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Humboldt, Wilhelm von. Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues – T06

Ueber den Dualis

[Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 26. April 1827.]

Ex quo intelligimus, quantum dualis
numerus, una et simplice compage solidatus,
ad rerum valeat perfectionem.
Lactantius de opificio dei

Unter den mannigfaltigen Wegen, welche das vergleichende Sprachstudium
einzuschlagen hat, um die Aufgabe zu lösen, wie sich die allgemeine
menschliche Sprache in den besondren Sprachen der verschiedenen
Nationen offenbart? ist einer der am richtigsten zum Ziele führenden
unstreitig der, die Betrachtung eines einzelnen Sprachtheils durch alle
bekannte Sprachen des Erdbodens hindurch zu verfolgen. Es kann dies
entweder in Hinsicht auf die Begriffsbezeichnung mit einzelnen Wörtern
oder Wörterclassen, oder in Hinsicht auf die Redefügung mit einer
grammatischen Form geschehen. Beides ist auch vielfältig versucht
worden, doch hat man gewöhnlich nur zufällig eine gewisse Anzahl von
Sprachen an einander gereiht, und das hier durchaus nicht gleichgültige
Streben nach Vollständigkeit unberücksichtigt gelassen.

Uebersieht man die Art, wie eine grammatische Form, da ich, meinem
gegenwärtigen Zwecke gemäss, bei diesen stehen bleibe, in den
verschiedenen Sprachen behandelt, hervorgehoben oder unbeachtet gelassen,
eigenthümlich gemodelt, in Verbindung mit andren gebracht,
geradezu oder durch Umwege ausgedruckt wird, so wirft diese Nebeneinanderstellung
sehr oft ein ganz neues Licht zugleich auf die Natur
dieser Form, und die Beschaffenheit der einzelnen, in Betrachtung gezogenen
Sprachen. Es lässt sich alsdann der besondre Charakter, welchen
eine solche Form in den verschiedenen Sprachen annimmt, mit
demjenigen vergleichen, welchen die übrigen grammatischen Formen in
den nämlichen Sprachen an sich tragen, und somit der ganze grammatische
Charakter dieser letzteren, so wie ihre grammatische Consequenz,
beurtheilen. In Absicht der Form selbst aber steht nunmehr der von ihr
wirklich gemachte Gebrauch demjenigen gegenüber, der sich aus ihrem
blossen Begriff ableiten lässt, was vor der einseitigen Systemssucht bewahrt,
in die man nothwendig verfällt, wenn man die Gesetze der wirklich
92vorhandenen Sprachen nach blossen Begriffen bestimmen will. Gerade
dadurch, dass die hier empfohlne Verfahrungsweise auf möglichst
vollständige Aufsuchung der Thatsachen dringt, hiermit aber die Ableitung
aus blossen Begriffen nothwendig verbinden muss, um Einheit in
die Mannigfaltigkeit zu bringen, und den richtigen Standpunkt zur Betrachtung
und Beurtheilung der einzelnen Verschiedenheiten zu gewinnen,
baut sie der Gefahr vor, welche sonst dem vergleichenden Sprachstudium
gleich verderblich von der einseitigen Einschlagung des
historischen, wie des philosophischen Weges droht. Keiner, der sich mit
diesem Studium beschäftigt, und den Neigung und Talent vorzugsweise
zu einem beider Wege einladen, darf vergessen, dass die Sprache, aus
der Tiefe des Geistes, den Gesetzen des Denkens, und dem Ganzen der
menschlichen Organisation hervorgehend, aber in die Wirklichkeit in
vereinzelter Individualität übertretend, und in einzelne Erscheinungen
vertheilt auf sich zurückwirkend, die durch richtige Methodik geleitete,
vereinte Anwendung des reinen Denkens und der streng geschichtlichen
Untersuchung fordert.

Ein zweiter wichtiger Nutzen durch alle Sprachen durchgeführter
Beschreibungen grammatischer Formen liegt in der Vergleichung der
verschiedenen Behandlung derselben mit dem Cultur- und selbst dem
Sprachzustande der Nation. Ob ein gewisser Ausbildungsgrad einer
Sprache einen gewissen Culturzustand voraussetzt oder hervorbringt,
ob gewisse Eigenthümlichkeiten Afrikanischer und Amerikanischer
Sprachen nur aus dem den Völkern, die sie reden, im Ganzen gemeinsamen
Zustande mangelnder Civilisation herrühren, oder andre, erst aufzusuchende
Ursachen haben? sind Fragen von der grössesten Wichtigkeit.
Ihre Beantwortung knüpft das vergleichende Sprachstudium an
die philosophische Geschichte des Menschengeschlechts an, und zeigt
demselben einen über dasselbe hinaus liegenden höheren Zweck. Denn
das Sprachstudium muss zwar allein um sein selbst willen bearbeitet
werden. Aber es trägt darum doch ebenso wenig als irgend ein andrer
einzelner Theil wissenschaftlicher Untersuchung seinen letzten Zweck
in sich selbst, sondern ordnet sich mit allen andren dem höchsten und
allgemeinen Zweck des Gesammtstrebens des menschlichen Geistes
unter, dem Zweck, dass die Menschheit sich klar werde über sich selbst
und ihr Verhältniss zu allem Sichtbaren und Unsichtbaren um und über
sich.

Ich glaube nicht, dass die oben erwähnten Fragen, auch durch sehr
vollständiges und genaues Sprachstudium, jemals werden vollständig
beantwortet werden können. Die Zeit hat sowohl von den Sprachen, als
den Zuständen der Nationen, zuviel unsrer Kenntniss entzogen, und die
übriggebliebenen Bruchstücke lassen kein entscheidendes Urtheil zu.
Allein schon meine bisherige Erfahrung hat mich vielfältig belehrt, dass
93die ununterbrochen auf jene Fragen gerichtete Aufmerksamkeit sehr
schätzbare einzelne Aufklärungen gewährt, und auf jeden Fall Irrthümern
vorbaut, und Vorurtheile zerstört. 1 Es ist aber hierbei nicht bloss
auf den häuslichen und gesellschaftlichen Zustand der Nationen, sondern
ganz vorzüglich auf die Schicksale zu sehen, welche ihre Sprache
erfahren hat, so weit sich dieselben aus ihrem Baue ergründen lassen,
oder geschichtlich bekannt sind. So hängt z. B. die feine und vollständige
grammatische Ausbildung der jetzt fast zu blossen Volksmundarten
gewordenen Lettischen Sprachen gar nicht mit dem Culturzustande der
Völker, die sie reden, sondern nur mit der treueren Aufbewahrung der
Ueberreste einer ursprünglichen und ehemals hoch ausgebildeten Sprache
zusammen.

Endlich dürfte es nicht leicht ein besseres Mittel als die Betrachtung
derselben grammatischen Form in einer grossen Anzahl von Sprachen
geben, um zu einer vollständigeren Beantwortung der Frage zu gelangen,
welcher Grad von Aehnlichkeit des grammatischen Baues zu
Schlüssen auf die Verwandtschaft der Sprachen berechtigt? Es ist eine
eigne Erscheinung, dass das Sprachstudium zu keinem andren Zwecke
so vielfältig benutzt worden ist, ja dass sehr viele noch jetzt den Nutzen
desselben fast nur darauf zu beschränken pflegen, und dass es doch bisher
noch durchaus an gehörig gesicherten Grundsätzen zur Beurtheilung
der Verwandtschaft der Sprachen und des Grades derselben fehlt.
Meiner Ueberzeugung nach, reicht die bisher gewöhnlich befolgte Methode
wohl hin, sehr nahe mit einander übereinstimmende Sprachen zu
erkennen, so wie, obgleich dies schon viel grössere Behutsamkeit erfordert,
die gänzliche Geschiedenheit andrer auszusprechen. Allein in der
Mitte zwischen diesen beiden Aeussersten, also gerade da, wo die Lösung
der Aufgabe am nöthigsten wäre, scheinen mir die Grundsätze
noch dergestalt zu schwanken, dass es unmöglich ist, sich ihrer Anwendung
irgend mit Vertrauen hinzugeben. Nichts wäre zugleich für die
Sprachkunde und die Geschichte so wichtig, als die Feststellung dieser
Grundsätze. Sie ist aber mit grossen Schwierigkeiten verbunden, und
erfordert Vorarbeiten nach mehreren Richtungen hin. Zuerst müssen
noch viel mehr Sprachen, und einige genauer als bis jetzt geschehen,
zergliedert werden. Um auch nur zwei Wörter mit Erfolg mit einander
grammatisch vergleichen zu können, ist es nothwendig, erst jedes für
sich in der Sprache, welcher es angehört, zur Vergleichung genau vorzubereiten.
Solange man bloss, wie jetzt so oft der Fall ist, der allgemeinen
Aehnlichkeit des Klanges folgt, ohne die Lautgesetze der Sprachen
selbst und ihre Analogie aufzusuchen, läuft man unvermeidlich die doppelte
Gefahr, dieselben Wörter für verschiedne, und verschiedne für dieselben
zu erklären, der gröberen, aber noch immer nicht seltenen Fälle
nicht zu gedenken, dass die verglichenen Wörter nicht in ihrer Grundform
94aufgenommen, sondern grammatische Zusätze und Beugungen
daran übersehen werden. 2 Hierauf muss sich die Untersuchung zu den
Veränderungen der Sprachen im Laufe der Jahrhunderte wenden, um zu
erkennen, welche Eigenthümlichkeiten bloss in diesen ihre Erklärung
finden. Nach der Bearbeitung der einzelnen Sprachen, welche erst einen
reinen und brauchbaren Stoff darbietet, ist die Vergleichung derjenigen,
deren Zusammenhang nun wirklich historisch erwiesen ist, in der genauen
Abstufung ihres Verwandtschaftsgrades nothwendig, um nach
diesen Analogieen die noch unbekannten beurtheilen zu können. Endlich
aber dürfte die hier versuchte Verfolgung einzelner grammatischer
Formen durch alle bekannte Sprachen hindurch grossen Nutzen gewähren.
Denn nur auf diese Weise lässt sich prüfen, wie die in solchen einzelnen
Punkten einander ähnlichen Sprachen sich gegen einander in
andren verhalten, und wie sehr oder wenig tief der Einfluss einzelner
Formen in das Ganze des Sprachbaues eingreift. Dass ferner, ausser diesen,
die Sprachen angehenden Vorarbeiten, ganz vorzüglich auch das
aus der Geschichte zu schöpfende Studium der Art erforderlich ist, wie
die Nationen sich verzweigen, vermischen und verbinden, versteht sich
von selbst. 3 Nur durch die Verbindung dieser vielfachen Untersuchungen
wird es möglich seyn, Grundsätze aufzustellen, um das in den Sprachen
wirklich geschichtlich aus der einen in die andre Uebergegangene
zu erkennen. Jedes weniger gründliche und sorgfältige Verfahren lässt
immer die Gefahr übrig, das wirklich der Verwandtschaft Angehörende
mit den durch die Zeit bewirkten Umwandlungen oder mit demjenigen
zu vermischen, was, unabhängig von einander, bloss aus ähnlichen Ursachen
an verschiedenen Orten und in verschiedenen Zeiten in ganz von
einander getrennten Sprachen ähnlich entsteht. Es folgt schon aus dem
hier Gesagten von selbst, dass bei jeder solchen Untersuchung das grammatische
Studium die Grundlage ausmachen muss. Es leistet dabei einen
doppelten Nutzen, einen mittelbaren, indem es die Wörter zur Vergleichung
vorbereitet, und einen unmittelbaren, indem es die Uebereinstimmung
oder Verschiedenheit des grammatischen Baues prüft. Aus der
letzteren Arbeit allein ergiebt sich mit Bestimmtheit, was durch blosse
Wörtervergleichungen nie gleich klar wird, ob die verglichenen Sprachen
wirklich Eines Stammes sind, oder ob sie bloss Wörter mit einander
ausgetauscht haben. Man erlangt daher nur auf diesem Wege einen
bestimmten Begriff von derjenigen besondren Völkertrennung und Verbindung,
welcher bestimmte Verwandtschaftsgrade der Mundarten entsprechen.
Doch muss man bei allen diesen Untersuchungen den Begriff
der Verwandtschaft nur als geschichtlichen Zusammenhang nehmen,
nicht aber etwa auf den buchstäblichen Sinn des Wortes zu viel Gewicht
legen. Dies letztere führt, aus Gründen, die es hier zu weitläuftig seyn
würde zu erörtern, in mehrfache Irrthümer. 495

Es scheint mir hiermit, wie mit so vielen andren Punkten zu stehen,
dass man sich nemlich noch lange Zeit hindurch wird auf einzelne Untersuchungen
beschränken müssen, ehe es möglich seyn wird, etwas
Allgemeines festzustellen. Indess ist allerdings auch schon jetzt, nur in
wohl bestimmten Schranken, Allgemeines nothwendig, nemlich einmal
in demjenigen Theile, den das Sprachstudium allerdings auch besitzt,
der allein aus Ideen geschöpft werden kann, und dann, weil es
nothwendig ist, von Zeit zu Zeit zu übersehen, wie weit man, nach dem
gegenwärtigen Zustande der einzelnen Untersuchung, in dem Anbau
des Ganzen der Wissenschaft vorgeschritten ist. Nur zwei Dinge dürfen
nie und auf keine Weise zugelassen werden, die Herleitung aus Begriffen
in ein ihr nicht angehörendes Gebiet hinüberzuführen, und allgemeine
Folgerungen aus unvollständiger Beobachtung zu ziehen.

Wenn die vollständige Beschreibung einzelner grammatischer Formen
den hier geschilderten verschiedenartigen Nutzen gewähren kann,
so folgt auch von selbst daraus, dass dieselbe nach eben diesen verschiedenen
Gesichtspunkten hin unternommen werden muss. Schon darum
glaubte ich mir diese einleitenden Betrachtungen erlauben zu müssen,
die sonst wohl hätten als eine Abschweifung von meinem Gegenstande
erscheinen können.

Dass meine Wahl bei dem gegenwärtigen Versuch gerade auf den
Dualis gefallen ist, würde, wenn es einer Rechtfertigung bedürfte, dieselbe
schon darin finden, dass unter allen grammatischen Formen sich
diese vielleicht am füglichsten von dem übrigen grammatischen Bau, als
minder tief in ihn eingreifend, aussondern lässt. Dies und dass er sich
nicht in einer zu grossen Anzahl von Sprachen findet, macht seine Behandlung
in der hier befolgten Methode leichter. Denn obgleich, meiner
Ueberzeugung nach, die Beschreibung einzelner grammatischer Formen
an allen, ohne Ausnahme, versucht werden kann, so sind einige,
wie z.B. das Pronomen und das Verbum, das letztere auch in seinem
allgemeinsten Begriff, so in den ganzen grammatischen Bau verwachsen,
dass ihre Schilderung gewissermassen die der ganzen Grammatik
selbst ist. Hierdurch vermehrt sich natürlich die Schwierigkeit.

Zu der Wahl des Dualis ladet aber auch ausserdem noch ein, dass
das Daseyn dieser merkwürdigen Sprachform sich ebensowohl aus dem
natürlichen Gefühl des uncultivirten Menschen, als aus dem feinen
Sprachsinn des höchst gebildeten erklären lässt. Wirklich findet sie sich
auf der einen Seite bei uncultivirten Nationen, den Grönländern, Neu-Seeländern
u.s. f., da auf der andren im Griechischen gerade der am
sorgfältigsten bearbeitete Dialekt, der Attische, sie beibehalten hat.

Wenn man mehrere Sprachen in Rücksicht auf dieselbe grammatische
Form mit einander vergleicht, so muss man, glaube ich, die Formen
auf der niedrigsten Stufe der grammatischen Abtheilung dazu auswählen,
96ohne ängstlich zu besorgen, dadurch das eng Zusammengehörende
von einander zu reissen. Man umfasst auf diese Weise einen kleineren
Umfang, und kann besser in das ganz Einzelne eingehen. Ich
habe daher den Dualis, nicht den Numerus überhaupt gewählt, ob ich
gleich auf den mit dem Dualis so eng zusammenhängenden Pluralis immer
werde zugleich Rücksicht nehmen müssen. Dennoch wird der Pluralis
immer eine eigne Ausführung erfordern.

Erster Abschnitt
Von der Natur des Dualis im Allgemeinen

Ich halte es für zweckmässig, zuerst den räumlichen Umfang anzugeben,
in welchem der Dualis in den verschiedenen Sprachgebieten des
Erdbodens angetroffen wird. 5

Die Geographie fordert bei der Anwendung auf verschiedne Gegenstände
verschiedne Abtheilungen, und in der Sprachenkunde lassen
sich Asien, Europa und NordAfrika nicht füglich von einander trennen.

Nehmen wir nun diesen Theil der alten Welt zusammen, so finden
wir den Dualis hauptsächlich an drei Punkten, von deren zweien er sich
weit und nach verschiedenen Richtungen hin ausgebreitet hat:

in den ursprünglichen Sitzen der Semitischen Sprachen,

in Indien,

in dem Sprachstamm, der auf der Halbinsel Malacca, in den Philippinen
und den Südseelnseln bisher für den gleichen gehalten wird.

In den Semitischen Sprachen herrscht der Dualis vorzüglich in der
Arabischen und hat am wenigsten Spuren zurückgelassen in den Aramäischen.
Mit dem Arabischen ist er auf Nord-Afrika übergegangen, allein
in Europa bloss nach Malta gekommen, und nicht einmal mit den aus
ihm entnommenen Wörtern in die Türkische Sprache eingedrungen. 6

Das Sanskrit hat den Dualis zunächst, doch sehr wenig, dem Pali,
und gar nicht dem Präkrit mitgetheilt; aus dem Sanskrit aber, oder vielmehr
aus der gleichen Quelle mit ihm, hat ihn Europa erhalten in der
Griechischen Sprache, den Germanischen, Slavischen und der Littauischen,
in allen diesen in verschiedener Ausdehnung und Erhaltung nach
Mundarten und Zeiten, wie in der Folge näher bestimmt werden wird.

Unter den übrigen Europaeischen Sprachen finde ich ihn bloss in der
Lappländischen. Es ist aber merkwürdig, dass in der verwandten Finnischen
und Esthnischen, so wie in der Ungarischen, keine Spur davon
angemerkt wird. Der Dualis stammt also in Europa hauptsächlich aus
dem Altindischen.

Man spricht zwar auch von einem Dualis in der Sprache von Wales
97und der Nieder-Bretagne, der sogenannten Kymrischen. 7 Er besteht jedoch
nur darin, dass man den Benennungen der doppelten Gliedmassen
die Zahl zwei, deren Femininum im Bas Bretonschen in dieser Verbindung
seine Endsylbe verliert, vorsetzt. Da dies beständig und regelmässig
zu geschehen scheint, das Wort dabei im Singular bleibt, und der
Plural eintritt, so wie es auf andre Begriffe (z.B. Tischfuss) übergetragen
wird, so liegt hierin allerdings ein Gefühl des Dualis, und die Erscheinung
verdient hier angemerkt zu werden. Aber in die Zahl der
Sprachen, die wirklich einen Dualis besitzen, lässt sich darum die Kymrische
nicht aufnehmen. Neuere, jedoch noch nicht vollendete Untersuchungen
machen es mir übrigens wahrscheinlich, dass auch diese und
die Gaelische Sprache in ihrem grammatischen Bau mit dem Sanskrit
zusammenhangen.

Aehnlich, wie mit Europa, ist es mit Afrika. Es kennt den Dualis bloss
im Arabischen. Das Koptische hat ihn nicht, und ebensowenig finde ich
ihn in einer der zahlreichen übrigen Afrikanischen Sprachen, so reich
auch einige, wie z. B. die Bundische, an grammatischen Formen sind.

In der alten Welt bleibt also Asien der eigentliche Sitz des Dualis.

In den, aus demselben Stamm, als das Sanskrit, hervorgegangenen
Asiatischen Sprachen kommt der Dualis nicht vor. Nur die Malabarische
soll hiervon eine Ausnahme machen. 8 Ueberhaupt ist es eine merkwürdige
Erscheinung, dass der kunstreiche und vollendete Bau der
Sanskrit Grammatik, ausser dem Sanskrit und Pali selbst, gänzlich nach
Europa übergewandert ist, die übrigen, mit dem Sanskrit zusammenhangenden
Asiatischen Sprachen aber viel weniger davon bewahrt haben.
Es erklärt sich dies zwar durch die ebenso scharfsinnige, als richtige
Annahme 9, dass die hier gemeinten Europaeischen Sprachen gleich
ursprünglich, als das Sanskrit selbst sind, da jene Asiatischen Sprachen
aus dem Sanskrit, und zwar grösstentheils durch Vermischung mit andren,
ihren Ursprung haben, und mithin das bei solchen Uebergängen
und Umwälzungen allgemeine Schicksal des Unterganges der grammatischen
Formen getheilt haben. Auch in Europa findet sich der reichere
grammatische Bau vorzüglich nur in abgestorbenen Sprachen, und jene
Asiatischen können nicht mit diesen, sondern müssten eher mit unsren
heutigen verglichen werden. Indess ist auch so der Vorzug in treuerer
Aufbewahrung des ursprünglichen Sprachcharakters sichtbar auf Seiten
Europas, und es giebt kein Beispiel in Asien, dass sich so viel von
dem frühesten Indischen Sprachbau so lebendig und rein im Munde eines
ganzen Volksstamms erhalten habe, wie in Europa bei den Littauern
und Letten. Dagegen ist es sehr auffallend, dass derjenige Theil der
Sanskrit-Grammatik, den man genöthigt ist, den künstlichsten und
schwierigsten, aber für die allgemeinen Sprachzwecke entbehrlichsten
zu nennen, die Buchstabenveränderung, jene empfindliche Reizbarkeit
98der Laute, mit welcher fast jeder sich sogleich verändert, wie er in andre
Berührungen tritt, in den Europaeisch-Sanskritischen, auch den frühesten,
Sprachen immer wenig geherrscht zu haben scheint, da er in mehrere
der Asiatisch-Sanskritischen, man weiss nicht, ob man sagen soll,
übergegangen, oder dem ursprünglichen Lautsystem aller dieser Völker
so eigenthümlich gewesen ist, dass er sich, ungeachtet aller Sprachumwälzungen,
niemals verloren hat.

Der Zend-Sprache ist der Dualis nicht fremd. Da aber auch sie unstreitig
den Sanskritischen beizuzählen ist 10, so wird hierdurch in dem
oben erwähnten dreifachen Sitz des Dualis in Asien nichts geändert. 11

Bleiben wir nun hier noch einen Augenblick stehen, so sehen wir,
dass in Europa, Afrika und dem Festlande von Asien, das Malayische
Sprachgebiet ausgenommen, der Dualis hauptsächlich bloss in todten
Sprachen gefunden wird, lebend nur noch:

in Europa im Maltesisch-Arabischen, im Littauischen, Lappländischen,
und einigen Volksmundarten, bei dem Landvolk in einigen Districten
des Königreichs Polen, 12 auf den Faeröer Inseln, in Norwegen, und
einigen Gegenden Schwedens und Deutschlands, doch hier ohne mehr
vom Volke verstanden zu werden, bloss im Gebrauch als Plural; 13

in Afrika im Neu-Arabischen;

in dem beschriebenen Theil von Asien in demselben und im Malabarischen.

Da nur die Sprachen der alten Welt eine Literatur besitzen, so kann
man ihn für die Büchersprache (das Arabische ausgenommen) als abgestorben
ansehen.

Im Osten Asiens (dem dritten Punkt seiner Heimath) findet sich der
Dualis, jedoch nur in schwacher Spur, im Malayischen, mehr entwickelt
in der Tagalischen und der ihr nahe verwandten Pampangischen Sprache
auf den Philippinen, endlich in sonst, soviel mir bekannt ist, nirgends
vorkommenden Abstufungen, auf NeuSeeland, den Gesellschafts- und
Freundschafts-Inseln. Die Mundarten der übrigen Südsee-Inseln sind leider
noch nicht grammatisch gehörig bekannt. Es ist aber sehr wahrscheinlich,
dass sie namentlich in diesem Punkte alle mit einander übereinkommen.
Die Frage, ob und wie alle diese Sprachen von der
Malayischen bis zur Tahitischen zusammenhangen? werde ich an einem
andren Orte ausführlich untersuchen. Hier nehme ich dieselben nur
wegen ihrer ähnlichen Behandlung des Dualis zusammen. Gänzlich vom
Malayischen Sprachstamm verschieden scheinen die Sprachen der Eingebornen
von Neu-Holland und Neu-Süd-Wales. Aber die der um den
See Macquarie herum wohnenden besitzt den Dualis 14, und es ist daher
wahrscheinlich, dass er sich auch in andren Australischen Mundarten
findet.

In den Amerikanischen Sprachen erscheint diese Mehrheitsform seiten,
99aber an verschiedenen Punkten, fast durch die ganze Länge des
ungeheuern Welttheils; nemlich im höchsten Norden in der Grönländischen
Sprache; in sehr beschränkter Form in der Totonakischen in dem
Theile Neu-Spaniens, in dem Veracruz liegt; ferner in der Sprache der
Chaymas, welche den meisten Völkerstämmen der Provinz Neu-Andalusien
gemeinschaftlich ist; so wie am rechten Orenoko Ufer, im Süd
Osten der Mission der Encamarada, in der Tamanakischen Sprache; in
sehr schwachen Spuren in der Qquichuischen, der ehemaligen allgemeinen
Sprache des Peruanischen Reichs; endlich sehr ausgebildet in
der Araukanischen Sprache in Chili. Auch die Cherokees im Nord-Westen
von Georgien und den angränzenden Gegenden sollen einen Dualis
in ihrer Sprache besitzen. 15

Man sieht aus dieser kurzen Darstellung, dass die Anzahl der
Stamm-Sprachen, welche den Dualis in sich aufgenommen haben, sehr
klein, dagegen das Gebiet, in welchem derselbe, vorzüglich in älterer
Zeit, Geltung gefunden hat, sehr gross ist, weil er gerade den weitverbreitetsten
Sprachstämmen, dem Sanskritischen und dem Semitischen
angehört. Ich muss jedoch hier noch einmal wiederholen, dass die eben
gemachte Aufzählung nicht als vollständig ausgegeben werden kann.
Ohne nur das zu erwähnen, was sich jedem Anspruch auf Vollständigkeit
im vergleichenden Sprachstudium entgegenstellt, dass uns bei weitem
nicht alle Sprachen des Erdbodens bekannt sind, so giebt es auch
von sehr vielen, im Allgemeinen bekannten, noch keine grammatischen
Hülfsmittel. Von andren sind diese nicht so genau, dass man sich mit
Sicherheit darauf verlassen könnte, dass vorzüglich eine seltner vorkommende
Form, wie die des Dualis, nicht darin könnte unbeachtet
geblieben seyn. Endlich ist es sehr schwierig, und setzt oft eine sehr tiefe
Kenntniss einer Sprache voraus, die Spuren von Formen darin zu entdecken,
die sich nicht mehr lebendig in derselben erhalten haben. Arbeiten
der gegenwärtigen Art können und müssen daher immer
Zuwächse erhalten, und ich habe mich im Vorigen bei verneinenden Behauptungen
nur darum bestimmter ausgedruckt, um beständige einschränkende
Einschiebsel zu vermeiden. Auf der andren Seite versteht
es sich von selbst, dass ich nichts verabsäumt habe, um wenigstens die,
unter den gegebenen Umständen, mögliche Vollständigkeit und Genauigkeit
zu erreichen, und ich bin so glücklich gewesen, hier auch für
Ausser-Europaeische Sprachen eine bedeutende Menge von Hülfsmitteln
benutzen zu können. Nur sehr selten habe ich mich genöthigt gesehen,
bei der Benutzung so allgemeiner Werke, als der Mithridates und
neuerlich Balbis Atlas ist, stehen zu bleiben. Auch wird gewiss jeder
genaue Sprachforscher vermeiden, sich auf diese Schriften, so unverkennbar
ihr Werth in andrer Rücksicht ist, und so unentbehrlich namentlich
der Mithridates für das vergleichende Sprachstudium bleibt,
100bei Beurtheilung des grammatischen Baues einzelner Sprachen zu stützen,
ohne auf die ursprünglichen Quellen zurückzugehen.

Prüft man nunmehr die verschiedene Art, auf welche die hier aufgezählten
Sprachen den Dualis behandeln, so lassen sich dieselben im
Ganzen, und einzelne Abstufungen ungerechnet, füglich in folgende
drei Classen abtheilen.

Einige dieser Sprachen nehmen die Ansicht des Dualis von der redenden
und angeredeten Person, dem Ich und dem Du her. In diesen
haftet derselbe am Pronomen, geht nur so weit in die übrige Sprache
mit über, als sich der Einfluss des Pronomen erstreckt, ja beschränkt
sich bisweilen allein auf das Pronomen der ersten Person in der Mehrheit,
auf den Begriff des Wir.

Andre Sprachen schöpfen diese Sprachform aus der Erscheinung der
paarweis in der Natur vorkommenden Gegenstände, der Augen, der
Ohren und aller doppelten Gliedmassen des Körpers, der beiden grossen
Gestirne u.s.f. In diesen reicht dieselbe alsdann nicht über diese Begriffe,
oder wenigstens nicht über das Nomen hinaus.

Bei andren Völkerstämmen endlich durchdringt der Dualis die ganze
Sprache, und erscheint in allen Redetheilen, in welchen er Geltung erhalten
kann. Es ist daher bei diesen keine besondre Gattung, sondern
der allgemeine Begriff der Zweiheit, von dem er ausgeht.

Es versteht sich von selbst, dass Sprachen auch Spuren von mehr als
einer dieser Auffassungsweisen, ja von allen zugleich an sich tragen
können. Wichtiger ist es zu bemerken, dass in ursprünglich der dritten
Classe angehörenden Sprachstämmen es sich auch findet, dass einzelne
Sprachen, entweder überhaupt oder im Laufe der Zeit, den Dualis nur
in der Beschränkung der beiden ersten Classen beibehalten. Sie werden
aber in diesem Fall dennoch billig, wie ich auch hier thun werde, der
dritten beigesellt. So zeigt sich in den oben angeführten Deutschen
Volksmundarten der Dualis nur noch an den beiden ersten Personen
des Pronomen, und im Syrischen, ausser der Zahl zwei selbst, bloss an
dem Namen Aegyptens, das man sich, wie man hieraus sieht, immer als
Ober- und Nieder-Aegypten zu denken gewöhnt hatte. 16

Die von mir untersuchten Sprachen vertheilen sich nun folgendergestalt
in die so eben aufgezählten Classen.

Zur ersten, wo der Dualis seinen Sitz im Pronomen hat, gehören

die oben genannten Sprachen des östlichen Asiens, der Philippinen und Südseeinseln,

die Chaymische und die Tamanakische;

zu der zweiten, wo er vom Nomen ausgeht,

bloss die Totonakische,

und so weit ihr ein Dualis zugeschrieben werden kann,

die Qquichuische;101

zu der dritten, wo sich der Dualis über die ganze Sprache verbreitet,

die Sanskritischen 17,

Semitischen,

Grönländische,

Araukanische

und obgleich in geringerer Vollständigkeit, die Lappländische.

Man erkennt in dieser, absichtlich kurz zusammengedrängten Uebersicht,
dass der Dualis in der Wirklichkeit der bekannten Sprachen ungefähr
in eben der Verschiedenheit des Begriffs und des Umfanges auftritt,
die man ihm hätte nach reiner Ideen-Zergliederung anweisen
können. Ich habe es aber vorgezogen, diese seine verschiedenen Arten
auf dem Wege der Beobachtung aufzusuchen, um der Gefahr zu entgehen,
sie den Sprachen aus Begriffen aufzudringen. Doch wird es jetzt
nothwendig seyn, die Natur dieser Sprachform auch unabhängig von
der Kenntniss wirklicher Sprachen, aus allgemeinen Ideen zu entwickeln.

Eine, doch vielleicht noch nicht ganz ungewöhnliche, allein durchaus
irrige Ansicht ist es, wenn man den Dualis bloss als einen zufällig
für die Zahl zwei eingeführten, beschränkten Pluralis ansieht, und dadurch
die Frage rechtfertigt, warum nicht auch irgend eine andre beliebige
Zahl ihre eigne Mehrheitsform besitze? Es kommt in dem Gebiete
der Sprachen allerdings ein solcher beschränkter Plural vor, der, wenn
er sich auf zwei Gegenstände bezieht, die Zweiheit bloss als kleine Zahl
behandelt, allein dieser ist, auch in diesem Fall, auf keine Weise mit
dem wahren Dualis zu verwechseln.

In der Sprache der Abiponen, eines Volksstammes in Paraguay, giebt
es einen doppelten Plural, einen engeren für zwei und mehrere, aber
immer wenige und einen weiteren für viele Gegenstände. 18 Der erstere scheint eigentlich dem zu entsprechen, was wir Plural nennen. Seine
Bildung geschieht durch Suffixa, die an die Stelle der Singularendung
treten, oder durch beugungsartige Abänderungen dieser, und ist, obgleich
man sie nur an einer Reihe mitgetheilter Beispiele beurtheilen
kann, sehr mannigfaltig. Der weitere Plural kennt bloss die Endung ripi.
Dass in dieser der Begriff der Vielheit liegt, geht daraus hervor, dass
man, sobald dieser Begriff in der Rede durch ein eignes Wort bezeichnet
ist, die Endung ripi weglässt und das Substantivum in den engeren Plural
setzt. Dass aber ripi allein gebraucht würde, finde ich nicht, und es
ist so sehr zur Endung geworden, dass es weder dem Singular noch dem
engeren Plural geradezu angeheftet wird, sondern durch eine eigne Veränderung
der Wortendung eine besondere Bildung eingeht. Wenigstens
ist dies in folgenden Beispielen der Fall:102

tableau Sing. / choale, Mensch, ahöpegak, Pferd | Engerer Plur. / choalèc oder choaleèna, ahöpega | Weiterer Plur. | choaliripi, ahöpegeripi 19

Die der Abiponischen sehr nahe verwandte Sprache der Mokobi 20 in
der Provinz Chaco besitzt diesen doppelten Plural nicht, bildet aber den
Plural aller nicht auf i ausgehenden Wörter durch Anheftung des Wortes
ipi, ohne dass dieses, wie es wenigstens nach den Beispielen scheint,
etwas an der Endung des Hauptwortes ändert; choalè, Mensch, choalèipi,
die Menschen. In dieser Sprache ist ipi wirklich das Wort: viel,
und es bleibt nun ungewiss, ob das Abiponische hinzugefügte r ein Bildungsbuchstabe, oder die Weglassung eine Eigenthümlichkeit der Mokobischen
Mundart ist?

Die Tahitische Sprache, welche den Dualis am Nomen nicht unterscheidet,
kennt auch diesen weiteren und engeren Plural, bezeichnet
ihn aber bloss durch eigne, vor das Substantivum gestellte und nur, ihrer
ursprünglichen Bedeutung nach, noch nicht erklärte Wörter, die
man nur uneigentlich grammatische Formen nennen könnte. 21

Am bestimmtesten besitzt Mehrheitsformen für verschiedene Zahlen
die Arabische Sprache, nemlich den Dualis für zwei, den beschränkten
Plural für 3 bis 9, den Vielheits-Plural und den Plural-Plural, in welchem
von dem Plural einiger Wörter durch regelmässige Flection ein
neuer gebildet wird, für 10 und mehr oder eine unbestimmte Anzahl.
Selbst für die Bezeichnung der Einheit bedient sich das Arabische, nemlich
bei Substantiven, in deren Natur es liegt, wie bei Thier und Fruchtgattungen,
eine Vielheit unter sich zu begreifen, einer besondren Charakteristik,
welche der Singularis in andren Sprachen nicht kennt, und
macht von diesem einen Plural. 22 Diese Ansicht, den Gattungsbegriff gewissermassen als ausser der Kategorie des Numerus liegend zu betrachten,
und von ihm durch Beugung Singularis und Pluralis zu unterscheiden,
ist unläugbar eine sehr philosophische, deren Entbehrung andre
Sprachen zu andren Hülfsmitteln zwingt. Da aber diese Arabischen
Pluralformen nicht, wie die Abiponische, je können mit dem Dualis verwechselt
werden, gehört ihre ausführliche Betrachtung nicht hierher.

Der so eben als irrig angeführten Vorstellung des Dualis, die sich auf
den Begriff der blossen Zahl zwei, als einer der vielen in der Zahlreihe
fortlaufenden beschränkt, steht diejenige entgegen, die sich auf den Begriff
der Zweiheit gründet, und den Dualis wenigstens vorzugsweise der
Gattung von Fällen zueignet, welche auf diesen Begriff zu kommen Veranlassung
geben. Nach dieser Vorstellung ist der Dualis gleichsam ein
Collectivsingularis der Zahl zwei, da der Pluralis nur gelegentlich, nicht
103aber seinem ursprünglichen Begriff nach, die Vielheit wieder zur Einheit
zurückführt. Der Dualis theilt daher, als Mehrheitsform, und als
Bezeichnung eines geschlossenen Ganzen zugleich die Plural und Singular-Natur.
Dass er empirisch, in den wirklichen Sprachen dem Plural
näher steht, beweist, dass die erstere dieser beiden Beziehungen den
natürlichen Sinn der Nationen mehr anspricht, allein sein sinnvoll geistiger
Gebrauch wird immer die letztere eines Collectiv-Singulars festhalten.
Auch lässt sich in allen Sprachen diese, als die Grundlage des
Dualis, nachweisen, wenn gleich alle im nachherigen Gebrauch allerdings
die hier getrennte, richtige und irrige, Vorstellung von ihm mit
einander vermischen, und ihn ebensogut zum Ausdruck von zwei, als
der Zweiheit machen.

Alle grammatische Verschiedenheit der Sprachen ist, meiner Ansicht
nach, eine dreifache, und man erhält keinen vollständigen Begriff des
Baues einer einzelnen, ohne ihn nach dieser dreifachen Verschiedenheit
in Betrachtung zu ziehen. Die Sprachen sind nemlich grammatisch verschieden:

a., zuerst in der Auffassung der grammatischen Formen nach ihrem
Begriff,

b., dann in der Art der technischen Mittel ihrer Bezeichnung,

c., endlich in den wirklichen, zur Bezeichnung dienenden Lauten. Im
gegenwärtigen Augenblick haben wir es nur mit dem ersten dieser drei
Punkte zu thun, die beiden andren können erst bei Betrachtung der einzelnen
Sprachen in Absicht des Dualis in Erwägung kommen.

Durch den zweiten und dritten dieser Punkte, vorzüglich durch den
letzten erlangt eine Sprache erst ihre grammatische Individualitaet, und
die Aehnlichkeit mehrerer in diesem ist das sicherste Kennzeichen ihrer
Verwandtschaft. Aber der erste bestimmt ihren Organismus, und ist
vorzüglich wichtig, nicht bloss als hauptsächlich einwirkend auf den
Geist und die Denkart der Nation, sondern auch als der sicherste Prüfstein
desjenigen Sprachsinnes in ihr, den man in jeder als das eigentlich
schaffende und umbildende Princip der Sprache ansehen muss.

Dächte man sich das vergleichende Sprachstudium in einiger Vollendung,
so müsste die verschiedene Art, wie die Grammatik und ihre Formen
in den Sprachen genommen werden (denn dies ist es, was ich unter
Auffassung dem Begriff nach verstehe), an den einzelnen grammatischen
Formen, wie hier am Dualis, dann an den einzelnen Sprachen, in
jeder im Zusammenhange erforscht, und endlich diese doppelte Arbeit
dazu benutzt werden, einen Abriss der menschlichen Sprache, als ein
Allgemeines gedacht, in ihrem Umfange, der Nothwendigkeit ihrer Gesetze
und Annahmen, und der Möglichkeit ihrer Zulassungen zu entwerfen.

Die zunächst liegende, aber beschränkteste Ansicht der Sprache ist
104die, sie als ein blosses Verständigungsmittel zu betrachten. Auch in dieser
Hinsicht indess ist der Dualis nicht gänzlich überflüssig, er trägt in
der That bisweilen zum besseren und eindringenderen Verständniss bei,
wie es der Ort seyn wird, bei seinem Gebrauche im Griechischen zu
zeigen. Diese Fälle kommen aber wohl nur im Gebiete des Styls zum
Vorschein, und wenn die sprachenbildenden Völker, wie es glücklicherweise
nicht der Fall ist, bloss das gegenseitige Verständniss zum Zweck
hätten, so wäre ein eigner Zweiheitsplural gewiss für überflüssig gehalten
worden. Wenden doch mehrere Völker nicht einmal die in ihren
Sprachen wirklich vorhandenen Pluralformen da an, wo die gemeinte
Mehrheit aus andren Umständen hervorgeht, einer hinzugefügten
Zahl 23, einem Anzahlsadverbium, aus dem Verbum, wenn die Mehrheitsbezeichnung
beim Nomen, oder dem Nomen, wenn sie beim Verbum
weggelassen wird, u.s.f.

Die Sprache ist aber durchaus kein blosses Verständigungsmittel,
sondern der Abdruck des Geistes und der Weltansicht der Redenden,
die Geselligkeit ist das unentbehrliche Hülfsmittel zu ihrer Entfaltung,
aber bei weitem nicht der einzige Zweck, auf den sie hinarbeitet, der
vielmehr seinen Endpunkt doch in dem Einzelnen findet, insofern der
Einzelne von der Menschheit getrennt werden kann. Was also aus der
Aussenwelt und dem Innern des Geistes in den grammatischen Bau der
Sprachen überzugehen vermag, kann darin aufgenommen, angewendet
und ausgebildet werden, und wird es wirklich nach Massgabe der Lebendigkeit
und Reinheit des Sprachsinns, und der Eigenthümlichkeit
seiner Ansicht.

Hier aber zeigt sich sogleich eine auffallende Verschiedenheit. Die
Sprache trägt Spuren an sich, dass bei ihrer Bildung vorzugsweise aus
der sinnlichen Weltanschauung geschöpft worden ist, oder aus dem Inneren
der Gedanken, wo jene Weltanschauung schon durch die Arbeit
des Geistes gegangen war. So haben einige Sprachen zu Pronomina der
dritten Person Ausdrücke, welche das Individuum in ganz bestimmter
Lage, als stehend, liegend, sitzend u. s. f. bezeichnen, besitzen also viele
besondre Pronomina und ermangeln eines allgemeinen; andre vermannigfachen
die dritte Person nach der Nähe zu den redenden Personen,
oder ihrer Entfernung von denselben; andre endlich kennen zugleich
ein reines Er, den blossen Gegensatz des Ich und des Du, als unter Einer
Kategorie zusammengefasst. Die erste dieser Ansichten ist ganz sinnlich;
die zweite bezieht sich schon auf eine reine immanente Form der
Sinnlichkeit, den Raum; die letzte beruht auf Abstraction und logischer
Begriffstheilung, wenn auch sehr oft erst der Gebrauch gestempelt haben
mag, was vielleicht einen ganz anderen Ursprung hatte. Es bedarf
überhaupt kaum der Bemerkung, dass diese drei verschiedenen Ansichten
nicht als in der Zeit fortschreitende Stufen anzusehen sind. Alle
105können sich in mehr oder minder sichtbaren Spuren in Einer und ebenderselben
Sprache neben einander befinden. 24

Der Begriff der Zweiheit nun gehört dem doppelten Gebiet des
Sichtbaren und Unsichtbaren an, und indem er sich lebendig und anregend
der sinnlichen Anschauung und der äusseren Beobachtung darstellt,
ist er zugleich vorwaltend in den Gesetzen des Denkens, dem
Streben der Empfindung, und dem in seinen tiefsten Gründen unerforschbaren
Organismus des Menschengeschlechts und der Natur.

Zunächst hebt sich, um von der leichtesten und oberflächlichsten
Beobachtung auszugehen, eine Gruppe von zwei Gegenständen zwischen
einem einzelnen und einer Gruppe von mehreren von selbst, als
im Augenblick übersehbar und geschlossen, heraus. Dann geht die
Wahrnehmung und die Empfindung der Zweiheit in den Menschen in
der Theilung der beiden Geschlechter und in allen sich auf dieselbe beziehenden
Begriffen und Gefühlen über. Sie begleitet ihn ferner in der
Bildung seines und der thierischen Körper in zwei gleiche Hälften und
mit paarweise vorhandenen Gliedmassen und Sinnenwerkzeugen. Endlich
stellen sich gerade einige der mächtigsten und grössesten Erscheinungen
in der Natur, die auch den Naturmenschen in jedem Augenblick
umgeben, als Zweiheiten dar, oder werden als solche aufgefasst, die beiden
grossen, die Zeit bestimmenden Gestirne, Tag und Nacht, die Erde
und der sie überwölbende Himmel, das feste Land und das Gewässer
u.s.f. Was sich der Anschauung so überall gegenwärtig zeigt, das trägt
der lebendige Sinn natürlich und ausdrucksvoll durch eine ihm besonders
gewidmete Form in die Sprache über.

In dem unsichtbaren Organismus des Geistes, den Gesetzen des
Denkens, der Classification seiner Kategorieen aber wurzelt der Begriff
der Zweiheit noch auf eine viel tiefere und ursprünglichere Weise: in
dem Satz und Gegensatz, dem Setzen und Aufheben, dem Seyn und
Nicht-Seyn, dem Ich und der Welt. Auch wo sich die Begriffe drei- und
mehrfach theilen, entspringt das dritte Glied aus einer ursprünglichen
Dichotomie, oder wird im Denken gern auf die Grundlage einer solchen
zurückgebracht.

Der Ursprung und das Ende alles getheilten Seyns ist Einheit. Daher
mag es stammen, dass die erste und einfachste Theilung, wo sich das
Ganze nur trennt, um sich gleich wieder, als gegliedert, zusammenzuschliessen,
in der Natur die vorherrschende, und dem Menschen für den
Gedanken die lichtvollste, für die Empfindung die erfreulichste ist.

Besonders entscheidend für die Sprache ist es, dass die Zweiheit in
ihr eine wichtigere Stelle, als irgendwo sonst, einnimmt. Alles Sprechen
ruht auf der Wechselrede, in der, auch unter Mehreren, der Redende die
Angeredeten immer sich als Einheit gegenüberstellt. Der Mensch
spricht, sogar in Gedanken, nur mit einem Andren, oder mit sich, wie
106mit einem Andren, und zieht danach die Kreise seiner geistigen Verwandtschaft,
sondert die, wie er, Redenden von den anders Redenden
ab. Diese, das Menschengeschlecht in zwei Classen, Einheimische und
Fremde, theilende Absonderung ist die Grundlage aller ursprünglichen
geselligen Verbindung.

Es hätte schon können oben bemerkt werden, dass die in der Natur
äusserlich erscheinende Zweiheit oberflächlicher und in innigerer
Durchdringung des Gedanken und des Gefühls aufgefasst werden
kann. Es wird genug seyn, nur an einiges Einzelne in dieser Beziehung
zu erinnern. Wie tief die bilaterale Symmetrie der Menschen- und
Thierkörper in die Phantasie und das Gefühl eingeht, und zu einer der
Hauptquellen der Architektonik der Kunst wird, ist neuerlich von A. W.
v. Schlegel auf eine überraschend treffende und höchst geistvolle Weise
gezeigt worden. 25 Der in seiner allgemeinsten und geistigsten Gestaltung
aufgefasste Geschlechtsunterschied führt das Bewusstsein einer,
nur durch gegenseitige Ergänzung zu heilenden Einseitigkeit durch alle
Beziehungen des menschlichen Denkens und Empfindens hindurch.

Ich erwähne aber mit Absicht dieser zwiefachen, oberflächlicheren
und tieferen, sinnlicheren oder geistigeren Auffassung erst hier, da sie
vorzüglich da eintritt, wo die Sprache auf der Zweiheit der Wechselrede
ruht. Es ist im Vorigen nur die ganz empirische Erscheinung hiervon
angedeutet worden. Es liegt aber in dem ursprünglichen Wesen der
Sprache ein unabänderlicher Dualismus, und die Möglichkeit des Sprechens
selbst wird durch Anrede und Erwiederung bedingt. Schon das
Denken ist wesentlich von Neigung zu gesellschaftlichem Daseyn begleitet,
und der Mensch sehnt sich, abgesehen von allen körperlichen
und Empfindungs-Beziehungen, auch zum Behuf seines blossen Denkens
nach einem dem Ich entsprechenden Du, der Begriff scheint ihm
erst seine Bestimmtheit und Gewissheit durch das Zurückstrahlen aus
einer fremden Denkkraft zu erreichen. Er wird erzeugt, indem er sich
aus der bewegten Masse des Vorstellens losreisst, und, dem Subject gegenüber,
zum Object bildet. Die Objectivität erscheint aber noch vollendeter,
wenn diese Spaltung nicht in dem Subject allein vorgeht, sondern
der Vorstellende den Gedanken wirklich ausser sich erblickt, was
nur in einem andren, gleich ihm vorstellenden und denkenden Wesen
möglich ist. Zwischen Denkkraft und Denkkraft aber giebt es keine andre
Vermittlerin, als die Sprache.

Das Wort an sich selbst ist kein Gegenstand, vielmehr, den Gegenständen
gegenüber, etwas Subjectives, dennoch soll es im Geiste des
Denkenden zum Object, von ihm erzeugt und auf ihn zurückwirkend
werden. Es bleibt zwischen dem Wort und seinem Gegenstande eine so
befremdende Kluft, das Wort gleicht, allein im Einzelnen geboren, so
sehr einem blossen Scheinobject, die Sprache kann auch nicht vom Einzelnen,
107sie kann nur gesellschaftlich, nur indem an einen gewagten Versuch
ein neuer sich anknüpft, zur Wirklichkeit gebracht werden. Das
Wort muss also Wesenheit, die Sprache Erweiterung in einem Hörenden
und Erwiedernden gewinnen. Diesen Urtypus aller Sprachen
druckt das Pronomen durch die Unterscheidung der zweiten Person
von der dritten aus. Ich und Er sind wirkliche verschiedene Gegenstände,
und mit ihnen ist eigentlich Alles erschöpft, denn sie heissen mit
andren Worten Ich und Nicht-ich. Du aber ist ein dem Ich gegenübergestelltes
Er. Indem Ich und Er auf innerer und äusserer Wahrnehmung
beruhen, liegt in dem Du Spontaneität der Wahl. Es ist auch ein Nicht-ich,
aber nicht, wie das Er, in der Sphäre aller Wesen, sondern in einer
andren, in der eines durch Einwirkung gemeinsamen Handelns. In dem
Er selbst liegt nun dadurch, ausser dem Nicht-ich, auch ein Nicht-du,
und es ist nicht bloss einem von ihnen, sondern beiden entgegengesetzt.
Hierauf deutet auch der oben angeführte Umstand hin, dass in vielen
Sprachen die Bezeichnung und die grammatische Bildung des Pronomen
der dritten Person in ihrem ganzen Wesen von den beiden ersten
Personen abweicht, der Begriff desselben bald nicht rein, bald nicht in
allen Beugungsfällen der Declination vorhanden ist.

Erst durch die, vermittelst der Sprache bewirkte Verbindung eines
Andren mit dem Ich entstehen nun alle, den ganzen Menschen anregenden
tieferen und edleren Gefühle, welche in Freundschaft, Liebe und
jeder geistigen Gemeinschaft die Verbindung zwischen Zweien zu der
höchsten und innigsten machen.

Ob, was den Menschen innerlich und äusserlich bewegt, in die Sprache
übergeht, hängt von der Lebendigkeit seines Sprachsinnes ab, mit
welcher er die Sprache zum Spiegel seiner Welt macht. In welchem
Grade der Tiefe der Auffassung dies geschieht, liegt in der mehr oder
minder reinen und zarten Stimmung des Geistes und der Einbildungskraft,
in welcher der Mensch, auch ehe er noch zum klaren Bewusstseyn
seiner selbst gelangt, unwillkührlich auf seine Sprache einwirkt.

Der Begriff der Zweiheit, als der einer Zahl, also einer der reinen
Anschauungen des Geistes, besitzt aber auch die glückliche Gleichartigkeit
mit der Sprache, welche ihn vorzugsweise geschickt macht, in
sie überzugehen. Denn nicht Alles, wie mächtig es auch sonst den Menschen
anrege, ist hierzu gleich fähig. So giebt es nicht leicht einen mehr
in die Augen fallenden Unterschied unter den Wesen, als den zwischen
Lebendigen und Leblosen. Mehrere, vorzüglich Amerikanische Sprachen
gründen daher auf ihn auch grammatische Unterschiede, und vernachlässigen
dagegen den des Geschlechts. Da aber die blosse Beschaffenheit,
mit Leben begabt zu seyn, nichts in sich fasst, das sich innig in
die Form der Sprache verschmelzen liesse, so bleiben die auf sie gegründeten
grammatischen Unterschiede, wie ein fremdartiger Stoff, in
108der Sprache liegen, und zeugen von einer nicht vollkommen durchgedrungenen
Herrschaft des Sprachsinns. Der Dualis dagegen schliesst
sich nicht nur an eine der Sprache schlechterdings nothwendige Form,
den Numerus, an, sondern begründet sich, wie oben gezeigt worden,
auch im Pronomen eine eigene Stellung. Er bedarf daher nur in der
Sprache eingeführt zu werden, um sich in ihr einheimisch zu fühlen.

Indess kann es auch bei ihm, und giebt es in der That in verschiedenen
Sprachen einen nicht zu vernachlässigenden Unterschied. Es waltet
nämlich in der Bildung der Sprachen, ausser dem schaffenden Sprachsinn
selbst, auch die überhaupt, was sie lebendig berührt, in die Sprache
hinüberzutragen geschäftige Einbildungskraft. Hierin ist der
Sprachsinn nicht immer das herrschende Princip, allein er sollte es
seyn, und die Vollendung ihres Baues schreibt den Sprachen das unabänderliche
Gesetz vor, dass Alles, was in denselben hinübergezogen
wird, seine ursprüngliche Form ablegend, die der Sprache annehme.
Nur so gelingt die Verwandlung der Welt in Sprache, und vollendet sich
das Symbolisiren der Sprache auch vermittelst ihres grammatischen
Baues.

Zu einem Beispiel kann das Genus der Wörter dienen. Jede Sprache,
welche dasselbe in sich aufnimmt, steht, meines Erachtens, schon der
reinen Sprachform um einen Schritt näher, als eine, die sich mit dem
Begriff des Lebendigen und Leblosen, obgleich dieser die Grundlage
des Genus ist, begnügt. Allein der Sprachsinn zeigt nur dann seine
Herrschaft, wenn das Geschlecht der Wesen wirklich zu einem Geschlecht
der Wörter gemacht ist, wenn es kein Wort giebt, das nicht,
nach den mannigfaltigen Ansichten der sprachbildenden Phantasie, einem
der drei Geschlechter zugetheilt wird. Wenn man dies unphilosophisch
nannte, verkannte man den wahrhaft philosophischen Sinn der
Sprache. Alle Sprachen, die nur die natürlichen Geschlechter bezeichnen,
und kein metaphorisch bezeichnetes Genus anerkennen, beweisen,
dass sie entweder ursprünglich, oder in der Epoche, wo sie diesen Unterschied
der Wörter nicht mehr beachteten, oder über ihn in Verwirrung
gerathend, Masculinum und Neutrum zusammenwarfen, nicht
von der reinen Sprachform energisch durchdrungen waren, nicht die
feine und zarte Deutung verstanden, welche die Sprache den Gegenständen
der Wirklichkeit leiht.

Auch bei dem Dualis kommt es daher darauf an, ob er nur als empirische
Wahrnehmung der paarweis in der Natur vorhandenen Gegenstände
in das Nomen, und als Gefühl der Aneignung und Abstossung
von Menschen und Stämmen in das Pronomen, und mit diesem gelegentlich
in das Verbum übergegangen, oder ob er, wirklich in die allgemeine
Form der Sprache verschmolzen, wahrhaft mit ihr Eins geworden
ist. Als ein Kennzeichen hierfür kann allerdings seine durchgängige
109Aufnahme in alle Theile der Sprache gelten, doch für sich kann dieser
Umstand allein nicht entscheidend seyn.

Dass der Dualis sich schön in die Angemessenheit der Redefügung
einpasst, indem er die gegenseitigen Beziehungen der Wörter auf einander
vermehrt, auch für sich den lebendigen Eindruck der Sprache erhöht,
und in der philosophischen Erörterung der Schärfe und Kürze der
Verständigung zu Hülfe kommt, dürfte wohl schwerlich bezweifelt werden.
Er hat darin dasjenige voraus, wodurch sich jede grammatische
Form in der Schärfe und Lebendigkeit der Wirkung vor einer Umschreibung
durch Worte unterscheidet. Man vergleiche nur die Stellen Griechischer
und Römischer Dichter, wo von den, auch als Nachbarsterne
in die Augen fallenden Tyndariden, oder sonst von Brüderpaaren die
Rede ist. Wieviel lebendiger und ausdrucksvoller stellen die einfachen
Dualendungen

κρατερόφρονε γείνατο παῖδε,

oder

μινυνδαδίω δὲ γενέσδην

bei Homer die Zwillingsnatur dar, als die Ovidische Umschreibung es
thut,

at gemini, nondum coelestia sidera, fratres,
ambo conspicui, nive candidioribus ambo
vectabantur equis
.

Es vermindert diesen Eindruck nicht, dass in der ersten der angeführten
und andren ähnlichen Homerischen Stellen gleich auf den Dualis der
Pluralis folgt. Wenn das Bild einmal mit dem Dual eingeführt ist, wird
auch der Plural nicht anders gefühlt. Es ist vielmehr eine schöne Freiheit
der Griechischen Sprache, dass sie sich das Recht nicht entziehen
lässt, den Plural auch als gemeinschaftliche Mehrheitsform zu gebrauchen,
wenn sie nur, da wo es der Nachdruck erfordert, den Vorzug der
eignen Bezeichnung der Zweiheit behält. Dies aber weitläuftiger auszuführen,
und zu erforschen, ob auch bei den vorzüglichsten Griechischen
Schriftstellern durchgängig ein so feines und richtiges Gefühl für
den Dualis herrscht, wird es erst am Ende dieser Abhandlung bei der
besondren Betrachtung des Griechischen Dualis möglich seyn.

Nach allem bis hierher Gesagten scheint es mir nicht nothwendig,
noch diejenigen zu widerlegen, welche den Dualis einen Luxus und
Auswuchs der Sprachen nennen. Die Ansicht der Sprache, welche dieselbe
mit dem ganzen und vollen Menschen und dem Tiefsten in ihm in
Verbindung setzt, kann dahin nicht führen, und mit dieser allein haben
wir es hier zu thun. Ich beschliesse daher hier den allgemeinen Theil
110dieser Untersuchungen, und werde in den folgenden zu der Betrachtung
der einzelnen Sprachen nach den, weiter oben 26 in Absicht der
Behandlung des Dualis abgetheilten drei Classen übergehen.

Anmerkungen111

1voir Herr Schmitthenner (Ursprachlehre. S. 20.) sagt: Ohne nun eine ausführliche
Darstellung, dass die Sprachen Amerikas und Afrikas um so unvollkommener
und von einander abweichender seyn müssen, je weniger sich die sie sprechenden
Völker aus der Dummheit des Naturlebens zu dem Lichte der Vernunft,
und aus der Zerstreuung der Rohheit zu der Einheit der Bildung erhoben
haben, der Mühe werth zu halten, gehen wir u.s.f. Ich weiss nicht, ob
viele einen so verwerfenden und die Untersuchung von vorn herein abschneidenden
Ausspruch zu unterschreiben geneigt seyn möchten. Ich kann nicht
anders, als eine ganz entgegengesetzte Meinung hegen. Ich will mich hier
nicht auf den merkwürdigen Bau mehrerer Afrikanischen und Amerikanischen
Sprachen berufen. Es mag nicht jeder Sprachforscher Neigung zu einem
solchen Studium in sich fühlen, doch wird gewiss jeder, der sich auch nur
oberflächlich mit denselben beschäftigt hat, zugestehen, dass ihre Kenntniss
von der höchsten Wichtigkeit für das Sprachstudium ist. Allein der Culturzustand
jener Völkerschaften, namentlich der Amerikanischen, ist, und gerade
in Beziehung auf den Gedankenausdruck, gar nicht durchgängig so, wie er in
jener Stelle geschildert wird. Von den NordAmerikanischen Nationen geben
die Berichte über ihre Volksversammlungen und die mitgetheilten Reden einiger
ihrer Häuptlinge einen ganz andren Begriff. Viele Stellen derselben sind
von wahrhaft rührender Beredsamkeit, und stehen auch diese Stämme mit
den Einwohnern der Vereinigten Staaten in enger Verbindung, so ist doch das
Gepräge der reinen und ursprünglichen Eigenthümlichkeit in ihren Ausdrücken
unverkennbar. Sie sträuben sich allerdings, die Freiheit ihrer Wälder und
Gebirge mit der Arbeit des Ackerbaus und der Beschränkung in Häuser und
Dörfer zu vertauschen, allein sie bewahren in ihrem herumstreifenden Leben
eine einfache, wahrheitliebende, oft grossartige und edelmüthige Gesinnung.
Man sehe Morse's report to the Secretary of war of the united states on Indian
Affairs
, p. 71. App. p. 5. 21. 53. 121. 141. 242. Die Sprachen von Menschen,
die ihrem Ausdruck diese Klarheit, Stärke und Lebendigkeit zu geben verstehen,
können der Aufmerksamkeit der Sprachforscher nicht unwerth seyn.
Von einigen Süd-Amerikanischen Stämmen giebt Vieles Zeugniss, was in
Gilij's saggio di storia Americana über ihre Sagen und Erzählungen verstreut
ist. Wären aber auch alle heutigen Amerikanischen Eingebornen zu einem
Zustand absoluter Rohheit und dumpfen Naturlebens, wie es gewiss nicht der
Fall ist, herabgewürdigt, so lässt sich doch auf keine Weise behaupten, dass es
immer ebenso gewesen sey. Der blühende Zustand des Mexicanischen und
Peruanischen Reichs ist bekannt, und dass mehrere Völker in Amerika einen
höheren Grad der Ausbildung erlangt hatten, zeigen die Spuren alter Cultur,
die man zufällig von den Muiscas und Panos aufgefunden hat. (A. v. Humboldt.
Monumens des peuples de l'Amérique. p. 20. 72-74. 128. 244. 246.
248. 265. 297.) Sollte man es nun nicht der Mühe werth halten, zu untersuchen,
ob die uns gegenwärtig bekannten Amerikanischen Sprachen das Gepräge
jener Cultur oder der heutigen angeblichen Rohheit an sich tragen?

2voir Eine grosse Anzahl eben so sehr nachahmenswerter, als schwer nachzuahmender,
auf genaue und vollständige Zergliederung gegründeter Wortvergleichungen
finden sich in den neuesten Boppischen, Grimmischen und A.
W. v. Schlegelschen Schriften.

3voir Wie vortrefflich historische Untersuchungen dieser Art die Sprachenkunde
aufzuhellen im Stande sind, beweisen vorzüglich Klaproth's Tableaux historiques
de l'Asie
.

4voir Hierauf hat schon Klaproth (Asia Polyglotta. S. 43.) sehr richtig aufmerksam
gemacht.

5voir Es liegt in der Natur der Sache, dass die hier versuchte Aufzählung der Sprachen,
welche den Dualis besitzen, nicht vollständig seyn kann. Es schien mir
aber dennoch nothwendig sie, als eine durch weitere Forschungen zu ergänzende
hier mitzutheilen.

6voir Nur gewisse einmal hergebrachte Formeln, wie die beiden alten und heiligen
Städte
(Jerusalem und Mekka) machen hiervon eine Ausnahme. P.
Amédée Jaubert's Elémens de la grammaire Türke, p. 19. §. 46.

7voir W. Owen's dictionary of the Welsh language. Vol. 1. p. 36. Gramm. Celto-Bretonne
par Legonidec. p
. 42. Owen erwähnt nur des Vorsetzens der Zahl
zwei, nicht der beiden andren, für die Dualform allein entscheidenden Umstände.
Man muss dies aber wohl nur auf Rechnung seiner Ungenauigkeit,
nicht auf die der Sprache setzen.

8voir Adelung's Mithridates. I. 211.

9voir Bopp's analytical comparison of the Sanscrit cet. languages in den Annais of
Oriental literature. p
. 1. u. f. und in der Recension von Grimms Grammatik
in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik. 1827. S. 251. u. f.

10voir Dies scheint auch Herrn Bopps Meinung. Annais cet. p. 2.

11voir Ueber den vergeblichen Versuch, den Dualis in die Armenische Sprache einzuführen,
sehe man Cirbied's grammaire de la langue Arménienne. p. 37.

12voir Nach der mündlichen Versicherung des Herrn Professor Puharska, durch
dessen wissenschaftliche Sendung die Polnische Regierung ein höchst seltnes
Beispiel edlen Eifers für die vaterländische Sprache und das Sprachstudium
überhaupt giebt.

13voir Grimms Gramm. I. p. 814. nr. 35.

14voir In diesem Dialect hat der Missionar L. E. Threlkeld (ohne Bemerkung des
Jahres) in Sydney in Neu-Süd-Wales gedruckte, nach den grammatischen
Formen geordnete Gespräche unter folgendem Titel herausgegeben. Specimens
of a dialect of the Aborigines of New South-Wales being the first attempt
to form their speech into a written language
. 4. Man sehe den Dualis
p. 8.

15voir Es beruht dies nur auf einer abgerissenen Nachricht, die Herr Du Ponceau
zu der neuen Ausgabe von Eliot's grammar ofthe Massachusetts Indian language
p
. XX. giebt, und in der er sich selbst nur ungewiss ausdrückt.

16voir Vater's Handbuch der Hebräischen u.s.f. Grammatik. S. 121. Auch im Hebraeischen
ist der Name Aegyptens Mizraim (Gesenius Wörterbuch v.
mazor) ein Dualis. Diesen aber auf Ober- und Unter-Aegypten zu deuten,
wird man einen Augenblick dadurch irre gemacht, dass das obere, südliche
einen eignen Namen, Patros (Gesenius h. v.), führt. Auch leitet Herr Gesenius
(Lehrgebäude. S. 539. §. 2.) den Dualis in Mizraim von der, freilich aber
nicht auf das Delta passenden, Zweitheilung durch den Nil ab. Allein späteren
Mittheilungen nach, neigt sich Herr Gesenius jetzt zu meiner Meinung
hin, dass die Theilung in Ober- und Unter-Aegypten der Grund der Namenform
ist, und ich werde, wenn ich auf den Hebraeischen Dualis komme, weitläuftiger
ausführen, wie scharfsinnig er alle obige Benennungen, mit Unterscheidung
der Zeit ihres Gebrauchs, in Uebereinstimmung bringt.

17voir Dieser Ausdruck dürfte sich für die mit dem Sanskrit zusammenhangenden
Sprachen, die man neuerlich auch Indo-Germanische genannt hat, nicht
bloss durch seine Kürze, sondern auch durch seine innre Angemessenheit
empfehlen, da Sanskritische Sprachen, der Bedeutung des Worts nach,
Sprachen kunstreichen und zierlichen Baues sind.

18voir Dobrizhoffer's historia de Abiponibus. T. 2. p. 166-168.

19voir Dobrizhoffer schreibt joale und ahëpegak, will aber mit / den Spanischen
Laut dieses Buchstabens und mit ë den Umlaut ö ausdrücken.

20voir Handschriftliche mir vom Abate Hervas mitgetheilte, nach Papieren des
Abate Don Raimondo de Termaier verfasste Grammatik der Mokobischen
Sprache. §. 3.

21voir A Grammar of the Tahitian dialect ofthe Polynesian language. Tahiti. 1823.
p. 9. 10.

22voir Silvestre de Sacy's Grammaire Arabe. T. 1. §. 702. 704. 710., womit auch
Oberleitner (fundamenta linguae Arabicae. p. 224.) verglichen zu werden
verdient.

23voir Auf dieselbe Weise scheint Adelung (Wörterbuch, v. Mann. S. 349. u.a.a.O.)
es zu nehmen, wenn man im Deutschen einige Wörter mit Zahlen im Singular
verbindet, und sechs Loth, zehn Mann u. s. w. sagt. Zum Theil ist dies
auch ganz richtig, einige dieser Redensarten sind sogar nur in der gemeinen,
nicht in der edleren Sprechart geduldet, und in allen herrscht der zufällige
Eigensinn des Sprachgebrauchs, da man z.B. zehn Pfund, aber nie zehn Elle
sagt. Gerade da aber, wo dieser Sprachgebrauch sich am meisten festgesetzt
hat, bei Mann, liegt, meinem Gefühl nach, eine schöne, von Adelung nicht
herausgehobene Feinheit in dem Ausdruck. Der Singular soll hier andeuten,
dass die angezeigte Zahl als ein geschlossenes Ganzes angesehen wird; darum
wird das Wort aus der unbestimmten Mehrheit des Pluralis herausgerissen.
Dies ist vorzüglich in der distributiven Redensart vier Mann hoch sichtbar,
wo jede vier zusammenstehende Männer als Eine Reihe gelten sollen.
Ich glaubte dies bemerken zu müssen, da dieser anomale Singular, wie der
Dualis, eigentlich ein collectiver, ein Plural-Singular, ist, und diese Redensarten
einen Beweis abgeben, wie die Sprachen, in Ermangelung richtiger Formen,
unrichtige, aber im Augenblick des jedesmaligen Gebrauchs charakteristische,
zu Erreichung ihres Zwecks anwenden. Dem Ausdruck zehn Fuss
liegt wohl etwas Andres, nemlich die Unterscheidung des eigentlichen und
des übergetragenen Begriffs von Fuss zum Grunde, obgleich man zu diesem
Behuf auch einen doppelten Plural Fusse und Füsse unterscheidet. Eine ähnliche,
mit diesen Fällen zu vergleichende Verwechslung des Numerus kommt
im Hebraeischen vor. (Gesenius Lehrgebäude. S. 538.) Ueber das Kymrische
s. oben S. 12.

24voir In der Abiponischen Sprache z. B. giebt es sechs verschiedene durch beide
Geschlechter durchgehende Wörter um das Pron. 3. pers. selbständig auszudrücken.
Alle endigen mit der Sylbe ha, diese kommt aber allein nie vor,
und ist auch schwerlich die Bezeichnung des er, da sie, wenn man mit diesem
sechsfachen Pronomen, wie man kann, den Begriff allein verbindet,
gänzlich verschwindet. Für das Besitzpronomen hingegen giebt es eine einfache
Bezeichnung, die jedoch oft ausgelassen wird, so dass alsdann der
Mangel der Besitzbezeichnung zur Anzeige des Possessivum 3. pers. wird.
Dobrizhoffer. l. c. T. 2. p. 168-170.

25voir Indische Bibliothek. B. 2. S. 458.

26voir S. 97.