ihnen seit so langer Zeit bekannten Alphabete der Europaeer zurückstossen,
so liegt dies, meines Erachtens, bei weitem nicht bloss in
ihrer Anhänglichkeit am Hergebrachten, und ihrer Abneigung gegen
das Fremde, sondern viel mehr darin, dass, nach dem Mass ihrer
Sprachanlagen, und nach dem Bau ihrer Sprache, noch gar nicht das
innere Bedürfniss nach einer Buchstabenschrift in ihnen erwacht ist.
Wäre dies nicht der Fall, so würden sie durch ihre eigene, ihnen in hohem
Grade beiwohnende Erfindsamkeit, und durch ihre Schriftzeichen
selbst dahin gekommen seyn, nicht bloss, wie sie jetzt thun, Lautzeichen
als Nebenhülfe zu gebrauchen, sondern ein wahres, vollständiges
und reines Alphabet zu bilden.

Auf Aegypten allein schien diese Vorstellungsart nicht recht zu passen.
Denn die heutige Coptische Sprache beweist unläugbar, dass auch
die Alt-Aegyptische einen Bau besass, der nicht von grossen Sprachanlagen
der Nation zeugt, und dennoch hat Aegypten nicht nur Buchstabenschrift
69besessen, sondern war sogar, nach keinesweges verwerflichen
Zeugnissen, die Wiege derselben. Allein auch wenn eine Nation
Erfinderin einer Buchstabenschrift ist, bleibt ihre Art, dieselbe zu behandeln,
ihrer Anlage entsprechend, den Gedanken aufzufassen, und
durch Sprache zu fesseln und auszubilden; und die Wahrheit dieser Behauptung
leuchtet gerade recht aus der wunderbaren Art hervor, wie
die Aegyptier Bilder und Buchstabenschrift in einander übergehen liessen.

Buchstabenschrift und Sprachanlage stehen daher in dem engsten
Zusammenhange, und in durchgängiger Beziehung auf einander. Dies
werde ich mich bemühen, hier sowohl aus Begriffen, als, soviel es in der
Kürze geschehen kann, welche diesen Abhandlungen geziemt, geschichtlich
zu beweisen. Die Wahl dieses Gegenstandes hat mir aus
dem zwiefachen Grunde angemessen geschienen, dass die Natur der
Sprache in der That nicht vollständig eingesehen werden kann, wenn
man nicht zugleich ihren Zusammenhang mit der Buchstabenschrift
untersucht, und dass gerade jene neuesten Beschäftigungen mit der
Aegyptischen Schrift den Antheil an Untersuchungen über Schrift-Erfindung
und Aneignung im gegenwärtigen Augenblicke verdoppeln.

Alles, was sich auf die äussren Zwecke der Schrift, ihren Nutzen im
Gebrauch für das Leben und die Verbreitung der Kenntnisse bezieht,
übergehe ich gänzlich. Ihre Wichtigkeit von dieser Seite leuchtet zu
sehr von selbst ein, und nur Wenige dürften in dieser Hinsicht die Vorzüge
der Buchstabenschrift vor den übrigen Schriftarten verkennen. Ich
beschränke mich bloss auf den Einfluss der alphabetischen auf die
Sprache und ihre Behandlung. Ist dieser wirklich bedeutend, ist der Zusammenhang
der Sprache mit dem Gebrauche eines Alphabets innig
und fest, so können auch die Ursachen begieriger Aneignung der Buchstabenschrift,
oder kalter Gleichgültigkeit gegen dieselbe nicht länger
zweifelhaft bleiben.

Wie aber schon oft von den Sprachen selbst behauptet wird, dass
ihre Verschiedenheit nicht von grosser Wichtigkeit sey, da, wie auch der
Schall laute, und die Rede sich verknüpfe, doch endlich immer derselbe
Gedanke hervortrete, so dürfte die Art der Schriftzeichen noch für bei
weitem gleichgültiger gehalten werden, wenn sie nur nicht gar zu grosse
Unbequemlichkeit mit sich führe, oder die Nation sich gewöhnt habe,
die mit ihr verbundnen zu überwinden. Auch machen diejenigen, welche
sich der Schrift häufig, und noch weit mehr diejenigen, welche sich
derselben auf eine sinnige Weise bedienen, immer nur von jedem Volke
einen kleinen Theil aus. Jede Sprache hat also nicht bloss lange Zeit
ohne Schrift bestanden, sondern lebt auch grossentheils beständig auf
gleiche Art fort.

Allein das tönende Wort ist gleichsam eine Verkörperung des Gedanken,
70die Schrift eine des Tons. Ihre allgemeinste Wirkung ist, dass sie
die Sprache fest heftet, und dadurch ein ganz andres Nachdenken über
dieselbe möglich macht, als wenn das verhallende Wort bloss im Gedächtniss
eine bleibende Stätte findet. Es ist aber auch zugleich unvermeidlich,
dass sich nicht irgend eine Wirkung dieser Bezeichnung durch
Schrift, und der bestimmten Art derselben überhaupt dem Einflusse der
Sprache auf den Geist beimischen sollte. Es ist daher keineswegs gleichgültig,
welche Art der Anregung die geistige Thätigkeit durch die besondre
Natur der Schriftbezeichnung erhält. Es liegt in den Gesetzen
dieser Thätigkeit, das Denkbare und Anschauliche als Zeichen und Bezeichnetes
zu betrachten, wechselsweise hervorzurufen, und in verschiedne
Stellung gegen einander zu bringen; es ist ihr eigen, bei einer
Idee oder Anschauung auch die verwandten wirken zu lassen, und so
kann die Uebertragung des erst als Ton gehefteten Gedanken auf einen
Gegenstand des Auges, nach Massgabe der Art, wie sie geschieht, dem
Geiste sehr verschiedne Richtungen geben. Offenbar aber müssen,
wenn die Gesammtwirkung nicht gestört werden soll, das Denken in
Sprache, die Rede und die Schrift übereinstimmend gebildet, und wie
aus Einer Form gegossen seyn.

Darum dass die Schrift nur immer Eigenthum eines kleineren Theils
der Nation bleibt, und wohl überall erst entstanden ist, als der schon
festbestimmte Sprachbau nicht mehr wesentliche Umänderungen zuliess,
ist ihr Einfluss auf sie nicht minder wichtig. Denn die gemeinschaftliche
Rede umschlingt doch (freilich in einer Lebensform weniger,
als in der andren) das ganze Volk, und was auf sie bei Einzelnen
gewirkt ist, geht doch mittelbar auf Alle über. Die feinere Bearbeitung
der Sprache aber, für welche der Gebrauch der Schrift eigentlich erst
den Anfangspunkt bezeichnet, ist gerade die wichtigste, und unterscheidet,
an sich und in ihrer Wirkung auf die Nationalbildung, die Eigenthümlichkeit
der Sprachen bei weitem mehr, als der gröbere, ursprüngliche
Bau.

Die Eigenthümlichkeit der Sprache besteht darin, dass sie, vermittelnd,
zwischen dem Menschen und den äussren Gegenständen eine
Gedankenwelt an Töne heftet. Alle Eigenschaften jeder einzelnen können
daher auf die beiden grossen Hauptpunkte in der Sprache überhaupt
bezogen werden, ihre Idealität und ihr Tonsystem. Was der ersteren an
Vollständigkeit, Klarheit, Bestimmtheit und Reinheit, dem letzteren an
Vollkommenheit abgeht, sind ihre Mängel, das Entgegengesetzte ihre
Vorzüge.

Diese Ansicht habe ich in zwei, dieser Versammlung früher vorgelegten
Abhandlungen aufzustellen und zu rechtfertigen versucht, und
mich bemühet zu zeigen:

dass das, auch unverknüpfte Wortsystem jeder Sprache eine Gedankenwelt
71bildet, die, gänzlich heraustretend aus dem Gebiet willkührlicher
Zeichen, für sich Wesenheit und Selbständigkeit besitzt;

dass diese Wortsysteme niemals einem einzelnen Volk allein angehören,
sondern auf einem Wege der Ueberlieferung, den weder die Geschichte,
noch die Sprachforschung ganz zu verfolgen im Stande, sind,
zu dem Werke der gesammten Menschheit alle Jahrhunderte ihres Daseyns
hindurch werden, und dass mithin jedes Wort ein doppeltes Bildungselement
in sich trägt, ein physiologisches, aus der Natur des
menschlichen Geistes hervorgehendes, und ein geschichtliches, in der
Art seiner Entstehung liegendes; ferner:

dass der Charakter der vollkommner gebildeten Sprachen dadurch
bestimmt wird, dass die Natur ihres Baues beweist, dass es dem Geist
nicht bloss auf den Inhalt, sondern vorzüglich auf die Form des Gedanken
ankommt.

Ich glaube diesen Weg auch hier verfolgen zu können, und es leuchtet
nun von selbst ein, dass die Buchstabenschrift die Idealität der Sprache
schon insofern negativ befördert, als sie den Geist auf keine, von
der Form der Sprache abweichende Weise anregt, dass aber das Tonsystem,
da Lautbezeichnung ihr Wesen ausmacht, erst durch sie Festigkeit
und Vollständigkeit erlangen kann.

Dass jede Bilderschrift durch Anregung der Anschauung des wirklichen
Gegenstandes die Wirkung der Sprache stören muss, statt sie zu
unterstützen, fällt von selbst in die Augen. Die Sprache verlangt auch
Anschauung, heftet sie aber an die, vermittelst des Tones, gebundene
Wortform. Dieser muss sich die Vorstellung des Gegenstandes unterordnen,
um als Glied zu der unendlichen Kette zu gehören, an welcher
sich das Denken durch Sprache nach allen Richtungen hinschlingt.
Wenn sich das Bild zum Schriftzeichen aufwirft, so drängt es unwillkührlich
dasjenige zurück, was es bezeichnen will, das Wort. Die Herrschaft
der Subjectivität, das Wesen der Sprache, wird geschwächt, die
Idealität dieser leidet durch die reale Macht der Erscheinung, der Gegenstand
wirkt nach allen seinen Beschaffenheiten auf den Geist, nicht
nach denjenigen, welche das Wort, in Uebereinstimmung mit dem individuellen
Geiste der Sprache, auswählend zusammenfasst, die Schrift,
die nur Zeichen des Zeichens seyn soll, wird zugleich Zeichen des Gegenstandes,
und schwächt, indem sie seine unmittelbare Erscheinung in
das Denken einführt, die Wirkung, welche das Wort gerade dadurch
ausübt, dass es nur Zeichen seyn will. An Lebendigkeit kann die Sprache
durch das Bild nicht gewinnen, da diese Gattung der Lebendigkeit
nicht ihrer Natur entspricht, und die beiden verschiednen Thätigkeiten
der Seele, die man hier zugleich anregen möchte, können nicht Verstärkung,
sondern nur Zerstreuung der Wirkung zur Folge haben.

Dagegen scheint eine Figurenschrift, welche Begriffe bezeichnet,
72recht eigentlich die Idealität der Sprache zu befördern. Denn ihre willkührlich
gewählten Zeichen haben ebensowenig, als die der Buchstaben,
etwas, das den Geist zu zerstreuen vermöchte, und die innere Gesetzmässigkeit
ihrer Bildung führt das Denken auf sich selbst zurück.

Dennoch wirkt auch eine solche Schrift gerade der idealen, d. h. der
die Aussenwelt in Ideen verwandelnden Natur der Sprache entgegen,
wenn sie auch nach der strengsten Gesetzmässigkeit in allen ihren Theilen
zusammengefügt wäre. Denn für die Sprache ist nicht bloss die
sinnliche Erscheinung stoffartig, sondern auch das unbestimmte Denken,
inwiefern es nicht fest und rein durch den Ton gebunden ist; denn
es ermangelt der ihr wesentlich eigenthümlichen Form. Die Individualität
der Wörter, in deren jedem immer noch etwas andres, als bloss seine
logische Definition liegt, ist insofern an den Ton geheftet, als durch diesen
unmittelbar in der Seele die ihnen eigenthümliche Wirkung geweckt
wird. Ein Zeichen, das den Begriff aufsucht, und den Ton vernachlässigt,
kann sie mithin nur unvollkommen ausdrücken. Ein System solcher
Zeichen giebt nur die abgezognen Begriffe der äussren und innren
Welt wieder; die Sprache aber soll diese Welt selbst, zwar in Gedankenzeichen
verwandelt, aber in der ganzen Fülle ihrer reichen, bunten und
lebendigen Mannigfaltigkeit enthalten.

Es hat aber auch nie eine Begriffsschrift gegeben, und kann keine
geben, die rein nach Begriffen gebildet wäre, und auf die nicht die in
bestimmte Laute gefassten Wörter der Sprache, für welche sie erfunden
wurde, den hauptsächlichsten Einfluss ausgeübt hätten. Denn da die
Sprache doch vor der Schrift da ist, so sucht dieselbe natürlich für jedes
Wort ein Zeichen, und nimmt diese, wenn sie auch durch systematische
Unterordnung unter ein Begriffssystem vom Laut unabhängige Geltung
hätten, doch in dem Sinn der ihnen untergelegten Wörter. Daher ist
jede Begriffsschrift immer zugleich eine Lautschrift, und ob sie, nebenher
und in welchem Grade, auch als wahre Begriffsschrift gilt? hängt
von dem Grade ab, in welchem der sie Gebrauchende die systematische
Unterordnung ihrer Zeichen, den logischen Schlüssel ihrer Bildung,
kennt und beachtet. Wer die den Wörtern entsprechenden Zeichen nur
mechanisch kennt, besitzt in ihr nichts, als eine Lautschrift. Wenn eine
solche Schrift auf eine andre Sprache übergeht, findet der gleiche Fall
statt. Denn auch in dieser muss der Gebrauch, wenn die Schrift wirklich
Schrift seyn soll, doch jedem Zeichen seine Geltung in Einem, oder
mehreren bestimmten Wörtern anweisen. Die Schriftzeichen sind also
in beiden Sprachen nur insofern gleichbedeutend, als es die ihnen untergelegten
Wörter sind, und das Lesen des in einer beider Sprachen
Geschriebnen wird für den dieser Sprache Unkundigen immer zu einem
Uebersetzen, in welchem die Individualität der Ursprache allemal aufgegeben
wird. Es geht also bei dem Gebrauche Einer solchen Schrift
73unter verschiednen Nationen immer hauptsächlich nur der Inhalt über,
die Form wird wesentlich verändert, und der unläugbare Vorzug einer
Begriffsschrift, Nationen verschiedner Sprachen verständlich zu seyn,
wiegt die Nachtheile nicht auf, welche sie von andren Seiten her mit
sich führt.

Als Lautschrift ist eine Begriffsschrift unvollkommen, weil sie Laute
für Wörter angiebt, mithin der Sprache allen Gewinn entzieht, der, wie
wir sehen werden, aus der Lautbezeichnung der Wortelemente entspringt.
Sie wirkt aber auch niemals rein als Lautschrift. Da man der
Geltung und dem Zusammenhang ihrer Zeichen nach Begriffen nachgehen
kann, den Gedanken, gleichsam mit Uebergehung des Lautes, unmittelbar
bilden, so wird sie dadurch zu einer eignen Sprache, und schwächt
den natürlichen, vollen und reinen Eindruck der wahren und nationellen.
Sie ringt auf der einen Seite, sich von der Sprache überhaupt, wenigstens
von einer bestimmten frei zu machen, und schiebt auf der andren dem
natürlichen Ausdruck der Sprache, dem Ton, die viel weniger angemessene
Anschauung durch das Auge unter. Sie handelt daher dem instinctartigen
Sprachsinn des Menschen gerade entgegen, und zerstört, je mehr
sie sich mit Erfolg geltend macht, die Individualität der Sprachbezeichnung,
die allerdings nicht bloss in dem Laut einer jeden liegt, aber an
denselben durch den Eindruck gebunden ist, den jede bestimmte Verknüpfung
articulirter Töne unläugbar specifisch hervorbringt.

Das Bemühen, sich von einer bestimmten Sprache unabhängig zu
machen, muss, da das Denken ohne Sprache einmal unmöglich ist,
nachtheilig und verödend auf den Geist einwirken. Eine Begriffsschrift
übt diese Nachtheile nur insofern nicht in dem hier geschilderten Grade
aus, als ihr System nicht consequent durchgeführt ist, und als sie im
Gebrauch phonetisch aufgenommen wird.

Die Buchstabenschrift ist von diesen Fehlern frei, einfaches, durch
keinen Nebenbegriff zerstreuendes Zeichen des Zeichens, die Sprache
überall begleitend, ohne sich ihr vorzudrängen, oder zur Seite zu stellen,
nichts hervorrufend, als den Ton, und daher die natürliche Unterordnung
bewahrend, in welcher der Gedanke nach dem durch den Ton
gemachten Eindruck angeregt werden, und die Schrift ihn nicht an sich,
sondern in dieser bestimmten Gestalt festhalten soll.

Durch dies enge Anschliessen an die eigenthümliche Natur der Sprache
verstärkt sie gerade die Wirkung dieser, indem sie auf die prangenden
Vorzüge des Bildes und Begriffsausdrucks Verzicht leistet. Sie stört
die reine Gedankennatur der Sprache nicht, sondern vermehrt vielmehr
dieselbe durch den nüchternen Gebrauch an sich bedeutungsloser
Züge, und läutert und erhöht ihren sinnlichen Ausdruck, indem sie den
im Sprechen verbundnen Laut in seine Grundtheile zerlegt, den Zusammenhang
derselben unter einander, und in der Verknüpfung zum Wort
74anschaulich macht, und durch die Fixirung vor dem Auge auch auf die
hörbare Rede zurückwirkt.

An diese Spaltung des verbundnen Lauts, als an das Wesen der
Buchstabenschrift haben wir uns daher zu halten, wenn wir den inneren
Einfluss derselben auf die Sprache beurtheilen wollen.

Die Rede bildet im Geiste des Sprechenden, bis sie einen Gedanken
erschöpft, ein verbundnes Ganzes, in welchem erst die Reflexion die
einzelnen Abschnitte aufsuchen muss. Dies erfährt man vorzüglich bei
der Beschäftigung mit den Sprachen ungebildeter Nationen. Man muss
theilen und theilen, und immer mistrauisch bleiben, ob das einfach
Scheinende nicht auch noch zusammengesetzt ist. Gewissermassen ist
freilich dasselbe auch bei den hochgebildeten der Fall, allein auf verschiedne
Weise; bei diesen nur etymologisch zum Behuf der Einsicht in
die Wortentstehung, bei jenen grammatisch und syntaktisch zum Behuf
der Einsicht in die Verknüpfung der Rede. Das Verbinden des zu Trennenden
ist allemal Eigenschaft des ungeübten Denkens und Sprechens;
von dem Kinde und dem Wilden erhält man schwer Wörter, statt Redensarten.
Die Sprachen von unvollkommnerem Bau überschreiten
auch leicht das Mass dessen, was in einer grammatischen Form verbunden
seyn darf. Die logische Theilung, welche die Gedankenverknüpfung
auflöst, geht aber nur bis auf das einfache Wort. Die Spaltung dieses
ist das Geschäft der Buchstabenschrift. Eine Sprache, die sich einer
andren Schrift bedient, vollendet daher das Theilungsgeschäft der Sprache
nicht, sondern macht einen Stillstand, wo die Vervollkommnung
der Sprache weiter zu gehen gebietet.

Zwar ist die Aufsuchung der Lautelemente auch ohne den Gebrauch
der Buchstabenschrift denkbar, und die Chinesen besitzen namentlich
eine Analyse der verbundnen Laute, indem sie die Zahl und Verschiedenheit
ihrer Anfangs- und End-Articulationen und ihrer Wortbetonungen
bestimmt und genau angeben. Da aber nichts weder in der gewöhnlichen
Sprache, noch in der Schrift (insofern sie nemlich wirklich
Zeichenschrift ist, da die Chinesen bekanntlich dieser auch Lautbezeichnung
beimischen) zu dieser Analyse nöthigt, so kann sie schon
darum nicht so allgemein seyn. Da ferner der einzelne Ton (Consonant
und Vocal) nicht durch ein nur ihm angehörendes Zeichen isolirt dargestellt,
sondern nur den Anfängen und Endigungen verbundner Laute
abgehört wird, so ist die Darstellung des Tonelements nie so rein und
anschaulich, als durch die Buchstabenschrift, und die Lautanalyse,
wenn ihr auch nichts an Vollständigkeit und Genauigkeit abgienge,
macht nicht auf den Geist den Eindruck einer rein vollendeten Sprachtheilung.
Bei der inneren Wirkung der Sprachen aber, welche allein ihre
wahren Vorzüge bestimmt, kommt Alles auf das volle und reine Wirken
jedes Eindrucks an, und der geringste, im äusseren Erfolg gar nicht bemerkbare
75Mangel an einem von beiden ist von Erheblichkeit. Das alphabetische
Lesen und Schreiben dagegen nöthigt in jedem Augenblick
zum Anerkennen der zugleich dem Ohr und dem Auge fühlbaren Lautelemente,
und gewöhnt an die leichte Trennung und Zusammensetzung
derselben; es macht daher eine vollendet richtige Ansicht der Theilbarkeit
der Sprache in ihre Elemente in eben dem Grade allgemein, in welchem
es selbst über die Nation verbreitet ist

Zunächst äussert sich diese berichtigte Ansicht in der Aussprache,
die, durch das Erkennen und Ueben der Lautelemente in abgesonderter
Gestalt, befestigt und geläutert wird. So wie für jeden Laut ein Zeichen
gegeben ist, gewöhnen sich das Ohr und die Sprachorgane, ihn immer
genau auf dieselbe Weise zu fordern und wiederzugeben; zugleich wird
er, mit Abschneidung des unbestimmten Tönens, mit dem, im ungebildeten
Sprechen, ein Laut in den andren überfliesst, schärfer und richtiger
begränzt. Diese reinere Aussprache, die feine Ausbildung des Ohrs
und der Sprachwerkzeuge ist schon an sich, und in ihrer Wirkung auch
auf das Innre der Sprache von der äussersten Wichtigkeit; die Absonderung
der Lautelemente übt aber auch einen noch tiefer in das Wesen der
Sprache eingehenden Einfluss aus.

Sie führt nemlich der Seele die Articulation der Töne vor, indem sie
die articulirten Töne vereinzelt und bezeichnet. Die alphabetische Schrift
thut dies klarer und anschaulicher, als es auf irgend einem andren Wege
geschehen könnte, und man behauptet nicht zu viel, wenn man sagt, dass
durch das Alphabet einem Volke eine ganz neue Einsicht in die Natur der
Sprache aufgeht. Da die Articulation das Wesen der Sprache ausmacht,
die ohne dieselbe nicht einmal möglich seyn würde, und der Begriff der
Gliederung sich über ihr ganzes Gebiet, auch wo nicht bloss von Tönen
die Rede ist, erstreckt; so muss die Versinnlichung und Vergegenwärtigung
des gegliederten Tons vorzugsweise mit der ursprünglichen Richtigkeit
und der allmählichen Entwicklung des Sprachsinnes in Zusammenhang
stehen. Wo dieser stark und lebendig ist, wird ein Volk aus
eignem Drange der Erfindung des Alphabets entgegengehen, und wo ein
Alphabet einer Nation von der Fremde her zukommt, wird es die Sprachausbildung
in ihr befördern und beschleunigen.

Obgleich der articulirte Laut körperlich und instinctartig hervorgebracht
ist, so stammt sein Wesen doch eigentlich nur aus der inneren
Seelenanlage zur Sprache, die Sprachwerkzeuge besitzen bloss die Fähigkeit,
sich dem Drange dieser gemäss zu gestalten. Eine Definition
des articulirten Lauts, bloss nach seiner physischen Beschaffenheit,
ohne die Absicht oder den Erfolg seiner Hervorbringung darin aufzunehmen,
scheint mir daher unmöglich. Er ist ein sich einzeln abschneidender
Laut, nicht ein verbundnes und vermischtes Tönen oder
Schmettern, wie die meisten Gefühllaute. Sein charakteristischer Unterschied
76liegt nicht, musikalisch, in der Höhe und Tiefe, da er durch
die ganze Tonleiter hindurch angestimmt werden kann. Derselbe beruht
ebensowenig auf der Dehnung und Verkürzung, Helligkeit oder
Dumpfheit, Härte oder Weiche, da diese Verschiedenheiten theils Eigenschaften
aller articulirten Töne seyn können, theils Gattungen derselben
bilden. Versucht man nun aber die Unterschiede zwischen a und
e, p und k u. s. w. auf einen allgemeinen sinnlichen Begriff zurückzuführen,
so ist mir wenigstens bis jetzt dies immer mislungen. Es bleibt
nichts übrig, als überhaupt zu sagen, dass diese Töne, unabhängig von
jenen Kennzeichen, dennoch specifisch verschieden sind, oder dass ihr
Unterschied aus einem bestimmten Zusammenwirken der Organe entsteht,
oder eine andre ähnliche Beschreibung zu versuchen, die aber nie
eine wahre Definition giebt. Erschöpfend und ausschliessend wird ihr
Wesen immer nur dadurch geschildert, dass man ihnen die Eigenschaft
zuschreibt, unmittelbar durch ihr Ertönen Begriffe hervorzubringen,
indem theils jeder einzelne dazu gebildet ist, theils die Bildung des einzelnen
eine in bestimmbaren Classen bestimmbare Anzahl gleichartiger,
aber specifisch verschiedner möglich macht und fordert, welche nothwendige
oder willkührliche Verbindungen mit einander einzugehen geeignet
sind. Hierdurch ist jedoch nicht mehr gesagt, als dass articulirte
Laute Sprachlaute und umgekehrt sind.

Die Sprache aber liegt in der Seele, und kann sogar bei widerstrebenden
Organen und fehlendem äusseren Sinn hervorgebracht werden. Dies
sieht man bei dem Unterrichte der Taubstummen, der nur dadurch möglich
wird, dass der innere Drang der Seele, die Gedanken in Worte zu
kleiden, demselben entgegenkommt, und vermittelst erleichternder Anleitung
den Mangel ersetzt, und die Hindernisse besiegt. Aus der individuellen
Beschaffenheit dieses Dranges, verständliche Laute hervorzubringen,
aus der Individualität des Lautgefühls (überhaupt in Hinsicht
des Lautes, als solchen, des musikalischen Tons und der Articulation),
und endlich aus der Individualität des Gehörs und der Sprachwerkzeuge
entsteht das besondre Lautsystem jeder Sprache, und wird, sowohl durch
seine ursprüngliche Gleichartigkeit mit der ganzen Sprachanlage des Individuums,
als in seinen tausendfachen, einzeln gar nicht zu verfolgenden
Einflüssen auf alle Theile des Sprachbaues, die Grundlage der besondren
Eigenthümlichkeit der ganzen Sprache selbst. Die aus der Seele
heraustönende specifische Sprachanlage verstärkt sich in ihrer Eigenthümlichkeit,
indem sie wieder ihr eignes Tönen, als etwas fremdes Erklingendes,
vernimmt.

Wenn gleich jede wahrhaft menschliche Thätigkeit der Sprache bedarf,
und diese sogar die Grundlage aller ausmacht, so kann doch eine
Nation die Sprache mehr oder weniger eng in das System ihrer Gedanken
und Empfindungen verweben. Es beruht dies auch nicht bloss, wie
77man wohl zuweilen zu glauben pflegt, auf ihrer Geistigkeit überhaupt,
ihrer mehr oder weniger sinnigen Richtung, ihrer Neigung zu Wissenschaft
und Kunst, noch weniger auf ihrer Cultur, einem höchst vieldeutigen,
und mit der grössesten Behutsamkeit zu brauchenden Worte.
Eine Nation kann in allen diesen Rücksichten vorzüglich seyn, und dennoch
der Sprache kaum das ihr gebührende Recht einräumen.

Der Grund davon liegt in Folgendem. Wenn man sich das Gebiet der
Wissenschaft und Kunst auch völlig abgesondert von Allem denkt, was
sich auf die Anordnung des physischen Lebens bezieht, so giebt es für
den Geist doch mehrere Wege dahin zu gelangen, von denen nicht jeder
die Sprache gleich stark und lebendig in Anspruch nimmt. Diese lassen
sich theils nach Gegenständen der Erkenntniss bestimmen, wobei ich
nur an die bildende Kunst und die Mathematik zu erinnern brauche,
theils nach der Art des geistigen Triebes, der mehr die sinnliche Anschauung
suchen, trocknem Nachdenken nachhängen, oder sonst eine,
nicht der ganzen Fülle und Feinheit der Sprache bedürfende Richtung
nehmen kann.

Zugleich liegt, wie schon oben bemerkt ist, auch in der Sprache ein
Doppeltes, durch welches das Gemüth nicht immer in der nothwendigen
Vereinigung berührt wird; sie bildet Begriffe, führt die Herrschaft
des Gedanken in das Leben ein, und thut es durch den Ton. Die geistige
Anregung, die sie bewirkt, kann dahin führen, dass man, vorzugsweise
von dem Gedanken getroffen, ihn zugleich auf einem andren, unmittelbareren
Wege, entweder sinnlicher, oder reiner, unabhängiger von einem,
als zufällig erscheinenden Schall, aufzufassen versucht; alsdann
wird das Wort nur als Nebenhülfe behandelt. Es kann aber auch gerade
der in Töne gekleidete Gedanke die Hauptwirkung auf das Gemüth ausüben,
gerade der Ton, zum Worte geformt, begeistern, und alsdann ist
die Sprache die Hauptsache, und der Gedanke erscheint nur als hervorspriessend
aus ihr, und untrennbar in sie verschlungen.

Wenn man daher die Sprachen mit der Individualität der Nationen
vergleicht, so muss man zwar zuerst die geistige Richtung derselben
überhaupt, nachher aber immer vorzüglich den eben erwähnten Unterschied
beachten, die Neigung zum Ton, das feine Unterscheidungsgefühl
seiner unendlichen Anklänge an den Gedanken, die leise Regsamkeit,
durch ihn gestimmt zu werden, dem Gedanken tausendfache Formen zu
geben, auf welche, gerade weil sie in der Fülle seines sinnlichen Stoffes
ihre Anregung finden, der Geist von oben herab, durch Gedankeneintheilung
nie zu kommen vermöchte. Es liesse sich leicht zeigen, dass diese
Richtung für alle geistige Thätigkeiten die am gelingendsten zum Ziel
führende seyn muss, da der Mensch nur durch Sprache Mensch, und die
Sprache nur dadurch Sprache ist, dass sie den Anklang zu dem Gedanken
allein in dem Wort sucht. Wir können aber dies für jetzt übergehen,
78und nur dabei stehen bleiben, dass die Sprache wenigstens auf keinem
Wege eine grössere Vollkommenheit erlangen kann, als auf diesem. Was
nun die Articulation der Laute, oder, wie man sie auch nennen kann, ihre
gedankenbildende Eigenschaft hervorhebt, und ins Licht stellt, wird in
dieser geistigen Stimmung begierig gesucht oder ergriffen werden, und
so muss die Buchstabenschrift, welche die Articulation der Laute, zuerst
bei dem Aufzeichnen, hernach bei allgemein werdender Gewohnheit, bei
dem innersten Hervorbringen der Gedanken, der Seele unablässig vorführt,
in dem engsten Zusammenhange mit der individuellen Sprachanlage
jeder Nation stehen. Auch erfunden oder gegeben, wird sie ihre volle
und eigenthümliche Wirkung nur da ausüben, wo ihr die dunkle
Empfindung des Bedürfnisses nach ihr schon vorangieng.

So unmittelbar an die innerste Natur der Sprache geknüpft, übt sie
nothwendig ihren Einfluss auf alle Theile derselben aus, und wird von
allen Seiten her in ihr gefordert. Ich will jedoch nur an zwei Punkte erinnern,
mit welchen ihr Zusammenhang vorzüglich einleuchtend ist, an
die rhythmischen Vorzüge der Sprachen, und die Bildung der grammatischen
Formen.

Ueber den Rhythmus ist es in dieser Beziehung kaum nöthig, etwas
hinzuzufügen. Das reine und volle Hervorbringen der Laute, die Sonderung
der einzelnen, die sorgfältige Beachtung ihrer eigenthümlichen
Verschiedenheit kann da nicht entbehrt werden, wo ihr gegenseitiges
Verhältniss die Regel ihrer Zusammenreihung bildet. Es hat gewiss
rhythmische Dichtung bei allen Nationen vor dem Gebrauch einer
Schrift gegeben, auch regelmässig sylben-messende bei einigen, und bei
wenigen, vorzüglich glücklich organisirten hohe Vortreflichkeit in dieser
Behandlung. Es muss diese aber unläugbar durch das Hinzukommen
des Alphabetes gewinnen, und vor dieser Epoche zeugt sie selbst
schon von einem solchen Gefühl der Natur der einzelnen Sprachlaute,
dass eigentlich nur das Zeichen dafür noch mangelt, wie auch in andren
Bestrebungen der Mensch oft erst von der Hand des Zufalls den sinnlichen
Ausdruck für dasjenige erwarten muss, was er geistig längst in sich
trägt. Denn bei der Würdigung des Einflusses der Buchstabenschrift auf
die Sprache ist vorzüglich das zu beachten, dass auch in ihr eigentlich
zweierlei liegt, die Sonderung der articulirten Laute, und ihre äussren
Zeichen. Wir haben schon oben, bei Gelegenheit der Chinesen, bemerkt,
und die Behauptung lässt sich, unter Umständen, auch auf wahrhaft
alphabetische Schrift ausdehnen, dass nicht jeder Gebrauch einer
Lautbezeichnung den entscheidenden Einfluss auf die Sprache hervorbringt,
den die Auffassung der Buchstabenschrift in ihrem wahren
Geist einer Nation und ihrer Sprache allemal zusichert. Wo dagegen,
auch noch ohne den Besitz alphabetischer Zeichen, durch die hervorstechende
Sprachanlage eines Volks jene innere Wahrnehmung des articulirten
79Lauts (gleichsam der geistige Theil des Alphabets) vorbereitet
und entstanden ist, da geniesst dasselbe, schon vor der Entstehung der
Buchstabenschrift, eines Theils ihrer Vorzüge.

Daher sind Sylbenmasse, die sich, wie der Hexameter und der sechzehnsylbige
Vers der Slocas aus dem dunkelsten Alterthum her auf uns
erhalten haben, und deren blösser Sylbenfall noch jetzt das Ohr in einen
unnachahmlichen Zauber wiegt, vielleicht noch stärkere und sichrere
Beweise des tiefen und feinen Sprachsinns jener Nationen, als die
Ueberbleibsel ihrer Gedichte selbst. Denn so eng auch die Dichtung mit
der Sprache verschwistert ist, so wirken doch natürlich mehrere Geistesanlagen
zusammen auf sie; die Auffindung einer harmonischen Verflechtung
von Sylben-Längen und Kürzen aber zeugt von der Empfindung
der Sprache in ihrer wahren Eigenthümlichkeit, von der
Regsamkeit des Ohrs und des Gemüths, durch das Verhältniss der Articulationen
dergestalt getroffen und bewegt zu werden, dass man die
einzelnen in den verbundnen unterscheidet, und ihre Tongeltung bestimmt
und richtig erkennt.

Dies liegt allerdings zum Theil auch in dem, der Sprache nicht unmittelbar
angehörenden musikalischen Gefühl. Denn der Ton besitzt
die glückliche Eigenthümlichkeit, das Idealische auf zwei Wegen, durch
die Musik und die Sprache, berühren, und diese beiden mit einander
verbinden zu können, woher der von Worten begleitete Gesang wohl
unbestreitbar im ganzen Gebiete der Kunst, weil sich zwei ihrer bedeutendsten
Formen in ihm vereinen, die vollste und erhebendste Empfindung
hervorbringt. Je lebendiger aber jene Sylbenmasse auch für die
musikalische Anlage ihrer Erfinder sprechen, desto mehr zeugen sie
von der Stärke ihres Sprachsinnes, da gerade durch sie dem articulirten
Laut, also der Sprache, neben der hinreissenden Gewalt der Musik, sein
volles Recht erhalten wird. Denn die antiken Sylbenmasse unterscheiden
sich eben dadurch am allgemeinsten von den modernen, dass sie,
auch in dem musikalischen Ausdruck, den Laut immer wahrhaft als
Sprachlaut behandeln, die wiederkehrende, vollständige oder unvollständige
Gleichheit verbundner Laute (Reim und Assonanz), die auf
den blossen Klang hinausläuft, verschmähen, und nur sehr selten die
Sylben gegen ihre Natur, bloss der Gewalt des Rhythmus gehorchend,
zu dehnen oder zu verkürzen erlauben, sondern genau dafür sorgen,
dass sie in ihrer natürlichen Geltung, klar und unverändert austönend,
harmonisch zusammenklingen.

Die Beugung, auf welcher das Wesen der grammatischen Formen
beruht, führt nothwendig auf die Unterscheidung und Beachtung der
einzelnen Articulationen. Wenn eine Sprache nur bedeutsame Laute an
einander knüpft, oder es wenigstens nicht versteht, die grammatischen
Bezeichnungen mit den Wörtern fest zusammenzuschmelzen, so hat sie
80es nur mit Lautganzen zu thun, und wird nicht zu der Unterscheidung
einer einzelnen Articulation, wie durch das Erscheinen des nemlichen,
nur in seinen Beugungen verschiednen Wortes angeregt. So wie daher
Feinheit und Lebendigkeit des Sprachsinnes zu festen grammatischen
Formen führen, so befördern diese die Anerkennung des Alphabetes,
als Lauts, welcher hernach leichter die Erfindung, oder fruchtbarere
Benutzung der sichtbaren Zeichen folgt. Denn wo sich ein Alphabet zu
einer grammatisch noch unvollkommneren Sprache gesellt, kann Beugung
durch Hinzufügung und Umänderung einzelner Buchstaben gebildet,
die vorhandne sichrer bewahrt, und die noch halb in Anfügung begriffne
reiner abgeschieden werden.

Wodurch aber die Buchstabenschrift noch viel wesentlicher, obgleich
nicht so sichtlich an einzelnen Beschaffenheiten erkennbar, auf die Sprache
wirkt, ist dadurch, dass sie allein erst die Einsicht in die Gliederung
derselben vollendet, und das Gefühl davon allgemeiner verbreitet. Denn
ohne die Unterscheidung, Bestimmung und Bezeichnung der einzelnen
Articulationen, werden nicht die Grundtheile des Sprechens erkannt,
und der Begriff der Gliederung wird nicht durch die ganze Sprache
durchgeführt. Jeden in einem Gegenstande liegenden Begriff aber vollständig
durchzuführen, ist überhaupt und überall von der grössesten
Wichtigkeit, und noch mehr da, wo der Gegenstand, wie die Sprache,
ganz ideal ist, und wo, theils zugleich, theils nach einander, der Instinct
handelt, das Gefühl ahndet, der Verstand einsieht, und die Verstandeseinsicht
wieder auf das Gefühl, und dieses auf den Instinct berichtigend
zurückwirkt. Die Folgen des Mangels davon erstrecken sich weit über
den unvollendet bleibenden Theil hinaus, bei den Sprachen ohne Buchstabenschrift,
und ohne sichtbare Spuren eines nach derselben empfundnen
Bedürfnisses, nicht bloss auf die richtige und vollständige Einsicht in
die Articulation der Laute, sondern über die ganze Art ihres Baues und
ihres Gebrauchs. Die Gliederung ist aber gerade das Wesen der Sprache;
es ist nichts in ihr, das nicht Theil und Ganzes seyn könnte, die Wirkung
ihres beständigen Geschäfts beruht auf der Leichtigkeit, Genauigkeit
und Uebereinstimmung ihrer Trennungen und Zusammensetzungen.
Der Begriff der Gliederung ist ihre logische Function, so wie die des
Denkens selbst. Wo also, vermöge der Schärfe des Sprachsinnes, in einem
Volk die Sprache in ihrer ächten, geistigen und tönenden Eigenthümlichkeit
empfunden wird, da wird dasselbe angeregt, bis zu ihren
Elementen, den Grundlauten, vorzudringen, dieselben zu unterscheiden
und zu bezeichnen, oder mit andren Worten, Buchstabenschrift zu erfinden,
oder sich darbietende begierig zu ergreifen.

Richtigkeit der intellectuellen Ansicht der Sprache, von Lebendigkeit
und Feinheit zeugende Bearbeitung ihrer Laute, und Buchstabenschrift
erheischen und befördern sich daher gegenseitig, und vollenden,
81vereint, die Auffassung und Bildung der Sprache in ihrer ächten Eigenthümlichkeit.
Jeder Mangel an einem dieser drei Punkte wird in ihrem
Bau, oder ihrem Gebrauche fühlbar, und wo die natürliche Einwirkung
der Dinge nicht durch besondre Umstände Abweichungen erfährt, da
darf man sie vereint, und noch verbunden mit Festigkeit grammatischer
Formen und rhythmischer Kunst anzutreffen hoffen.

Die hier gemachte Einschränkung beugt dem Bestreben vor, dasjenige,
was sich theoretisch ergiebt, nun auch durch die Geschichte der
Völker (sollte man es ihr auch aufdringen müssen) sogleich beweisen,
oder voreilig widerlegen zu wollen. Darum darf aber die Entwicklung
aus blossen Begriffen, wenn sie nur sonst richtig und vollständig ist,
nicht unnütz genannt werden. Sie muss vielmehr, wo es nur irgend angeht,
die Prüfung der Thatsachen begleiten, und ihr die Punkte der Untersuchung
bestimmen helfen. Nach dem im Vorigen über den Zusammenhang
des Sprachbaues mit der Buchstabenschrift Gesagten, werden
erschöpfende Untersuchungen über die Verbreitung der letzteren nicht
von der Geschichte der Sprachen selbst getrennt werden dürfen, und es
wird überall auf die Frage ankommen: ob es die Beschaffenheit der
Sprache, und die sich in ihr ausdrückende Sprachanlage der Nation,
oder andre Umstände waren, welche wesentlich auf die Art der Erfindung
oder Aneignung eines Alphabets einwirkten? inwiefern diese Entstehungsweise
die Beschaffenheit desselben bestimmte oder veränderte,
und welche Spuren es, bei allgemein gewordenem Gebrauch, in der
Sprache zurückliess?

Es kann hier nicht meine Absicht seyn, nach der bis jetzt versuchten
Entwicklung aus Ideen, noch in eine historische Untersuchung der
Sprachen in Beziehung auf die Schriftmittel, deren sie sich bedienen,
einzugehen. Nur um im Ganzen den behaupteten Zusammenhang zwischen
der Buchstabenschrift und der Sprache auch an einer Thatsache
zu erläutern, sey es mir erlaubt, diese Abhandlung mit einigen Betrachtungen
über die Amerikanischen Sprachen in dieser Hinsicht zu beschliessen.

Man kann es als eine Thatsache annehmen, dass sich in keinem Theile
Amerika's eine Spur einer Buchstabenschrift gezeigt hat, obgleich es
bisweilen behauptet oder vermuthet worden ist. Unter den Mexicanischen
Hieroglyphen findet sich zwar eine, zum Theil den Chinesischen
Coua's ähnliche Gattung, die noch nicht genau erläutert ist, und dies,
bei den wenigen vorhandnen Ueberbleibseln, auch wahrscheinlich
nicht zulässt; wären aber darin auf irgend eine Weise Lautzeichen, so
würden die Nachrichten, die wir über das Land und seine Geschichte
besitzen, davon Spuren enthalten. Man könnte zwar hier die Einwendung
machen, dass auch von Buchstabenzeichen in den Hieroglyphen
das Alterthum schweigt. Allein hier ist der Fall durchaus anders. Dass
82Aegypten Buchstabenschrift besass, fieng nur in den allerneuesten Zeiten
an bezweifelt zu werden, als man auch die demotische Schrift für
Begriffszeichen erklärte, sonst gab es eine Menge von Zeugnissen, die
es bewiesen, oder vermuthen liessen. Nur darüber stritt man, welche
unter den Aegyptischen Schriftarten die alphabetische gewesen sey,
oder suchte vielmehr den Sitz dieser bloss in der obengenannten demotischen.

Dass in Amerika ein Zustand früherer Cultur über die ältesten Anfänge
der uns bekannten Geschichte hinaus untergegangen ist, beweist
eine Reihe von Denkmälern, theils in Gebäuden, theils in künstlicher
Bearbeitung des Erdbodens, die sich von den grossen Seen des nördlichen
Theiles bis zur südlichsten Gränze Peru's erstrecken, von welchen
ich zu einem andren Zweck theils aus der Reise meines Bruders, der
ihre Gränzen, die Mittelpunkte dieser Civilisation, und den Strich, dem
sie folgt, genau angiebt, und die Ursachen des letzteren sehr glücklich
nachweist, theils aus andren Quellen, vorzüglich den Werken der ersten
Eroberer, ein Verzeichniss zusammengetragen habe.

Meine Aufmerksamkeit bei der Untersuchung der Amerikanischen
Sprachen ist daher immer zugleich darauf gerichtet gewesen, ob ihr Bau
Spuren des Gebrauchs verloren gegangner Alphabete an sich trage? Ich
habe jedoch nie dergleichen angetroffen; vielmehr ist der Organismus
dieser Sprachen gerade von der Art, dass man, von den obigen allgemeinen
Betrachtungen über den Zusammenhang der Sprache mit der
Buchstabenschrift ausgehend, recht füglich begreifen kann, dass weder
sie zur Erfindung eines Alphabets führten, noch auch, wenn sich ein
solches dargeboten hätte, eine mehr als gleichgültige Aneignung desselben
erfolgt seyn würde. Die Aufnahme der nach Amerika gekommenen
Europaeischen Schrift beweist indess freilich hierfür nichts. Denn die
unglücklichen Nationen wurden gleich so niedergedrückt, und ihre
edelsten Stämme grossentheils dergestalt ausgerottet, dass an keine
freie, wenigstens keine geistige nationelle Thätigkeit zu denken war. Einige
Mexicaner ergriffen aber wirklich das neue Aufzeichnungsmittel,
und hinterliessen Werke in der einheimischen Sprache.

Alle Vortheile des Gebrauchs der Buchstabenschrift beziehen sich,
wie im Vorigen gezeigt ist, hauptsächlich auf die Form des Ausdrucks,
und vermittelst dieser, auf die Entwicklung der Begriffe, und die Beschäftigung
mit Ideen. Darin liegt ihre Wirkung, daraus entspringt das
Bedürfniss nach ihr. Gerade die Form des Gedankens aber wird durch
den Bau der Amerikanischen Sprachen, die zwar bei weitem nicht
die bisweilen behauptete, aber doch, und eben hierin, eine auffallende
Gleichartigkeit haben, nicht vorzüglich begünstigt, oft durchaus
vernachlässigt, und die Amerikanischen Volksstämme standen, auch
bei der Eroberung, und in ihren blühendsten Reichen, nicht auf der
83Stufe, wo im Menschen der Gedanke, als überall herrschend, hervortritt.

An die Seltenheit und zum Theil den gänzlichen Mangel solcher
grammatischen Bezeichnungen, die man ächte grammatische Formen
nennen könnte, will ich hier nur im Vorbeigehen noch einmal erinnern.
Aber ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich auch die nur durch
höchst seltne Abweichungen unterbrochne strenge und einförmige
Analogie dieser Sprachen, die Häufung aller durch einen Begriff gegebnen
Nebenbestimmungen, auch da, wo ihre Erwähnung nicht nothwendig
ist, die vorherrschende Neigung zu dem besondren Ausdruck, statt
des allgemeineren, hierher zähle. Der dauernde Gebrauch einer alphabetischen
Schrift würde, wie es mir scheint, nicht nur diese Dinge abgeändert
oder umgestaltet haben, sondern lebendigere nationelle Geistigkeit
hätte sich auch dieser unbehülflichen Fesseln zu entledigen
gewusst, die Begriffe in ihrer Allgemeinheit aufgefasst, die in dem Gedanken
und der Sprache liegende Gliederung energischer und angemessner
angewandt, und den Drang gefühlt, das ängstliche Aufbewahren
der Sprache im Gedächtniss durch Zeichen für das Auge zu sichern,
damit die Reflexion ruhiger über ihr walten, und der Gedanke sich in
festeren, aber mannigfaltiger wechselnden und freieren Formen bewegen
könnte. Denn wenn die Buchstabenschrift nicht die Bevölkerung
Amerika's begleitet hatte (insofern man nemlich überhaupt eine von der
Fremde her annimmt), so waren die Amerikanischen Nationen wohl
nur auf eigne Erfindung derselben zurückgewiesen, und da diese mit
ungemeinen Schwierigkeiten verbunden ist, so mag die lange Entbehrung
einer Buchstabenschrift nicht unbedeutend auf den Bau ihrer
Sprachen eingewirkt haben. Diese Einwirkung konnte auch noch dadurch
besonders modificirt werden, dass auch die Gattung der Schrift,
welche einige Amerikanische Völker wirklich besassen, nicht von der
Art war, bedeutenden Einfluss auf die Sprache und das Gedankensystem
auszuüben.

Ich berühre jedoch dies nur im Vorbeigehn, da, um wirklich darauf
fussen zu können, es eine Vergleichung der Sprachen Amerika's mit denen
der Völkerstämme andrer Welttheile, die sich gleichfalls keiner
Schriftzeichen bedienen, und mit der Chinesischen, der wenigstens alphabetische
fremd sind, nothwendig machen würde, zu welcher hier
nicht der Ort ist.

Dagegen liegt es den hier anzustellenden Betrachtungen näher, und
leuchtet von selbst ein, dass lange Entbehrung der Schrift die regelmässige
Einförmigkeit des Sprachbaues, die man fälschlich für einen Vorzug
hält, befördert. Abweichungen werden dem Gedächtniss mühevoller aufzubewahren,
vorzüglich wenn noch nicht hinreichendes Nachdenken
über die Sprache erwacht ist, um ihre inneren Gründe zu entdecken und
84zu würdigen, oder nicht genug Forschungsgeist, ihre bloss geschichtlichen
aufzusuchen. Das Vorherrschen des Gedächtnisses gewöhnt auch
die Seele an das Hervorbringen der Gedanken in möglichst gleichem
Gepräge, und der auf genaue Sprachuntersuchung gerichteten Aufmerksamkeit
endlich sind die Fälle nicht fremd, wo die Schrift selbst, das Aneinanderreihen
der Buchstaben, Abkürzungen und Veränderungen hervorbringt.

Man darf hiermit nicht verwechslen, dass die Schrift den Formen
auch mehr Festigkeit, und dadurch in andrer Rücksicht mehr Gleichförmigkeit
giebt. Dadurch wirkt sie vorzüglich nur der Spaltung in zu vielfältige
Mundarten entgegen, und schwerlich würden sich, bei anhaltendem
Schriftgebrauch, die den meisten Amerikanischen Sprachen eignen
Verschiedenheiten der Ausdrücke der Männer und Weiber, Kinder und
Erwachsnen, Vornehmen und Geringen erhalten haben. In demselben
Stamm und derselben Classe zeigen sonst gerade die Amerikanischen
Nationen ein bewunderungswürdiges Festhalten der gleichen Formen
durch die blosse Ueberlieferung. Man hat Gelegenheit, dies durch die
Vergleichung der Schriften der in die ersten Zeiten der Europaeischen
Ansiedelungen fallenden Missionarien mit der heutigen Art zu sprechen
zu bemerken. Vorzüglich bietet sich dieselbe bei den Nordamerikanischen
Stämmen dar, da man sich in den Vereinigten Staaten (und jetzt
leider nur dort) auf eine höchst beifallswürdige Weise um die Sprache
und das Schicksal der Eingebornen bemüht. Es wäre indess sehr zu
wünschen, dass sich die Aufmerksamkeit noch bestimmter auf diese
Vergleichung derselben Mundarten in verschiednen Zeiten richtete. Die
durch die Schrift hervorgebrachte Festigkeit ist daher mehr ein Verallgemeinern
der Sprache, welches nach und nach in die Bildung eines eignen
Dialects übergeht, und sehr verschieden von der Durchführung Einer
Regel durch eine Menge zwar ähnlicher, doch, Begriff und Ton genau
beachtet, nicht immer ganz gleicher Fälle, von der wir oben redeten.

Alles hier Gesagte findet auch auf das Zusammenhäufen zu vieler
Bestimmungen in Einer Form Anwendung, und wenn man den Gründen
tiefer nachgeht, so hängen die hier erwähnten Erscheinungen sämmtlich
von der mehr, oder weniger stark und eigenthümlich auf die Sprache
gerichteten Regsamkeit des Geistes ab, von welcher die Schrift zugleich
Beweis und befördernde Ursach ist. Wo diese Regsamkeit mangelt, zeigt
es sich in dem unvollkommeneren Sprachbau; wo sie herrscht, erfährt
dieser eine heilsame Umformung, oder kommt von Anfang an nicht zum
Vorschein. Mit dem einen und andren Zustande aber ist die Schrift, das
Bedürfniss nach ihr, die Gleichgültigkeit gegen sie, in beständiger Verbindung.

Bei der Aufzählung der Ursachen der Eigenthümlichkeit der Amerikanischen
Sprachen darf man aber auch die oben erwähnte Gleichartigkeit
85derselben, so wie die Absonderung Amerika's von den übrigen
Welttheilen nicht vergessen. Selbst wo entschieden verschiedne Sprachen
ganz nahe bei einander waren, wie im heutigen Neu-Spanien, habe
ich in ihrem Bau nie eine belebende oder gestaltende Einwirkung der
einen auf die andre an irgend einer sichren Spur bemerken können. Die
Sprachen vorzüglich gewinnen aber an Kraft, Reichthum und Gestaltung
durch das Zusammenstossen grosser und selbst contrastirender
Verschiedenheit, da auf diesem Wege ein reicherer Gehalt menschlichen
Daseyns, schon zu Sprache geformt, in sie übergeht. Denn dies nur ist
ihr realer Gewinn, der in ihnen, wie in der Natur, aus der Fülle schaffender
Kräfte entsteht, ohne dass der Verstand die Art dieses Schaffens ergründen
kann, aus der Anschauung, der Einbildungskraft, dem Gefühl.
Nur von diesen hat sie Stoff und Bereicherung zu erwarten; von der
Bearbeitung durch den Verstand, wenn dieselbe darüber hinausgeht,
dem Stoff seine volle Geltung in klarem und bestimmtem Denken zu
verschaffen, eher Trockenheit und Dürftigkeit zu fürchten. Die Schrift
nun kann sich leichter verbreiten, selbst leichter entstehen, wo verschiedne
Völkereigenthümlichkeit sich lebendig gegeneinander bewegt;
einmal entstanden und ausgebildet, kann sie aber auch, wie die logische
Bearbeitung, zu der sie am mächtigsten mitwirkt, der Lebendigkeit der
Sprache, und ihrer Einwirkung auf den Geist nachtheilig werden.

Bei den Amerikanischen Völkerstämmen lag aber dasjenige, was sie,
da ihnen Buchstabenschrift einmal nicht von aussen zugekommen war,
von derselben fern hielt, freilich vorzüglich noch im Mangel geistiger
Bildung, ja nur intellectueller Richtung überhaupt. Davon geben die
Mexicaner ein auffallendes Beispiel. Sie besassen, wie die Aegyptier,
Hieroglyphen-Bilder und Schrift, machten aber nie die beiden wichtigen
Schritte, wodurch jenes Volk der alten Welt gleich seine tiefe Geistigkeit
bewies, die Schrift von dem Bilde zu sondern, und das Bild als
sinniges Symbol zu behandeln, Schritte, welche, aus der geistigen Individualität
des Volks entspringend, der ganzen Aegyptischen Schrift ihre
bleibende Form gaben, und die man, wie es mir scheint, nicht als bloss
stufenweis fortgehende Entwicklung des Gebrauchs der Bilderschrift
ansehen darf, sondern die geistigen Funken gleichen, die, plötzlich umgestaltend,
in einer Nation oder einem Individuum sprühen. Die Mexicanische
Hieroglyphik gelangte ebensowenig zur Kunstform. Und doch
scheinen mir die Mexicaner unter den uns bekannt gewordnen Amerikanischen
Nationen an Charakter und Geist die vorzüglichsten zu seyn,
und namentlich die Peruaner weit übertroffen zu haben, so wie ich auch
glaube, die Vorzüge ihrer Sprache vor der Peruanischen beweisen zu
können. Die Grässlichkeit ihrer Menschenopfer zeigt sie allerdings in
einer unglaublich rohen und abschreckenden Gestalt. Allein die kalte
Politik, mit welcher die Peruaner, nach blossen Einfällen ihrer Regenten,
86unter dem Schein weiser Bevormundung, ganze Nationen ihren
Wohnsitzen entrissen, und blutige Kriege führten, um, soweit sie zu reichen
vermochten, den Völkern das Gepräge ihrer mönchischen Einförmigkeit
aufzudrücken, ist kaum weniger grausam zu nennen. In der Mexicanischen
Geschichte ist regere und individuellere Bewegung, die,
wenn auch die Leidenschaften Rohheit verrathen, sich doch, bei hinzukommender
Bildung, zu höherer Geistigkeit erhebt. Die Ansiedlung der
Mexicaner, die Reihe ihrer Kämpfe mit ihren Nachbarn, die siegreiche
Erweiterung ihres Reichs erinnert an die Römische Geschichte. Von
dem Gebrauch ihrer Sprache in Dichtkunst und Beredsamkeit lässt sich
nicht genau urtheilen, da, was auch von Reden, im Rath und bei häuslichen
Veranlassungen, in den Schriftstellern vorkommt, schwerlich hinlänglich
treu aufgefasst ist. Allein es lässt sich sehr wohl denken, dass,
vorzüglich in den politischen, dem Ausdruck weder Scharfsinn, noch
Feuer, noch hinreissende Gewalt jeder Empfindung gefehlt haben mag.
Findet sich doch dies alles noch in unsren Tagen in den Reden der
Häuptlinge der Nord-Amerikanischen wilden Horden, deren Aechtheit
nicht zu bezweifeln scheint, und wo diese Vorzüge gerade nicht können
aus dem Umgange mit Europaeern abgeleitet werden. Da Alles, was
den Menschen bewegt, in seine Sprache übergeht, so muss man wohl
die Stärke und Eigenthümlichkeit der Empfindungsweise und des Charakters
im Leben überhaupt von der intellectuellen Richtung und der
Neigung zu Ideen unterscheiden. Beides strahlt in dem Ausdruck wieder,
aber auf die Gestaltung und den Bau der Sprache kann doch, ohne
das letztere, nicht mächtig und dauernd gewirkt werden.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass, wenn auch das Mexicanische und
Peruanische Reich noch Jahrhunderte hindurch unerobert von Fremden
bestanden hätte, diese Nationen doch nicht würden aus sich selbst zur
Buchstabenschrift gelangt seyn. Die Bilderschrift und die Knotenschnüre,
welche beide besassen, von welchen aber, aus noch nicht gehörig klar
gewordenen Ursachen, jene bei den Mexicanern, diese bei den Peruanern
ausschliesslich im Staats- und eigentlichen Nationalgebrauch blieben,
erfüllten die äussren Zwecke der Gedanken-Aufzeichnung, und ein innres
Bedürfniss nach vollkommneren Mitteln wäre schwerlich erwacht.

Ueber die Knotenschnüre, die auch in andren Gegenden Amerika's,
ausserhalb Peru und Mexico, üblich waren, und die auf Vermuthungen
eines Zusammenhanges der Bevölkerung Amerika's mit China, so wie
die Hieroglyphen mit Aegypten geführt haben, werde ich an einem andren
Orte die Nachrichten, die sich von ihnen finden, zusammenstellen.
Sie sind allerdings sehr mangelhaft, aber doch hinreichend, einen bestimmteren
und genaueren Begriff von dieser Gattung von Zeichen zu
geben, als man durch Robertson's, und andrer neuerer Schriftsteller Berichte
erhält. Ihre Bedeutung lag in der Zahl ihrer Knoten, der Verschiedenheit
87ihrer Farben, und vermuthlich auch der Art ihrer Verschlingung.
Diese Bedeutung war jedoch wohl nicht überall dieselbe, sondern verschieden
nach den Gegenständen, und man musste vermuthlich, um sie
zu erkennen, wissen, von wem die Mittheilung herrührte, und was sie
betraf. Denn es waren auch der Aufbewahrung dieser Schnüre, nach der
Verschiedenheit der Verwaltungszweige, verschiedne Beamte vorgesetzt.
Ihre Entzifferung endlich war künstlich, und sie bedurften eigener
Ausleger. Sie scheinen daher im Allgemeinen mit den Kerbstöcken in
Eine Classe zu gehören, allein durch einen Grad sehr hoher Vervollkommnung
künstliche Mittel, zuerst, mnemonisch, der Erinnerung, hernach,
wenn der Schlüssel des Zusammenhanges der Zeichen mit dem
Bezeichneten bekannt war, der Mittheilung gewesen zu seyn. Es bleibt
nur zweifelhaft, in welchem Grade sie sich von subjectiven Verabredungen
für bestimmte und genau bedingte Fälle zu wirklichen Gedankenzeichen
erhoben. Dass sie beides zugleich waren, ist offenbar, da z.B. in
denjenigen, durch welche die Richter von der Art und Menge der verhängten
Bestrafungen Nachricht gaben, die Farben der Schnüre die Verbrechen,
die Knoten die Arten der Strafen andeuteten. Ob aber in ihnen
auch ein allgemeinerer Gedankenausdruck möglich war, ist nicht klar,
und sehr zu bezweifeln, da die Verschlingung auch farbiger Schnüre
keine hinlängliche Mannigfaltigkeit von Zeichen zu gewähren scheint.

Dagegen lagen in dieser Kunst der Knotenschnüre vielleicht besondre
Methoden der Gedächtnisshülfe oder Mnemonik, wie sie auch dem
classischen Alterthum nicht fremd waren. Diese scheinen bei den Peruanern
wirklich üblich gewesen zu seyn. Denn es wird erzählt, dass
Kinder, um ihnen von den Spaniern mitgetheilte Gebetsformeln zu behalten,
farbige Steine an einander reiheten, also, nur mit andren Gegenständen,
ein den Knotenschnüren ähnliches Verfahren beobachteten. In
dieser Voraussetzung waren die Knotenschnüre allerdings Schrift im
weitläuftigeren Sinne des Worts, entfernten sich doch aber sehr von diesem
Begriff, da das Verständniss bei der Mittheilung in der Entfernung
auf der Kenntniss der äusseren Umstände beruhte, und wo sie zu geschichtlicher
Ueberlieferung dienten, dem Gedächtniss doch die hauptsächlichste
Arbeit blieb, der die Zeichen nur zu Hülfe kamen, die Fortpflanzung
mündlicher Erklärung hinzutreten musste, und die Zeichen
nicht eigentlich und vollständig (wie es die Schrift, wenn nur der
Schlüssel ihrer Bedeutung gegeben ist, doch thun soll) den Gedanken
durch sich selbst aufbewahrten.

Mit Sicherheit lässt sich jedoch hierüber kein Urtheil fällen. Ich bin
auch nur darum in die vermuthliche Beschaffenheit dieser Knotenschnüre,
von welchen sich noch im vorigen Jahrhundert einer (aber ein
Mexicanischer) in der Boturinischen Sammlung befand, eingegangen,
um zu zeigen, auf welche Weise die Völker Amerika's die doppelte Art
88der Zeichen kannten, zu welcher alle Schrift, wie sie seyn mag, gehört,
die durch sich selbst verständliche der Bilder, und die durch willkührlich
für das Gedächtniss gebildete Ideenverknüpfung, wo das Zeichen
durch etwas Drittes (den Schlüssel der Bezeichnung) an das Bezeichnete
erinnert. Die Unterscheidung dieser beiden Gattungen, die da in einander
übergehen, wo die allegorisirende Bilderschrift auch ihre unmittelbare
Verständlichkeit aufgiebt, und die, der Masse nach, und im
Fortschreiten willkührlich scheinenden Zeichen zum Theil ursprünglich
Bilder waren, ist aber, und gerade in Rücksicht auf die Sprache, von
erheblicher Wichtigkeit, wie man an der Mexicanischen und Peruanischen
zeigen kann.

Die Mexicanischen Hieroglyphen hatten einen nicht geringen Grad
der Vollkommenheit erreicht; sie bewahrten offenbar den Gedanken
durch sich selbst, da sie noch heute verständlich sind, sie unterschieden
sich auch bisweilen deutlich von blossen Bildern. Denn wenn auch z. B.
der Begriff der Eroberung in ihnen meistentheils durch den Kampf
zweier Krieger vorgestellt wird, so findet man doch auch den sitzenden
König mit seinem Namenszeichen, dann Waffen, als Trophaeen gebildet,
und das Sinnbild der eroberten Stadt, welches zusammengenommen
die deutliche Phrase: der König eroberte die Stadt, und eine viel
bestimmter ausgedruckte ist, als die berühmte Saitische Inschrift, die
als die einzige angeführt zu werden pflegt, wo sich in dem Zeugniss des
Alterthums zugleich Bedeutung und Zeichen erhalten haben. Man sieht
auch aus dem eben Gesagten, dass es nicht an Mitteln fehlte, auch Namen
zu schreiben, und man daher auf dem Wege war, Lautzeichen in
der Art der Chinesischen zu besitzen. Dennoch ist sehr zu bezweifeln,
ob die Mexicanische Hieroglyphik jemals wahre Schrift geworden ist.

Denn wahre Schrift kann man nur diejenige nennen, welche bestimmte
Wörter in bestimmter Folge andeutet, was, auch ohne Buchstaben,
durch Begriffszeichen, und selbst durch Bilder möglich ist. Nennt
man dagegen Schrift im weitläufigsten Verstande jede Gedanken-Mittheilung,
die durch Laute geschieht, d. h. bei welcher der Schreibende
sich Worte denkt, und welche der Lesende in Worte, wenn gleich nicht
in dieselben, übersetzt (eine Bestimmung, ohne die es gar keine Gränze
zwischen Bild und Schrift geben würde), so liegt zwischen diesen beiden
Endpunkten ein weiter Raum für mannigfaltige Grade der Schriftvollkommenheit.
Diese hängt nemlich davon ab, inwieweit der Gebrauch
die Beschaffenheit der Zeichen mehr, oder weniger an bestimmte
Wörter, oder auch nur Gedanken gebunden hat, und mithin die Entzifferung
sich mehr, oder weniger dem wirklichen Ablesen nähert, und in
diesem Raum, ohne den Begriff wahrer Schrift zu erreichen, allein auf
einer Stufe, die sich jetzt nicht mehr bestimmen lässt, scheint auch die
Mexicanische Hieroglyphenschrift stehen geblieben zu seyn. Ob man
89z.B. Gedichte, von welchen es berühmte und namentlich angeführte
gab, hieroglyphisch aufbewahren konnte? da die Poesie einmal unwiderruflich
an bestimmte Worte in bestimmter Folge durch ihre Form gebunden
ist, lässt sich jetzt nicht mehr entscheiden. War es nicht möglich, so
befanden sich die Peruaner hierin in einer vortheilhafteren Lage. Denn
eine Schrift, oder ein Analogon derselben, das nicht die Gegenstände
selbst darstellt, sondern mehr innerliches Gedächtnissmittel ist, kann
sich, wenn auch weniger fähig, auf ein andres Volk, oder eine entfernte
Zeit überzugehen, der Sprache ganz genau anschliessen. Indess darf
man freilich nicht vergessen, dass ein Volk, welches sich einer solchen
Schrift in solchem Sinne bedient, nicht sowohl wirklich eine Schrift besitzt,
als vielmehr nur den Zustand, ohne Schrift auf das blosse Gedächtniss
verwiesen zu seyn, durch künstliche Mittel in hohem Grade vervollkommnet
hat. Das aber ist gerade der wichtigste Unterscheidungspunkt
in dem Zustande mit und ohne Schrift, dass in dem ersteren das Gedächtniss
nicht mehr die Hauptrolle in den geistigen Bestrebungen
spielt.

Welches indess auch die Vorzüge und Nachtheile jedes dieser beiden
Schriftsysteme seyn mochten, so genügten sie den Nationen, welche sie
sich angeeignet hatten; sie hatten sich einmal an dieselben gewöhnt,
und jedes, vorzüglich aber das Peruanische, war sogar in die Verfassung
des Staats, und die Art seiner Verwaltung verwebt. Es ist daher nicht
abzusehen, wie eins dieser Völker von selbst auf Buchstabenschrift gekommen
seyn würde; die Möglichkeit lässt sich allerdings nicht bestreiten.
Das Beispiel Aegyptens zeigt die nahe Verwandtschaft von Laut-Hieroglyphen
und Buchstaben, und aus der graphischen Darstellung
der Verschlingungen der Knotenschnüre konnten Zeichen entstehen,
die in der Gestalt den Chinesischen glichen, sich aber phonetisch behandeln
liessen. Es hätte aber dazu eine ähnliche geistige Anlage gehört,
als die Aegyptier schon so frühe verriethen, dass auch die älteste
Ueberlieferung sie uns nicht anders darstellt, und es ist allemal ein ungünstiges
Zeichen für die künftige Entwicklung einer Nation, wenn sie,
ohne dass jene Anlage zugleich ans Licht tritt, schon einen so bedeutenden
Grad der Cultur, und so mannigfache und feste gesellschaftliche
Formen erreicht, als dies in Mexico und Peru der Fall war. Vermuthlich
hätte man sich in beiden Reichen, so wie heute in China, den Gebrauch
der Buchstabenschrift anzunehmen geweigert, wenn er sich freiwillig,
und nicht auf dem nöthigenden Wege der Eroberung dargeboten hätte.

So wie ich versucht habe, bei den grammatischen Formen zu zeigen,
dass auch blosse Analoga ihre Stelle vertreten können, ebenso ist es mit
der Schrift. Wo die wahre, der Sprache allein angemessne fehlt, können
auch stellvertretende andre alle äusseren, und bis auf einen gewissen
Grad auch die inneren Zwecke und Bedürfnisse befriedigen. Nur die
90eigenthümliche Wirkung jener wahren und angemessnen, so wie die eigenthümliche
Wirkung der ächten grammatischen Form, kann nie und
durch nichts ersetzt werden; sie liegt aber in der inneren Auffassung
und der Behandlung der Sprache, in der Gestaltung des Gedanken, in
der Individualität des Denk- und Empfindungsvermögens.

Wo jedoch solche stellvertretende Mittel (da dieser Ausdruck nunmehr
verständlich seyn wird) einmal Wurzel gefasst haben, wo der instinctartig
in der Nation auf das Bessere gerichtete Sinn nicht ihr Emporkommen
verhindert hat, da stumpfen sie diesen Sinn noch mehr ab,
erhalten das Sprach- und Gedankensystem in der falschen, ihnen entsprechenden
Richtung, oder geben ihm dieselbe, und sind nicht mehr
zu verdrängen, oder ihre wirkliche Verdrängung übt nun die erwartete
heilsame Wirkung viel schwächer und langsamer aus. Wo also die Buchstabenschrift
von einem Volke mit freudiger Begierde ergriffen und angeeignet
werden soll, da muss sie demselben früh, in seiner Jugendfrische,
wenigstens zu einer Zeit dargeboten werden, wo dasselbe noch
nicht auf künstlichem und mühevollem Wege eine andre Schriftgattung
gebildet, und sich an dieselbe gewöhnt hat. Noch weit mehr wird dies
der Fall seyn müssen, wenn die Buchstabenschrift aus innrem Bedürfniss,
und geradezu ohne durch das Medium einer andren hindurchzugehen,
erfunden werden soll. Ob dies aber wirklich jemals geschehen seyn
mag, oder so unwahrscheinlich ist, dass es nur als eine entfernte Möglichkeit
angesehen werden darf? darauf behalte ich mir vor, bei einer
andren Gelegenheit zurückzukommen.91