CTLF Corpus de textes linguistiques fondamentaux • IMPRIMER • RETOUR ÉCRAN
CTLF - Menu général - Textes

Humboldt, Wilhelm von. Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues – T07

Ueber die Verschiedenheiten
des Menschlichen Sprachbaues

Erster Abschnitt
Von der allgemeinen Sprachkunde und dem besondren Zwecke
der gegenwärtigen Schrift

1. Die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues aufzusuchen, sie
in ihrer wesentlichen Beschaffenheit zu schildern, die scheinbar unendliche
Mannigfaltigkeit, von richtig gewählten Standpunkten aus, auf
eine einfachere Weise zu ordnen, den Quellen jener Verschiedenheit
und vor Allem ihrem Einfluss auf die Denkkraft, Empfindung und Sinnesart
der Sprechenden nachzugehen, und durch alle Umwandlungen
der Geschichte hindurch dem Gange der geistigen Entwicklung der
Menschheit an der Hand der tief in dieselbe verschlungenen und sie von
Stufe zu Stufe begleitenden Sprache zu folgen, ist das wichtige und vielumfassende
Geschäft der allgemeinen Sprachkunde. Ich sage hier
Sprachkunde, nicht, wie gewöhnlich zu geschehen pflegt, Sprachenkunde.
Bekanntlich geht im Deutschen bald der Singular, bald der Plural
in die Zusammensetzung über. In einigen Fällen geschieht dies nach
zufälligem und gewissermassen willkührlichem Sprachgebrauch, in andren
nach sinniger Beachtung des Unterschiedes in der Bedeutung.
Sprach- und Sprachenkunde gehören offenbar zu der letzteren Classe,
und ich brauche, obgleich hier immer von mehreren Sprachen die Rede
ist, dennoch mit Absicht die erstere dieser Formen, um gleich durch den
Ausdruck daran zu erinnern, dass die Sprache eigentlich nur Eine, und
es nur diese eine menschliche Sprache ist, die sich in den zahllosen des
Erdbodens verschieden offenbart.

2. Es bedurfte der Zeit und mannigfaltiger Zurüstungen, ehe nur der
Begriff dieser Wissenschaft vollständig aufgefasst werden konnte, von
welcher die Alten noch keine Ahndung besassen. Zwar bereiteten die
Griechen dasjenige vor, was die nothwendigste und festeste Grundlage
derselben ausmacht. Denn die Neueren verdanken ihnen alle wesentlichen
und bildenden Ideen der allgemeinen philosophischen Grammatik,
von welcher alle Sprachkunde zuerst ausgehen muss. Die besondre,
sich, wie ich weiter unten ausführlich zu entwickeln hoffe, vor dem ihr
115sonst so nahe verwandten Sanskrit auszeichnende Natur ihrer Sprache
führte sie von selbst darauf hin. Es kam ihnen jedoch auch die eigenthümliche
Geistesrichtung, in der Bestimmung und Spaltung der Begriffe
immer bis an die Gränze der Spitzfindigkeit zu gehen, aber dort, gerade
an dem entscheidenden Punkt, von dem Tiefsinn gehalten zu
werden, welcher, immer die gediegene Wesenheit der Dinge erfassend,
niemals den Begriff in nichts verfliegen lässt, vorzugsweise in einem
Gebiete zu Hülfe, auf dem das Gelingen gerade der richtigen und genievollen
Verbindung dieser beiden Geistesthätigkeiten bedarf. Noch mehr
aber vielleicht wirkten sie auf das Sprachstudium durch die gewissermassen
unbewusst in ihnen vorgehende Behandlung ihrer Sprache ein.
Jede andre, von irgend einer Seite gleich vollkommene Sprache würde
demselben, als ein vorzüglich dankbarer Gegenstand der Forschung,
gleich wohlthätig werden. Die Griechen zeichnet aber auch die Eigenthümlichkeit
aus, dass die Sprache viel lichtvoller und bestimmter aus
dem Wesen des ganzen Volkes zurückstrahlt. Sein lebendiges Gefühl
derselben ist sichtbar, und ihr selbst steht auch das Bewusstseyn gegenüber,
das sie geweckt hatte. Aus den dichterischen und prosaischen
Werken leuchtet die Lebendigkeit und die Richtigkeit des Sprachsinnes
der Nation hervor, die wahrhaft künstlerische Liebe und das Geschick,
mit welchem sie ein Werkzeug behandelte, das gerade wegen seiner
Vollendung grössere Gewandtheit, Sicherheit des Taktes und Zartheit
des Gefühles erforderte. Das Volk trug nicht bloss, wie es überall mehr
oder weniger thut, die Stärke und Fülle der Sprache in Frische und Lebendigkeit
fort, sondern prüfte und richtete auch mit ungewöhnlicher
Feinheit des Ohrs und selbst des höheren Geschmacks, ohne dass jene
Eigenschaften hierdurch vermindert wurden. Der Sprachforscher sieht
also die Erscheinung, die er immer zu verfolgen hat, die Wechselwirkung
des Menschen mit der Sprache, bei den Griechen in bestimmteren
und leichter erkennbaren Zügen vor sich. Bei aller Stärke, Tiefe und
Regsamkeit des Sprachsinnes aber gelangten die Griechen nie zu dem
Punkt, auf welchem das Bedürfniss der Erlernung fremder Sprachen,
um der Sprache willen, fühlbar wird. Sie erhoben sich zu dem reinen
Begriffe derselben; dass es aber ein geschichtliches Studium der Sprache
geben könnte, welches auf jenem einseitig verfolgten Wege unerreichbare,
allgemeine Uebersichten gewährte, blieb ihnen fremd. Wo
sie sich diesem Theile des Wissens nähern, wie wenn sie Wortherleitungen
versuchen, zeigt es sich vielmehr, dass sie sich auf einem, ihnen unbekannten
Gebiete befinden. Bis es möglich war, auf diesem heimisch
zu werden, mussten erst geschichtliche Umwälzungen den Menschen
mehr auf den Zustand seines ganzen Geschlechts richten, und hierdurch
neue Ansichten auch über die Natur der Sprache eröffnen.

3. Der grösste Theil des Erdbodens musste erst bekannt und mannigfaltig
116durchstrichen seyn, und die Beschäftigung mit seinen Bewohnern
musste ins Einzelne, in ihren häuslichen Zustand, ihre geistige Entwicklung
eingehen, um nur das zu dem Studium nothwendige Material zu
gewinnen. Immer muss man sich indess gestehen, dass auch im Alterthum
ein genügender Theil der Erde und hinlänglich bekannt war, um
auch dem Sprachstudium genügende Nahrung darzubieten. Von den
frühesten Zeiten an hatten Kriegszüge, Völkerverpflanzungen, und
Wissbegierde und Forschungsgeist die Nationen in Berührung mit einander
gebracht, und von jedem Punkte höherer Civilisation gieng stärker
oder schwächer dämmernde Kenntniss der ihn umgebenden fremdartigen
Erdstriche aus. Auch verbreitete sich die Aufmerksamkeit
hinlänglich über die oben genannten Gegenstände. Herodot schildert
sorgfältig Sitten und Lebensweise, sammelt Sagen und Lehrsätze,
forscht ausdrücklich in Aegypten nach dem Ursprunge Hellenischen
Wesens, zeigt Begriffe von Sprachverwandtschaft 11; und täuscht doch
alle Erwartung, wenn man nun gewiss glauben sollte, er müsste
nothwendig auch in die Sprache, ihre Beschaffenheit, ihre Verschiedenheit
von der Griechischen eingehen. Mit Alexander treten die Ideen von
Weltherrschaft und Welthandel in die nicht mehr durch Fabeln entstellte
Geschichte ein; Aristoteles gründet genauere Naturforschung und
grössere Strenge in jeder wissenschaftlichen Behandlung. Durch Rom
und Karthago ward, wenn auch das Wissenschaftliche nachstand, alles
dies weiter fortgeführt und sichrer befestigt. Dennoch hat uns das ganze
Alterthum nur die dürftigsten Nachrichten über Aegyptische Sprache
und Schrift hinterlassen; mit dem Persischen und Punischen steht
es noch schlimmer; und nur die Komiker der beiden welterleuchtenden
und weltbeherrschenden Nationen halten es werth, die fremden Töne
von ihrer Bühne herab erschallen zu lassen. Es fehlten also nicht bloss
eine Menge von Antrieben zu der Verbindung der Nationen, sondern es
waren offenbar auch hemmende Ursachen vorhanden.

4. Ich setze diese vorzüglich in die Abgeschiedenheit, in welche sich
im Alterthum, und noch tief bis in das Mittelalter hinein, die Nationen
ummauerten, und in eine unrichtige Ansicht von der Natur der Sprache.
Die erstere hinderte, sich so angelegentlich mit fremden Nationen
zu beschäftigen, als es nothwendig aller Sprachkunde vorausgehen
muss, die letztere machte, dass auch die hinlänglich bekannten Sprachen
so lange, und bis in ganz späte Zeiten hin, für die Wissenschaft
unbenutzt blieben. Wenn es eine Idee giebt, die durch die ganze Geschichte
hindurch in immer mehr erweiterter Geltung sichtbar ist,
wenn irgend eine die vielfach bestrittene, aber noch vielfacher misverstandne
Vervollkommnung des ganzen Geschlechtes beweist, so ist es
die der Menschlichkeit, das Bestreben, die Gränzen, welche Vorurtheile
und einseitige Ansichten aller Art feindselig zwischen die Menschen
117stellen, aufzuheben, und die gesammte Menschheit, ohne Rücksicht auf
Religion, Nation und Farbe, als Einen grossen, nahe verbrüderten
Stamm zu behandeln. Es ist dies das letzte, äusserste Ziel der Geselligkeit,
und die Richtung des Menschen auf unbestimmte Erweiterung seines
Daseyns, beides durch seine Natur selbst in ihn gelegt. Er sieht den
Boden, so weit er sich ausdehnt, den Himmel, soweit, ihm entdeckbar,
ihn Gestirne umflammen, als innerlich sein, als ihm zur Betrachtung
und Wirksamkeit gegeben an. Schon das Kind sehnt sich über die Hügel,
die Gebirge, die Seen, die Meere hinaus, die seine enge Heimath
umschliessen, und sich dann gleich wieder pflanzenartig zurück, wie
das überhaupt das Rührende und Schöne im Menschen ist, dass Sehnsucht
nach Erwünschtem und nach Verlorenem ihn immer bewahrt,
ausschliesslich am Augenblicke zu haften. So, festgewurzelt in der innersten
Natur des Menschen, und zugleich geboten durch seine höchsten
Bestrebungen, ist jene wohlwollend menschliche Verbindung des
ganzen Geschlechts eine der grossen leitenden Ideen in der Geschichte
der Menschheit. Alle solche Ideen, ununterbrochen ihrem Zwecke zueilend,
erscheinen, neben ihren reinen Offenbarungen, auch in oft fast
unkenntlichen Abarten. Abarten jener sind, ihrem Ursprunge und
Zwecke nach, alle aus selbstsüchtigen oder doch, nach dem Ausdruck
der Indischen Philosophie, der Irdischheit entnommenen Absichten begonnenen
Länder- und Völkerverbindungen, ihrem Principe nach,
wenn sie auch das Heiligste vorkehren, die die Freiheit und Eigenthümlichkeit
der Nationen gewaltsam, unzart oder gleichgültig behandelnden.
Die stürmenden Ländervereinigungen Alexanders, die staatsklug
bedächtigen der Römer, die wild grausamen der Mexicaner 22 gehören
hierher. Grosse und starke Gemüther, ganze Nationen handelten unter
der Macht einer Idee, die ihnen in ihrer Reinheit gänzlich fremd war. In
der Wahrheit ihrer tiefen Milde sprach sie zuerst, ob es ihr gleich nur
langsam Eingang verschaffen konnte, das Christentum aus. Früher
kommen nur einzelne Anklänge vor. Die neuere Zeit hat den Begriff der
Civilisation lebendiger aufgefasst und klarer entwickelt, die civilisirten
Nationen fühlen das Bedürfniss, die unter ihnen herrschende Verbindung
weiter zu verbreiten, auch die Selbstsucht gewinnt die Ueberzeugung,
dass sie auf diesem Wege weiter gelangt, als auf dem gewaltsamer
Absonderung, und menschenfreundliche Philosophie und weise Gesetzgebung
haben den Grundsatz klar und rein aufgestellt. Allein auch die
Religion und Civilisation haben Abarten der reinen Idee in der Geschichte
aufgestellt. Der Islamismus gebietet ausdrücklich gewaltsame
Bekehrung, das Christenthum hat sich in seiner Entartung oft dazu hingegeben,
und die Scheinheiligkeit der Civilisation zeigt sich in einem
merkwürdigen Beispiel an den Ländervereinigungen der Incas, die, um
Völker menschlicher und gesitteter zu machen, sie mit Krieg überzogen,
118unterjochten, und ihrer mönchischen Polizei unterwarfen. Die
grossen Nationen des Alterthums bildeten, streng genommen, nur die
schöne Abgeschlossenheit in der eignen Nationalitaet aus. Ihr unsterbliches
Verdienst um die Menschheit, das sich forterben wird, solange die
Kette der jetzigen Begebenheiten sich fortschlingt, die bewundernswürdige
Höhe, auf der sie standen, gehören einer andren gleich wichtigen
Idee in der Geschichte der Menschheit an. Ihre, eng mit dem Staatswesen
verbundene Religion verschmähte eher die Verbreitung nach aussen,
als sie danach strebte, wenn sie sich auch dem Eindringen fremden
Gottesdienstes wenig und selten widersetzte. Der Gegensatz zwischen
Civilisation und Uncultur war in der alten Welt vorhanden, bekannt
und beachtet, aber die Idee der ersteren war nicht so klar aufgefasst, als
unter uns, ward nicht so lebendig gefühlt, und griff nirgends recht wirksam
in das Leben ein. Die Geringschätzung des Fremden vermischte
Rohes und Gebildetes mit einander. Nur die Griechische Kunst, Wissenschaft
und Sprachbildung zwang den Römern Bewunderung ab,
auch wirkte unverkennbare Stammverwandtschaft mit. Aegyptisches
und Punisches liess man in langsame Vergessenheit sinken, oder zerstörte
es mit wahrhafter Rohheit, ohne es eines ernsteren Studiums zu
würdigen.

5. Die Sprache umschlingt mehr, als sonst etwas im Menschen, das
ganze Geschlecht. Gerade in ihrer völkertrennenden Eigenschaft vereinigt
sie durch das Wechselverständniss fremdartiger Rede die Verschiedenheit
der Individualitäten, ohne ihnen Eintrag zu thun. Ich musste
daher ausführlicher des Bestrebens gedenken, welches auf die Schicksale
der Sprachen und die Kenntniss derselben den wichtigsten Einfluss
ausübt. Ich musste besonders der Religion und Civilisation erwähnen,
da unter den vielen, die Brust öde lassenden menschlichen Richtungen
sie gerade das aufsuchen müssen, wozu nur die heimathliche Sprache
den Schlüssel bewahrt. Zwar finden auf allen diesen Wegen auch viele
Sprachen den Untergang, die sich nach der Weise des Alterthums oder
in der Abgeschiedenheit der Uncultur länger erhalten hätten. Indess
entstehen auch neue durch Mischung, und vorher abgesonderte werden
allgemeiner. Dies liegt in dem Gange der Natur, Sprachen, wie Menschen
und Völker, kommen und scheiden. Aber die Sprache im Allgemeinen,
die ganze menschliche als Eine genommen, und jede einzelne,
welche in diese höhere Berührung kommt, gewinnen, je grösser die
Masse der Gegenstände, der in Sprache verwandelten Welt, wird, und
je vielfacher die in gemeinsames Verständniss tretenden Individualitaeten,
diese eigentlich sprachbildenden Potenzen, sind. Die Sprachkunde
bereichert sich nicht bloss an Masse des Stoffs, sondern es entsteht
auch für sie die Möglichkeit neuer und den Geist mehr anziehender Erscheinungen.119

6. So gewiss aber auch die vollständigere Kenntniss der verschiedenen
Sprachen des Erdbodens erst der neueren Zeit aufbehalten bleiben
musste, so hätte doch diejenige, welche die Alten, und namentlich die
Griechen wirklich besassen, vollkommen hingereicht, sie auf die Idee
einer allgemeinen Sprachkunde zu führen, wenn ihnen nicht die dahin
einschlagende Ansicht der Sprache gefehlt hätte; oder vielmehr, hätten
sie diese besessen, so würde es ihnen leicht geworden seyn, aus der ihnen
bekannten Welt eine bedeutende Masse des Stoffs für ein solches
Studium herbeizuführen. Das benachbarte Asien besass eine Menge
verschiedener Sprachen oder wenigstens Mundarten, Mithridates ist
noch heute die sprichwörtliche Bezeichnung linguistischer Polyhistorie,
auf der andren Seite war Italien in ähnlichem Falle, auch Sicilien hatte
anders redende Stämme, mitten unter den Griechen selbst wohnten solche,
von denen es für uns heute von der grössesten Wichtigkeit seyn
würde zu wissen, ob sie hellenische früherer Zeit oder wirklich fremde
anderen Sprachgebiets waren. So weit gieng die Sorglosigkeit des Alterthums
hierin, dass uns die Griechischen Schriftsteller in vollkommenem
Dunkel über die Sprache der Pelasger lassen 33, die Römischen nur
dürftige Nachrichten über die Italischen Mundarten enthalten, und
wenn sie ausdrücklich Turdetanischer Literatur und Sprache erwähnen,
dennoch darüber unbefriedigend und unbelehrend bleiben. Trotz dieser
Sorglosigkeit aber liesse sich durch eine genaue Sammlung aller bei den
Alten zerstreuten Nachrichten über fremde Sprachen, die eine höchst
verdienstvolle Arbeit seyn würde, zeigen, dass die Masse ihrer Kenntnisse
auch in diesem Fach nicht unbedeutend war. Es lag also nicht so
sehr an dem Mangel des Stoffs, als hauptsächlich an dem Mangel der
Idee, die ihn bearbeitet und befruchtet haben würde. Zu sehr in ihren
heimischen Sprachen befangen, hatten die Griechen und Römer keinen
Begriff davon, dass das Studium einer fremden, zumal wenn es nicht
Mittel zur Erlernung ausländischer Weisheit oder Geschichte war,
Werth haben könnte. Hat doch auch in neuerer Zeit dasselbe Vorurtheil
lange geherrscht, giebt es doch auch jetzt noch viele, welche die Zergliederung
von Sprachen uncultivirter Nationen kaum für mehr, als für
eine Beschäftigung müssiger Wissbegierde halten, höchstens geeignet,
auffallende, aber wenig weiter führende Aehnlichkeiten entfernter
Sprachen aufzudecken, und Beispiele sonderbarer grammatischer Eigenheiten
zu liefern. Daher werden so oft nur diese herausgehoben, der
Zusammenhang des individuellen inneren Baues, gerade das Einzige,
was den auf intellectuelle Naturbeobachtung Gerichteten anzieht und
entzückt, unbeachtet gelassen. Auch bei uns dankt die allgemeine
Sprachkunde die Aufmerksamkeit, die man ihr, etwa seit Leibnitz Zeiten
geschenkt hat, weniger ihrem innern Begriff, als dem Streben, die
Verwandtschaft der Völker etymologisch aufzufinden, und der Geschäftigkeit
120der, unbekümmert um den augenblicklichen Zweck, alles
Wissbare unermüdet zusammentragenden Gelehrsamkeit. Jenes Streben
war in den Alten zwar schon früh sichtbar, aber doch weniger ernst
und lebendig, und diese Geschäftigkeit, deren Sorglosigkeit um den
nahe liegenden Zweck gewiss nicht Tadel, sondern die höchste Schätzung
verdient, war bei ihnen nicht auf diesen Gegenstand gerichtet, so
manche andre unbedeutende und spielende ihm auch hätten würdiger
Platz machen können.

7. Die Vorstellung, dass die verschiednen Sprachen nur dieselbe
Masse der unabhängig von ihnen vorhandenen Gegenstände und Begriffe
mit andren Wörtern bezeichnen und diese nach andren Gesetzen,
die aber, ausser ihrem Einfluss auf das Verständniss, keine weitere
Wichtigkeit besitzen, an einander reihen, ist, ehe er tiefer über die Sprache
nachdenkt, dem Menschen zu natürlich, als dass er sich leicht davon
losmachen könnte. Er verschmäht das im Einzelnen so klein und
geringfügig, als blosse grammatische Spitzfindigkeit Erscheinende, und
vergisst, dass die sich anhäufende Masse dieser Einzelnheiten ihn doch,
ihm selbst unbewusst, beschränkt und beherrscht. Immer in Objecten
lebend, webend und handelnd, bringt er die Subjectivitaet zu wenig in
Anschlag, und gelangt schwer zu dem Begriff einer durch die Natur
selbstgegebnen, sich allem Objectiven in ihm beimischenden, und es,
nicht zufällig, launisch oder willkührlich, sondern nach innern Gesetzen
so umgestaltenden, dass das scheinbare Object selbst nur zu subjectiver,
und doch mit vollem Recht auf Allgemeingültigkeit Anspruch machender
Auffassung wird. Die Verschiedenheit der Sprachen ist ihm
nur eine Verschiedenheit von Schällen, die er, gerichtet auf Sachen,
bloss als Mittel behandelt, zu diesen zu gelangen. Diese Ansicht ist die
dem Sprachstudium verderbliche, diejenige, welche die Ausdehnung
der Sprachkenntniss verhindert, und die wirklich vorhandene todt und
unfruchtbar macht. Sie war vermuthlich, wird sie auch nirgends ausdrücklich
ausgesprochen, bei den Alten die vorherrschende. Sonst würden
aus der Tiefe ihrer Philosophie andre Ideen über die Natur der
Sprache, nicht bloss über die logische und grammatische Form der
Rede, hervorgegangen seyn, ihre Wissbegierde würde mehr fremden
Sprachstoff zusammengetragen, und ihr bewundernswürdiger Scharfsinn
ihn bearbeitet haben.

8. Die wahre Wichtigkeit des Sprachstudiums liegt indem Antheil
der Sprache an der Bildung der Vorstellungen. Hierin ist alles enthalten,
denn diese Vorstellungen sind es, deren Summe den Menschen ausmacht.
Ist aber auch mit diesem Einen Alles ausgesprochen, so wird es
klarer, wenn man es einzeln entwickelt. Der Antheil der Sprache an den
Vorstellungen ist nicht bloss ein metaphysischer, das Daseyn des Begriffs
bedingender; sie wirkt auch auf die Art seiner Gestaltung und
121drückt ihm ihr Gepräge auf. Indem, bei aller objectiven Verschiedenheit
in ihm, sie immer in dem ihr eignen Charakter auf ihn wirkt, giebt sie
der ganzen Masse der Vorstellungen eine mit ihr zusammenhangende
gleichmässige Gestaltung. Sie steht ebenso der Fügung des Gedanken in
innerlicher oder äusserlicher Rede vor, und bestimmt dadurch auch die
Verknüpfungsweise der Ideen, die wieder auf den Menschen nach allen
Richtungen hin zurückwirkt. Das Verfahren der verschiednen Sprachen
ist hierbei sichtbarlich nicht dasselbe, und es kann doch nicht durchaus
gleichgültig seyn, da nichts dies ist, und am wenigsten im Gebiete des
Intellectuellen, wo auch die leiseste Berührung in den Schwingungen
aller Theile vernehmbar wird. Ein sehr grosser Theil der Sprache und
ihres Baues kann erkannt werden, ehe man noch zu den einzelnen Lauten
herabsteigt, so wenig besteht ihr Wesen in blossen Schällen. Aber
diese Schälle sind doch in jeder individuellen die Hauptsache, und ihr
Studium darf nicht verschmäht werden. Denn der Mensch kommt nicht
nach Art eines reinen Geistes in die Welt, der den fertigen Gedanken
nur mit Tönen umkleidet, sondern als ein tönendes Erdengeschöpf, aus
dessen Tönen sich aber, nach ihrer wundervollen Natur, durch ein in
ihrem scheinbar zufälligen Gewirr ruhendes System alles Grosse, Reine
und Geistige entwickelt. Sie sind es also doch, welche auch jenen, ohne
sie erkennbaren Theil der Sprache bestimmen und gewissermassen beherrschen,
und wenigstens steht alles auf die Sprache Einwirkende in
einer Verbindung, deren unzertrennliche Innigkeit jede Verschiedenheit
in der Würdigung des Einzelnen von selbst zurückweist. Die Sprache
gehört aber dem Menschen selbst an, sie hat und kennt keine andere
Quelle, als sein Wesen, wenn man sagt, dass sie auf ihn wirkt, sagt man
nur, dass er sich in ihr nach und nach in immer steigendem Umfang und
immer wechselnder Mannigfaltigkeit bewusst wird. Wenn sich aber die
Sprache so mit dem Menschen identificirt, so thut sie dies nicht bloss
mit dem Menschen, allgemein und metaphysisch gedacht, sondern mit
dem wirklich vorhandenen, lebendigen, durch alle die vielfachen örtlichen
und geschichtlichen Verhältnisse der Irdischheit enge bedingten,
nicht mit dem einzelnen, nicht mit der Nation allein, zu der er sich rechnet,
nicht mit der jedesmaligen Generation, sondern mit allen Völkern
und allen gewesenen Geschlechtern, die, wie fern und mittelbar die Verknüpfungen
gewesen seyn mögen, mit ihm in Sprachberührung gestanden
haben. Dadurch wird die Sprache dem einzelnen Menschen und
der einzelnen Nation auch zu einer äusserlichen Macht, aber so, dass
auch aus dem fremdesten Laut ihm innige Verwandtschaft entgegenklingt.
Wie also der Begriff der Sprache richtig gefasst wird, ist auch die
Nothwendigkeit allgemeiner historischer Sprachkunde gegeben, der Begriff
der Wissenschaft unmittelbar mit dem ihres Gegenstandes.

9. Wie erkennbar indes das eben Gesagte auf dem Wege blosser Ideen
122ist, so waren, um darauf geleitet zu werden, doch vielleicht erst recht
auffallende Wahrnehmungen von Sprachverschiedenheit nothwendig;
die Kenntniss der Sprachen musste sich nicht nur auf ganz abweichend
gebaute verbreiten, sondern es mussten sich auch unter den Sprachen
selbst ganz neue geistige Erscheinungen entwickeln. Zwei grosse Fragen,
beide geschichtlich und im Einzelnen zu beantworten, bilden den
Umfang der allgemeinen Sprachkunde: wie gestaltet sich in dem Menschen
die ihm eigenthümliche Sprache tauglich zum Verständniss und
zum Ausdruck aller sich ihr möglicherweise in der Vielfachheit der Gegenstände,
und der Mannigfaltigkeit der Redenden darbietenden Begriffe
und Empfindungen? und wie werden der Mensch und seine Weltansicht
durch die ihm eigenthümliche Sprache angeregt und bestimmt?
Die erstere dieser Fragen umfasst den Organismus der Sprachen, die
letztere bringt ihre Betrachtung mit dem geistigsten aller Einflüsse in
Berührung, welchen durch die ganze Geschichte hindurch gleichzeitige
Nationen und verschiedne Generationen auf einander ausüben. Die
Verschiedenheit des Baues wird, auch wo sie schon wesentlich genug
ist, dennoch leicht nicht hinreichend erkannt und gewürdigt, solange
man sich mit wenigen, und nicht ganz von einander abweichenden
Sprachen beschäftigt. Denn der Organismus aller Sprachen ist doch
wieder ein gemeinsamer, und die Verschiedenheit und selbst der Gegensatz
dürfen nur innerhalb dieser allgemeinen Identitaet genommen werden.
Sprache kann auch nicht, gleichsam wie etwas Körperliches, fertig
erfasst werden; der Empfangende muss sie in die Form giessen, die er,
für sie bereitet, hält, und das ist es, was man verstehen nennt. Nun
zwängt er entweder die fremde in die Form der seinigen hinüber, oder
versetzt sich, mit recht voller und lebendiger Kenntniss jener ausgerüstet,
ganz in die Ansicht dessen, dem sie einheimisch ist. Die lichtvolle
Erkennung der Verschiedenheit fordert etwas Drittes, nämlich ungeschwächt
gleichzeitiges Bewusstseyn der eignen und fremden Sprachform.
Dies aber setzt in seiner Klarheit voraus, dass man zu dem höheren
Standpunkt, dem beide untergeordnet sind, gelangt sey, und
erwacht auch dunkel erst recht da, wo scheinbar gänzliche Verschiedenheit
es auf den ersten Anblick gleich unmöglich macht, das Fremde
sich, und sich dem Fremden zu assimiliren. Das Gemeinsame liegt auch
noch weit mehr in dem Menschen, als in den Sprachen selbst. Daher
versteht der Mensch den Menschen leicht auch da, wo, genau untersucht,
die Sprache keine Brücke des Verständnisses darbietet. Man
übersieht daher leicht, ob und welche Andeutungen die Sprache selbst,
wirklich und körperlich enthält, worauf es doch hauptsächlich bei ihrem
unaufhörlichen Einfluss auf den in seinem ganzen Innern immer
sinnlich von aussen erregten, bestimmten und bedingten Menschen ankommt.
So erscheint das Verschiedene gleich, das Getrennte gemeinsam.
123In der That ist dasjenige, was wirklich diesen letzteren Charakter
an sich trägt, in der Schärfe vollständiger intellectueller Individualität
betrachtet, durchaus eigenthümlich. Man wird aber erst durch die Erscheinung
selbst, und nur wo sie recht auffallend ist, darauf geführt.

10. Geistige Wechselwirkung der Sprachen auf einander kann in höherem
Grade erst dann eintreten, wann sie, ihrer ursprünglichen Natur
augenblicklich verhallender Laute zuwider, sich in bleibenden Worten
verewigen. Ueberhaupt ist dies eine nothwendige und die wichtigste
Epoche in ihrem Entwicklungsgange. Die Sprachen streben, bewusst
und unbewusst, wie der Mensch, theils als Naturkörper, allmälich erstarrend,
theils als Wesen der Zeit, die das Höhere über aller Zeit ahnden,
in der Begierde, dem flüchtigen Daseyn Dauer zu schaffen, nach
Fixation. Der erzeugte Stoff muss zu ruhiger, gesammelter, oft wiederkehrender
Betrachtung da liegen, um klar und voll ins Bewusstseyn zu
treten, und zu neuen Erzeugnissen befruchtet zu werden. Die erste Epoche
dieser Fixation ist das Alphabet, die zweite die Literatur, das Entstehen
durch Gedanken- und Empfindungswerth bleibender Werke. Beide
gehören ganz besonders den Sprachen an, weil diese oder jene das Eintreten
dieser Epochen mehr oder minder begünstigt. Die Erscheinung
des gleichzeitigen Bestehens der Literaturen mehrerer hochgebildeten
Nationen neben einander war erst der neueren Zeit aufbehalten, und
wurde Jahrhunderte lang durch welthistorische Begebenheiten vorbereitet.
Die Nationen mussten erst enge religiöse, politische und sittliche
Verbindungen eingehen, sie mussten, ihnen vom Alterthum überliefert,
ein allgemeines Sprachverbindungsmittel besitzen, endlich, grösstentheils
durch dieses und die Werke der Alten belehrt, geübt und ermuthigt,
sich von diesem selbst, als von einer einengenden Fessel losmachen,
und es nur beschränktem, willkührlichem Gebrauch vorbehalten.
Das Verlassen einer todten Sprache im wissenschaftlichen und literarischen
Gebrauch ist unstreitig der wichtigste Schritt im Entwicklungsgange
der Sprachen zu nennen. Die Alten kannten die Erscheinung,
welche das heutige Europa darbietet, nur auf höchst beschränkte Weise.
Bloss Griechische und Römische Sprache traten in geistige Berührung
mit einander, und an eine Rückwirkung der letzteren auf die erstere
war, ohne dass man die Schuld gerade in der letzteren suchen dürfte,
gar nicht zu denken. Es leuchtete daher nicht so klar, wie bei uns an
lebendigen Beispielen in die Augen, dass die Vorzüge der Sprachen vor
einander grossentheils nur relative sind, und dass selbst den scheinbar
und auch wirklich mangelhaften gerade aus dieser Beschaffenheit wieder
eigenthümliche Vorzüge erwachsen. Noch weniger liess sich wahrnehmen,
wie Nationen, in innigem Bunde mit ihren Sprachen, in Dichtung
und Prosa, und in jeder Gattung intellectueller Schöpfung neue
Bahnen zu eröffnen vermochten, welche das Nachdenken über die Natur
124dieser Erzeugungsarten nie entdeckt haben würde. Alles, was Jahrhunderte
hindurch auf ein Volk einwirkt, findet in seiner vaterländischen
Sprache, die ja selbst dadurch mitgebildet ist, freiwillig erwiedernde
Begegnung. Es ist überhaupt die Natur der Sprache, sich an alles
Vorhandne, Körperliche, Einzelne, Zufällige zu heften, aber dasselbe in
ein idealisches, geistiges, allgemeines, nothwendiges Gebiet hinüberzuspielen,
und ihm darin eine an seinen Ursprung erinnernde Gestaltung
zu leihen; allein nur der vaterländischen gelingt es, diesem schon in sich
mit ihr verwandten Stoffe sein volles Recht zu erhalten, und durch die
freiwillige Begeisterung der Brust ihn schärfer, tiefer und eigenthümlicher
auszuprägen, als je in einer todten oder fremden möglich ist. Zwar
dringt der Mensch in seiner Individualität durch jeden Zwang auch des
ihn am mächtigsten beherrschenden Werkzeugs hindurch. Wie die
neuere Latinitaet auch strebt, die Farbe des Alterthums anzunehmen,
strahlt aus ihr doch, und dies darf ihr gewiss nicht zum Tadel angerechnet
werden, die ihrer Zeit wieder, und gerade in den guten Latinisten
der verschiednen Nationen erkennt der irgend Geübte immer ihren nationellen
Charakter; es fehlt aber natürlich der freie und volle Erguss
und die rein gediegene Eigenthümlichkeit. Die Sprachen trennen allerdings
die Nationen, aber nur um sie auf eine tiefere und schönere Weise
wieder inniger zu verbinden; sie gleichen darin den Meeren, die, anfangs
furchtsam an den Küsten umschifft, die länderverbindendsten
Strassen geworden sind. Das Ineinanderwirken hochgebildeter Nationen
hat erst den ganzen Process des geistigen Lebens, welchen die zu
vollendeter Entwicklung ihrer Intellectualitaet gelangenden durchgehen,
an leuchtenden und deutlich zu erkennenden Beispielen entfaltet.
Die Sprache spielt natürlich in demselben die wichtigste Rolle, und das
Letzte und Höchste ihrer Wirksamkeit, ihre eigentliche Bestimmung
wird erst hieran sichtbar. Sie bezeichnet die Gegenstände, leiht den
Empfindungen Ausdruck, besitzt ihr eigenthümliches Lautsystem, ihre
Analogieen der Wortbildung, ihre grammatischen Gesetze. Dies ist die
breite, schon zu ihrem unmittelbarsten Zweck, dem Verständniss,
nothwendige Basis, auf welcher sie ruht, und die das sorgfältigste,
strengste, in jede Einzelnheit eindringende Studium erfordert. An dieser
Form leitet sie die Nation, aber umschlingt sie auch beschränkend,
mit dieser eröffnet sie ihr die Welt, mischt aber der Farbe der Gegenstände
auch die ihrige bei. Sie dient den niedrigsten Zwecken und Bedürfnissen
des Menschen, führt aber unbemerkt, wie von selbst, alles
ins Allgemeinere und Höhere hinauf, und das Geistige kann sich nur
durch sie Geltung verschaffen. Sie vermittelt die Verschiedenheit der
Individualitäten, heftet durch Ueberlieferung und Schrift das sonst unwiederbringlich
Verhallende, und hält der Nation, ohne dass diese sich
dessen selbst einzeln bewusst wird, in jedem Augenblick ihre ganze
125Denk- und Empfindungsweise, die ganze Masse des geistig von ihr Errungenen,
wie einen Boden gegenwärtig, von dem sich der auftretend
beflügelte Fuss zu neuen Aufschwüngen erheben, kann, als eine Bahn,
die, ohne zwängend einzuengen, gerade durch die Begränzung die Stärke
begeisternd vermehrt. In welchem Grade, welcher Art sie dies thut,
steht aber in durchgängiger Verbindung mit dem, was wir eben ihre
Basis nannten, und die Forschung der Sprachkunde muss immer auf
diesen Zusammenhang, immer zugleich auf die beiden Endpunkte des
Ganges der Sprachen gerichtet seyn.

11. Durch diesen heftenden, leitenden und bildenden Einfluss der
Sprache wird auch erst der höhere, und oft wohl nicht deutlich genug
erkannte Begriff des Wortes Nation sichtbar, so wie die Stelle, welche
die Vertheilung der Nationen in dem grossen Gange einnimmt, auf dem
sich der geistige Bildungstrieb des Menschengeschlechts seine Bahn
bricht. Eine Nation in diesem Sinne ist eine durch eine bestimmte Sprache
charakterisirte geistige Form der Menschheit, in Beziehung auf
idealische Totalitaet individualisirt. In Allem, was die menschliche
Brust bewegt, namentlich aber in der Sprache, liegt nicht nur ein Streben
nach Einheit und Allheit, sondern auch eine Ahndung, ja eine innere
Ueberzeugung, dass das Menschengeschlecht, trotz aller Trennung,
aller Verschiedenheit, dennoch in seinem Urwesen und seiner letzten
Bestimmung unzertrennlich und eins ist. Die Sehnsucht in allen concreten
Gestalten, die sie in dem ewig untermischt sinnlich und geistig
angeregten Menschen annimmt, ist, so wie sie auf Ergänzung des vereinzelten
Daseyns geht, Aushauch dieses einen Gefühls. Die Individualitaet
zerschlägt, aber auf eine so wunderbare Weise, dass sie gerade
durch die Trennung das Gefühl der Einheit weckt, ja als ein Mittel erscheint,
diese wenigstens in der Idee herzustellen. Das Menschengeschlecht
kann nicht als zu einem Zwecke bestimmt angesehen werden,
der, wie ein Werk, oder die Befolgung eines Gebots, die innere Uebereinstimmung
mit einer Maxime, einmal seinen Endpunkt erreicht. Es
ist zu einem Entwicklungsgange bestimmt, in dem wir keinen endlichen
Stillstand an erreichtem Ziele wahrnehmen, der vielmehr jeden
solchen Stillstand, seiner Idee selbst nach, zurückweist. Denn tief innerlich
nach jener Einheit und Allheit ringend, möchte der Mensch
über die trennenden Schranken seiner Individualität hinaus, muss aber
gerade, da er, gleich dem Riesen, der nur von der Berührung der mütterlichen
Erde seine Kraft empfängt, nur in ihr Stärke besitzt, seine Individualitaet
in diesem höheren Ringen erhöhen. Er macht also immer
zunehmende Fortschritte in einem in sich unmöglichen Streben. Hier
kommt ihm nun auf eine wahrhaft wunderbare Weise die Sprache zu
Hülfe, die auch verbindet, indem sie vereinzelt, und in die Hülle des
individuellsten Ausdrucks die Möglichkeit allgemeinen Verständnisses
126einschliesst. Die Sprachen aber werden nur von Nationen erzeugt, festgehalten
und verändert, die Vertheilung des Menschengeschlechts nach
Nationen ist nur seine Vertheilung nach Sprachen, und auf diese Weise
ist sie es allein, welche die sich in Individualität der Allheit nähernde
Entwicklung der Menschheit zu begünstigen vermag. Dasselbe Streben,
welches das Innere des Menschen zur Einheit hinlenkt, sucht auch
äusserlich sein ganzes Geschlecht (§. 4.5.) zu verbinden, und so ist sie
in allen Beziehungen ein vermittelndes, verknüpfendes, ihn vor der
Entartung durch Vereinzelung bewahrendes Princip. Der Einzelne, wo,
wann und wie er lebt, ist ein abgerissenes Bruchstück seines ganzen
Geschlechts, und die Sprache beweist und unterhält diesen ewigen, die
Schicksale des Einzelnen und die Geschichte der Welt leitenden Zusammenhang.

12. In wie undurchdringliches Geheimniss auch alles gehüllt ist, was
den Ursprung der dem einzelnen und concreten Menschen inwohnenden
Kraft in ihrem Grade und ihrer Art zu erklären vermöchte, so sind
doch zwei Dinge nicht zu verkennen: die vorherrschende Gewalt dieser
Kraft über alle auf sie eindringende Einflüsse und ihre, nur auf eine uns
unerforschliche Weise bedingte Abhängigkeit von der physischen Abstammung.
Wie mächtig Natur und Geschichte auf die Nationen einwirken,
ist es doch immer jene inwohnende Kraft, welche die Wirkung aufnimmt
und bestimmt, und nur dieselben Menschen, nicht Menschen
überhaupt, würden unter denselben Umständen zu demjenigen geworden
seyn, was wir jetzt an diesem oder jenem Volksstamm erblicken.
Ohne die reelle Kraft, die bestimmte Individualität an die Spitze der
Erklärung aller menschlichen Zustände zu setzen, verliert man sich in
hohle und leere Ideen. Wenn daher oben (§. 11.) die Nationen geistige
Formen der Menschheit genannt sind, so war darum der Rückblick auf
ihr reales, irdisches Treiben nicht aufgegeben, sondern der Ausdruck
nur gewählt, weil dort von der durch vollendete Sprachentwicklung geläuterten
Ansicht ihrer Intellectualitaet die Rede war. In der Wirklichkeit
sind sie geistige Kräfte der Menschheit in irdischer, zeitbedingter
Erscheinung. Alle ihre Wirkungen in dieser Erscheinung finden ihren
letzten bestimmenden Grund in der Natur dieser Kräfte, die daher
selbst, in Art und Grade, verschieden seyn müssen. Es kann aber bis auf
einen gewissen Punkt für uns gleichviel gelten, ob diese Verschiedenheit,
wie ich glaube, eine ursprüngliche, oder eine durch die Totalitaet
der Einflüsse vom Ursprung an bewirkte ist, da unsre Erfahrung die Nationen
immer nur da aufnimmt, wo schon eine Unendlichkeit von Einflüssen
auf dieselben gewirkt hat, mithin für uns die Verschiedenheit
immer einer ursprünglichen gleichkommt. Dass die menschlich geistige
Kraft, die doch wahrhaft individuell nur im Einzelnen erscheint, sich
auch in Bildung einer Mittelstufe nationenweis individualisiren musste,
127liegt zwar im Allgemeinen in dem den Begriff der Menschheit nothwendig
bedingenden Charakter der Geselligkeit, allein ganz bestimmt in der
Sprache, die nie das Erzeugniss des Einzelnen, schwerlich das einer Familie,
sondern nur einer Nation seyn, nur aus einer hinreichenden Mannigfaltigkeit
verschiedner, und doch nach Gemeinsamkeit strebender
Denk- und Empfindungsweisen hervorgehen kann. Die Sprache aber
dankt selbst dieser Kraft ihren Ursprung, oder was der richtigere Ausdruck
seyn dürfte, die bestimmte nationelle Kraft kann nur in der bestimmten
nationellen Sprache, diesen Lauten, diesen analogischen Verknüpfungen,
diesen symbolischen Andeutungen, diesen bestimmenden
Gesetzen innerlich zur Entwicklung, äusserlich zur Mittheilung kommen.
Dies ist es, was wir wohl, aber immer uneigentlich, Schaffen der
Sprache durch die Nation nennen. Denn der Mensch spricht nicht, weil
er so sprechen will, sondern weil er so sprechen muss; die Redeform in
ihm ist ein Zwang seiner intellectuellen Natur; sie ist zwar frei, weil diese
Natur seine eigne, ursprüngliche ist, aber keine Brücke führt ihn in
verknüpfendem Bewusstseyn von der Erscheinung im jedesmaligen Augenblick
zu diesem unbekannten Grundwesen hin. Die Ueberzeugung,
dass das individuelle Sprachvermögen (die Verschiedenheit der Sprachen
des Erdbodens von der Seite ihrer Erzeugung aus genommen) nur
die sich als Sprache äussernde, den individuellen Charakter der Nationen
bestimmende Kraft selbst ist, bildet den letzten und stärksten Gegensatz
gegen die oben (§.7.) gerügte Ansicht der Sprachen, welche
ihre Verschiedenheit nur als eine Verschiedenheit von Schällen und
durch Uebereinkunft entstandenen Zeichen betrachtet. Man begreift
nun erst recht, wie die Sprache, obgleich immer bemüht, zum Gedanken
und zur Intellectualitaet hinzuführen, und den Empfindungen und
den Regungen des Wollens eine allgemeinere Form zu leihen, dennoch
innig in den Charakter und die Thatkraft der Nationen verwebt ist, wie
jene Empfindungen und Regungen nicht bloss insofern durch sie bedingt
werden, dass sie nur in ihr auch ihren inneren Ausdruck finden,
sondern dass sie das sie ursprünglich mitgestaltende Wesen selbst ist.
Wir sahen oben (§. 10.) die Sprachen durch Werke in die Folge der Zeiten
eingreifen, hier sehen wir, dass sie dasselbe durch Energieen thun.
Ihrer innersten Natur nach, selbstzeugende Kräfte pflanzen sie sich,
auch als solche, als Vermögen neuer Spracherzeugung fort, verknüpfen
auch so die Generationen mit einander, und erscheinen überall als real,
lebendig, den Entwicklungsgang des Menschengeschlechts bestimmend,
und in alle Schicksale desselben tief und innig verschlungen.

13. Wie in der gesammten Sprachkunde (§.9.), so muss aber auch
hier die im denkenden, empfindenden, handlenden Menschen lebendig
mitwirkende Sprache sorgfältig von ihrer gewissermassen todten und
verkörperten Form geschieden werden, in welcher sie, als Vorrath von
128Wörtern und System von Analogieen und Gesetzen, ihm als etwas Fremdes
entgegentritt. Die Sprachen müssen daher auch in der Geschichte
eine doppelte Berücksichtigung erfahren, die Fäden ihres Zusammenhanges
mit der Geistesbildung, dem Charakter, den Einrichtungen, den
inneren und äusseren Schicksalen der Nationen müssen aufgesucht,
dann aber, ohne Beziehung auf eine solche Mitwirkung, die Erscheinungen
des gleichzeitigen und auf einander folgenden, gegenseitig bedingten
oder unabhängigen Entstehens der verschiedenen Sprachformen
dargestellt werden. Aus dem letzteren ergeben sich neue Folgerungen
auf die Geschichte der Nationen selbst. Ob diese mehr auf ihre Sprachen,
oder ihre Sprachen auf sie selbst einwirken? ist gewissermassen
eine müssige Frage, da die Sprachen, im immanenten Sinne genommen,
ja nur die in Beziehung auf ihr Vermögen der Gedankenbezeichnung
durch Töne betrachteten Nationen selbst sind; allein in anderer Beziehung
ist die Sache keineswegs gleichgültig. Das Sprachvermögen hat
Grade der verhältnissmässigen Stärke und Lebendigkeit. Es wird vorherrschender
seyn, wenn es eine Nation lebendiger durchstrahlt, nachgiebiger
im entgegengesetzten Fall, so wie die Nationen selbst in ihrem
gesammten Wirken ihren äusseren Schicksalen einen grösseren Einfluss
verstatten, oder sie, wie es wohl nirgend so sichtbar, als bei den Römern
ist, aus sich heraus selbstherrschend bestimmen. Schon die blosse und
einfache Thatsache, ob eine Nation in ihrem Wesen und Thun oft und
unwillkührlich an ihre Sprache und diese an jenes erinnert, ist von
grosser Erheblichkeit. Ein solcher Zusammenhang liegt bisweilen in
Dingen, die gar nicht gerade die geistige Cultur der Nation betreffen,
und in Theilen des Sprachbaus, die auch nicht die intellectuelle Auffassung
angehen. In keiner Sprache übt der Accent eine so überwiegende
Herrschaft aus, als in der Englischen; er wird nicht nur in der Aussprache
besonders stark herausgehoben, sondern verändert auch die unter
ihm stehenden Sylben und die Geltung ihrer Vocale. Da die Betonung so
stark und mit einer Art der Vorliebe angedeutet wird, so erfährt auch
dieser Theil der Sprache, als von der Nation immer bearbeitet, in einzelnen
Wörtern häufigere Aenderungen, als andre, dem nationellen
Sprachsinn gleichgültigere, und wiederum ist die Aufmerksamkeit der
Grammatiker angelegentlicher auf diese Aenderungen gerichtet. Man
weiss die Zeit zu bestimmen, wo sich der Accent eines Wortes verändert
hat, und nennt diejenigen, welche noch in der Aenderung, dem Uebergehen
desselben von einer ihrer Sylben zu der andren begriffen sind. Ursprünglich
schreibt sich zwar diese Eigenthümlichkeit aus dem Deutschen
Sprachstamme her, welcher auch den Accent über das Zeitmass
erhebt, allein durch ihre Herrschaft auch über die Vocalgeltung und ihre
grosse, die ganze Aussprache mit sich fortreissende, gewissermassen
unruhige Schärfe stellt sich die Englische Betonung der gleichmässigen
129Ruhe der Deutschen vielmehr als ein Gegensatz gegenüber. Sie steht
daher wohl in Zusammenhang mit dem von früher Zeit an auf politische
Freiheit gerichteten Streben, dem es vor Allem an der Eindringlichkeit
des lebendigen Worts lag, erinnert aber zugleich, da andre hierin im gleichen
Fall befindliche Völker ihren Sprachen dies Gepräge nicht aufdrückten,
an die rasche Regsamkeit, die rastlose Thätigkeit, die vorzugsweis
auf unmittelbar praktische Ausführung gehende Richtung der
Nation. Denn die Heftigkeit des Entschlusses, die sich eng daran knüpfende
Schärfe des Verstandes in der Aussonderung der vor die Aufmerksamkeit
zu führenden Gegenstände, die habituelle Weile der Gedanken
und Empfindungen und alle Verschiedenheiten der Nationen in diesen
Punkten offenbaren sich in der Sprache vorzüglich in dem Verhältniss
der Betonung zu der übrigen Aussprache.

14. Die Nationen, welche in dem uns bekannten, und namentlich in
dem nicht erst durch ganz neue Forschungen aufgehellten Theile der
Geschichte eine wichtige Rolle spielen, gehören hauptsächlich nur zwei
Sprachstämmen an, dem Sanskritischen und Semitischen, also zwei in
ihrem Bau nicht so weit, als dies bei andren der Fall ist, abweichenden.
Die alten Völker anderer Sprachen erscheinen uns nur gleichsam im
Gegenlichte der Griechen und Römer, und sind uns nur durch ihre
Nachrichten bekannt. Ueber die innere Asiatische Geschichte, in welcher
Völker ganz verschiedener Sprachen in Berührung kommen, haben
erst die Untersuchungen ganz neuer Zeit Licht verbreitet. In Europa
sind Volksstämme dieser Art nur vorübergehende Erscheinungen,
bleibend und auf das Europaeische Staatenverhältniss, jedoch wichtig
auch nur periodenweis einwirkend, nur zwei, die Ungarn und Türken
gewesen. Sehr lange hat sich daher auch die Sprachkunde nur mit den
oben genannten zwei Sprachstämmen beschäftigt, und zwar mit Sprachen
des Sanskritischen bis auf die neuesten Zeiten hin, ohne deutlich
inne zu werden, dass sie Eines, und welchen Stammes sie wären. Sie hat
sich vorzugsweise auf das ausschliesslich classisch genannte und auf
das morgenländische Studium gelegt, dem ersteren hauptsächlich den
Namen der Philologie gegeben, und unter dem der Orientalisten eigentlich
nur die Kenner der Semitischen Sprachen zusammengefasst.

15. Man muss es, meiner innigsten Ueberzeugung nach, als einen
höchst günstigen Umstand für das Sprachstudium ansehen, dass es sich
sehr lange Zeit hindurch in dieser Beschränkung gehalten, und wenn es
auch längst Wörterbücher und Grammatiken vieler andren Sprachen
gab, diese nicht mit in sein Gebiet gezogen hat. In diesem so lange fortgesetzten,
gründlichen, scheinbar bis ins Kleinliche gehenden philologischen
Studium liegt allein die wahre Bürgschaft, dass die allgemeine
Sprachkunde, auch in ihrer weitesten Ausbreitung, nicht seicht und oberflächlich
werden wird, wenigstens nicht es zu werden braucht. Wenn ein
130allgemeines Sprachstudium gelingen soll, so muss erst das Organ dazu
geschärft und gebildet werden, und dies zu bewirken ist, philosophisch
und historisch, am meisten das philologische Studium fähig, da es, sich
nur mit zwei Sprachen beschäftigend, die Forschung bei einem individuellen
Sprachbau festhält, dazu gerade die beiden Sprachen wählt, die,
meinem Urtheile nach, unter allen bekannten, an sich und durch ihr Verhältniss
zu einander dazu am tauglichsten sind, da es sich auf die Arbeiten
einer langen Reihe, ihren verschiedenen Richtungen nach, durch Gelehrsamkeit,
Tiefe und Scharfsinn ausgezeichneter Männer stützt, und
die längst erstorbenen Sprachen doch, soviel als möglich, dadurch in ihrem
lebendigen Zusammenwirken auffasst, dass es dieselben eigentlich
nur als Mittel zur Wiederherstellung und Erklärung der Werke des Alterthums
behandelt. Das philologische Studium erstreckt seinen wohlthätigen
Einfluss natürlich über das Gebiet der Sprachkunde hinaus, aber
diese bedarf desselben zu einer nothwendigen Vorschule, und nie möchte
ich dem philologischen Studium rathen, sich als einen blossen Theil der
Sprachkunde zu betrachten, und der allgemeinen Sprachkunde einen erweiternden,
immer nur einen in einzelnen Punkten berichtigenden und
vorbildenden Einfluss auf sich zu gestatten.

16. Namen sind, vorzüglich in Bearbeitung der Wissenschaft, niemals
ganz gleichgültig, und ich möchte den der Philologie, so wie er unter uns
gewöhnlich genommen wird, nicht, nach dem Beispiel des Auslands, auf
das Sprachstudium überhaupt ausdehnen. Seine Bedeutung ist zwar
grösstentheils nur historisch und zufällig, allein auch hierin möchte ich
sie nicht verrücken, und es lässt sich auch eine wesentlich die Sache angehende
damit verknüpfen, ja es liegt dies sogar im wirklichen Sprachgebrauch.
Die Philologie ist, wie ich schon im Vorigen (§. 15.) andeutete,
ohne sie, in anderer Erweiterung, zur Alterthumskunde zu machen, die
auch besser wie eine Hülfswissenschaft von ihr angesehen, als selbst mit
ihr vermischt wird, ihrem reinen Begriff nach, auf die alte Literatur, die
Sprachkunde auf die Sprachen gerichtet. Zwar ist beides unzertrennlich
verbunden, ja sogar Eins, gerade die Philologie hat die tiefste Sprachforschung
zum Zweck, und die Sprachkunde muss, auch bei ganz ungebildeten
und unliterärischen Nationen, Stücke verbundener Rede aufsuchen;
allein bei den geistigen Einflüssen wissenschaftlicher Behandlung
ist die Unmittelbarkeit oder Mittelbarkeit der Richtung nicht gleichgültig.
Die anhaltende Beschäftigung mit den classischen Schriftstellern
führt auf Feinheiten und Eigenthümlichkeiten des Sprachgebrauchs und
selbst des Baues, auf welche der nicht so auf Kritik und Hermeneutik
gerichtete Sprachforscher nicht gekommen seyn würde; dagegen lenkt
die unmittelbare Rücksicht auf die Sprache den Geist unvermerkt von
der Strenge der Individualität der Forschung auf philosophisch und historisch
Allgemeineres hin. Es liegt auch in dem wohlthätigen Bildungszwecke
131der Philologie, die man als die grosse Erzieherin des Menschen
zu der schönsten und edelsten Humanität betrachten kann, die das in ihn
pflanzt, was allem Streben nach Wissenschaft und Kunst Mass, Haltung
und innere Uebereinstimmung giebt, dass sie die Sprache nicht sowohl
an sich, als gleichsam in dem Spiegel ihrer gelungensten Werke zeige;
nur dadurch kann sie bis in das Knabenalter ihres Zöglings hinabsteigen,
schaffend und vorbereitend, was ihr im Jüngling und Mann entgegenreifen
soll. Ein Anderes ist es, wie die Philologie die allgemeine Sprachkunde
wieder als Hülfswissenschaft behandelt, da aus der Sichtung und Erweiterung
dieser ihr unläugbar grosser Nutzen erwachsen kann. Auch
versteht es sich von selbst, dass die Philologie nicht sich an die Stelle der
Sprachkunde stellen, nicht aus der Beschränktheit ihres Umfanges heraus
in dieser entscheiden, noch auf das ihr fremde, weitere Gebiet mit
stolzer Verachtung herabblicken darf.

17. Die Bearbeitung der gelehrten Sprachen Asiens, des Persischen,
Armenischen, Chinesischen, Mandchuischen, gewährte der Sprachkunde
einen reichlichen Zuwachs. Aber die genauere Kenntniss des Sanskrits
blieb auf eine auffallende Weise zurück, und war erst den letzten
Decennien vorbehalten. Dennoch muss das Sanskritstudium gerade als
die wichtigste Epoche für die Sprachkunde angesehen werden. Die Griechische
Sprache, die Römische mit allen aus ihr entstandenen, die Deutsche
in ihren weit verbreiteten, zum Theil untergegangenen Mundarten,
so wie die Skandinavischen und Slavischen, folglich so gut, als alle Sprachen
des heutigen Europa, finden die gemeinschaftliche Erklärung ihres
grammatischen Baues und grösstentheils auch ihres Wörtervorraths allein
vollständig im Sanskrit. Man hatte Jahrhunderte hindurch diese
Sprachen einzeln durchforscht und zergliedert und vielfältig Verwandtschaften
unter ihnen entdeckt, aber das letzte Glied, zu dem man in der
Kette erklärender Ursachen hinuntersteigen konnte, war unbekannt,
man hielt sogar bisweilen eine sichtbar auch abgeleitete, die Persische,
für den Urstamm. Nun fiel die, unmittelbar aus den reinsten Quellen,
den einheimischen Grammatikern und den ältesten Indischen Dichtungen
geschöpfte Kenntniss des Sanskrits gerade in die Zeit, wo der Sinn
für linguistische Untersuchungen vorzüglich rege und richtig geleitet
war, und wo, was man als ein überaus wichtiges Moment hierbei ansehen
muss, die Grammatik Jacob Grimm's einen ganz neuen Begriff tiefer und
gründlicher Sprachforschung eröffnet, und den Deutschen Sprachstamm,
den ergiebigsten in dieser Hinsicht, in allen seinen grossen Verzweigungen
zu der Vergleichung mit der neu hervortretenden Stammsprache
vorbereitet hatte. Das Studium des Sanskrits warf nun auf
einmal auf ein lang ununterbrochen mühevoll und erfolgreich bearbeitetes
Feld einen erhellenden und befruchtenden Sonnenblick. Die bessere
und tiefere Einsicht in das Sanskrit selbst wurde aber erst durch die vorausgegangne
132Bearbeitung jener mit ihm verwandten Sprachen möglich
gemacht. Der enge Zusammenhang aller hier aufgeführten Sprachen, der
sich mit der grössten Bestimmtheit bis in die kleinsten Einzelnheiten hin
verfolgen lässt, der Reichthum des, auch von den untergegangenen unter
ihnen noch übrigen Stoffes, und die gründlichen über die einzelnen vorhandenen
Untersuchungen machen diesen Theil des Sprachgebiets zu
dem einzigen, in welchem die Sprachkunde die ganze Gliederung des
grammatischen und Wortbaues in allen seinen geheimsten Verbindungen,
die Abweichungen desselben in gleichzeitigen, und seine Umgestaltung
in auf einander folgenden Mundarten wahrhaft gründlich erforschen
und deutlich übersehen kann. Die Sanskritischen Sprachen sind
auch diejenigen, in welchen der Begriff der grammatischen Formen am
lichtvollsten hervortritt, und das System derselben am feinsten, am consequentesten
und am meisten den sich durch blosses Nachdenken ergebenden
Gesetzen der Redeverbindung gemäss ausgesponnen ist. Sie bilden
dadurch für die Sprachkunde die wichtigste Classe der Sprachen,
und die Eigenthümlichkeit derjenigen, die hierin einen abweichenden
Bau besitzen, lässt sich erst von ihnen aus, und nur dann vollkommen
erkennen, wenn man mit ihren Formen und der wahren Geltung und
Rückwirkung derselben vollkommen vertraut ist.

18. Durch die Kenntniss des Sanskrits wurde es aber zugleich recht
sichtbar, auf welchem gleichförmigen Theile des Sprachgebiets sich die
ganze Sprachkunde bis dahin eigentlich bewegt hatte. Ich habe schon
oben (§.14.) daraufhingedeutet, dass die ganze heutige gebildete Welt,
so wie der Theil der alten, welcher allein wesentlich auf uns eingewirkt
hat, unter dem Einfluss von Sprachen desselben Stammes steht. Dieser
Umstand ist in der Verknüpfung der Schicksale und Begebenheiten,
welche uns als Weltgeschichte gelten, gewiss von dem erheblichsten
Einfluss gewesen, und gehört unläugbar zu dem grossen Gewebe der sie
leitenden Ursachen. Für die Sprachkunde hat er die Folge gehabt, dass
man lange Zeit hindurch die Sanskritische Sprachform, in deren Besitz
man sich lange vor der Entdeckung des Sanskrit selbst befand, für die
einzig mögliche Form aller Sprache hielt, von ihr abweichenden
Sprachbau übersah oder gewaltsam in sie hineinzwängte.

19. Es giebt eine ganze Gattung, gerade in ihrem durchaus abgesonderten
Bau merkwürdiger Sprachen, welche bisher so gut als gar nicht in
den Kreis gelehrter Sprachforschung gezogen wurden, die Sprachen der
sogenannten rohen, uncivilisirten, wilden Völker, der Afrikanischen und
Amerikanischen, und einiger uralter, ihre Sprache, wie im Verborgenen
forterhaltender Europaeischen Stämme. Man dankte die Kenntniss der
aussereuropaeischen dem Eifer der Missionarien, der Europaeischen einem
achtungswürdigen, aber auf die unpartheiische Beurtheilung der
Sprachen oft nachtheilig einwirkenden Nationalsinn. Dieser mühevoll
133gesammelte, in seinem ganzen Umfang erstaunenswürdige und in seinen
Trümmern noch reichliche Stoff war aber verstreut und unbeachtet, und
ein grosser Theil desselben gieng verloren durch Zufall und Sorglosigkeit,
aber vor allem durch Eine grosse, diesem Theile der Sprachkunde
höchst verderbliche Begebenheit, die Vertreibung der Jesuiten aus Amerika.
Die rohe Gewalt, mit der man diese Massregel ausführte, erstreckte
sich von den unglücklichen Schlachtopfern derselben auf das Unschuldigste,
was sie in der freundlichen Absicht ihres Berufs, in den ungünstigsten
Lagen mühevoll aufgezeichnet und einer dem andren allmälich
überliefert hatten. Ein grosser Schatz der Sprachkenntniss gieng so auf
einmal verloren. Glücklicherweise versuchten, jedoch leider nicht früh
genug nach dem Ereigniss, zwei würdige Männer, in Deutschland und
Italien, ohne Verabredung, jeder von nützlichem Sammelgeiste und auf
Sprachverschiedenheit gerichtetem Sinn geleitet, die Ueberreste jener
Kenntniss zusammenzubringen und zu benutzen. Sie veranlassten die
zurückgekommenen Exjesuiten dasjenige aufzuschreiben, was ihnen
noch von jenen Sprachen, von welchen einige eine bewundernswürdig
ausgedehnte Kenntniss besassen, beiwohnte, und erhielten auf diese
Weise Grammatiken, Wörtersammlungen und Proben von Sprachen,
von welchen, ohne sie, jede Spur verloschen wäre. Allein auch die Früchte
dieses Fleisses der Exjesuiten sind zum Theil wieder verloren gegangen. 34
Vieles ist auch bei dem wenigen allgemeinen Interesse, welches diese
Sprachen erwecken, und den Schwierigkeiten der öffentlichen
Bekanntmachung bei den Familien der Exmissionarien verborgen geblieben. 45
So wird schon die Einsammlung des Stoffs zu diesem Theil der
Sprachkunde schwierig.

20. Der überaus merkwürdige Bau mehrerer dieser Sprachen müsste
ihnen die Aufmerksamkeit der Sprachforscher viel früher und anhaltender
zugewendet haben, wenn nicht die Behandlung derselben alles
gethan hätte, gerade die auffallenden Eigenthümlichkeiten dieses Baues
unkenntlich zu machen. Es gehört ein sehr genaues Studium dieser zum
Theil sehr ausführlichen Grammatiken dazu, um in dem scheinbar unsren
Sprachen ganz ähnlichen System von Declinations- und Conjugationsparadigmen
einen in Wahrheit höchst verschiedenen Organismus zu
entdecken, und es muss beinahe aus jeder solchen Grammatik erst eine
neue, der Natur der Sprache gemässere zusammengetragen werden.
Glücklicherweise ist dies bei den meisten möglich, da der beharrliche
Fleiss ihrer Verfasser einen bedeutenden Theil des Sprachschatzes darin
niedergelegt hat, und fast bei allen diesen Sprachen eine gewisse Masse
des Stoffes, dem Zwange der fremden Form siegreich widerstehend, ihn
unter allerlei Titeln von Partikeln, Redensarten, Soloecismen u. s. f. einzeln
vorzutragen nöthigte, und die wahre Natur der Sprache deutlicher
an den Tag legt. Das Verdienst, die Wichtigkeit der Amerikanischen
134Sprachen für die Sprachkunde gefühlt zu haben, gebührt dem verewigten
Schlözer. Er hat wohl überhaupt seit Leibnitz zuerst wieder unter
uns den wahren Begriff dieser Wissenschaft aufgefasst. Er las ein Collegium
über eine grosse, damals Erstaunen erregende Anzahl von Sprachen,
er zog im 31. Theil der allgemeinen Weltgeschichte die ersten Linien
zu einer sichreren Sprachkritik, und während seines Aufenthalts in
Rom im Jahr 1782 lernte er durch den Abate Gilij zuerst die Amerikanischen
Sprachen kennen. Sein warmer und einsichtsvoller Antheil an den
Arbeiten dieses Gelehrten über dieselben spricht sich in einem treflichen
von Gilij seinem Werke 56 beigefügten lateinischen Briefe aus. 67 Leider
aber leistete Gilij, mehr bemüht, eine lesbare und anziehende, als
eine tief eingehende und gründliche Darstellung der Amerikanischen
Sprachen zu liefern, bei weitem nicht das, wozu ihn sein langjähriger
Aufenthalt in Amerika, seine genaue Kenntniss des Tamanakischen und
Maipurischen und seine Verbindung mit den übrigen zurückgekommenen
Exjesuiten in Stand gesetzt haben würden.

21. Gilij stieg nemlich nicht genug in die Individualität einer einzelnen
Sprache hinab, sondern wollte aus viel zu flüchtig aufgefassten Eigenthümlichkeiten
vieler ein allgemeines Bild entwerfen. Nun aber
zeigt es sich auch bei dieser Gattung von Sprachen, dass möglichst erschöpfende
Behandlung des Einzelnen einen viel grösseren Werth für
die allgemeine Sprachkunde hat, als das Streben, den ganzen Umfang
zu umfassen. So wichtig und unentbehrlich Werke über alle bekannten
Sprachen, als allgemeine Repertorien der Ethnographik und Linguistik
sind, vorzüglich wenn sie von so unermüdlichem und gründlichem
Fleisse, wie der Vatersche Theil des Mithridates, zeugen, so leisten sie
den höheren Forderungen der Sprachkunde, so wie ich versucht habe,
sie hier zu entwickeln, nur einen sehr untergeordneten Nutzen. Ueber
den Bau einzelner Sprachen wird, wer selbst Gründlichkeit liebt, sie
niemals zu Rathe ziehen, ohne da, wo es ihm möglich ist, auf die einzelnen
sichreren Hülfsmittel zurückzugehen. Diejenigen, die wir den Missionarien
verdanken, sind gerade darum so vorzüglich, weil diese Männer,
die sich die Fertigkeit verschaffen mussten, selbst Vorträge in
diesen Sprachen zu halten, genöthigt waren, indem sie sich den ganzen
Sprachvorrath zugänglich zu machen versuchten, in das allerindividuellste
derselben einzudringen. Welche Vorzüge ein solches Verfahren
vor dem entgegengesetzen hat, sieht man recht deutlich bei den Sprachen
der Inseln des stillen Meers. So reichliche und schätzenswerthe
Nachrichten die Werke der früheren Reisenden über sie enthalten, so ist
es doch erst seit dem Erscheinen eigner den einzelnen gewidmeter
Schriften 78 möglich geworden, einen bestimmten Begriff von ihnen zu
fassen.

22. Ich halte es daher immer für ein glückliches Ereigniss in der Reihefolge
135meiner eignen Sprachuntersuchungen, dass mich, als ich zuerst
das Gebiet der Sprachen, von denen hier die Rede ist, betrat, der Zufall
auf ein ganz genaues Studium einer einzelnen, der Vaskischen, führte,
dass ich gleich damit begann, das grosse Larramendische Spanisch-Vaskische
Wörterbuch in ein Vaskisch-Spanisches umzusetzen und durch ein
handschriftliches der Königlichen Bibliothek in Paris zu vervollständigen,
und an diese Beschäftigungen einen Aufenthalt in dem Lande selbst
knüpfte. Jedes richtig unternommene Studium wirkt, ausser der materiellen
Bereicherung, die es an Kenntnissen gewährt, lebendig, ermunternd,
erschliessend und leitend, auf den Sinn und den Geist, und dies ist
sein wesentlichster Nutzen. Es ist auch der, welcher mir jene, bloss der
Sprache wegen unternommene Reise, wenn gleich meine Kenntniss des
Vaskischen natürlich unvollständig blieb, vorzüglich wichtig machte.
Einige Zeit unter dem merkwürdigen Volke zu verweilen, dem diese
Sprache eigenthümlich ist, und das mit leidenschaftlicher Heimathsliebe
an ihr hängt, aus dem der nationelle Sinn überall hervorleuchtet, das sich
innerhalb einer mächtigen Monarchie durch seine ältere, reinere und ursprünglichere
Sprache, und damals auch noch durch Freiheiten und eigne
Verfassung in seinen Gränzen selbständig fühlte, dessen kühner Muth
und rüstige Thätigkeit sich in dem doppelten, durch seinen Wohnsitz
selbst gegebenen Charakter des Bergbewohners und des Seefahrers ausspricht,
das, in die fernsten Weltgegenden zerstreut, immer nach dem
kleinen Punkte seines Vaterlandes zurückblickt, und wo die am Ende
einer langen Laufbahn Zurückkehrenden wetteiferten ihrem Geburtsorte
verschönernde Denkmale zu hinterlassen, erschloss mir den Sinn ganz
anders, als es sonst hätte geschehen können, für den innigen Zusammenhang
zwischen dem Charakter eines Volks, seiner Sprache und seinem
Lande. Denn der Reiz des grossentheils von einem weiten und unruhigen
Meere bespülten Landes, die Mannigfaltigkeit der nirgends öden, sondern
theils bearbeiteten, theils mit Bäumen gekrönten Gebirge, von den
anmuthigen Hügeln Vizcayas bis zu den Pyrenaeen hinauf, die Fruchtbarkeit
der Thäler, die Frische der Vegetation, das erquickende und milde
Klima des Nordens eines südlichen Landes, dem Palmen und Südfrüchte
nicht fremd sind, die gesicherte Lage, welche Biscaya gegen Römer und
Araber zum Zufluchtsort der zurückgedrängten Bevölkerung der Halbinsel
machte, mussten nothwendig zur Bildung des Nationalcharakters
mitwirken, und erklären wenigstens auch dem Fremden die Sehnsucht
nach einer so eigenthümlich anziehenden Heimath. Vorzüglich aber belehrte
mich dieser Aufenthalt auf eine anschauliche Weise über die Geschiedenheit
sehr getrennter Dialecte in dem Gemeinsamen einer jetzt
auf enge Gränzen zurückgedrängten Sprache. Nirgends habe ich in der
festen und treuen Anhänglichkeit an die allgemeine Nationalität einen so
rege mit und gegen einander wetteifernden Geist, wie man ihn sich zwischen
136den altgriechischen Städten denken muss, an welche das Land
überhaupt als gebirgiges Küstenland und in seiner selbstthätigen innern
Verwaltung erinnerte, gefunden, als in Biscaya. Dieser sich der allgemeinen
Gleichheit entgegensetzende Ortsgeist war auch in der Sprache sichtbar.
Von den dialectweise verschiedenen Wörtern für denselben Gegenstand
fand man die gleichen eher in von einander entfernten, als in nahen
Gegenden im Gebrauch. Nur an Ort und Stelle endlich liess sich wahrnehmen,
dass das ganze Land selbst das reichste und sicherste, viele im
Gebrauch verloren gegangene Wörter aufbewahrende Wörterbuch ist.
Jedes der immer einzeln und nur nach dem Massstabe ihrer Nähe oder
Ferne von der Kirche dichter oder weitläuftiger liegenden Häuser trägt
von alten Zeiten her seinen Namen 89, und es bedarf nur einer genauen
Aufmerksamkeit auf seine Lage, oder die dasselbe umgebenden Gewächse,
um den Grund und die Bedeutung desselben zu finden, die immer aus
dieser Einen Sprache genommen ist. Was man daher allerdings auch in
jedem andren Lande antrifft, ist hier ungleich vollständiger und deutlicher
vorhanden. Zugleich wurde ich in den so sehr abweichenden Bau
dieser Sprache, der sich aus Harriet's und Larramendi's Grammatiken
mehr ahnden, als rein erkennen lässt, durch einen einheimischen Sprachforscher
eingeführt, der, ohne irgend bedeutende gelehrte Kenntnisse,
seine eigne Sprache mit grossem, wenn auch vielleicht zu weit getriebenem
Scharfsinn zergliedert hatte.

23. Dieser ersten Erfahrung in diesem Theile der Sprachkunde folgte
ich in dem übrigen. Es schien mir auch um so nothwendiger, gerade das
Grammatische dieser Sprachen zum Gegenstand der Forschung zu machen,
als man sie gewöhnlich nur zu etymologischen Untersuchungen
benutzt hat. Die grammatischen jeder einzelnen Sprache sollten aber
überhaupt den etymologischen immer vorangehn, da man in den wahren
Wortbau erst mit Hülfe der Grammatik eindringt, und erst durch die
Einsicht in den ganzen Sprachorganismus die Laut- und Gedankengeltung
der Wörter auf eine zu gründlicher Vergleichung genügende Weise
kennen lernt. Oft ist es unmöglich, diesen Weg. einzuschlagen, in vielen
Fällen, vorzüglich bei nahe verwandten Sprachen, ist ein kürzerer, und
unvollständigere Einsicht hinreichend; wenn man aber im Allgemeinen
die Bedingungen gründlicher und sicherer Etymologie, das Ziel, zu dem
die Wissenschaft einmal gelangen muss, aufstellen will, so ist jene Forderung
unerlasslich. Der Wunsch zu prüfen, wie weit die Verschiedenheit
des menschlichen Sprachbaues gehe, und gewissermassen in ein
ganz neues Gebiet versetzt zu werden, führte mich zu den Amerikanischen.
Die Sprachen eines Welttheils, der bis auf die letzten Jahrhunderte
für uns in geschichtlicher Einsamkeit vereinzelt dasteht, von dessen
früherer Verbindung mit andren alle Geschichte schweigt, von dessen
Bevölkerung aus der Fremde nur Vermuthungen und immer dunkle Ueberlieferungen
137herrschen, und von dem wohl schwerlich anzunehmen
ist, dass ihm eine eigne und ursprüngliche gänzlich gemangelt hätte,
schienen für Forschungen solcher Art vorzugsweise geeignet. Die Reise
meines Bruders bot mir in den Hülfsmitteln, die er mitgebracht, den
Verbindungen, die er unterhalten hatte, reichliche Materialien dar, und
seine in eignen den Sprachen gewidmeten Kapiteln entwickelten Ansichten
über sie, ihre Verzweigungen und ihren Zusammenhang mit den
Völkern, die sie reden, leiteten dahin, jenen Stoff richtiger zu benutzen.
Ich gieng daher so tief, als es mir möglich war, in dies Studium ein, und
arbeitete, nach dem vorhin (§. 20.) angedeuteten Plane, eigne Grammatiken
der meisten Amerikanischen Sprachen aus.

24. Bei der auf diese Gesichtspunkte gerichteten Beschäftigung mit
Sprachen so durchaus eigenthümlichen Baues musste es mir auffallend
werden, wie dasjenige, was wir in den Sanskritischen Sprachen grammatische
Form
nennen, in diesen so ganz anders gebildet erscheint, wie
es in verschiedenen Graden der Festigkeit von fast bloss habitueller Redensart
zu der Annäherung an wirkliche Form stoffartig zusammengerinnt,
wie man glaubt, es in seiner werdenden Gestaltung zu erblicken.
Ich legte meine ersten Erfahrungen und Ansichten hierüber, in einer
akademischen 910 Abhandlung nieder. Ich habe in dieser die Verschiedenheit
der grammatischen Formen als ein Entstehen derselben vorgestellt,
allein dieser genetische Begriff, der, wenn er in die Wirklichkeit übergetragen,
nicht bloss für das Erscheinen vor uns genommen wird, immer,
wo es nicht die Geschichte derselben Sprache gilt, schwer durchzuführen
ist, hat weder damals, noch jetzt, wesentlich auf meine Ansicht eingewirkt.
Was ich gemeint habe und noch meine, ist nur die Verschiedenheit
der Gestaltung der grammatischen Form, und das Verhältniss
der verschiedenen Gestaltungen zu dem vollendeten Begriff derselben.
Dies Verhältniss druckt sich natürlich in Graden aus, in welchen sich
ein stufenartiges Fortschreiten denken lässt, aber nicht nothwendig angenommen
zu werden braucht.

25. Durch Umstände, die öffentlich bekannt geworden sind 1011, wurde
ich veranlasst, die Chinesische Sprache von diesem Standpunkte aus zu
betrachten, und ich hatte längst die Nothwendigkeit gefühlt, wenigstens
einigermassen in dies, mit Unrecht für abschreckend und abgelegen
gehaltene Studium einzugehen. Die Bearbeitung der allgemeinen
Sprachkunde macht es nothwendig, wenn man auch die Unmöglichkeit
fühlt, jede Sprache tief zu ergründen, sich doch auf gewissen Punkten
recht festzusetzen, und nun giebt es in ihr keine so leuchtenden, so die
Ansicht des ganzen Sprachgebietes beherrschenden, als das Sanskrit
und das Chinesische. Beide Sprachen stellen sich in ihrem grammatischen
Bau dergestalt einander gegenüber, dass sie das ganze Feld unter
sich theilen, und keine dritte in dieselbe Reihe treten kann. Wenn
138gründliches Studium des Sanskrits unerlasslich ist, weil man nur aus
diesem die letzten Erklärungen des Baues nicht bloss der mächtigsten
und am weitesten verbreiteten, sondern auch edelsten und vollkommensten
Sprachen schöpfen kann, und weil die Sanskritischen den Begriff
der grammatischen Form bis zu seiner grössesten Vollendung ausbilden;
so muss man an dem Chinesischen lernen, in welchem
unglaublichen Grade eine mit unverkennbaren Vorzügen begabte, von
einer reichen philosophischen, geschichtlichen und dichterischen Literatur
begleitete Sprache dieses Begriffs zu entbehren vermag. Wenn
man sonst nach der Art und Beschaffenheit der Grammatik einer Sprache
forscht, so scheint hier die Frage über das Daseyn einer Grammatik
überhaupt zu entstehen, und man glaubt in der verknüpften Betrachtung
des Chinesischen und einiger der im Vorigen (§.19.) zusammengefassten
Sprachen auf ein Gebiet zu gerathen, das man sich kaum enthalten
kann, auch der Zeit nach, als jenseits des Sanskritischen Baues
liegend anzusehen, auf ein Gebiet erst werdender Grammatik. Aber
auch unter diesen Sprachen steht das Chinesische wieder in gleichsam
riesenhafter Vereinzelung da. Indem sie dem Besitz einer Grammatik,
zum Theil mühevoll, entgegenringen, hat sich das Chinesische aus dem
Mangel einer Grammatik selbst eine eigne, in der gerade dieser Mangel
das Charakteristische ist, gebildet. Nur insofern das Chinesische und
jene Sprachen die Sanskritische Form entbehren, kann und muss man
sie von dem hier gewählten Standpunkte aus zusammenfassen. Sehr
wichtige Thatsachen zur Einsicht in diesen eigenthümlichen grammatischen
und ungrammatischen Zustand liefern die Inselsprachen des stillen
Oceans, mit welchen ich mich später angelegentlich beschäftigt
habe, und andre werden sich aus der Untersuchung der Afrikanischen
und einiger innerasiatischen ergeben. Denn wenn man in diesen Untersuchungen
einmal dafür gesorgt hat, seine Ansicht auf eine so genügende
Anzahl von Thatsachen zu gründen, dass man derselben im Ganzen
sicher seyn kann; so bleibt nichts übrig, als die Sphäre möglicher Berichtigung,
durch immer an Umfang und Tiefe wachsende Kenntniss,
allmälich in engere Gränzen einzuschliessen. Nur ob jene im Ganzen
gefasste, hernach bloss weiter im Einzelnen anzuwendende Ansicht
durch die anzuführenden Thatsachen wirklich begründet, oder ob diese
falsch aufgefasst, oder nicht aus ihrem wahren Lichte beurtheilt sind?
ist der eigentliche Punkt des Streits und der Untersuchung.

26. Es handelt sich hier um das Wesen des Sprachbaus, ja unläugbar
um den ganzen Organismus der Sprache. Denn es kommt auf die Verschiedenheit
des Verfahrens an, vermittelst dessen die einzelnen Sprachen
die Einheit des Gedanken aus den Elementen des Lautes zusammensetzen,
und auf die Unterscheidung dessen, was in der Auffassung
dieser Einheit dem Verständniss des Hörenden überlassen, und was der
139Sprache selbst, bezeichnend oder andeutend, beigegeben ist. Die verbundene
Rede, also das Grammatische, ist der unmittelbare Gegenstand
der Betrachtung, dies zieht aber nothwendig auch die Bildung der
Wörter, das System der Laute und die ganze Bezeichnung der Begriffe
mit in den Kreis der Untersuchung. Denn wenn wir gleich gewöhnt
sind, von den Lauten zu den Wörtern und von diesen zur Rede überzugehen,
so ist im Gange der Natur die Rede das Erste und das Bestimmende.
Das Streben des Geistes, welches die Rede erzeugt, individualisirt
in demselben Augenblick und mit Einem Schlage Laut, Wort und
Fügung, und wird durch die Anlagen individualisirt, die es nach diesen
drei Hauptrichtungen der Sprache hin in sich trägt. Sie selbst stehen
daher in untrennbarer Wechselbestimmung. An die Darstellung der Beschaffenheit
des Sprachverfahrens muss aber die Prüfung des Einflusses
desselben auf den Geist und den Menschen überhaupt geknüpft werden,
und da der lebendige Mensch eigentlich der allein wahre Träger
der sich immer nur in Möglichkeit geistiger Umgestaltung vorübergehend
verkörpernden Sprache ist, so wirkt auch ihr Einfluss auf ihn wieder
auf sie in ihrer Totalität zurück. Das Sprachverfahren kann auch
nicht bloss historisch geschildert werden. Der Mensch erscheint in einer
doppelten idealischen d. h. nicht durch die Wirklichkeit zu gebenden
Gestalt, einmal ohne Individualität, in seiner allgemeinen, nur
durch den Gedanken zu erreichenden Beschaffenheit, in den nothwendigen
Bedingungen seines Wesens, dann in der Gesammtheit aller Individualität,
als Menschengeschlecht, in der Totalität aller gleichzeitig
vergangener, gegenwärtiger und künftiger Zustände. In der Mitte dieser
beiden Erscheinungen steht der wirkliche Mensch an gegebenem Ort
und in gegebener Zeit, und jedes auf ihn gerichtete, aber in sich auf wissenschaftliche
Allgemeinheit Anspruch machende Studium muss von
der ersteren ausgehen und nach der andren hinblicken. Doppelt
nothwendig ist das eine und das andre bei der mit seinem Daseyn gegebenen,
und ganz ausdrücklich alle Theile des Erdbodens und alle Zeiten
seines Bestehens zu allseitiger Totalität zu verknüpfen bestimmten
Sprache. Nur die philosophische Erörterung der allgemeinen menschlichen
Natur sichert den Pfad der Untersuchung, und nur die immer gespannte
Frage, wie die historisch erkannte Mannigfaltigkeit in dem Bilde
des Ganzen Lücken ergänzt, Schroffheiten abschleift, einseitig
Starkes in Harmonie bringt, einzeln Allgemeinem Zustrebendes vervollständigt,
lässt die Individualität als das ansehen, was sie in ihrer innersten
Natur ist, und in der Erscheinung werden sollte, eine in immer
mehr rein umschreibender, aber immer minder ausschliessend beschränkender
Begränzung einem Alles umfassenden Ideal asymptotenartig
zulaufende Bahn. Nur unter der Beherrschung bestimmter Gesetze,
und mit dem Blick auf leitende allgemeine Endideen lässt sich die
140reiche und lebendige Mannigfaltigkeit des historischen Stoffes in jeder
Art, ohne Gefahr, dass er sich selbst einseitig beschränke, mit der Strenge
wissenschaftlicher Behandlung so vereinigen, dass der realen Vielfachheit
kein Eintrag geschieht.

27. Die Frage über die Beschaffenheit der grammatischen Formen,
ihren wirklich mehr, formalen oder materialen Gehalt und die Abstufungen
ihrer in sich gerundeten Vollendung (§.24.) berührt also die
ganze Sprache, und muss zugleich von allen Beziehungen aus, in welchen
diese genommen werden kann, betrachtet werden. Sie ist, da sie
das Daseyn und die Art der Grammatik in den Sprachen betrifft, die
Grundfrage des Baues jeder einzelnen. Wenn sie aber als die höchste
angesehen werden muss, zu welcher die historische Untersuchung einer
Sprache aufsteigen kann, so ist dasjenige, was sich aus ihrer Beantwortung
ergiebt, auch das Elementarische, aus welchem sich die Beschaffenheit
der Sprache erklären lässt.

28. Es ist meine Absicht in der gegenwärtigen Schrift, diese Frage
vollständiger zu untersuchen, als es mir bisher möglich war, und die
hauptsächlichsten zu ihrer Beantwortung dienenden Thatsachen anzuführen,
auf die ich in meinen bisherigen Sprachforschungen gekommen
bin. Ich werde mich daher über Alles verbreiten, was mit dieser Frage
zusammenhängt, da die Meinung, welche man über sie fasst, genau mit
den Ansichten über die Natur der Sprache selbst, des Wortes, der Redefügung,
über das wunderbare zugleich dem Menschen beiwohnende
und doch nicht dem Einzelnen angehörende Daseyn dieser Dinge, über
die Wechselwirkung, in der sie mit dem Menschen stehen, ja über ihn
selbst, seine Individualität und das Verhältniss derselben zum Menschen
überhaupt und zum ganzen Geschlechte in Verbindung steht. Ich
werde natürlich nicht jede dieser Beziehungen vollständig verfolgen
können, sondern sogar absichtlich in alle diese Punkte nur soweit und
auf die Art eingehen, wie es mir zu meinem besondren Zwecke nöthig
scheint. Es schien mir aber nichts desto weniger nothwendig, an den
ganzen Umfang der Forderungen zu erinnern, welche diese Frage
(§.26.) an die Untersuchung macht, weil bei jeder der Geist, wie viel
oder wenig ihm nun auch zu erreichen gelinge, richtig und fern von beschränkender
Einseitigkeit gestimmt seyn muss. Noch weniger werde
ich in Absicht der nothwendigen Sprachkenntniss genügende Vollständigkeit
zu erreichen vermögen, sondern werde wesentlich bei meiner
gegenwärtigen, natürlich beschränkten stehen bleiben müssen. Denn
die Ansicht des Sprachbaues, auf die es hier ankommt, kann nur aus
längerem Studium der Sprachen, nicht aus mehr oder minder flüchtiger
Benutzung der fertigen Hülfsmittel geschöpft werden. Das Ziehen von
Resultaten kann aber darum doch in keiner Wissenschaft, und am wenigsten
in der allgemeinen Sprachkunde bis zum niemals erscheinenden
141Augenblick des vollendeten Studiums verschoben werden. Man muss
stufenweise das Gesammelte in einzelne Bilder zusammenfassen, und
die Vervollständigung der Einseitigkeit, die Verbesserung einzelner Irrthümer
der Zeit und glücklicheren Bearbeitern überlassen. Auf dem
Gebiete, in dem wir uns hier befinden, führt indess auch schon jede einzelne
Untersuchung für sich zu einem einzeln vollendeten Ganzen. Was
aus der Prüfung einer einzelnen Sprache über die Beschaffenheit ihrer
grammatischen Formen hervorgeht, steht vollendet für sich zu jeder
künftigen Benutzung da. Zwar können neue Entdeckungen auch in diesem,
historisch richtig Aufgefassten andere Ansichten bewirken, vorher
unbekannte oder mangelhaft untersuchte Sprachen auf früher bearbeitete
ein ganz neues Licht werfen, wie das Sanskrit namentlich auf das
Lateinische und das Verhältniss desselben zum Griechischen gethan
hat. Aber gerade um vermittelst des sich immer in der Wissenschaft erweiternden
Stoffs die Ansicht zu verallgemeinern und zu berichtigen,
muss früher aus dem noch mangelhaften eine gefasst seyn.

29. Dagegen würde ich es wirklich zu früh halten, schon jetzt eine
wahre Theorie des menschlichen Sprachbaus, ein Lehrbuch der allgemeinen
Sprachkunde, ja nur eine allgemeine Grammatik, die es auch im
historischen Sinne seyn sollte, schreiben zu wollen. Auch der wirklich
vorhandene Stoff ist dazu bei weitem noch nicht genug im Einzelnen
bearbeitet, und die einzelne Bearbeitung muss hier nothwendig vorangehn.
Es ist daher vorsichtiger und zweckmässiger, für jetzt diesen Weg
einzuschlagen, und einzelne Bearbeitungen, nach den verschiedensten
Richtungen hin, zu versuchen. Als eine solche, aber der Grundideen alles
Sprachbaues, wünsche ich, dass der gegenwärtige Versuch betrachtet
werden möge. Was darin auf bloss philosophischer Entwicklung beruht,
so wie die auf historische Forschung sich gründende Darstellung
einzelner Sprachen kann für sich vollständig beurtheilt und gewürdigt
werden. Die Untersuchung wird aber in keinem Punkt als geschlossen
angesehen, es wird den Folgerungen aus neuen Forschungen und Entdeckungen
nicht vorgegriffen. Das grosse Gebäude allgemeiner Sprachwissenschaft,
das gewiss einst, wenn gleich spät, zu Stande kommt,
wird vorbereitet, aber nicht aus ungenügendem, nicht hinlänglich haltbarem
Stoff voreilig aufgeführt. Ich habe daher diese Schrift auch in
ihrem Titel nur unbestimmt eine Arbeit über die Verschiedenheiten des
menschlichen Sprachbaus, nicht Darstellung, Theorie, Zergliederung,
Grundzüge oder sonst mit einem Worte, welches auf Erschöpfung des
Gegenstandes Anspruch macht, genannt; dagegen über den Sprachbau,
nicht bloss über die Grammatik und die grammatischen Formen, weil
diese wirklich (§.27.) den ganzen Sprachbau durchdringen, und man
sich bei gründlichem Eingehen in ihre Natur den Zugang zu keinem
Theile desselben verschliessen darf.142

30. Ueberhaupt muss man sich bei Sprachuntersuchungen wohl hüten,
zu sehr und zu abschneidend zu trennen. Die Sprache muss immer
von der Seite ihres lebendigen Wirkens betrachtet werden, wenn man
ihre Natur wahrhaft erforschen, und mehrere mit einander vergleichen
will. Eine Sprache ist auch nicht einmal in der durch sie gegebenen
Masse von Wörtern und Regeln ein daliegender Stoff, sondern eine Verrichtung,
ein geistiger Process, wie das Leben ein körperlicher. Nichts,
was sich auf sie bezieht, kann mit anatomischer, sondern nur mit physiologischer
Behandlung verglichen werden, nichts in ihr ist statisch,
alles dynamisch. Auch todte Sprachen machen hierin keine Ausnahme.
Was man in ihnen erforscht, ist der in ihnen festgehaltene Gedanke der
Vorzeit, und der Gedanke ist immer Aushauch des Lebendigen, immer
nur so in feste Form zu beschränken, dass ihm dadurch selbst seine natürliche
Schrankenlosigkeit, seine Freiheit, in andre und andre überzugehen,
gesichert wird. Man kann zwar auf der andren Seite nicht umhin,
die Sprache auch wieder als einen festen und vollendeten Körper
anzusehen, und sie in ihre Bestandtheile zu zerlegen. Allein dies Geschäft
muss immer der höheren Rücksicht untergeordnet bleiben:
durch welche ursprüngliche Geistes und Tonart, vermöge welcher technischen
Mittel, jede Sprache zu welcher individuell modificirten Erreichung
des allgemeinen Sprachzwecks gelangt? Die Bestandtheile und
das Verfahren der Sprache (um auf diese kurze Weise den doppelten
Weg der vorzunehmenden Untersuchung zu bezeichnen) müssen nach
einander durchgegangen und geprüft werden. Indess bleibt, trotz dieses,
bloss der Wissenschaft angehörenden Gegensatzes, die Sprache in
ihrer Einheit immer der eigentliche Gegenstand der Forschung. Sie
wird nur auf dem einen Wege mehr im Einzelnen, auf dem andren mehr
in ihrer Gesammtheit betrachtet.

31. Das Letztere aber ist die Hauptsache. Denn jede Sprache besitzt,
ungeachtet der Aehnlichkeit der hervorbringenden Ursachen, der technischen
Mittel und des Zweckes aller, eine entschiedne Individualität,
und diese wird nur in ihrem Zusammenwirken gefühlt. Die Zergliederung
ist nothwendig, um dies Gefühl in Erkenntniss zu verwandeln, sie
verdunkelt aber allemal in etwas die Anschauung der lebendigen Eigenthümlichkeit,
schon dadurch, dass eben jene Verwandlung des Gefühls
in Erkenntniss nie ganz vollständig vor sich gehen kann. Es ist daher der
bessere Weg, die Prüfung einer Sprache bei ihrem Totaleindruck anzufangen,
es verbreitet sich alsdann wenigstens jenes Gefühl auf die ganze
Folge der Untersuchung. Kehrt man es um, oder bleibt man gar bei der
Zergliederung stehen, so erhält man eine lange Reihe von Analysen von
Sprachen, ohne die wesentliche Eigenthümlichkeit einer einzigen derselben
zu erkennen oder zu fühlen. Man kann den Plan dieser Zergliederungen
nicht einmal jeder besondren Sprachindividualität anpassen,
143da hierzu diese erst aus andren Quellen bekannt seyn müsste. Man lernt
daher sehr vieles über die verglichenen Sprachen, aber nicht das Eine,
worauf es ankommt. Jeder, welcher oft mehrere Grammatiken verschiedner
Sprachen hinter einander gelesen hat, wird bemerkt haben,
wie schwer, ja wie fast unmöglich es ihm fällt, sich aus dem Gewirre so
vieler Einzelnheiten heraus ein irgend deutliches Bild der Sprachen
selbst zu entwerfen.

32. Was allein geeignet ist, als Leitstern, durch das ganze Labyrinth
der Sprachkunde hindurchzuführen, findet auch hier Anwendung. Die
Sprache liegt nur in der verbundenen Rede, Grammatik und Wörterbuch
sind kaum ihrem todten Gerippe vergleichbar
. Die blosse Vergleichung
selbst dürftiger und nicht durchaus zweckmässig gewählter
Sprachproben lehrt daher viel besser den Totaleindruck des Charakters
einer Sprache auffassen, als das gewöhnliche Studium der grammatischen
Hülfsmittel. Man findet auf diesem Wege, vorzüglich bei Sprachen
sehr abweichenden Baues, auch sehr Vieles, wovon Grammatik
und Wörterbuch schweigen, vorzüglich die erstere, und da gern übergangen
wird, was sich nicht in den gewöhnlichen Gang hineinzwängen
lassen will, so ist gerade dies das Innerste und Eigenthümlichste der
Sprachen. Nach möglichst ausführlichen Sprachproben muss man sich
daher zuerst umsehen, und glücklich wenn man bei Völkern, die keine
Literatur besitzen, einheimische erlangen kann. 1112 Sehr schlimm ist es,
dass man sich meistentheils mit von Fremden herrührenden, ja mit
Uebersetzungen nach Bacmeisterschen 1213 Formeln behelfen muss. Ein
grosser Nachtheil auch für die Sprachkunde ist die Abneigung der Katholischen
Kirche gegen die Verbreitung des Bibellesens gewesen. Fast
überall, wo evangelische Missionarien hingedrungen sind, findet man
Uebersetzungen biblischer Bücher oder wenigstens Biblischer Erzählungen. 1314
Sind auch einige, gerade vorzugsweise oft übersetzte Bücher
der Bibel zur Uebertragung in die Sprachen, von welchen hier hauptsächlich
die Rede ist, sehr wenig geeignet, so passt doch kein Buch so
gut, als die Bibel dazu, die auf eine wahrhaft wundervolle Weise geschichtliche,
dichterische und philosophische Bücher vereinigt, und dadurch
für ein Volk an die Stelle einer ganzen Literatur tritt, ohne noch
der Treflichkeit und Erhabenheit des Einzelnen, und des Geistes des
einfachsten Alterthums zu erwähnen, welcher den Menschen unmittelbar
an seinen Ursprung, die Natur und die Gottheit, rückt. Man muss
nicht denken, dass jene Sprachen dies auch nur entfernt wiederzugeben
unfähig wären. In der Sprache, wie in der menschlichen Brust, liegt ein
dichterisches, und wie in noch unerschlossener Knospe mit diesem verbunden,
ein philosophisches Streben. Dieser jugendliche Geist verweht
erst im Laufe der überentfaltenden Zeit. Man sollte daher nur auf möglichst
vollkommene und treue Uebersetzungen und zwar der ganzen Bibel
144denken, da gerade die Mannigfaltigkeit des Inhalts und Styls der biblischen
Schriften so fruchtbar auf das Gemüth wirkt, und sie zugleich
zu einem so wichtigen Bildungsmittel macht. In dieser Hinsicht ist der
neuerlich von der Englischen Bibelgesellschaft gefasste Entschluss, die
apokryphischen Bücher auszuschliessen und diese Ausschliessung auch
bei den Bibelgesellschaften andrer Länder zu bewirken, keineswegs zu
billigen. 1415 Es könnte nur als ein bedenklicher Schritt erscheinen, einen
Theil der Bibel willkührlich dem Volke entziehen zu wollen, wenn nicht
glücklicherweise vorauszusehen wäre, dass dieser Versuch doch niemals
diesen Erfolg haben wird. Ein bis jetzt nicht bloss unübertroffenes,
sondern ganz einzig da stehendes Beispiel zweckmässig ausgewählter
Sprachproben sind die der Tongischen Sprache in Mariner's
bekanntem Werk über die Tonga Inseln — eine alte Sage über die erste
Bevölkerung des Landes, eine sehr merkwürdige Rede eines Häuptlings,
und ein lieblich wehmüthiger Gesang der eingeborenen Weiber. 1516
Es traf hier der seltne glückliche Fall ein, dass ein einsichtsvoller Herausgeber
einen gar nicht gelehrt gebildeten, aber mit natürlichen Anlagen
versehenen Europaeer benutzen konnte, der durch mehrjährigen
Aufenthalt und vertrauten Umgang mit den Grossen des Landes wie
zum gebildeten Eingebornen geworden war. So entstand ein an geistvoller
individueller Schilderung reiches Werk.

33. Die Betrachtung der Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaus
sollte, dem ersten Anblicke nach, zu einer genauen und erschöpfenden
Classification der Sprachen führen. Versteht man unter dieser ein
Ordnen derselben nach ihrer Stammverwandtschaft, so hat man dies im
Einzelnen oft vorgenommen, es aber durch die ganze Sprachkunde
durchzuführen, möchte schwierig, und vielleicht immer unmöglich seyn.
Allein einer andren und solchen Classification, wo auch die gar nicht
stammverwandten Sprachen nach allgemeinen Aehnlichkeiten ihres
Baues zusammengestellt würden, widerstrebt, wenn man den Begriff
genau nimmt, und fordert, dass die zusammengestellten wirklich als
Gattungen in allen wahrhaft charakteristischen Merkmalen einander
ähnlich, und von andren verschieden seyn sollen, die tiefer erörterte
Natur der Sprache selbst. Die einzelnen Sprachen sind nicht als Gattungen,
sondern als Individuen verschieden, ihr Charakter ist kein Gattungscharakter,
sondern ein individueller. Das Individuum, als solches genommen,
füllt aber allemal eine Classe für sich. Liessen sich die Sprachen auf
diese Weise classificiren, so müsste dasselbe auch mit der geistigen Natur
des Menschen möglich seyn; nicht einmal aber die Eintheilung nach den
körperlichen Merkmalen der Racen ist bisher vollkommen gelungen. Der
Mensch allein ist der Gattungsbegriff, und zwischen ihm und dem Individuum
giebt es keine so festbestimmten und so durchgreifenden Merkmale,
dass sich daraus neue Gattungsbegriffe bilden liessen. Noch viel
145mehr aber ist dies der Fall mit der Sprache. Es ist nur ein mehr und ein
weniger, ein theilweis ähnlich und verschieden seyn, was die einzelnen
unterscheidet, und es sind nicht diese Eigenschaften, einzeln herausgehoben,
sondern ihre Masse, ihre Verbindung, die Art dieser, worin ihr
Charakter besteht, und zwar alle diese Dinge nur auf die individuelle
Weise, die sich vollständig gar nicht in Begriffe fassen lässt. Denn bei
allem Individuellen ist dies nur mit einem Verluste möglich, welcher gerade
das Entscheidende hinwegnimmt. Aus zwei, die ganze Frage abschneidenden
Gründen ist daher die so oft angeregte Eintheilung der
Sprachen nach Art der Eintheilung der Naturgegenstände ein für allemal
und für immer zurückzuweisen. Die Naturkunde hat es nie mit Geistigem
und nie mit Individuellem zu thun, und eine Sprache ist eine geistige
Individualität. Im Unorganischen giebt es keine Individualität, die als für
sich bestehendes Wesen betrachtet werden könnte, und im Organischen
steigt die Naturkunde nicht bis zum Individuum herunter. Nur also zum
Behuf der Betrachtung oder der Darstellung, nicht um über ihre wahre
Natur zu entscheiden, lassen sich Classificationen der Sprachen versuchen,
nur in Hinsicht auf einzelne ihrer Beschaffenheiten. Auf diese
Weise aber sind sie nothwendig und unschädlich, wenn man nur dabei
die jeder wahren und constitutiven Classification widerstrebende Natur
der Sprache im Auge behält.

Zweiter Abschnitt
Von der Natur der Sprache und ihrer Beziehung auf den Menschen
im Allgemeinen

34. Ich nehme hier, den geistigen Process der Sprache in seiner weitesten
Ausdehnung, nicht bloss in der Beziehung derselben auf die Rede
und den Vorrath ihrer Wortelemente, als ihr unmittelbares Erzeugniss,
sondern auch in der Beziehung auf ihren Einfluss auf das Denk- und
Empfindungsvermögen. Der ganze Gang kommt in Betrachtung, auf
dem sie, von dem Geiste ausgehend, auf den Geist zurückwirkt. Ich
bleibe jedoch in dem gegenwärtigen Abschnitt nur bei den allgemeinen
Begriffen des Menschen und der Sprache stehen, und behalte die Betrachtung
der Verbreitung der Sprache über die verschiedenen Individuen
einer Nation, und ihre Vertheilung unter mehrere Nationen, mithin
in mehrere Sprachen dem nächstfolgenden vor.

35. Die Sprache ist das bildende Organ des Gedanken. Die intellectuelle
Thätigkeit, durchaus geistig, durchaus innerlich, und gewissermassen
spurlos vorübergehend, wird durch den Ton in der Rede äusserlich
und wahrnehmbar für die Sinne, und erhält durch die Schrift einen
146bleibenden Körper. Das auf diese Weise Erzeugte ist das Gesprochene
und Aufgezeichnete aller Art, die Sprache aber der Inbegriff der durch
die intellectuelle Thätigkeit auf diesem Wege hervorgebrachten und
hervorzubringenden Laute, und der nach Gesetzen, Analogieen und
Gewohnheiten, die wiederum aus der Natur der intellectuellen Thätigkeit
und des ihr entsprechenden Tonsystems hervorgehn, möglichen
Verbindungen und Umgestaltungen derselben, so wie diese Laute, Verbindungen
und Umgestaltungen in dem Ganzen alles Gesprochenen
oder Aufgezeichneten enthalten sind. Die intellectuelle Thätigkeit und
die Sprache sind daher Eins und unzertrennlich von einander; man
kann nicht einmal schlechthin die erstere als das Erzeugende, die andre
als das Erzeugte ansehen. Denn obgleich das jedesmal Gesprochene allerdings
ein Erzeugniss des Geistes ist, so wird es doch, indem es zu der
schon vorher vorhandenen Sprache gehört, ausser der Thätigkeit des
Geistes, durch die Laute und Gesetze der Sprache bestimmt, und wirkt,
indem es gleich wieder in die Sprache überhaupt übergeht, wieder bestimmend
auf den Geist zurück. Die intellectuelle Thätigkeit ist an die
Nothwendigkeit geknüpft, eine Verbindung mit dem Ton einzugehen,
das Denken kann sonst nicht zur Deutlichkeit gelangen, die Vorstellung
nicht zum Begriff werden. Den Ton erzeugt sie aus freiem Entschluss
und formt ihn durch ihre Kraft, denn vermöge ihrer Durchdringung
wird er zum articulirten Laut (wenn es möglich wäre, einen Anfang aller
Sprache zu denken), begründet ein Gebiet solcher Laute, das selbständig,
bestimmend und beschränkend, auf sie zurückwirkt.

36. Der articulirte Laut oder, allgemeiner zu sprechen, die Articulation
ist das eigentliche Wesen der Sprache, der Hebel, durch welchen
sie und der Gedanke zu Stande kommt, der Schlussstein ihrer beiderseitigen
innigen Verbindung. Dasjenige aber, wessen das Denken, um den
Begriff zu bilden, in der Sprache, strenge genommen bedarf, ist nicht
eigentlich das dem Ohr wirklich Vernehmbare; oder um es anders auszudrucken,
wenn man den articulirten Laut in die Articulation und das
Geräusch zerlegt, nicht dieses, sondern jene. Die Articulation beruht
auf der Gewalt des Geistes über die Sprachwerkzeuge, sie zu einer Behandlung
des Tons zu nöthigen, welche der Form seines Wirkens entspricht.
Dasjenige, worin sich diese Form und die Articulation wie in
einem verknüpfenden Mittel begegnen, ist, dass beide ihr Gebiet in
Grundtheile zerlegen, deren Zusammenfügung lauter solche Ganze bildet,
welche das Streben in sich tragen, Theile neuer Ganze zu werden.
Ausser jener Gewalt ist aber auch in dem Geiste ein, sich den Sprachwerkzeugen
selbst mittheilender Drang, von ihnen einen solchen Gebrauch
zu machen, und auf jener Gewalt und diesem Drange beruht die
Erzeugung der Sprache sogar unabhängig von dem Ohre vernehmbarem
Geräusch.147

37. Dass die Sprache ohne vernommenen Laut möglich bleibt, und
insofern ganz innerlich ist, lehrt das Beispiel der Taubstummen. Durch
das Ohr ist jeder Zugang zu ihnen verschlossen, sie lernen aber das Gesprochene
an der Bewegung der Sprachwerkzeuge des Redenden und
dann an der Schrift verstehen, sie sprechen selbst, indem man die Lage
und Bewegung ihrer Sprachwerkzeuge lenkt. Dies kann nur durch das,
auch ihnen beiwohnende Articulationsvermögen geschehen, indem sie
durch den Zusammenhang ihres Denkens mit ihren Sprachwerkzeugen
im Andern aus dem einen Gliede, der Bewegung seiner Sprachwerkzeuge,
das andre, sein Denken, errathen lernen. Der Ton, den wir hören,
offenbart sich ihnen durch die Lage und Bewegung der Organe, sie vernehmen
seine Articulation ohne sein Geräusch. Allerdings wirkt gewiss
in ihnen, wenn auch das äussere Ohr verschlossen ist, der innere Gehörsinn
mit; vielleicht sogar wird in ihrer, uns unzugänglichen Vorstellungsweise
vor ihrer Phantasie an die Stelle des mangelnden Geräusches
etwas andres Sinnliches gesetzt; immer aber geht bei ihnen eine
merkwürdige Zerlegung des articulirten Lautes vor. Sie verstehen wirklich
die Sprache, da sie alphabetisch lesen und schreiben, und selbst reden
lernen, nicht bloss den Gedanken durch Zeichen oder Bilder. Sie
lernen reden, nicht bloss dadurch, dass sie Vernunft, wie andre Menschen,
sondern ganz eigentlich dadurch, dass sie auch Sprachfähigkeit
besitzen, Uebereinstimmung ihres Denkens mit ihren Sprachwerkzeugen,
und Drang beide zusammenwirken zu lassen, das eine und das andre
wesentlich gegründet in der menschlichen, wenn auch von einer
Seite verstümmelten Natur.

38. In diesen Fällen krankhafter Ausnahme ist aber der Ton nur als
Geräusch abwesend. Er wird aus Noth auf seine Ursach, die Stimmwerkzeuge,
zurückgeführt, bleibt aber demungeachtet immer das allein
wirksame Princip. Die Articulation (deren Begriff ich hier nur nach ihrer
Wirkung, als diejenige Gestaltung des Lautes nehme, welche ihn
zum Träger von Gedanken macht), im Ganzen und Allgemeinen genommen,
kann den Ton auch als Geräusch, als auf ein Ohr wirkende
Lufterschütterung, nicht entbehren; der Taubstumme kann nur unter
Hörenden zur Sprache gelangen. Um aber den articulirten Laut ganz
bestimmt von seiner intellectuellen, gleichsam innerlichen Seite zu zeigen,
war es nothwendig, ihn, wie wir (§.36.) gethan haben, für einen
Augenblick ganz und gar von demjenigen zu trennen, was er mit dem
unarticulirten gemein hat. In der Wirklichkeit ist das Ohr der ausschliesslich
für die Articulation bestimmte Sinn. Nie lässt sie sich unmittelbar
auf einen andren anwenden. Wo man dies, wie im Alphabete,
versucht, erhält man immer nur Zeichen von Tönen. Die unzertrennliche
Verbindung des Gedanken, der Stimm Werkzeuge und des Gehörs
zur Sprache liegt unabänderlich in der ursprünglichen, nicht weiter zu
148erklärenden Einrichtung der menschlichen Natur. Die Uebereinstimmung
des Tons mit dem Gedanken fällt indess auch klar in die Augen.
Wie der Gedanke, einem Blitz oder Stosse vergleichbar, die ganze Vorstellungskraft
in Einen Punkt sammelt, und alles Gleichzeitige ausschliesst,
so erschallt der Ton in abgerissener Schärfe und Einheit. Wie
der Gedanke das ganze Gemüth ergreift, so besitzt der Ton vorzugsweise
eine eindringende, alle Nerven erschütternde Kraft. Wie der Verstand
eine Reihe von Gedanken in beliebige Einheiten zusammenfassen kann,
so ist dies der auf das Gehör bezogenen Einbildungskraft mit einer Reihe
von Tönen möglich. Es beruht dies sichtbar darauf, dass das Ohr
(was bei den übrigen Sinnen nicht immer oder anders der Fall ist) den
Eindruck einer Bewegung, ja bei dem der Stimme entschallenden Ton
einer wirklichen Handlung empfängt, und diese Handlung keine von
unmittelbarer Berührung, und in dem hier in Betrachtung gezogenen
Fall eine aus dem Innern eines lebenden Geschöpfs, im articulirten Laut
eines denkenden, im unarticulirten eines empfindenden, herkommende
ist.

39. Es liegt aber in dem Antheile des Tons an der Sprache dreierlei:
das intellectuelle Streben nach Aeusserung, das Empfindungsbedürniss
der Hervorbringung des Schalls, und die Nothwendigkeit gesellschaftlicher
Wechselwirkung zur Ausbildung des Gedanken. Jedes dieser Stükke
führt einzeln zur Hervorbringung des Tons, und die Sprache vereinigt
alle im articulirten Laut.

40. Das Denken ist eine geistige Handlung, wird aber durch sein Bedürfniss
nach Sprache ein Antrieb zu einer körperlichen. Es ist ein fortschreitendes
Entwicklen, eine blosse innere Bewegung, in der nichts
Bleibendes, Stätiges, Ruhendes angenommen werden kann, aber zugleich
eine Sehnsucht aus dem Dunkel nach dem Licht, aus der Beschränkung
nach der Unendlichkeit. In dem, aus zwiefacher Natur in
Eins zusammengeschmolzenen menschlichen Wesen geht dies Streben
natürlich nach aussen, und findet, durch die Vermittlung der Sprachwerkzeuge,
in der Luft, dem natürlichsten und am leichtesten bewegbaren
aller Elemente, dessen scheinbare Unkörperlichkeit dem Geiste
auch sinnlich entspricht, einen ihm wundervoll angemessenen Stoff, in
welchem, bei der menschlichen aufrechten Stellung, die Rede frei und
ruhig von den Lippen zum Ohre strömt, der das Licht der Gestirne herbeiführt,
und sich, ohne sichtbare Schranken, in die Unendlichkeit ausdehnt.

41. Subjective Thätigkeit bildet im Denken ein Object. Denn keine
Gattung der Vorstellungen kann als ein reines Beschauen eines schon
vorhandenen Gegenstandes betrachtet werden. Die Thätigkeit der Sinne
muss sich mit der inneren Handlung des Geistes synthetisch verbinden,
und aus dieser Verbindung reisst sich die Vorstellung los, wird, der
149subjectiven Kraft gegenüber, zum Object, und kehrt, als solches aufs
neue wahrgenommen, in jene zurück. Hierzu aber ist die Sprache unentbehrlich.
Denn indem in ihr das geistige Streben sich Bahn durch
die Lippen bricht, kehrt das Erzeugniss desselben zum eignen Ohre zurück.
Die Vorstellung wird also in wirkliche Objectivität hinüberversetzt,
ohne darum der Subjectivität entzogen zu werden. Dies vermag
nur die Sprache, und ohne diese, wo Sprache mitwirkt, auch stillschweigend
immer vorgehende Versetzung ist die Bildung des Begriffs,
mithin alles wahre Denken unmöglich. Ohne daher irgend auf die Mittheilung
zwischen Menschen und Menschen zu sehn, ist das Sprechen
eine nothwendige Bedingung des Denkens des Einzelnen in abgeschlossener
Einsamkeit. In der Erscheinung entwickelt sich jedoch die Sprache
nur gesellschaftlich, und der Mensch versteht sich selbst nur, indem
er die Verstehbarkeit seiner Worte an Andren versuchend geprüft
hat. Dies liegt schon in dem allgemeinen Grunde, dass kein menschliches
Vermögen sich in ungeselliger Vereinzelung entwickelt, worauf wir
in der Folge zurückkommen werden. Es lässt sich aber auch aus dem
eben Gesagten erklären. Denn die Objectivität wird gesteigert, wenn
das selbstgebildete Wort aus dem Munde eines Andren wieder tönt. Der
Subjectivität wird nichts geraubt, da der Mensch sich immer Eins mit
dem Menschen fühlt; ja auch sie wird verstärkt, da die in Sprache verwandelte
Vorstellung nicht mehr ausschliessend Einem Subject angehört.

42. Wenn der unarticulirte Laut, wie immer bei den Thieren, und
bisweilen beim Menschen, die Stelle der Sprache vertritt, so entpresst
ihn entweder, wie bei widrigen Empfindungen, die Noth, oder es liegt
ihm Absicht zum Grunde, indem er lockt, warnt, zur Hülfe herbeiruft,
oder er entströmt, ohne Noth und Absicht, dem frohen Gefühle des
Daseyns, dem Gefallen am Schmettern der Töne. Das Letzte ist das
Poetische, ein aufglimmender Funke in der thierischen Dumpfheit. Diese
verschiedenen Arten der Laute sind unter die mehr oder minder
stummen und klangreichen Geschlechter der Thiere sehr ungleich vertheilt,
und verhältnissmässig wenigen ist die höhere und freudigere Gattung
geworden. Es wäre auch für die Sprache belehrend, bleibt aber
vielleicht immer unmöglich, zu ergründen, woher diese Verschiedenheit
stammt. Dass die Vögel allein den Gesang besitzen, liesse sich vielleicht
daraus erklären, dass sie freier, als alle andre Thiere, in dem Elemente
des Tons, und in seinen reineren Regionen leben, wenn nicht so viele
Gattungen derselben, gleich den auf der Erde wandelnden Thieren, an
wenige einförmige Laute gebunden wären.

43. In die Sprache gehen dieselben antreibenden Ursachen über:
Noth, Absicht und Gefallen am Hervorbringen von Lauten. Da aber
Alles in der Sprache an dem ihr eigenthümlichen Charakter der Intellectualität
150Theil nimmt, so ist sie nicht aus einem Drange zum Hervorbringen
blossen Schalles zu erklären. Das Gefallen am Sprechen ist Gefallen
an Rede, und mithin auf Gedanken bezogen. Es kommt also in der
Sprache noch eine vierte Ursach hinzu, das Bedürfniss geselliger Mittheilung,
das ich hier aber nur von der Seite reiner Gesprächigkeit nehme.
Es gehört gewiss zu den irrigsten Behauptungen, die Entstehung
der Sprachen vorzugsweise dem Bedürfniss gegenseitiger Hülfsleistung
beizumessen, und was unmittelbar daraus fliesst, ihnen in einem eingebildeten
Naturstande einen bestimmten Kreis von Ausdrücken vorzuschreiben.
Der Mensch ist nicht so bedürftig, und zur Hülfsleistung hätten,
wie man an den Thieren sieht, unarticulirte Laute ausgereicht. Die
Sprache ist, auch in ihren Anfängen, durchaus menschlich, und dehnt
sich absichtslos auf alle Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung und
inneren Bearbeitung aus. Auch die Sprachen der sogenannten Wilden,
und gerade sie, zeigen eine überall über das Bedürfniss überschiessende
Fülle und Mannigfaltigkeit von Ausdrücken. Die Worte entquillen freiwillig,
ohne Noth und Absicht, der Brust, und es giebt wohl in keiner
Einöde eine wandernde Familie, die nicht schon ihre Lieder besässe,
denn der Mensch, als Thiergattung, ist wesentlich ein singendes Geschöpf,
nur Ideen mit den Tönen verbindend. Ein viel wesentlicherer
sinnlicher Entstehungsgrund der Sprache, da einmal hier nach einem
solchen gesucht wird, ist das Gefallen am Sprechen, und daher ist es auf
die Bildung der Sprachen von so wichtigem Einfluss, wie schweigsam
oder geschwätzig ein Volk ist.

44. Man muss den Menschen, auch in seinen edelsten Bestrebungen,
immer in seiner ganzen Natur, deren eine Seite er mit der Thierheit
theilt, betrachten. Man darf daher auch in der Sprache, will man ihre
Natur vollkommen in ihren Elementen durchschauen, nicht den Antheil
des blossen Tönens übersehen, durch welches der articulirte Laut sich
dem thierischen nähert. Hierhin gehört zuerst, wenn Völker ihrer Aussprache
ein gar keiner Articulation fähiges Tönen beimischen, wie das
Schnalzen eines Afrikanischen, das von einer Art Schluchzen begleitete
Innehalten einiger Amerikanischen Völker ist. Auch jede unreine, den
Buchstaben mehr Tönen, als ihre Articulation erfordert, gebende Aussprache,
wie sie oft im Munde des Volks gehört wird, muss dahin gerechnet
werden. Aber auch wo jeder Consonant bestimmt, jeder Vocal
in seinen reinen Gränzen ausgesprochen wird, ist das Verhältniss des
Tönens zur Ideenbezeichnung im Ganzen der Sprache zu beachten. Indem
die letztere mit grösserem oder geringerem Aufwände von Tönen
und Tonveränderungen zu Stande kommt, zeigt (auch ohne noch irgend
von Wohllaut zu reden) eine Nation mehr oder weniger Gefallen an
blossen Tönen und Reizbarkeit für dieselben. Die Sprachen sind daher
in diesem Stück bald reicher, bald dürftiger, bald freier von schmetterndem
151Geräusch, bald mehr damit überladen, machen überhaupt einen
üppigeren oder keuscheren Gebrauch von dem Laut. Sie neigen sich
daher auch mehr oder weniger zu solchen grammatischen Formen, die,
wie die Sylbenverdoppelung, eine Art klingelnden Getönes hervorbringen:
Wo die Lautbehandlung in einer Sprache fehlerfrei erscheint, ist
sie mit dem Colorit in der Malerei zu vergleichen, das auch stärker oder
schwächer aufgetragen wird. Beide sind der sinnlichere Theil, welcher
in Allem, was, wie die Sprache und die Kunst, aus dem Ganzen des
Menschen hervorgeht, dem reiner intellectuellen oder formalen zur Seite
steht. Es geschieht auch, dass Sprachen, überhaupt oder auf gewissen
Bildungsstufen, mehr oder weniger ideenloses Tönen der wirklichen
Rede beimischen, Sylben und Wörter ohne bestimmte Einwirkung auf
den Sinn, fast nur zur Ausfüllung des Tones gebrauchen. Ich könnte
von einer NordAmerikanischen Sprache ein sehr merkwürdiges Beispiel
hiervon anführen, wenn es nicht gegen meine Absicht wäre, in diesem
Abschnitt die Folge der allgemeinen Entwicklung durch Eingehen in
Einzelnes zu unterbrechen. Ein gewisses Gefühl mag sich freilich mit
allen solchen Partikeln, da diese Wörter nur zu diesem grammatischen
Gebiet gerechnet werden können, verbinden. Es ist aber nicht allein ein
sehr geringes, oft gar nicht auf Begriffe zurückzuführendes, sondern die
blosse Lautgewohnheit bringt diese Wörter auch da wieder, wo das sie
allenfalls begleitende Gefühl gar nicht nothwendig eintritt. In diesem
Sinne nehme ich, wie sehr sich auch unsre oft zu einseitig rationelle
Grammatik dagegen verwahrt, bloss ausfüllende Partikeln in den Sprachen
an. Sie werden angebracht, nicht weil der Sinn nicht ohne sie vollständig
wäre, sondern weil, der Sprachgewohnheit gemäss, der Klang
der Redensart nicht dem Ohr so erscheint. Am deutlichsten zeigt dies
die Quichuische Sprache. Durch die Cultur der Sprache fallen solche
blossen Klangwörter entweder hinweg, oder werden im günstigeren
Fall durch künstlichere Bearbeitung Zeichen feinerer Nuancen der Ideen
oder ihrer Verknüpfungen.

45. Wenn man aber auch ganz von der Möglichkeit eines richtigen
oder unrichtigen Verhältnisses der Lautbehandlung zur Ideenbezeichnung
absieht, muss man in den Sprachen dennoch, auch noch getrennt
von den Wohllautsgesetzen, und den Buchstabenverknüpfungen und
Veränderungen, die bestimmte Beschaffenheit ihres materiellen Tones
beachten, da allein darin zuletzt die wahre Individualität jeder Sprache
und Mundart liegt. Ich meine nemlich hiermit den ganzen Lauteindruck,
welchen die Rede in einer Sprache auf das Ohr macht. Was man
thun und versuchen mag, die Eigenthümlichkeiten einer Sprache zu
schildern, so fliessen die Umrisse des entworfenen Bildes bei mehreren
noch immer in einander über. Vieles lässt sich gar nicht, andres nur
gradweise unterscheiden, das Ganze ist nicht in geschiedner Einheit
152darzustellen. In ihrer bestimmten Beschaffenheit, als diese und keine
andre spricht sich jede Mundart und Sprache nur selbst durch ihren
Klang aus. Obgleich das Alphabet der ganzen Menschheit von gewissen,
nicht einmal sehr weiten Gränzen umschlossen ist, so hat doch jedes
Volk mit eigner Sprache auch sein eignes Lautsystem in der Ausschliessung
gewisser Töne, der Vorliebe für andre, der Bestimmung der
verschiedenen zur Bezeichnung verschiedener Begriffe, der Behandlung
der Töne in ihren Verbindungen u. s. f. Man kann dies mit dem verschiedenartigen
Geschrei und den Tonarten der Thiergattungen vergleichen.
Es ist darin, wenn auch die fortschreitende Entwicklung Vieles
abschliesst, doch etwas Festes, Stammartiges, tief in den Modificationen
der Sprachwerkzeuge und dem Tongefühle Gegründetes. Das Lautsystem
hat daher auf die wesentlichsten Theile jeder Sprache den bedeutendsten
Einfluss; es ist das erste, worin man sich durchaus fest
setzen muss. Freilich führt dies in eine mühvolle, oft ins Kleinliche gehende
Elementaruntersuchung, es sind aber auch lauter in sich kleinliche
Einzelnheiten, auf welchen der Totaleindruck der Sprachen beruht,
und nichts ist mit dem Studium derselben so unverträglich, als bloss in
ihnen das Grosse, Geistige, Vorherrschende aufsuchen zu wollen. Genaues
Eingehen in jede grammatische Subtilitaet, und Spalten der Wörter
in ihre Elemente ist durchaus nothwendig, wenn man sich nicht in
allen Urtheilen über den Bau und selbst über die Abstammung Irrthümern
blossstellen will.

46. Die wichtigste Ursach, aus welcher die Sprache, vermittelst des
Tones, der Wirkung nach aussen bedarf, ist die Geselligkeit, zu welcher
der Mensch durch seine Natur unbedingt hingewiesen wird. Es liegt aber
in derselben ein zwiefaches, allein in dem Begriffe der Menschheit Verbundenes:
einmal dass alle menschlichen Kräfte sich nur gesellschaftlich
vollkommen entwickeln, dann dass es etwas Gemeinsames in dem ganzen
menschlichen Geschlechte giebt, von dem jeder Einzelne eine, das
Verlangen nach Vervollständigung durch die andren in sich tragende Modification
besitzt. Beides ist gerade in der Sprache besonders wichtig.
Denn je grösser und bewegter das gesellige Zusammenwirken auf sie ist,
je mehr gewinnt sie unter übrigens gleichen Umständen, und auf jenem
eben erwähnten Gemeinsamen beruht die Möglichkeit der Verständigung,
so wie es die Mittel der gegenseitigen Ausbildung der Sprachen
enthält.

47. Auch die Geselligkeit lässt sich ohne Einseitigkeit nicht aus dem
blossen Bedürfniss ableiten. Sie beruht nicht einmal in den Thieren darauf.
Keines ist leicht sich so allein genügend in seiner Stärke, als der
gerade vorzugsweise in Heerden lebende Elephant. Auch in den Thieren
entspringt daher die bei einigen Gattungen grössere, bei andren geringere
Neigung zur Geselligkeit aus viel tiefer in ihrem Wesen liegenden
153Ursachen. Es ist nur uns Unmöglich, dieselben zu ergründen, weil
wir uns gar keinen Begriff von der doch nicht abzuläugnenden Fähigkeit
der Thiere machen können, wahrzunehmen, zu empfinden und
Wahrnehmungen zu verknüpfen. Im Menschen aber ist das Denken wesentlich
an gesellschaftliches Daseyn gebunden, und der Mensch bedarf,
abgesehen von allen körperlichen und Empfindungsbeziehungen,
zum blossen Denken eines dem Ich entsprechenden Du. Dies ist schon
oben (§.41.) erinnert worden, bedarf aber hier einer weiteren Ausführung.
Der Begriff erreicht seine Bestimmtheit und Klarheit erst durch
das Zurückstrahlen aus einer fremden Denkkraft. Er wird, wie wir im
Vorigen sahen, erzeugt, indem er sich aus der bewegten Masse des Vorstellens
losreisst, und dem Subject gegenüber zum Object bildet. Es genügt
jedoch nicht, dass diese Spaltung in dem Subjecte allein vorgeht,
die Objectivität ist erst vollendet, wenn der Vorstellende den Gedanken
wirklich ausser sich erblickt, was nur in einem andren, gleich ihm vorstellenden
und denkenden Wesen möglich ist. Zwischen Denkkraft und
Denkkraft aber ist die einzige Vermittlerin die Sprache, und so entsteht
auch hier ihre Nothwendigkeit zur Vollendung des Gedanken. 1617 Es liegt
aber auch in der Sprache selbst ein unabänderlicher Dualismus, und alles
Sprechen ist auf Anrede und Erwiederung gestellt. Das Wort ist kein
Gegenstand, vielmehr den Gegenständen gegenüber etwas Subjectives,
dennoch soll es im Geiste des Denkenden ein Object, von ihm erzeugt
und auf ihn zurückwirkend werden. Es bleibt zwischen dem Wort und
seinem Gegenstande eine so befremdende Kluft, das Wort gleicht, allein
im Einzelnen geboren, sosehr einem blossen Scheinobject, die Sprache
kann auch nur so zur Wirklichkeit gebracht werden, dass an einen gewagten
Versuch ein neuer sich anknüpft. Das Wort muss also Wesenheit
in einem Hörenden und Erwiedernden gewinnen. Diesen Urtypus aller
Sprachen drückt das Pronomen durch die Unterscheidung der zweiten
Person von der dritten aus. Ich und Er sind an und für sich selbst verschiedne,
so wie man eines von beiden denkt, nothwendig einander entgegengesetzte
Gegenstände, und mit ihnen ist auch Alles erschöpft,
denn sie heissen mit andren Worten Ich und Nicht-ich. Du aber ist ein
dem Ich gegenübergestelltes Er. Indem Ich und Er auf innrer und äusserer
Wahrnehmung beruhen, liegt in dem Du Spontaneitaet der Wahl. 1718
Es ist auch ein Nicht-Ich, aber nicht, wie das Er, in der Sphäre aller
Wesen, sondern in einer andren, der eines durch Einwirkung gemeinsamen
Handelns. In dem Er selbst liegt nun dadurch, ausser dem Nicht-Ich,
auch ein Nicht-Du, und es ist nicht bloss einem von ihnen, sondern
beiden entgegengesetzt. Dass dieselbe Pronominalform durch alle Sprachen
durchgeht, zeigt, dass, nach dem Gefühl aller Völker, das Sprechen
in seinem Wesen voraussetzt, dass der Sprechende, sich gegenüber,
einen Angeredeten von allen Andren unterscheidet. In einigen
154Sprachen zeigt sich sogar darin eine besondre Sorgfalt die zweite Person
herauszuheben, dass sie auch in der ersten des Plurals durch verschiedene
Formen andeuten, ob der Angeredete darunter begriffen,
oder ausgeschlossen ist.

48. Das Pronomen in seiner wahren und vollständigen Form wird in
das Denken bloss durch die Sprache eingeführt, und ist das Wichtigste,
wodurch ihre Gegenwart sich verkündet. Solange man nur das Denken
logisch, nicht die Rede grammatisch zergliedert, bedarf es der zweiten
Person gar nicht, und dadurch stellt sich auch die erste verschieden.
Man braucht dann das Darstellende nur vom Dargestellten, nicht von
einem Empfangenden und Zurückwirkenden zu unterscheiden. Da nun
unsre allgemeine Grammatik ganz und gar von dem Logischen ausgeht,
so stellt sich das Pronomen in ihr, die eine Zergliederung der Rede ist,
anders, als in der gegenwärtigen Entwicklung, wo wir eine Zergliederung
der Sprache selbst versuchen. Hier geht es allem Uebrigen voran,
und wird als selbstbezeichnend angesehen, dort folgt es erst der vollendeten
Erklärung der Haupttheile des Satzes, und trägt wesentlich, wie
auch sein Name besagt, einen repraesentativen Charakter in sich. Beide
Ansichten sind nach der Verschiedenheit der Standpunkte vollkommen
richtig, zu tadeln ist bloss, dass man auf dem einen oft zu einseitig stehen
geblieben ist, da man die wahre und vollständige Geltung des Pronomen,
auch in der Rede, doch nur dann wahrhaft einsieht, wenn man
seine tiefe Gründung in der innersten Natur der Sprache erkennt. Einen
noch grösseren und ganz entschiedenen Einfluss hat aber diese auf die
Form und Beschaffenheit des Pronomen in den verschiedenen Sprachen.

49. Was in der philosophischen Entwicklung der Sprache allgemeiner
Ausdruck eines Nicht-Ich und Nicht-Du ist, erscheint in der Rede,
die es nur mit concreten Gegenständen zu thun hat, nur als Stellvertreter
von diesen. Neben seinem allgemeinen Ausdruck der dritten Person
spaltet es sich in die mehr oder minder verschiednen Arten des Pronomen
demonstrativum. Man möchte dies aber eher ein Erheben von diesen
zum Allgemeinen nennen, da einige Sprachen gar nicht zu dem letzteren
gelangen. In diesen ist dies Pronomen auch wirklich nicht sowohl
repraesentativ, d. h. im Geist, als etwas andres Gedachtes vertretend,
gedacht, sondern vielmehr nur eine von einer augenblicklichen Verhältniss-Eigenschaft
(Er liegender, stehender u. s. f.) hergenommene, durch
die Geberde vervollständigte Bezeichnung angesehen. Die reinen Begriffe
unsrer allgemeinen Grammatik finden sich immer nur in den
Sprachen vollendeter Bildung, und auch da nur in der philosophischen
Ansicht derselben. Auf ähnliche Weise als das Pronomen der dritten
Person sind in der Rede auch die der beiden ersten repraesentativ, weil
das bestimmte Ich und Du, als wahre Substantiva an ihre Stelle treten
155können. Allein der wesentliche Begriff aller drei Pronomina ist immer
der durch die Natur der Sprache selbst gegebene, dass sie die ursprünglichen
und nothwendigen Beziehungspunkte des Wirkens durch Sprache,
als solche, bezeichnen, und dieselben in Individuen verwandeln.
Ich ist nicht das mit diesen Eigenschaften versehene, in diesen räumlichen
Verhältnissen befindliche Individuum, sondern der sich in diesem
Augenblick einem Andren im Bewusstseyn, als ein Subject Gegenüberstellende,
jene concreten Verhältnisse werden nur der Leichtigkeit und
Sinnlichkeit wegen dem schwierigeren abgezogenen Begriff untergeschoben.
Eben so geht es mit Du und Er. Alle sind hypostasirte Verhältnissbegriffe,
zwar auf individuelle, vorhandene Dinge, aber in völliger
Gleichgültigkeit auf die Beschaffenheit dieser, nur in Rücksicht auf das
Eine Verhältniss bezogen, in welchem alle diese drei Begriffe sich nur
gegenseitig durch einander halten und bestimmen.

50. Obgleich aber das Pronomen unmittelbar durch die Sprache gefordert
wird, und obgleich alle Sprachen das dreifache Pronomen besitzen,
so ist der Eintritt des Pronomen in die wirkliche Sprache doch von
grossen Schwierigkeiten begleitet. Das Wesen des Ich's besteht darin,
Subject zu seyn. Nun aber muss im Denken jeder Begriff vor dem wirklich
denkenden Subject zum Object werden. Auch das Ich wird, als solches,
im Selbstbewusstseyn zusammengefasst. Es muss mithin ein Object
seyn, dessen Wesen ausschliesslich darin besteht, dass es Subiect
ist. Die grössere Leichtigkeit des Begriffs des Du ist nur scheinbar.
Denn er besteht ja nur dadurch, dass er auf das Ich, das eben beschriebene
Subject-Object bezogen wird. Wir bemerken daher an den Kindern,
dass sie sehr lange noch an die Stelle der Pronomina Namen oder
andre objective Bezeichnungen setzen. Dies hat verleitet zu behaupten,
dass das Pronomen sich in den Sprachen überhaupt immer erst spät
entwickelt habe. Dass diese Behauptung wenigstens auf diese Weise
falsch ausgedruckt ist, beweist die ganze gegenwärtige Entwicklung.
Das Pronomen musste in den Sprachen ursprünglich seyn. Ueberhaupt
ist, meiner innersten Ueberzeugung nach, alles Bestimmen einer Zeitfolge
in der Bildung der wesentlichen Bestandtheile der Rede ein Unding.
Was zu ihnen gehört, wird bewusstlos auf einmal von dem
Sprachvermögen gegeben, und das ursprünglichste Gefühl, das Ich, ist
kein nachher erst erfundener, allgemeiner, discursiver Begriff. Nur das
reinere und richtigere Bewusstseyn der Redetheile entsteht allmälich
und ist des Wachsthums fähig. Dagegen liesse sich das allerdings denken,
dass die Wörter für die Pronomina ursprünglich Substantiva, wie
alle andre, gewesen wären, und in der Nation ihnen auch diese Ansicht
immer geblieben wäre. Dasselbe Substantivum, sey es Mensch, Seele,
Gestalt, immer von jedem zur Bezeichnung seines Ichs gebraucht, würde
alsdann in das wahre Pronomen übergegangen seyn, das Verbum
156hätte nur scheinbar drei, in der That bloss Eine Person gehabt. Hierüber
historisch zu entscheiden, halte ich für unmöglich, da keine historische
Untersuchung so weit zu führen vermag. Indess sprechen doch mehrere
Umstände gegen eine solche Annahme. Mir ist keine einzige Sprache
bekannt, in der es nicht ein oder mehrere Pronomina der ersten beiden
Personen gäbe, welche gar keine Spur an sich tragen, eigentlich der
dritten anzugehören. Die Malaiische, die leicht am meisten zu Pronomina
der 1. und 2. Person gewordene Substantiva besitzt, hat doch für die
erste aku, was durchaus keinen solchen Ursprung verräth, und einige
hierin ähnliche für die zweite. Gerade diese finden sich in den verwandten
Südseesprachen wieder, und beweisen dadurch ihre tief alterthümliche
Gründung in der Sprache. Denn aku 1819, ich, entspricht dem ganz
gleichlautenden Neu Seeländischen aku 1920, kita, wir, dem Tongischen
gita, welches zwar dem Singularis angehört, aber abgekürzt in gi auch
dem Pluralis dient, kamu, abgekürzt in mu, 2. sing, und plur. dem Tongischen
mo, 2. plur., und angkau, abgekürzt in kau, scheint das Neu
Seeländische koe. 2021 Eben so giebt es auch im Chinesischen, wo erste
und zweite Person jetzt ganz gewöhnlich durch Substantiva bezeichnet
werden, zugleich reine Pronomina, die, allem Anscheine nach, die älteren
sind.

51. Wenn man die sinnliche Natur des Menschen bedenkt, den
Werth, den er von früh an auf die Unterscheidung des Mein und Dein
legt, und der sich auch in der Sprache so mächtig ausdruckt, dass es,
namentlich in Amerika, viele giebt, in welchen das Substantiv gar nicht
ohne sein Besitzpronomen ausgesprochen werden kann, so halte ich es
für ausgemacht, dass, welche Ideenbezeichnung der Mensch auch immer
zum Pronomen erhob, er es nie that, ohne derselben gleich auf immer
das wahre und wirkliche Gefühl der Ichheit aufzuprägen, und dass
er nie von sich, wie von einem Fremden, sprach. Die Annahme des Gegentheils
scheint mir durchaus unnatürlich. Auch die Kinder sprechen
ihren Namen mit diesem Gefühl aus. Damit ist das Wesen des Pronomen
gegeben, und der Unterschied zwischen diesem und allen andren
Substantiven festgestellt. Wie weit derselbe hernach an der Sprache
selbst sichtbar seyn soll, hängt von der Stärke und Feinheit des Sprachsinns
ab. Viel reiner und getreuer, als im Pronomen selbst, ist der demselben
zum Grunde liegende Verhältnissbegriff in den Personen des
Verbum ausgedruckt. Hier ist keine Verwechslung mehr der Ichheit mit
einem andren Substantiv, der ersten und dritten Person möglich. Wenn
sich erweisen liesse, dass die Personen des Verbum in einer Sprache
wirklich durch Flexion entstanden, und ursprünglich so gewesen wären,
so gienge daraus untrüglich hervor, dass diese Nation den reinen
Begriff des Pronomen vom Beginnen ihrer Sprache an gehabt hätte. Wo
aber der Personenunterschied nur durch offenbare oder verstecktere
157Hinzufügung der Pronomina selbst entsteht, lässt sich hieraus nicht
mehr, als aus diesen, schliessen. Die durch das zur Ichheit gestempelte
Substantivum gebildete nähert sich da auch nur insofern der wahren
ersten Person, als jenes Substantivum dem Pronomen.

52. Aus dem mit dem Pronomen der ersten Person unmittelbar verbundenen,
und bei dem der zweiten darauf bezognen Gefühl muss man
es auch, glaube ich, herleiten, dass diese Pronomina nicht, wie das der
dritten immer, in mehrere Formen nach den Eigenschaften oder Verhältnissen
des jedesmaligen Ich und Du (Ich liegender, stehender u. s. f.
§.49.) auseinandergehen, und dass es in keiner Sprache ein Pronomen
demonstrativum einer der beiden ersten Personen zu geben scheint. 2122
Denn die sogar, meiner Erfährung nach, allen Sprachen eigenthümliche,
gleichsam innigere Bestimmung der persönlichen Pronomina
durch den Zusatz des Selbst ist nicht eine Spaltung, sondern eine Verstärkung
ihres Begriffs. Das Ich und das Du, wie schwer auch ihr Wesen
in das deutliche Bewusstseyn gelangt, werden doch von dem Menschen
immer nur in der Einen Beziehung empfunden, die sie charakterisirt,
und daher kann auch ihr Ausdruck nicht mehrfach seyn. Sie werden
wirklich innerlich empfunden, das Ich im Selbstgefühl, das Du in der
eigenen Wahl, da hingegen Alles, was sich unter die dritte Person stellt,
nur wahrgenommen, gesehen, gehört, äusserlich gefühlt wird. Die hier
aufgestellte Thatsache könnte zwar noch zweifelhaft scheinen. Da mehrere
Sprachen, namentlich die Sanskritischen, gerade im Pronomen der
beiden ersten Personen mehr als Einen Stammlaut haben, so könnte es
möglich scheinen, dass diese wenigstens ehemals eine solche verschiedenartige
Bedeutung des Ich und Du gehabt hätten. Es ist dies aber
durchaus unwahrscheinlich. Diese Mehrheit der Stammformen entsteht
entweder bloss zufällig aus zusammengeflossenen Mundarten, oder, wo
sie die Casus obliqui vom Nominativus unterscheidet, aus so verschiedener
Ansicht dieses Casusverhältnisses, dass daraus zwei Wörter entstanden.
Die Malaiische und Japanische Sprache sind vorzugsweise
reich an synonymen Pronominalformen. In beiden giebt der höflichere
und gröbere Styl Anlass dazu. Im Malaiischen hat nur die Schriftsprache
gleichförmige. Die Volksmundarten besitzen, und oft in kleinen
Districten, verschiedne. Im japanischen sind eigne für Kinder, Greise
und Weiber. Dagegen kommt kein wahrhaft gespaltenes doppeltes, näheres
und entfernteres Ich oder Du vor. 2223

53a. Die Auffindung des Ursprungs der PronominalWörter der beiden
ersten Personen würde, wie schon das Obige zeigt, auch in philosophischer
Rücksicht von der grössesten Wichtigkeit seyn. Man würde
alsdann sehen, ob und in welchem Grade der ächte Charakter dieser
Pronomina schon in der Bezeichnung selbst liegt, oder ihr nur erst
durch den Gebrauch gegeben ist. Soll das Erstere der Fall seyn, so müssen
158sie einen sinnlichen Ausdruck enthalten, welcher auf alle mögliche
Individuen, da jedes zum Ich und Du werden kann, passt, und doch den
Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen bestimmt und als wahren
Verhältniss-Gegensatz angiebt. Es muss alsdann zur Bezeichnung ein
sinnlicher, und doch von aller qualitativen Verschiedenheit abstrahirender
Begriff gebraucht werden, welcher das Ich und das Du in Eine
Sphäre umschliesst, innerhalb dieser Sphäre aber eine sich gegenseitig
bestimmende Theilung möglich lässt. Ein solcher Begriff ist der Raum,
und ich kann zwei Thatsachen anführen, welche deutlich beweisen,
dass man den Raum auf den Pronominalbegriff bezogen hat. In dem einen
dieser Fälle hat man den Ortsbegriff zu einem so gewöhnlichen Begleiter
der drei Pronomina gemacht, dass man sehr oft im Sprechen ihrer
nicht mehr zu bedürfen glaubt, sondern bloss ihn ihre Stelle
vertreten lässt; doch bleibt er grammatisch sichtbar vom Pronomen geschieden.
In dem andren Fall ist er wirklich zum Pronomen geworden,
aber auf eine Weise, die eine Vermischung beider Begriffe verräth.

53b. Die Sprache der Tonga-Inseln in der Südsee (die man auch
wohl nur als eine Mundart der sogenannten Polynesischen anzusehen
pflegt) hat drei Adverbia der Ortsbewegung, die gewöhnlich den Phrasen
beigegeben werden, wo ein Verbum eine solche Bewegung gegen
eine Person oder Sache enthält, jedoch so, dass sehr häufig bald das
Verbum, bald das Pronomen ausgelassen wird. Im letzteren Fall entsprechen
die drei Adverbien genau den drei Personen des Pronomen.
Im Ganzen findet sich das Nemliche auch in andren Sprachen, namentlich
im Deutschen. Denn es ist gerade ebenso, wenn bei uns: komm du
her!
zum blossen: her! abgekürzt wird. Das Merkwürdige und Eigenthümliche
liegt aber in der Stätigkeit des Gebrauchs und ganz besonders
in der dreifachen, und genau den drei Personen angepassten Eintheilung
der Ortsbewegung. Denn mei ist die Bewegung zum Redenden,
atū 2324 vom Redenden zum Angeredeten, angi vom Redenden zu einer
dritten, nicht angeredeten Person oder einer solchen Sache, und wo das
Pronomen gesetzt oder ausgelassen ist, und diese Adverbia dasselbe begleiten
oder vertreten, gehören sie den drei Personen in der obigen Folge
an, und werden nie oder auf irgend eine Weise verwechselt. Da sie
aber bloss die Personen bezeichnen, so bilden sie natürlich keinen Unterschied
des Numerus. Mei ist sowohl mir als uns. Diese auf die Personen
bezogene Ortsabtheilung ist nicht bloss in mehreren Sprachen, sondern
mag überall zum Grunde gelegen haben, wo das Pronomen
demonstrativum dreifach ist. Im Lateinischen ist dies auch daran sichtbar,
dass, wo der Ort desjenigen, mit dem man redet, oder dem man
schreibt, gemeint ist, ausschliesslich iste gebraucht wird. Es ist offenbar,
dass die Sprache hier abermals ihren Urtypus (§.47.) angewendet
hat. Nur unterscheidet sie, da hier nicht dieselbe Vollständigkeit
159nothwendig war, hier auch willkührlicher bald nur hier und dort, dieser
und jener, Ich und Nicht-ich, bald aber die drei verschiedenen Oerter
und Stellungen, und hält im letzteren Fall den Unterschied fester an das
Pronominalverhältniss geknüpft, oder lässt ihn lockrer bloss in Grade
der Entfernung ausgehen. Nie, soviel mir bekannt ist, kommen vier
Ortsabtheilungen im demonstrativen Pronomen vor. Ich möchte dies
indess darum doch nicht als einen strengen Beweis des Vorherrschens
der Pronominalansicht ansehen. In sich zwar liesse die Rücksicht auf
die Entfernung vier und noch mehr Grade zu. Allein der Mensch giebt
überhaupt gern, und in der Sprache sehen wir dies an den Steigerungsgraden
der Adjective, zwei bestimmt aufgefassten Unterschieden bloss
einen dritten, als ein angenommenes Aeusserstes bei, wenn dies Aeusserste
auch noch eine gewisse Breite hat. Wenn vom Geben die Rede ist,
braucht die Tongische Sprache jene Ortsadverbien so ausschliesslich allein,
dass jenes Verbum durch diese unaufhörliche Auslassung in der
Sprache ganz untergegangen zu seyn scheint. Denn in Martins Wörterbuch
findet sich ein solches Verbum gar nicht, das die andren beiden
nahe verwandten Sprachen, die Neu Seeländische und Tahitische doch
besitzen. Beispiele der hier erwähnten Wortfügungen sind folgende:
mei ia giate au, her dies zu mir, gieb mir dies; 2425 tëū 2526 atū ia giate koi,
werde-ich hin dies zu dir, ich werde dir dies geben; tëū ofa angi giate ia,
werde-ich lieben dorthin zu ihr, ich werde sie lieben; bea behe mei he
tūnga fafine
, als sprachen her die mehreren Weiber, als sie zu uns sprachen; 2627
nëū ikéi 2528 abé lea atu fukkalotoboto, habe-ich nicht vielleicht
gesprochen hin weise-sinnvernünftig
, ich habe vielleicht nicht auf vernünftige
Art zu euch gesprochen. 2729 Man hängt auch diese drei Ortsadverbia
an Verba an, und die Auslassung der Endvocale dieser, wo Hiatus
entstehen würde, und der veränderte Accent beweisen, dass aus dieser
Verbindung Ein Wort wird, so dass das Verbum seine Richtung in sich
einverleibt trägt, die aber, zum Unterschiede von unsren mit Adverbien
verbundenen Verben (hingehen, herfahren), im Sinne des Volks genau
eine auf die drei Personen gerichtete ist. Aus tála, erzählen, wird talaméi,
mir oder uns, talátū, dir oder euch, talángi, ihm, ihr oder ihnen
erzählen. 2830 In allen diesen Fällen rückt der gewöhnliche Accent von tála
auf die betonte Sylbe des Adverbium, auch da, wo diese Betonung der
allgemeinen Regel, wie in talaméi widerspricht. Denn in Wörtern von
drei Sylben ist eigentlich die mittlere die betonte. Martin schwankt, ob
er diese Wörter defective Verba, die zugleich Hülfsverba sind, oder
Praepositionen nennen soll, und führt sie beim Pronomen und Adverbium
gar nicht an. Sie sind aber offenbar auf die drei Personen des Pronomen
bezogene Ortsadverbien. Indess stehen sie in keiner Polynesischen
Sprache in etymologischer Verbindung mit dem Pronomen 2931, und
ihre Verwechslung mit demselben ist bloss Folge elliptischer Redeabkürzung.
160Noch weniger sind sie, wie Martin zu glauben scheint, das
Verbum geben. 3032

53c. Die japanische Sprache hat für die dreifache Ortsbezeichnung
bei dem Redenden, bei dem Angeredeten und ausserhalb der Stelle beider
die drei Wörter ko, so, a, die aber nicht in dieser Einfachheit, sondern
als ko-no, so-no, a-no, ko-re, so-re, a-re vorkommen, indem no
und re affigirte Sylben sind. 3133 Nun findet man als Pronomen 2. pers.
sonata, und dies (dem ein konata und anata entspricht) ist zusammengesetzt
aus dem abgekürzten sono und dem Stamm der Praeposition
ata-ri, nahe. Sonata, du, heisst also, wörtlich übersetzt: der bei der Stelle
dort
, dies Wort, wie das Lateinische istic, genommen. 3234 Dieser Ausdruck
ist aber so in das Pronomen übergegangen, dass, mit völligem
Vergessen des Ursprungs, die Praeposition noch einmal hinzugesetzt
und sonata atari; bei dir, euch, gesagt wird. 3335 Auch wird sonata mit allen
Casuszeichen verbunden und declinirt. Man hat also hier ein wahres
Pronomen 2. pers., ein Du, welchem, ohne dass es der Sprachgebrauch
jetzt mehr zu ahnden scheint, ein Ortsbegriff zum Grunde liegt. In vollkommener
Analogie hiermit ist konata, der bei der Stelle hier, Pronomen
1. pers. Allein hier geht nun die Verwirrung an. Denn konata wird
auch, ganz gegen den wahren Begriff, unter den Pronominalformen der
2. Person aufgeführt, und da als eine Benennung eines Vornehmeren
bezeichnet. Man hat also hier scheinbar ein Du hier, und Du dort, was
dem oben Gesagten (§. 52.) widerspricht. Vermuthlich aber verhält sich
die Sache anders und folgendergestalt. Konata und sonata scheinen, da
man sie ausdrücklich mit unsrem Titel Excellenz vergleicht, als Pronomina
3. pers., die man der zweiten anpasst, gebraucht zu werden, obgleich
sich dies nicht genau sehen lässt, da das Japanische Verbum die
Personen nur vermittelst des Pronomen unterscheidet. Auf diese Weise
können sie nie der ersten Person angehören, und sind eine der ursprünglichen
Bedeutung der Ortsentfernung nach unterschiedene doppelte
Form der dritten, obgleich im Gebrauch auf die zweite angewandt.
Zugleich bedient man sich aber derselben beiden Formen, nach
Oyangurens ausdrücklichem Zeugniss 3436, auch als gemeiner Pronomina
unter Leuten gleichen Standes, und dann ist, dem Ortsbegriff genau
entsprechend, konata, das hier, erste, sonata, das dort, zweite Person.
So begreift es sich, wie konata, nie aber sonata, zur ersten und zweiten
zugleich gerechnet werden kann. Doch muss man gestehen, dass Rodriguez
und Oyangurens Sprachlehren soviel Spuren der Unvollkommenheit
an sich tragen, und so wenig mit einander übereinstimmen 3537, dass
man sich des Wunsches nicht erwehren kann, erst das Factische über
diesen Punkt sichrer und bestimmter festgestellt zu sehen.

53d. In durchgängiger Verbindung aber mit den Ortsbegriffen stehen
die Armenischen Pronomina. Ihre ursprünglichen Laute sind nach
161der Reihe der Personen ss 2. / t, n wie aus den Affixen zu sehen ist. Danach
lauten die selbständigen persönlichen Pronomina jes, ich, 2. / tu, du,
1. / inku, er. 3638 Diesen drei Personen entsprechen genau drei verschiedene
Demonstrativ-Pronomina, die auch von den Grammatikern Demonstrativa
der 1. 2. 3. Person genannt werden, und sich durch dieselben ursprünglichen
Pronomina unterscheiden. Sie heissen ssa, der bei mir
(Villotte hic) (Cirbied ce, celuici, la personne la plus proche), ta, 2. / der bei
dir, bei dem Angeredeten (Villotte iste) (Cirbied celui là, la personne un
peu éloignée
), na, der bei ihm, bei dem Dritten (Villotte ille) (Cirbied
celui là, la personne la plus éloignée). Die beiden Begriffe 3739, der nach
der Stellung der beiden Redenden bestimmte Ort, und der des Grades
der Entfernung verbinden sich nicht nur in den drei Demonstrativ-Pronominen,
sondern auch in den Affixen, die, nach Massgabe des Zusammenhanges
und Bedürfnisses der Rede, bald nur allgemein und im Ganzen
den letzteren, bald zugleich bestimmt den ersteren bezeichnen. Das
Ortsadverbium der ersten Person hat gleichfalls den Pronominallaut
derselben, asd, hier. Dagegen scheint die 2. und 3. Person nur
ein und eben dasselbe Adverbium2. / ant zu haben. 3840 Aus dem hier Gesagten
erhellet, dass genau dieselben Consonanten das Personen- und
Raumverhältniss andeuten. Die Adverbia scheinen abgeleitet zu seyn.
Aber die Demonstrativa und die beiden ersten der persönlichen Pronomina
sind einfache Verbindungen Eines Consonanten mit Einem Vocal.
Es giebt daher kaum einen etymologischen Grund, die einen mehr, als
die andren für Primitiva zu halten.

54. Diese beiden Beispiele zeigen, wenn auch das Ortsverhältniss in
dem ersten gar nicht zum Pronomen gemacht, und in dem zweiten nicht
rein zu demselben geworden ist, deutlich, wie leicht ein Volk seine Pronomina
aus diesen Ortsadverbien hernehmen könnte. Es hat mir dies
um so wichtiger geschienen, als es ein Beweis mehr ist, wie die reinen
Formen der Anschauung, Raum und Zeit, vorzugsweise geeignet sind,
die in der Sprache so häufig vorkommende Uebertragung abgezogner
oder schwer zu versinnlichender Begriffe in concrete zu vermitteln. Ein
Ausdruck der NeuSeeländischen Sprache kommt der Bezeichnung des
du auf eine schöner anschauliche Weise sehr nahe, und enthält eine
sinnliche Analogie, die in andren Sprachen zur Bildung dieses Pronominallauts
hätte dienen können. Diese Sprache bildet bei mehreren Wörtern
den Vocativus nicht so, dass sie den ihm eigenthümlichen Anruf e
vor den Nominativus setzt, sondern braucht ein ganz eignes Wort für
denselben. So ist matūa der Vater, tāma īne die Tochter, aber o Vater e
, o Tochter e kō. Es ist dies ein in die Sprache übergegangener höchst
162natürlicher Redegebrauch. Der Vocativus tritt gänzlich aus der Reihe
der übrigen Casus heraus. Indem diese zur objectiven, aus dem Subject
hinausgestellten Rede dienen, verbindet er durch eine Handlung des
Willens, oder durch eine Empfindung unmittelbar das Subject mit dem
Gegenstand, er kann zugleich in den meisten Fällen als der Casus der
zweiten Pronominalperson betrachtet werden. Es begreift sich daher
leicht, dass man für ihn innigere Ausdrücke, wie , oder kürzere, wie
(eigentlich Mädchen) ist, braucht. Will man nun einen Menschen
überhaupt, für den man keine besondre Benennung hat, anreden, so
giebt es dafür ein eignes, in der Beziehung auf Menschen, allein im Vocativ
gebräuchliches Wort māra. Nach Lee's Erklärung 3941 heisst dies eine
demjenigen, der sie anredet, gegenüberstehende Person. E māra, gebraucht
wie unser rufendes du, ihr, heisst also wörtlich o gegenüber.
Zugleich aber, und dies ist sichtlich der ursprünglichere Begriff, heisst
māra ein offener, der Sonne ausgesetzter Platz, und ist dasselbe Wort
mit mārama, hell, erleuchtet, Licht. Diese Metapher ist also hier auf das
im Gegenüberstehen frei entfaltet da liegende, entgegenleuchtende
menschliche Gesicht angewendet. Wir könnten es ganz treu durch o
Antlitz!
übersetzen. Der Ortsbegriff hat damit nur mittelbar zu schaffen.
Diese Abschweifung über die Natur des Pronomen schien mir
nothwendig, weil die ursprüngliche Stellung, welche dasselbe wirklich
in der Sprache einnimmt, durch die ihm in unsren Grammatiken angewiesene
gewissermassen verdunkelt wird. Ich nehme nun wieder den
Hauptfaden unsrer Untersuchung auf.

55. Wir haben gesehen, dass der Begriff der Geselligkeit nicht entbehrt
werden kann, wenn man den einfachen Act des Denkens zu zergliedern
versucht, dasselbe wiederholt sich aber auch im geistigen Leben
des Menschen unaufhörlich; die gesellige Mittheilung gewährt ihm
Ueberzeugung und Anregung. Die Denkkraft bedarf etwas ihr Gleiches
und doch von ihr Geschiedenes. Durch das Gleiche wird sie entzündet,
durch das von ihr Geschiedne erhält sie einen Prüfstein der Wesenheit
ihrer innern Erzeugungen. Obgleich der Quell der Wahrheit, des unbedingt
Festen für den Menschen nur in seinem Inneren liegen kann, so ist
das Anringen seines geistigen Strebens an sie immer mit Gefahren der
Täuschung umringt. Klar und unmittelbar nur seine veränderliche Beschränktheit
fühlend, muss er sie sogar als etwas ausser ihm Liegendes
ansehn, und das mächtigste Mittel ihr nahe zu kommen, seinen Abstand
von ihr zu messen, ist die gesellige Vereinigung mit Andren. So ist die
Sprache ein nothwendiges Erforderniss zur ersten Erzeugung des Gedanken,
und zur fortschreitenden Ausbildung des Geistes.

56. Die geistige Mittheilung setzt, von dem Einen zum Andren übergehend,
in diesem etwas ihm mit jenem Gemeinsames voraus. Man versteht
das gehörte Wort nur, weil man es selbst hätte sagen können. Es
163kann in der Seele nichts, als durch eigne Thätigkeit vorhanden seyn, und
das Verstehen ist ebensowohl, als das Sprechen, selbst eine Anregung der
Sprachkraft, nur in ihrer innern Empfänglichkeit, wie dieses in seiner
äusseren Thätigkeit. Es ist daher dem Menschen auch so natürlich, das
eben Verstandene gleich wieder auszusagen. Die Sprache liegt mithin in
jedem Menschen in ihrem ganzen Umfange, was aber nichts anders sagen
will, als dass jeder ein durch eine bestimmt modificirte Kraft, anstossend
und beschränkend, geregeltes Streben besitzt, die ganze Sprache,
wie es äussere oder innere Veranlassung herbeiführt, nach und nach hervorzubringen,
und hervorgebracht zu verstehen. Diese modificirende
Kraft ist, wie jede, natürlich eine individuelle, aber nach allen den Gattungsbegriffen
individualisirt, vermöge welcher jede Gattung gegen eine
allgemeinere höhere als Individuum genommen werden kann. Sie ist
mithin die allgemeine Sprachkraft, bestimmt durch den Völkerstamm,
die Nation, die Mundart, dann in ihren Lautzeichen feststehend, ferner
in der Art des Gebrauches bestimmt durch alle inneren Beschaffenheiten
und äusseren Zufälligkeiten, die das Gemüth mächtig genug ergreifen,
um die Wirkung in der Sprache fühlbar zu machen, zuletzt bestimmt
durch die in keine allgemeinere Kategorie mehr zu bringende Individualität.
Jede dieser bis zum Allgemeinsten aufsteigenden Stufen bildet eine
Sprachsphäre, die durch das allem unter ihr Begriffenen Gemeinsame,
und durch das von dem ausser ihr Befindlichen Verschiedne abgegränzt
wird. Die factische Sprachuntersuchung kann in diesen verschiedenen
Sphären nur von den untersten zu den höheren aufsteigen. Aber die allgemeine
betrachtende muss an dem so gesammelten Stoff auch den umgekehrten
Gang versuchen, bei den verschiedenen in Betrachtung kommenden
Punkten, z. B. beim Alphabet, die sich factisch ergebenden
Gränzen der menschlichen Sprache überhaupt abstecken, in diesem weiten
Gebiete die kleineren, wieder einander untergeordneten Sprachgattungen
absondern, und überall darauf sehen, ob und wie die Eigenthümlichkeiten
jeder von diesen sich unter einen Begriff fassen lassen. Denn
aufzusuchen, wie das Besondre in seinem geschichtlichen Daseyn ein
durch die Idee gegebenes Ganzes bildet, ist der Zweck jeder historisch
philosophischen, vorzüglich aber der Sprachuntersuchung.

57. Jede Vielfachheit des in sich Gleichartigen führt diese Aufgabe
mit sich, und sie wird zu einem doppelt dringenden Bedürfniss da, wo
die Untersuchung, wie bei der Sprache, nicht bloss dahin leiten soll, zu
erkennen und darzustellen, sondern zugleich und hauptsächlich bildend
zurückzuwirken. Den allgemeinen Zusammenhang der Sprachen erklärt
nun zwar allerdings die Gleichartigkeit der menschlichen Natur, in
der ähnliche Kräfte nach gleichen Gesetzen wirken. Eine tiefere Untersuchung
und vollere Würdigung der Sprache scheint mir aber noch viel
weiter und auf einen Punkt zu führen, zu dem ich bis jetzt nur durch
164leichtere Betrachtungen den Weg habe bahnen wollen, und auf dem keine
weitere Erklärung möglich ist, wie denn keine metaphysische d. h.
auf die Ergründung des Seyns an sich gehende Untersuchung weiter als
an das Ende des zu Erklärenden zu leiten vermag. Mir nun — denn ich
spreche dies lieber in dem Tone innerer Ueberzeugung, als mit der Zuversicht
allgemeiner Behauptung aus — scheint das Wesen der Sprache
verkannt, der geistige Process ihrer Entstehung (nicht der an sich, sondern
auch der im jedesmaligen Sprechen und Verstehen) nur scheinbar
erklärt, und ihre mächtige Einwirkung auf das Gemüth unrichtig gewürdigt
zu werden, wenn man das Menschengeschlecht als zahllose zu Einer
Gattung gehörende Naturen, und nicht vielmehr als Eine in zahllose Individuen
zerspaltene betrachtet, eine Ansicht, zu der man auch in ganz
andren Beziehungen, als in der der Sprache, und von ganz anderen
Punkten aus gelangt. Die Verschiedenheit der beiden einander gegenüber
gestellten Behauptungen ist einleuchtend, da die innere Verwandtschaft
des Menschengeschlechts nach der letzteren auf der Einheit des
Wesens desselben, nach der ersteren nur auf der Einheit der Idee beruht,
welche dasselbe, betrachtend oder schaffend, zusammenfasst.

58. In der Art dieser Verwandtschaft liegt das Geheimniss der
menschlichen Individualität verschlossen, das man zugleich als das des
menschlichen Daseyns ansehen kann. Es ist der Punkt, in dem sich in
einem auf den irdischen folgenden Zustande vorzüglich eine Verschiedenheit
erwarten lässt, die dann, wenn Bewusstseyn beide Zustände
verknüpfte, zugleich eine durchgängige Umänderung aller bisherigen
Ansichten hervorbringen würde. Erklären und ergründen lässt sich dies
Geheimniss nicht, aber zur richtigen Erklärung der Erscheinungen und
zur Richtung des intellectuellen Strebens muss man sich hüten, das
wahre Wesen jener Verwandtschaft der menschlichen Individualität zu
verkennen, es bloss aus logischen und discursiven Begriffen schöpfen
zu wollen, statt es in der Tiefe des inneren Gefühls, und in einem die
Untersuchung bis zu ihren Endpunkten verfolgenden Nachdenken aufzufassen.
Man gewinnt daher schon, wenn man die im Vorigen als die
richtige angegebene Ansicht auch nur in der Form geahndeter Möglichkeit
als eine warnende stehen lässt, sich nicht in die entgegengesetzte zu
verschliessen.

59. Was für mich am überzeugendsten für die Einheit der menschlichen
Natur in der Verschiedenheit der Individuen spricht, ist das oben
Gesagte: dass auch das Verstehen ganz auf der inneren Selbstthätigkeit
beruht, und das Sprechen mit einander nur ein gegenseitiges Wecken
des Vermögens des Hörenden ist. Das Begreifen von Worten ist durchaus
etwas Andres, als das Verstehen unarticulirter Laute, und fasst weit
mehr in sich, als das blosse gegenseitige Hervorrufen des Lauts und des
angedeuteten Gegenstandes. Das Wort kann allerdings auch als untheilbares
165Ganzes genommen werden, wie man selbst in der Schrift wohl
den Sinn einer Wortgruppe erkennt, ohne noch ihrer alphabetischen
Zusammensetzung gewiss zu seyn, und es wäre möglich, dass die Seele
des Kindes in den ersten Anfängen des Verstehens so verführe. So wie
aber nicht bloss das thierische Empfindungsvermögen, sondern die
menschliche Sprachkraft angeregt wird (und es ist viel wahrscheinlicher,
dass es im Kinde keinen Moment giebt, wo dies, wenn auch noch
so schwach, nicht der Fall wäre), so wird auch das Wort, als articulirt,
vernommen. Nun aber ist dasjenige, was die Articulation dem blossen
Hervorrufen seiner Bedeutung (welches natürlich auch durch sie in höherer
Vollkommenheit geschieht) hinzufügt, dass sie das Wort unmittelbar
durch seine Form als einen Theil eines unendlichen Ganzen, einer
Sprache, darstellt. Denn es ist durch sie, auch in einzelnen Wörtern, die
Möglichkeit gegeben, aus den Elementen dieser eine wirklich bis ins
Unbestimmte gehende Anzahl anderer Wörter nach bestimmenden Gefühlen
und Regeln zu bilden, und dadurch unter allen Wörtern eine
Verwandtschaft, entsprechend der Verwandtschaft der Begriffe, zu stiften.
Die Seele würde aber von diesem künstlichen Mechanismus gar
keine Ahndung erhalten, die Articulation ebensowenig, als der Blinde
die Farbe, begreifen, wenn ihr nicht eine Kraft beiwohnte, jene Möglichkeit
zur Wirklichkeit zu bringen. Denn die Sprache kann ja nicht als
ein da liegender, in seinem Ganzen übersehbarer, oder nach und nach
mittheilbarer Stoff, sondern muss als ein sich ewig erzeugender angesehen
werden, wo die Gesetze der Erzeugung bestimmt sind, aber der
Umfang und gewissermassen auch die Art des Erzeugnisses gänzlich
unbestimmt bleiben. Das Sprechenlernen der Kinder ist nicht ein Zumessen
von Wörtern, Niederlegen im Gedächtniss, und Wiedernachlallen
mit den Lippen, sondern ein Wachsen des Sprachvermögens durch
Alter und Uebung. Das Gehörte thut mehr, als bloss sich mitzutheilen,
es schickt die Seele an, auch das noch nicht Gehörte leichter zu verstehen,
macht längst Gehörtes, aber damals halb oder gar nicht Verstandenes,
indem die Gleichartigkeit mit dem eben Vernommenen der seitdem
schärfer gewordenen Kraft plötzlich einleuchtet, klar, und schärft den
Drang und das Vermögen, aus dem Gehörten immer mehr und schneller
in das Verständniss hinüberzuziehen, immer weniger davon als blossen
Klang vorüberrauschen zu lassen. Die Fortschritte geschehen daher
auch nicht, wie etwa beim Vocabellernen, in gleichmässigem, nur durch
die verstärkte Uebung des Gedächtnisses wachsendem Verhältniss, sondern
in beständig sich selbst steigerndem, da die Erhöhung der Kraft
und die Gewinnung des Stoffs sich gegenseitig verstärken und erweitern.
Dass bei den Kindern nicht ein mechanisches Lernen der Sprache,
sondern eine Entwicklung der Sprachkraft vorgeht, beweist auch, dass
allen menschlichen Kräften ein gewisser Zeitpunkt im Lebensalter zu
166ihrer Entwicklung angewiesen ist, und dass unter den verschiedenartigsten
Umständen alle Kinder ungefähr in demselben, nur innerhalb eines
kurzen Zeitraums schwankenden Alter sprechen und verstehen. Wie
aber könnte sich der Hörende bloss durch das Wachsen seiner eignen
sich abgeschieden in ihm entwickelnden Kraft des Gesprochenen bemeistern,
wenn nicht in dem Sprechenden und Hörenden dasselbe, nur
individuel und zu gegenseitiger Angemessenheit getrennte Wesen wäre,
so dass ein so feines, aber gerade aus der tiefsten und vollsten Natur
desselben geschöpftes Zeichen, wie der articulirte Laut ist, hinreicht,
beide auf übereinstimmende Weise, vermittelnd, anzuregen?

60. Indem die Absonderung und Vermischung der Nationen die
Menschen aus einander oder zusammen rückt, tritt die Trennung der
Individualität mehr oder weniger der Einheit des Wesens entgegen.
Aber die Einheit der menschlichen Natur überhaupt beweist sich auch
darin, dass Kinder jedes Volkes, vom Mutterschoosse in jedes fremde
versetzt, ihr Sprachvermögen in dessen Sprache entwickeln. Da die Unmöglichkeit
eines mechanischen Erlernens der Sprache im Vorigen bewiesen
ist, so kann diese Erscheinung nicht gerade umgekehrt als ein
Beweis angeführt werden, dass die Sprache bloss ein Wiedergeben des
Gehörten sey, und ohne Rücksicht auf Einheit oder Verschiedenheit des
Wesens vom Umgang abhänge. Ihr Grund liegt allein darin, dass der
Mensch überall Eins mit dem Menschen ist, und die Entwicklung des
Sprachvermögens daher an jedem andren gegebenen, in seinem Erzeugniss
noch so verschiedenen geschehen kann. Gerade aber die Vertheilung
in Nationen beweist die gar nicht äusserliche, sondern ganz innerliche
Natur der Sprache, indem sie die Gewalt der Abstammung auf sie
zeigt. Der Einfluss dieser auf die Stimm Werkzeuge ist von selbst klar, da
sie doch individuell und der Sprache der Völker gemäss modificirt seyn
müssen, und nun im Aneignen und Widerstreben diese Modification jeder
Wirkung auf sie beimischen. Nichts aber steht so vereinzelt im Menschen,
und auch das intellectuelle Sprachvermögen kennt gewiss eine
solche stammartige Anlage. Auch in jenen ausserordentlichen Fällen
früher Versetzung in ganz fremde Nationen würde feinere Beobachtung
die Wirkungen dieses Einflusses nicht verkennen. Achtete man nur hinlänglich
auf Erscheinungen dieser Art, so liessen sich selbst in dem feinsten
und geistigsten Gebrauche der Sprache, in der Literatur der Nationen,
Individuen aufweisen, die, von Kindheit an ihrer Sprache, die sie
nicht einmal erlernten, entfremdet, doch immer im Gebrauche der angeeigneten
verriethen, dass ihre ursprüngliche Bestimmung zu einer andren,
gegen die Natur ihres Wesens, verrückt worden war. Der innige
Zusammenhang der Sprache mit der physischen Abstammung, und dadurch
ihr Ursprung aus der Tiefe des Wesens und die durch die Abstammung
bedingte Einheit der menschlichen Natur gehen auch aus den gewöhnlichen
167Thatsachen hervor, dass die vaterländische Sprache für die
Gebildeten und Ungebildeten eine viel grössere Stärke und Innigkeit
besitzt, als eine fremde, dass sie das Ohr, nach langer Entbehrung, mit
einer Art plötzlichen Zaubers begrüsst und in der Ferne mit Sehnsucht
berührt, dass dies gar nicht auf dem Geistigen in derselben, dem ausgedruckten
Gedanken oder Gefühle, sondern gerade auf dem Unerklärlichen,
dem Individuellsten, auf ihrem Laute beruht, dass es ist, als wenn
man mit dem heimischen einen Theil seines Selbst vernähme.

61. Ich habe im Vorigen (§.31-60.) die Sprache als Organ des Denkens
dargestellt, und mich bemüht ihr in der Thätigkeit ihres Erzeugens
zu folgen. Ich wende mich jetzt zu dem durch das Sprechen, oder vielmehr
durch das Denken in Sprache Erzeugten. Auch hier findet sich, dass
die Vorstellungsart, als thue die Sprache nicht mehr, als die an sich wahrgenommenen
Gegenstände zu bezeichnen, weit entfernt ist, ihren tiefen
und vollen Gehalt zu erschöpfen. Ebensowenig als ein Begriff ohne sie
möglich ist, ebensowenig kann es für die Seele ein Gegenstand seyn, da
ja jeder äussere Gegenstand nur vermittelst des Begriffes für sie Wesenheit
erhält. In die Bildung und den Gebrauch der Sprache geht nothwendig
die ganze Art der subjectiven Wahrnehmung der Gegenstände über.
Denn das Wort entsteht ja aus dieser Wahrnehmung, und ist nicht ein
Abdruck des Gegenstandes an sich, sondern des von diesem in der Seele
erzeugten Bildes. Da aller objectiven Wahrnehmung unvermeidlich Subjectivitaet
beigemischt ist, so kann man schon unabhängig von der Sprache
jede menschliche Individualität als einen eignen Standpunkt der
Weltansicht betrachten. Sie wird aber noch viel mehr dazu durch die
Sprache, da das Wort sich, der Seele gegenüber, auch wieder selbst zum
Object macht, und eine neue, vom Subject sich absondernde Eigenthümlichkeit
hinzubringt, so dass nunmehr in dem Begriffe ein Dreifaches
liegt, der Eindruck des Gegenstandes, die Art der Aufnahme desselben
im Subject, die Wirkung des Worts, als Sprachlaut. In dieser letzten
herrscht in derselben Sprache nothwendig eine durchgehende Analogie,
und da nun auch auf die Sprache in derselben Nation eine gleichartige
Subjectivitaet einwirkt, so liegt in jeder Sprache eine eigenthümliche
Weltansicht. Dieser Ausdruck überschreitet auf keine Weise das Mass der
einfachen Wahrheit. Denn der Zusammenhang aller Theile der Sprache
unter einander, und der ganzen Sprache mit der Nation ist so enge, dass,
wenn einmal diese Wechselwirkung eine bestimmte Richtung angiebt,
daraus nothwendig durchgängige Eigenthümlichkeit hervorgehen muss.
Weltansicht aber ist die Sprache nicht bloss, weil sie, da jeder Begriff soll
durch sie erfasst werden können, dem Umfange der Welt gleichkommen
muss, sondern auch deswegen, weil erst die Verwandlung, die sie mit den
Gegenständen vornimmt, den Geist zur Einsicht des von dem Begriff der
Welt unzertrennlichen Zusammenhanges fähig macht. Denn erst indem
168sie den Eindruck der Wirklichkeit auf die Sinne und die Empfindung in
das, als Organ des Denkens eigen vorbereitete Gebiet der articulirten
Töne hinüberführt, wird die Verknüpfung der Gegenstände mit den klaren
und reinen Ideen möglich, in welchen der Weltzusammenhang ans
Licht tritt. Der Mensch lebt auch hauptsächlich mit den Gegenständen,
so wie sie ihm die Sprache zuführt, und da Empfinden und Handlen in
ihm von seinen Vorstellungen abhängt, sogar ausschliesslich so. Durch
denselben Act, vermöge welches der Mensch die Sprache aus sich heraus
spinnt, spinnt er sich in dieselbe ein, und jede Sprache zieht um die Nation,
welcher sie angehört, einen Kreis, aus dem es nur insofern hinauszugehen
möglich ist, als man zugleich in den Kreis einer andren Sprache
hinübertritt. Die Erlernung einer fremden Sprache sollte daher die Gewinnung
eines neuen Standpunkts in der bisherigen Weltansicht seyn, da
jede das ganze Gewebe der Begriffe und der Vorstellungsweise eines
Theils der Menschheit enthält. Da man aber in eine fremde Sprache immer
mehr oder weniger seine eigne Welt- ja seine eigne Sprachansicht
hinüberträgt, so wird dieser Erfolg nie rein und vollständig empfunden.

62. Ich habe bisher mehr von dem Sprechen, als von der Sprache
gehandelt. Aus dem Sprechen aber erzeugt sich die Sprache, ein Vorrath
von Wörtern und System von Regeln, und wächst, sich durch
die Folge der Jahrtausende hinschlingend, zu einer von dem jedesmal
Redenden, dem jedesmaligen Geschlecht, der Nation, ja zuletzt selbst
von der Menschheit in gewisser Art unabhängigen Macht an. Wir sind
im Vorigen darauf aufmerksam geworden, dass der in Sprache aufgenommene
Gedanke für die Seele zum Object wird, und insofern eine
Wirkung auf sie ausübt, die ihr fremd ist. Aber wir haben das Object
vorzüglich als aus dem Subject entstanden, die Wirkung als aus demjenigen,
worauf sie zurückwirkt, hervorgegangen betrachtet. Jetzt tritt
die entgegengesetzte Ansicht ein, nach welcher die Sprache wirklich ein
fremdes Object, ihre Wirkung wirklich aus etwas andrem, als worauf
sie wirkt, hervorgegangen ist. Denn die Sprache muss nothwendig
(§.47.) zweien angehören, und gehört in der That dem ganzen Menschengeschlecht
an, da sie nun auch in der Schrift den schlummernden
Gedanken dem Geiste erweckbar erhält, so bildet sie sich ein eigenthümliches
Daseyn, das zwar immer nur in jedesmaligem Denken Geltung
erhalten kann, aber in seiner Totalitaet von diesem unabhängig ist.
Die beiden hier angeregten, einander entgegengesetzten Ansichten,
dass die Sprache der Seele fremd und ihr angehörend, von ihr unabhängig
und abhängig ist, verbinden sich wirklich in ihr, und machen die Eigenthümlichkeit
ihres Wesens aus. Es muss dieser Widerstreit auch
nicht so gelöst werden, dass sie zum Theil fremd und unabhängig und
zum Theil beides nicht sey. Die Sprache ist gerade insofern Object und
selbständig, als sie Subiect und abhängig ist. Denn sie hat nirgends,
169auch in der Schrift nicht, eine bleibende Stätte, sondern muss immer im
Denken aufs neue erzeugt werden, und folglich ganz in das Subject
übergehen; es liegt aber in dem Act dieser Erzeugung, sie gerade ebenso
zum Object zu machen; sie erfährt auf diesem Wege jedesmal die ganze
Einwirkung des Individuums, aber diese Einwirkung ist schon in sich
durch das, was sie wirkt und gewirkt hat, gebunden. Die wahre Lösung
jenes Gegensatzes liegt in der oben (§.57.) angeführten Einheit der
menschlichen Natur. Was aus dem stammt, was eigentlich mit mir Eins
ist, darin gehen die Begriffe des Subjects und Objects, der Abhängigkeit
und Unabhängigkeit in einander über. Die Sprache gehört mir an, weil
ich sie hervorbringe. Sie gehört mir nicht an, weil ich sie nicht anders
hervorbringen kann, als ich thue, und da der Grund hiervon in dem
Sprechen und Gesprochenhaben aller Menschengeschlechter liegt, soweit
Sprachmittheilung ohne Unterbrechung unter ihnen gewesen seyn
mag, so ist es die Sprache selbst, von der ich diese Einschränkung erfahre.
Allein was mich in ihr beschränkt und bestimmt, ist in sie aus
menschlicher, mit mir innerlich zusammenhangender Natur gekommen,
und das Fremde in ihr ist daher nur meiner augenblicklichen individuellen,
nicht meiner ursprünglichen wahren Natur fremd.

63. Der fremde Einfluss, welchem der Mensch im Gebrauche der
Sprache unterliegt, ist aber, ausser demjenigen, welchen sie selbst ausübt,
bei ihrem engen Zusammenhange mit seinem ganzen übrigen Wesen
auch noch der, welchen dieses durch Abstammung, umgebende
Lage, und Art des gemeinsamen Lebens erfährt. Muss man sich daher
auf der einen Seite hüten, eine Sprache ganz aus den auf die Nation einwirkenden
Umständen zu erklären, so darf man auf der andren nicht
vergessen, dass auch eine geschichtlich unläugbar überkommene Sprache
durch die Nation unglaublich scheinende Abänderungen erleiden
kann. Mit dieser zwiefachen Reihe verketteter Wirkungen hat man es
bei Sprachuntersuchungen überall zu thun. Denn wie alle das Menschengeschlecht
geschichtlich betreffende, versetzen sie immer nur in
eine Mitte der Dinge, und einen Anfang sich denken, oder gar erklären
zu wollen, würde auf leere Voraussetzungen führen. Auch da, wo weder
Geschichte noch Ueberlieferung von einem früheren Zustand Kenntniss
geben, und einen allgemeineren Zusammenhang zeigen, muss man
es daher doch immer als eine Aufgabe für die überall hin gerichtete
Aufmerksamkeit ansehen, irgend einen zu finden.

64. Wenn man bedenkt, wie auf die jedesmalige Generation in einem
Volk Alles das bindend einwirkt, was die Sprache desselben alle vorigen
Jahrhunderte hindurch erfahren hat, und wie damit nur die Kraft der
einzelnen Generation in Berührung tritt, und diese nicht einmal rein, da
das aufwachsende und abtretende Geschlecht untermischt neben einander
leben, so wird klar, wie gering eigentlich die Kraft des Einzelnen
170gegen die Macht der Sprache ist. Nur durch die ungemeine Bildsamkeit
der letzteren, durch die Möglichkeit, von der ich weiter unten reden
werde, ihre Formen, dem allgemeinen Verständniss unbeschadet, auf
sehr verschiedene Weise aufzunehmen, und durch die Gewalt, welche
alles lebendig Geistige über das todt lieber lieferte ausübt, wird das
Gleichgewicht wieder einigermassen hergestellt. Doch ist es immer die
Sprache, in welcher jeder Einzelne am lebendigsten fühlt, dass er nichts
als ein Ausfluss des ganzen Menschengeschlechts ist. Nur weil doch jeder
einzeln und unaufhörlich auf sie zurückwirkt, bringt demungeachtet
jede Generation eine Veränderung in ihr hervor, die sich nur oft der
Beobachtung entzieht. Denn die Veränderung liegt nicht immer in den
Wörtern und Formen selbst, sondern bisweilen nur in dem anders modificirten
Gebrauche derselben, und dies letztere ist, wo Schrift und Literatur
mangeln, schwieriger wahrzunehmen.

65. Die Rückwirkung des Einzelnen auf die Sprache wird noch einleuchtender,
wenn man, was zur scharfen Begränzung der Begriffe nicht
fehlen darf, bedenkt, dass die Individualität einer Sprache (wie man das
Wort gewöhnlich nimmt) auch nur vergleichungsweise eine solche ist,
dass aber die wahre Individualität nur in dem jedesmal Sprechenden
liegt. Erst im Individuum erhält die Sprache ihre letzte Bestimmtheit,
und dies erst vollendet den Begriff. Eine Nation hat freilich im Ganzen
dieselbe Sprache, allein schon nicht alle Einzelnen in ihr, wie wir gleich
im Folgenden sehen werden, ganz dieselbe, und geht man noch weiter
in das Feinste über, so besitzt wirklich jeder Mensch seine eigne. Keiner
denkt bei dem Wort gerade das, was der andre, und die noch so kleine
Verschiedenheit zittert, wenn man die Sprache mit dem beweglichsten
aller Elemente vergleichen will, durch die ganze Sprache fort. Bei jedem
Denken und Empfinden kehrt, vermöge der Einerleiheit der Individualitaet,
dieselbe Verschiedenheit zurück, und bildet eine Masse aus einzeln
Unbemerkbarem. Alles Verstehen ist daher immer zugleich ein
Nicht-Verstehen, eine Wahrheit, die man auch im praktischen Leben
trefflich benutzen kann, alle Uebereinstimmung in Gedanken und Gefühlen
zugleich ein Auseinandergehen. Dies wird nur da nicht sichtbar,
wo es sich unter der Allgemeinheit des Begriffs und der Empfindung
verbirgt; wo aber die erhöhete Kraft die Allgemeinheit durchbricht, und
auch für das Bewusstseyn schärfer individualisirt, da tritt es deutlich
ans Licht. So wird niemand abläugnen, dass jeder bedeutende Schriftsteller
seine eigene Sprache besitzt. Zwar lässt sich entgegnen, dass
man unter Sprache nur eben jene Allgemeinheit der Formen, Wörter
und Regeln versteht, welche gerade verschiedenartiger Individualitaet
Raum erlaubt, und diese Bestimmung des Begriffs ist allerdings in vielfacher
Hinsicht zweckmässig. Wo aber von ihrem Einfluss die Rede ist,
kommt es doch auf ihre wahre, wirkende Kraft an, und da muss sie in
171der ganzen Individualität ihrer Wirklichkeit genommen werden. Die
angeregte Ansicht lässt sich daher nicht aus dem Gebiete auch der allgemeinsten
Sprachuntersuchung verbannen. Es giebt mehrere Stufen,
auf denen die Allgemeinheit der Sprachformen sich auf diese Weise individualisirt,
und das individualisirende Princip ist dasselbe: das Denken
und Sprechen in einer bestimmten Individualität. Dadurch entsteht
die Verschiedenheit in der Sprache der Einzelnen, wie der Nationen. Es
ist überall nur ein Mehr oder Weniger. Man muss daher bis zur letzten
Stufe herabsteigen. Man könnte zwar die Gränze da finden wollen, wo
die Sprache, wenn, auch individuell nuancirt, sich doch derselben Wörter
bedient. Aber auch dies ist schon bei den verschiedenen Classen einer
Nation nicht ganz der Fall, und selbst der Einzelne braucht einige
vorzugsweise, bedient sich andrer, gleichsam als ihm fremder, schliesst
noch andre ganz aus, und bildet sich dadurch, auch ausser den Abweichungen
in der Bedeutung, sein eignes Wörterbuch.

66. Die Modificirung der Sprache in jedem Individuum zeigt eine
Gewalt des Menschen über die Sprache, so wie wir im Vorigen ihre
Macht über ihn dargestellt haben. Diese letztere kann man (wenn man
den Ausdruck auf geistige Kräfte anwenden will) als ein physiologisches
Wirken ansehen, jene erstere, von ihm ausgehende, ist ein rein
dynamisches, in dem auf ihn ausgeübten Einfluss liegt die Gesetzmässigkeit
der Sprache, in der aus ihm kommenden Rückwirkung das Princip
ihrer Freiheit. Denn es kann im Menschen etwas aufsteigen, dessen
Grund kein Verstand in den vorhergehenden Zuständen aufzufinden
vermag, und man würde die Natur der Sprache verkennen, und gerade
die geschichtliche Wahrheit ihrer Entstehung und Umänderung verletzen,
wenn man die Möglichkeit solcher unerklärbaren Erscheinungen
von ihr ausschliessen wollte. Ist aber auch die Freiheit an sich unbestimmbar
und unerklärbar, so lassen sich doch ihre Gränzen innerhalb
eines gewissen Spielraums auffinden, und die Sprachuntersuchung
muss die Erscheinung der Freiheit erkennen und ehren, aber ihren
Gränzen sorgfältig nachspüren, um nicht in den Sprachen durch Freiheit
für möglich zu halten, was es nicht ist.

Dritter Abschnitt
Von der Sprache in Beziehung auf die Vertheilung des
Menschengeschlechts in Nationen

67. Die Vertheilung des Menschengeschlechts in grössere und kleinere
Haufen hat einen doppelten Ursprung: einen irdischen in dem körperlichen
Bedürfniss, dem blossen Naturtrieb und äusseren Umständen, und
172einen in dem Zusammenhang seines ganzen Daseyns ruhenden, den inneren,
dem Menschen selbst nicht immer verständlichen Drang nach
dem höchsten durch seine Natur Erreichbaren. Wie die Verzweigung
des Menschengeschlechts in Nationen das mächtigste Mittel hierzu ist,
habe ich schon im Vorigen (§. 10-12. 46.) hinlänglich ausgeführt. Geschichtlich
muss man dieser Verzweigung zuerst in dem nachgehen,
was die nächste und sichtbarste Veranlassung dazu ist, in der physischen
Beschaffenheit der Erde. Hier muss die Geographie der Geschichte,
und der Sprachkunde den Boden vorbereiten, die Vertheilung
des Festlandes und der Gewässer, die verschiedenartige Abdachung der
Gebirgszüge von den höchsten Gipfeln bis zu den niedrigsten Ebnen,
die klimatischen und andren physischen Verhältnisse, kurz die ganze
feste und unveränderliche Beschaffenheit des Erdbodens schildern,
nach welchen sich die verschiedenen Wohnsitze des Menschengeschlechts
umschreiben, und in welchen sich Einflüsse auf die Schicksale
der einzelnen Völkerhaufen aufsuchen lassen. Denn der Schauplatz, auf
dem er auftritt, die Luft, die er einathmet, der Boden, der ihn ernährt,
der freundlichere, ihm aus der Ferne zuwehende Hauch, die von der
öderen Höhe erblickte reichere Fülle der Ebne, die ihn anlocken, bestimmen
zunächst seinen Entschluss bei der Beibehaltung eines Wohnplatzes
und der Wahl eines neuen. Die festen Beschaffenheiten des sich
seit Jahrtausenden wenig mehr verändernden Erdkörpers werden auf
diese Weise sehr oft bleibende Veranlassungen zu gleichen Begebenheiten.
Von denselben Gebirgen steigen durch ganze Zeiträume der Geschichte
hindurch Völker herab, und verbreiten sich über die Ebne.
Dieselben Gegenden bleiben Strassen wandernder Horden. Dieselben
Ebnen, dieselben festen Stellungen führen in ganz verschiednen Jahrhunderten
feindliche Heere zusammen. Ein Theil der Schicksale des
Menschengeschlechts ist dadurch ganz eigentlich an den Ort gebunden.
Die Sprachkunde muss daher immer zuerst diesen örtlichen Verhältnissen
ihre Aufmerksamkeit zuwenden, das Gebiet jeder Sprache, ihren
Sitz und ihre Wanderungen, und die Verschiedenheit der Sprachen in
jedem geographisch abgesonderten Theile des Erdbodens zu bestimmen
versuchen, und nicht wähnen, auch wo es bloss grammatische Untersuchungen
gilt, die Sprache von dem Menschen, und den Menschen von
dem Boden losreissen zu können. Boden, Mensch und Sprache sind untrennbar
in Eins verwachsen.

68. Wir kennen geschichtlich oder auch nur durch irgend sichre Ueberlieferung
keinen Zeitpunkt, in welchem das Menschengeschlecht
nicht in Völkerhaufen getrennt gewesen wäre. Ob dieser Zustand der
ursprüngliche war, oder erst später entstand, lässt sich daher geschichtlich
nicht entscheiden. Einzelne, an sehr verschiednen Punkten der
Erde, ohne irgend sichtbaren Zusammenhang, wiederkehrende Sagen
173verneinen die erstere Annahme, und lassen das ganze Menschengeschlecht
von Einem Menschenpaare abstammen. Die weite Verbreitung
dieser Sage hat sie bisweilen für eine Urerinnerung der Menschheit halten
lassen. Gerade dieser Umstand aber beweist vielmehr, dass ihr keine
Ueberlieferung und nichts Geschichtliches zum Grunde lag, sondern
nur die Gleichheit der menschlichen Vorstellungsweise zu derselben
Erklärung der gleichen Erscheinung führte, wie gewiss viele Mythen,
ohne geschichtlichen Zusammenhang, bloss aus der Gleichheit des
menschlichen Dichtens und Grübelns entstanden. Jene Sage trägt auch
darin ganz das Gepräge menschlicher Erfindung, dass sie die ausser aller
Erfahrung liegende Erscheinung des ersten Entstehens des Menschengeschlechts
(in die sich das Nachdenken vergeblich vertieft, da
der Mensch so an sein Geschlecht und an die Zeit gebunden ist, dass
sich ein Einzelner ohne vorhandnes Geschlecht und ohne Vergangenheit
gar nicht in menschlichem Daseyn fassen lässt) auf eine innerhalb
heutiger Erfahrung liegende Weise und so erklären will, wie allerdings
in Zeiten, wo das ganze Menschengeschlecht schon Jahrtausende hindurch
bestanden hatte, bisweilen eine wüste Insel oder ein abgesondertes
Gebirgsthal mag bevölkert worden seyn. Ob daher in dieser weder
auf dem Wege der Gedanken, noch der Erfahrung zu entscheidenden
Frage wirklich jener angeblich traditionelle Zustand der geschichtliche
war, oder ob das Menschengeschlecht von seinem Beginnen an völkerweise
den Erdboden bewohnte? darf die Sprachkunde weder aus sich
bestimmen, noch, die Entscheidung anderswoher nehmend, zum Erklärungsgrunde
für sich brauchen wollen. Dass die Aehnlichkeit, welche
man in allen bisher bekannt gewordenen Sprachen antrifft, und von der
sich unbedenklich annehmen lässt, dass auch keine erst zu entdeckende
abweichen wird, keinen irgend zulänglichen Beweis auch nur für die
Abstammung von Einem Volke abgiebt, muss jedem klar seyn, der über
die Natur der Sprache und das Fragmentarische unsrer Geschichte
nachdenkt, in welcher auch die älteste Kunde von dem Urbeginn durch
einen Abstand getrennt ist, welcher einer unbestimmbaren Menge von
Begebenheiten Raum giebt. Die Abstammung von Einem Volke ist aber
noch etwas ganz Andres, als die von Einem Menschenpaare, da wir,
wenigstens aus der Erfahrung, gar keinen Begriff von der Möglichkeit
einer Sprache zwischen zwei Menschen allein besitzen. 4042

69. Dagegen ist die für die Sprachkunde fruchtbare Thatsache die
durch alle Geschichte gegebene, dass die Vertheilung des Menschengeschlechts
in Nationen beständig Veränderungen erfahren hat, und noch
immer erfährt. Diesen forschend nachzugehen ist das Geschäft der Ethnographie,
welche die Vereinigung der Geschichte mit der Sprachkunde
nothwendig macht. Denn es ist ein Irrthum, wenn man annimmt, dass
die Sprachkunde allein über die Einerleiheit oder Verschiedenheit der
174Nationen entscheiden könne. Sie bedarf vielmehr sogar ganz auf ihrem
eignen Gebiet, bei der Prüfung der Verwandtschaft der Sprachen, der
Geschichte oft zur Begründung und immer zur Berichtigung ihres Urtheils.
Man muss es selbst als leitenden Grundsatz annehmen, dass bei
nicht ganz nahe verwandten Sprachen die Einerleiheit auch mehrerer
Laute und die Aehnlichkeit des grammatischen Baues für sich keinen
Beweis gleicher Abstammung abgeben, wenn nicht auch geschichtlich
wenigstens die Wahrscheinlichkeit vorhanden gewesener Verbindung
feststeht. Erst auf diesen Grund kann die Sprachkunde mit Sicherheit
fortbauen. Die Ethnographie hat auch insofern ein andres Gebiet, als
die Sprachkunde, als sie die Einerleiheit der Stämme auch da noch verfolgt,
wo sie ihre ursprünglichen Sprachen gegen andre vertauscht haben.

70. Der Begriff der Nation ist schon oben (§.11. 12.) bestimmt worden,
allein nach seiner tiefsten geistigsten Bedeutung, welche der gewöhnlichen
Ansicht vielleicht fremd erscheint. Er ist auch dort, als ganz
mit dem der Sprache zusammenfallend geschildert worden. Beides erfordert
hier noch einige Aufklärung. Wenn man die Wörter Volk, Nation
und Staat, als durch feste Gränzen von einander geschieden ansieht,
so bezieht sich das erste auf den Wohnsitz und das Zusammenleben,
das zweite auf die Abstammung, das letzte auf die bürgerliche Verfassung.
Allein die beiden ersten leiden, dem Sprachgebrauch nach, keine
so scharfe Begränzung, und der Begriff des letzten mischt sich sehr oft
beiden bei. Nation aber gilt vorzüglich als Bezeichnung derjenigen Völkereinheit,
auf die alle verschiedenartigen Umstände einwirken, ohne
dass man gerade darauf sieht, ob Abstammung oder Sprache innerhalb
dieser Einheit dieselben sind, oder sich nicht noch über dieselbe hinauserstrecken.
So redet man von der französischen Nation, ohne auf das in
Sprache abgesonderte Völkchen der NiederBretagne, von der Spanischen,
ohne auf die Vasken, Valencianer und Catalanen zu sehen, von
der Schweizerischen, ungeachtet Abstammung und Sprache ihnen mit
den Deutschen gemeinschaftlich sind. Dann aber nimmt man das Wort
auch wieder in einem viel allgemeineren über ganz verschiedene Wohnplätze
und Staaten gehenden Sinn von der Germanischen, Slavischen
u. s. w. Nation, obgleich da schon der Plural gebräuchlicher ist.

71. Insofern die Sprachkunde und die Untersuchung des Einflusses
der Sprache auf ein Volk, und der Beziehung, in welcher die Völker zu
dem Entwicklungsgange der Menschheit stehen, des Begriffes der Nation
bedürfen, muss er auf eine zu der oben gegebenen Bedeutung passende
Weise genommen werden. In diesem Sinne ist eine Nation ein solcher
Theil der Menschheit, auf welchen so in sich gleichartige und
bestimmt von andren verschiedene Ursachen einwirken, dass sich ihm
dadurch eine eigenthümliche Denk-, Empfindungs- und Handlungsweise
175anbildet. Insofern ist der Begriff auch ein relativer, da es mehrere
unter einander begriffene Sphären der Eigenthümlichkeit geben, und
Völker, die in einer beschränkteren einander als verschiedene Nationen
entgegenstehen, in einer weiteren zu der nämlichen gehören können.
Die wirkliche Verschiedenheit prägt sich allemal auch in Verschiedenheit
der Sprache, wäre sie auch nur eine der Mundart, aus, und in der
Einerleiheit können verschiedene Sprachen nur insofern zusammenstossen,
als der Mensch sich gewöhnen kann, sich mehrerer zugleich,
als seiner eignen zu bedienen. Da die Mundarten und getrennt da stehende
Volkssprachen allemal der Bildung weichen, so giebt es bisweilen
in demselben Volksstamm nationenartige Verschiedenheiten. Der gemeine
Nieder-Bretagner oder Gascogner ist in einem andren Sinne
Franzose, als der gebildete. Was nun die Nationen im Grossen gestaltet,
lässt sich auf allgemeine Punkte zurückführen. Obenan stehen in diesen
Einwirkungen Abstammung und Sprache. Dann folgen das Zusammenleben
und die Gleichheit der Sitten. Die dritte Stelle nimmt die bürgerliche
Verfassung ein, und die vierte die gemeinschaftliche That und der
gemeinschaftliche Gedanke, die nationelle Geschichte und Literatur.
Der durch diese gebildete Geist tritt nicht sowohl zu den übrigen Einwirkungen
hinzu, als er vielmehr alle zusammenschliessend vollendet.
Eine Nation wird erst wahrhaft zu einer, wann der Gedanke es zu wollen
in ihr reift, das Gefühl sie beseelt eine solche und solche zu seyn. In
Masse, wie einzeln, ist es der Gedanke, in dem der Mensch sich zusammenfasst,
seine Naturanlagen sichtet, läutert und ins Bewusstseyn
bringt, und sich seine eigenthümliche Bahn bricht. Das Streben, dies
Nationalgefühl zu wecken und zu leiten, ist der Punkt, wo die bürgerliche
Verfassung in den Entwicklungsgang der Menschheit eingreift; wo
es in ihr mangelt oder verfehlt wird, sinkt sie bald selbst zu roher Gewalt
oder todter Form hinab.

72. Die Individualitaet und die Nationalitaet, die letztere in dem hier
entwickelten Begriff, sind die beiden grossen intellectuellen Formen, in
welchen die steigende und sinkende Bildung der Menschheit fortschreitet.
Im Bunde mit der alles Menschliche leitenden Macht beherrschen
sie die Schicksale des Menschengeschlechts, und bleiben, ist auch diese
ihre ursprüngliche Verknüpfung unerforschlich, der wichtigste Erklärungsgrund
derselben. Die Sprache lebt und webt in der Nationalität
und das Geheimnissvolle ihres Wesens zeigt sich gerade darin vorzüglich,
dass sie aus der scheinbar verwirrten Masse von Individualitaeten
hervorgeht, unter welchen keine sich gerade einzeln auszuzeichnen
braucht. Sie erhält ihre ganze Form aus diesem dunkeln Naturwirken
bewusstlos zusammenstimmender Anlagen, da was aus einzelner, noch
so richtig berechneter Absicht hervorgeht, sie in sichtbarer Ohnmacht
nur gleichsam umspielt. Eine Sprache lässt sich daher nur in Verbindung
176mit einem Volke denken, und so einfach und bekannt dieser Satz
erscheint, so wird die Folge bald zeigen, wie reich er an Folgerungen,
und wie oft er übersehen worden ist.

73. Wie sich aber der Mensch an Allem versucht, so hat es auch
nicht an Bemühungen gefehlt, wo Einzelne neue Sprachen zu schaffen
unternommen haben. Der grosse Leibnitz selbst fasste die Idee einer zu
erfindenden Universalsprache. Die Pasigraphie und Pasilalie, deren
Kindischheit man glücklicher Weise bald einzusehen anfieng, hatten
eine ähnliche Tendenz, da, was nur ihre Erfinder nicht gehörig einsahen,
sie sich gar nicht innerhalb der Schranken einer blossen allgemeinen
Schrift und Rede für die besondren Sprachen erhalten liessen. Von
welcher Art die von einem Araber erfundene Sprache gewesen seyn
mag, verdiente eigene Untersuchung. Allein auch unter uncivilisirten
Nationen finden sich solche Versuche. Der sowohl durch kühne Eroberungen,
als durch innere wohlthätige Einrichtungen bekannte König
der Sandwich-Inseln Tammeamea wollte bei Gelegenheit der Geburt eines
Sohnes eine neue Sprache unter seinem Volke einführen. Sie war
rein von ihm ersonnen, und soll, was aber wohl nicht buchstäblich zu
nehmen seyn wird, mit gar keinen Wurzeln der bis dahin geltenden
Sprache zusammengehangen haben, und auch in den grammatischen
Partikeln ganz abweichend gewesen seyn. Der Unmuth, den ein so widersinniger
Einfall erregte, bewog einige Häuptlinge, das Kind mit Gift
aus dem Wege zu räumen, und so sank die neue Sprache wieder in Vergessenheit
zurück. 4143 Was aber hier Tammeamea unternahm, war nichts,
als eine im stolzen Uebermuth der Herrschaft ersonnene Erweiterung
einer beschränkter schon bestehenden Volkssitte. Auf Tahiti, und bei
der Gleichheit vieler Sitten der Südsee-Inseln herrschte vermuthlich
Aehnliches auf den Sandwich-Inseln, wurden beim Antritt eines neuen
Regenten und bei ähnlichen Gelegenheiten Wörter aus der gemeinen
Sprache gänzlich verbannt und neue angenommen. Da in diesen Sprachen,
mehr als in andren, in den Namen die Appellativa kenntlich sind,
aus denen sie bestehen, ja es kaum ein Appellativum giebt, das nicht
zum Namen würde 4244, so schien es vermuthlich eine Entweihung der Königswürde,
den Namen des Königs beständig im Munde des Volkes zu
lassen. Bei dem Regierungsantritt des Königs Po-mare (Nacht-Husten)
wurden diese beiden Wörter aus der Sprache verbannt, und in der Benennung
des Wassers ist aus ähnlichen Gründen war 4345 dem heutigen
pape (spr. pæpe) gewichen. Jetzt ist dieser Gebrauch in Tahiti abgeschafft.
Von den Abiponen erzählt man einen ganz ähnlichen. Bei dem
Tode eines Abiponen wird das seinen Namen ausmachende Wort (wenn
es noch in der Sprache bedeutsam ist) oder auch das Wort des Gegenstandes,
welcher seinen Tod, wenn er ein zufälliger war, veranlasst hatte,
verbannt und ein andres, dafür gewähltes, feierlich ausgerufen. Die
177Bestimmung und der Ausruf der neuen Wörter geschieht durch alte
Frauen. So wurde bei dem Tode eines jungen Mannes, der an einer Verwundung
durch einen Dorn starb, das damals gebräuchliche Wort hana
mit nichirenkate vertauscht. 4446 Wie jede Sprache theils provincielle,
theils veraltete sinnverwandte Wörter besitzt, und dies, bei der Vertheilung
in viele kleine Stämme, leicht noch mehr bei den Sprachen, von
denen hier die Rede ist, der Fall seyn mag; so ist es klar, dass hier bei
solchen Gelegenheiten solche Wörter in den Gebrauch hervorgeholt, an
die Stelle der bisherigen gesetzt werden, und sich dann mit mehr oder
weniger Glück im Munde des Volkes erhalten. Es schien mir aber
nothwendig dieser Fälle hier zu erwähnen, wo der Ideengang mich
überhaupt auf absichtliche Spracherzeugung führte.

74. Die wahre und ächte ist immer nur die freiwillig und scheinbar
zufällig aus den Bedürfnissen und dem innern Drange eines Volkes hervorgehende.
In ihr prägt sich die nationelle Eigenthümlichkeit aus, und
die Sprache ist so mit dem Volke verwachsen, dass es ein vergebliches
Bemühen seyn würde, genau abzusondern, wo sie bestimmend oder Bestimmung
empfangend ist. Allein oder vorzüglich durch die Sprache
also werden die grossen sich in der Menschengeschichte bewegenden
Einheiten bezeichnet. Unter ihnen aber giebt es wieder noch grössere,
durch das natürliche Streben des Menschen gegebene, und in dem Entwicklungsgange
der Menschheit nothwendige Verbindungen, und auch
in diesen ist die Sprache von mehr oder minder grosser Bedeutung. Ich
habe gleich im Anfang dieser Schrift (§.4. 5.) des auf Einheit gerichteten
Strebens der Menschheit und seines Verhältnisses zur Sprache erwähnt.
Die Völkervereine, welche daraus entstehen, haben verschiedene
Ursachen und wirken auf die Sprache in doppelter Art. Unter den
wirkenden Ursachen steht die Religion an der Spitze; der Buddhismus,
das Christenthum und die Mahumedanische Religion geben grosse Beispiele
welthistorischer religiöser Vereine. Der Gottesdienst wählt sich
oft eine eigne, alterthümliche oder fremde Sprache, wie die AltSlavische
Liturgie der Russen und die lateinische der Römischen Kirche.
Auch bei nicht civilisirten Völkern kommt dies vor, namentlich auf den
Inseln der Südsee. 4547 Hier aber rede ich vorzüglich von der Verbreitung
derselben Religion über mehrere Nationen und bei dieser besteht die
Wirkung auf die Sprache hauptsächlich in dem Uebergange derselben
Erzählungen, Ueberlieferungen und Ideen und der mehr oder weniger
gleichen Geistesbildung. Sie äussert sich daher theils äusserlich in der
religiösen und liturgischen Terminologie, theils innerlicher in dem
Wortgehalte der Sprache überhaupt. Das ganze südwestliche Asien bietet
einen fruchtbaren Stoff zu diesen Untersuchungen dar, da der grübelnde
Tiefsinn der in ihm herrschenden Religion sich ganz eigenthümliche,
von der natürlichen Denkweise abweichende Bahnen geöffnet
178hat. Die andre Art der oben erwähnten zwiefachen Einwirkung auf die
Sprache üben die durch sie selbst bewirkten Völkervereine aus. Eine
Sprache verbreitet sich nämlich im gemeinsamen Verkehr als Hülfs-
oder Nebensprache dergestalt über mehrere Nationen gänzlich verschiedner,
dass in diesen nun jeder mehr oder weniger sich zwei verschiedener
bedient. So entsteht für diese Sprache ausser ihrem natürlichen,
geographischen Gebiet ein zweites zufälliges und historisches.
Die Ursachen dieser für die Sprachkunde sehr wichtigen Erscheinung
können verschiedener Natur seyn, zu allen wirkt aber unläugbar ein den
Menschen natürlich inwohnender Hang mit, die Sprachverschiedenheit,
welche sie trennt, auf irgend eine Weise auszugleichen. Denn diese
Fälle sind gleich häufig unter civilisirten und uncivilisirten Nationen.
Unter jenen darf ich nur an die Allgemeinheit der Französischen Sprache
in Europa, der Englischen in Asien, der Spanischen in Amerika erinnern.
In diesem letzteren Welttheil ist eine solche Verbreitung Einer
Sprache über grosse Länderstriche verschiedener vorzüglich sichtbar.
Längst vor der Eroberung zeigte sie sich an der Mexicanischen und Peruanischen
Sprache, und gewiss auch aus alter Zeit stammt die grosse
Verbreitung der Guaranischen in Süd-, der Delawarischen in Nord-Amerika
her. In kleinerem Masse kehrt dieselbe Erscheinung bei mehreren
Amerikanischen Sprachen, z. B. bei der Maipurischen wieder. Es
findet sich überhaupt oft in Amerika, dass die Eingebornen mehrere
einheimische Sprachen zugleich und mit gleicher Fertigkeit sprechen,
was bei der grossen Zerspaltung in kleine Völkerstämme Bedürfniss
wird, wozu aber auch eine gewisse Gleichförmigkeit des Baues aller
Amerikanischen Sprachen grössere Leichtigkeit darbietet. Die Missionarien
haben diesen Umstand und die Verbreitung einzelner Sprachen
über mehrere Nationen häufig benutzt, um die grosse Anzahl verschiedener
Sprachen für ihren Gebrauch auf eine kleinere zurückzubringen.
Sie haben dadurch die Alleinherrschaft einiger befestigt, es ist aber offenbar
irrig, sie als die Urheber derselben anzusehen. Das tiefe Eindringen
der Arabischen Sprache in Afrika ist an der Hand der Religion, aber
der erobernden, sich gewaltsam eindrängenden gegangen, und hat dadurch
wohl mehr auf die äussere Civilisation, als die innere Geistesbildung
gewirkt. Eine gemeinschaftliche Sprache neben besonderen unterdrückt
sehr häufig diese, oder stellt sie in den Schatten, sie bringt auch
wohl verwirrende und verunreinigende Vermischungen hervor. Dies ist
die äussere, gröbere Wirkung, die ich oben von der inneren, feineren
unterschied. In anderen Fällen ist sie, wenigstens scheinbar, gleichgültig,
die sich berührenden Sprachen nehmen gegenseitig nichts von einander
an, und auch in dem Geiste der Sprechenden lässt ihr Zusammenwirken
keine Spur zurück. Wo aber die Gemeinschaft unter hoch
ausgebildeten und schon in jeder Art sprachverständigen Nationen
179Statt findet, ist sie von wichtigem innerem Einfluss. Es ist eine der treflichsten
Uebungen für den Geist, wenn er das oft in einer Sprache Gedachte
wieder in einer anderen vortragen muss. Der Gedanke wird dadurch
unabhängiger von einer bestimmten Art des Ausdrucks, sein
wahrer innerer Gehalt tritt deutlicher hervor, Tiefe und Klarheit, Stärke
und Leichtigkeit begegnen einander harmonischer. Die Sprachen wirken
da nicht geradezu auf einander ein, was immer bedenklich ist, sondern
der Geist der Sprechenden wird durch den Gebrauch beider zu
allgemeinerem und richtigerem Sprachgefühl, ja selbst Sprachbewusstseyn
erhoben, und wirkt nun auf sie in ihrer Eigenthümlichkeit zurück.
Es ist daher immer ein unverständiger Nationaleifer, der sich dem Gebrauch
einer fremden Sprache widersetzt; der verständige tritt nicht
feindlich entgegen, aber hegt, nährt und bewahrt um desto sorgsamer
die eigne, um die Gemeinschaft und den Wetteifer beider vorzubereiten.
Je mehr sich der gleichzeitige Gebrauch verschiedener Sprachen
erweitert, je lebendiger die Gemeinschaft unter vielen wird, desto reicher
ist der Gewinn für die Sprachen selbst, desto fruchtbarer ihr Einfluss
auf das Denken und die Sprachfertigkeit. Selbst wo eine Zeitlang
Vermischung und Verwirrung herrscht, schafft sich der ordnende Geist
eine seiner würdige Form. Sind nicht die Lateinischen Töchtersprachen
aus einer Periode roher und ungrammatischer Barbarei hervorgegangen?
Ueberhaupt leidet die Menschheit gewöhnlich nur an der Dürftigkeit,
selten an der Unbezähmtheit des Stoffs. Für diese ist immer die
einengende Kraft möglich. Auf ähnliche Weise, wie durch religiöse und
Sprachgemeinschaft, können aus andren Ursachen Völkervereine entstehen.
Gehen sie aber, wie häufig die politischen, tief in die National-Eigenthümlichkeit
ein, so bilden sie mehr eine neue Nation, als sie nur
verknüpfende Bande um mehrere schlingen. Das weiteste Streben nach
Einheit liegt in der Allgemeinheit des Verkehrs, in der Verbreitung der
Civilisation, in dem höheren Begriff der Menschlichkeit. Wie dies auf
die Sprachkunde gewirkt hat, ist oben ausgeführt worden, es übt aber
auch auf die Sprachen selbst einen mächtigen, äusseren und inneren
Einfluss aus und wird durch ihre richtige und consequente Behandlung
in seinen wesentlichsten Zwecken gefördert.

75. Es kann wunderbar scheinen, dass ich hier, wo ich von der Beziehung
der Sprache auf die Vertheilung des Menschengeschlechts rede,
zwei Stufen übersprungen habe, die man sonst sehr zu beachten pflegt,
die der Familie und der Racen. Man hat sich gewöhnt, bei der Erklärung
des Ursprungs der bürgerlichen Gesellschaft, so wie da, wo man
den Entwicklungsgang der Menschheit bezeichnen will, zuerst bei dem
Familienleben zu verweilen, und in ihm einen Uebergang zum Volke zu
suchen. Es ist aber sehr zu befürchten, dass diese Vorstellungsart, für
die keine Erfahrung Zeugniss ablegen kann, auch nicht einmal in der
180Idee richtig begründet sey. Wenn man das Familiendaseyn auf seinen
wahren Begriff zurückführt, so ist es bloss ein vorübergehender, sich
immerfort wiederholender Zustand, und kann kaum ohne Beimischung
eines volksthümlichen gedacht werden. Wahrer Familienzustand ist nur
da, wo die Glieder einer Familie noch unter der Gewalt eines gemeinschaftlichen
Erzeugers stehn. Wo sie aus dieser heraustreten, oder dieselbe
sich durch den Tod des Stammvaters löst, da hört das eigentliche
Familienband auf. Verbrüderte Familien stehen entweder in keiner Verbindung
oder in der eines Volks. Denn die verknüpfenden Verhältnisse
entspringen nicht mehr aus dem Recht eines Erzeugers, und dies, nicht
die auch in der Nation vorhandene Gemeinschaft der Abstammung und
Verwandtschaft bildet den Begriff der Familie in dem bestimmten Sinn,
wo man ihn scharf dem des Volkes entgegensetzt. Sprachen kennen wir
nun aber durchaus nicht im Munde einer einzigen Familie, und wo sich
eine solche Erscheinung irgendwo fände, würde die Familie vermuthlich
nur ein Ueberrest eines untergehenden Volksstammes seyn, die
Sprache also diesem angehören. Entstände indess eine Sprache in der
That in einer abgesondert lebenden Familie, so würde sich diese Erscheinung
in nichts von der unterscheiden, wo sie in einem sehr wenig
zahlreichen Volksstamm ihren Anfang nähme. Dass die Sprache nothwendig
erst habe Familiensprache seyn und durch Zusammenrücken
der Familien Volkssprache werden müssen, ist eine ganz leere, durch
nichts begründete und auf nichts anzuwendende Voraussetzung. Dagegen
ist es eine ernsthafte und wichtige Frage, ob eine solche Voraussetzung
nur überhaupt denkbar, und eine Sprache anders, als unter einer
solchen Mannigfaltigkeit von Individualitäten, als sich nur in einem
nicht mehr durch die Bande blosser Familienverwandtschaft verbundenen
Volke findet, möglich ist? Diese Frage lässt sich zwar nicht apodiktisch
beantworten, wir aber kennen keinen andren Zustand der Sprache,
als in einem Volke, und dürfen uns also nicht erlauben, über den
Kreis dieser Erfahrung hinauszugehen. Insofern ist jene Frage für uns
verneinend entschieden.

76. Etwas andres ist es, ob der Familienzustand im Volke und Staate
Berücksichtigung in der Sprachkunde verdient? Allgemein ist dies zu
verneinen. Es giebt aber einzelne Ausnahmen. So hatten die Incas in
Peru eine eigne Familiensprache. Ein andres ähnliches Beispiel ist mir
jedoch nicht bekannt. Es ist ungemein zu bedauern, dass auch Garcilasso
de la Vega, der selbst ein Glied dieser Familie war, und dem wir eine
so sorgfältige und ausführliche Schilderung der Peruanischen Verfassung
und Sitten verdanken, so dürftige Nachrichten über diese Sprache
giebt, dass es durchaus nicht möglich ist, sich einen Begriff von ihrer
Beschaffenheit oder ihrem Ursprung zu machen. Der Begriff der Familie
war aber vermuthlich auch in ihr weniger wichtig, sondern sie fällt in
181die allgemeinere Kategorie der Mundarten oder Sprachen der vornehmeren
Classen, die wir auch in andren Ländern, namentlich auf der Insel
Java, antreffen, und von denen weiter unten die Rede seyn wird. Indess
scheint sie noch mehr den Charakter einer geheimen Sprache
gehabt zu haben, in welche nur diejenigen eingeweiht waren, die einmal
selbst zur Herrschaft gelangen konnten. Vielleicht hieng sie auch mit
dem Oberpriesterthum und der Religion zusammen. In allen diesen Beziehungen
würde es gleich wichtig für die Geschichte und die Sprachkunde
seyn, wenn sich ausmachen liesse, ob sie eine wirklich fremde,
von der Familie, der sie eigenthümlich blieb, in das Land gebrachte und
mit Fleiss nicht weiter verbreitete Sprache war, oder bloss eine aus besondrer
Behandlung der allgemeinen Landessprache entstandene, entweder
durch feinere Ausbildung und strengere Wahl der Ausdrücke,
wie unsre Schriftsprache, oder durch unkenntlich machende Veränderung
vermittelst veralteter oder ungebräuchlicher Wörter und Formen,
oder endlich durch absichtliche Entstellung der Laute und Verdrehung
der Bedeutungen. Denn wie sich diese auf sehr unedle Art in der Spanischen
Zigeunersprache, dem deutschen Rothwelsch u. s. f. findet, so
liesse sich auch eine edle bildliche Behandlung der gewöhnlichen Ausdrücke
denken.

77. Dass die Sprachen nicht racen-, ja genau genommen nicht einmal
nationenweise unter dem Menschengeschlechte vertheilt sind, und
dass sich insofern nicht unbedingt von Gleichheit der Sprache auf
Gleichheit der Abstammung schliessen lässt, leuchtet von selbst in die
Augen. Geschichtliche Ereignisse können Nationen verschiedenen
Stammes dieselben Sprachen, und umgekehrt mittheilen. Die Stammsprache
weicht in diesen Fällen einer fremden durch nöthigende Umstände
eingedrungenen. 4648 Eine schwierige und wichtige Frage aber ist
es, ob die racenartige körperliche Verschiedenheit des Menschengeschlechts,
die, welchen Ursprung sie auch gehabt haben möge, sich jetzt
ausschliesslich durch Abstammung fortpflanzt und verändert, einen
Einfluss auf die Beschaffenheit und Bildung der Sprache ausübt, oder
nicht? Vollkommen lässt sich zwar auch diese Frage nicht entscheiden,
da der ursprüngliche Zustand durch so viele dazwischen getretene Ereignisse
verändert seyn kann, dass der heutige dadurch völlig unbeweisend
wird. Allein die innere Wahrscheinlichkeit und die jetzige Erfahrung
sind durchaus gegen eine solche Annahme. Wie verschieden der
Mensch in Grösse, Farbe, Körperbildung und Gesichtszügen seyn
möge, so sind seine geistigen Anlagen dieselben. Die entgegengesetzte
Behauptung ist durch vielfältige Erfahrung widerlegt, und wohl nie
ernsthaft und aus unpartheiischer Ueberzeugung, sondern nur, bei Gelegenheit
des Negerhandels, aus schnöder Gewinnsucht oder lächerlichem
Farbenstolze gemacht worden. Die Sprache aber geht ganz aus
182der geistigen Natur des Menschen hervor. Selbst die Verschiedenheit
der Sprachorgane, die man übrigens, soviel mir bekannt ist, nie von den
Racen behauptet hat, könnte nur unwesentliche Eigenthümlichkeiten
hervorbringen, da dasjenige, worauf die Articulation beruht, gleichfalls
(§.35.36.) ganz intellectueller Natur ist. Die bestimmte nationelle Eigenthümlichkeit
eines Hottentotten prägt sich gewiss auch in seiner
Sprache aus, und da Alles im Menschen zusammenhängt, so hat auch
die allgemeine Negernatur ihren, nur im Einzelnen nicht abzuscheidenden
Antheil daran. Sollte aber die Race einen notwendigen Eintheilungsgrund
der Sprachen abgeben, so müssten die Sprachen der Völker
Einer Race sich durch Gleichheit des Baues von denen einer andren
unterscheiden, und dies ist durchaus nicht der Fall.

78. Am ersten könnte es von den Amerikanern behauptet werden,
aus welchen man eine besondre Race zu bilden pflegt. Allein in diesem
ganz abgeschlossenen Welttheil hat offenbar die intellectuel einwirkende
Gemeinschaft der Nationen einen grösseren Einfluss auf die Aehnlichkeit
des Sprachbaues ausgeübt, als die von der Sprache so fern stehende
Gleichheit der Farbe und des Körperbaues, gegen die sich
ausserdem viele Einwendungen erheben lassen. Aber auch abgesehen
davon, kenne ich keine, selbst unwesentliche Eigenthümlichkeit des
Amerikanischen Sprachbaues, die allen Amerikanischen Sprachen,
ohne Ausnahme, gemeinschaftlich wäre, oder sich nicht auch in Sprachen
von Nationen anderer Racen wiederfände. Der doppelte Ausdruck
für die 1. pers. plur. des Pronomen und Verbum, je nachdem der Angeredete
ein- oder ausgeschlossen wird, den man für ausschliesslich Amerikanisch
gehalten hat, ist in der Mongolischen und Malaiischen Race
anzutreffen, und die Verschiedenheit der Conjugation nach der vom
Verbum regierten Person des Pronomen im Vaskischen, also bei einem
Volke der sogenannten Kaukasischen Race, und unter den Negersprachen
namentlich in der Kongoischen. Die Verbindung des Besitzpronomen
mit dem Substantivum ist dem Koptischen und vielen Sprachen
aller Racen eigen, und wenn ich von keinem Volke ausser Amerika erwähnt
gefunden habe, dass diese Verbindung unauflösbar ist, so mag es
nur nicht bemerkt worden seyn. Es ist übrigens dies weniger eine Eigenthümlichkeit
der Sprache selbst, als eine Vorstellungsweise des Volks,
auch in Amerika nicht allgemein, und kann auf keine Weise aus einem
Racenunterschied abgeleitet werden. Was sich wirklich von den Amerikanischen
Sprachen behaupten, aber auch aus der Abgeschiedenheit
des Welttheils erklären lässt, ist, dass sich keine ganz abweichenden
Baues unter ihnen findet. Unter den Negersprachen ist der Unterschied
schon bedeutend grösser. Indem sie gewöhnlich die grammatischen Verhältnisse
nur durch Affigirung bezeichnen, verändert die Kongoische
oft in der Conjugation den Wurzellaut Selbst, und die Akraische bildet
183den Tempusunterschied grösstentheils durch den Accent. 4749 Auch scheinen
die Negersprachen gar nicht so, wie die Amerikanischen, gewisse
fast allen gemeinsame Eigenthümlichkeiten zu haben. Merkwürdig
wäre es übrigens, wenn es sich bestätigte, dass ihnen allen der Dualis
mangelt. Die auffallendsten Verschiedenheiten finden sich bei den Völkern
der Kaukasischen und Mongolischen Race; bei jenen die sich sehr
dem Amerikanischen Bau nähernde Vaskische neben so vielen Sanskritischen,
bei diesen die Chinesische, deren Grammatik im Gegensatz mit
allen übrigen Sprachen steht.

79. Aber auch in der physischen Naturgeschichte des Menschen ist
die Eintheilung in Racen, von welchen jede mehrere, ganz verschiedenartige
Nationen unter sich begreift, sehr vielen Zweifeln und Einwendungen
ausgesetzt. Ohne den so sehr in die Augen fallenden Unterschied der
Neger und Weissen wäre man wohl nie auf dieselbe gekommen. Da man
diesen beobachtete, wollte man die Idee weiter durchführen. Meiner
Ueberzeugung nach aber, hätte man, gerade umgekehrt, die Negern als
eine einzelne besonders auffallend abweichende Menschenclasse, nicht
aber als einen Typus ansehen sollen, dem man nun gleichartige über das
ganze Menschengeschlecht gehende aufsuchen müsste. Es leuchtet in die
Augen, dass die Eintheilung in drei, vier und fünf Racen nicht daraus
entstanden ist, dass sich wirklich nur soviel sichtbare Unterschiede der
Anschauung unwiderleglich darboten, sondern dass man von der Idee
ausgieng, solche Classen zu bestimmen, und nun die Menschen, so gut es
gelingen wollte, unter dieselben vertheilte. Hätte man einfach sich zuerst
den Begriff der Race recht klargemacht, und dann die Nationen der Erde
mit einander verglichen, so würde man nie auf eine geringe Zahl so weit
verbreiteter Typen gekommen seyn.

Der eigentliche und ursprüngliche Begriff der Race liegt in demjenigen,
was sich durch Abstammung mittheilt und erhält. 4850 So nennt man
ein Pferd von Race, wenn sein Bau gleich daran erinnert, dass es eine
unvermischte Reihe edler Voreltern gehabt hat. Wendet man den Begriff
auf die Eintheilung von Geschöpfen an, so ist der Racenunterschied
der Typus, den Geschöpfe ganz gleicher Art in verschiedener
Heimath durch reine Abstammung fort erhalten, und bei gemischter in
einer, dieser Mischung entsprechenden Veränderung wiedergeben. Allem
Racenunterschied liegt also völlige Gleichheit der Gattung, ja der
Art (species) zum Grunde. Daher passt er so vorzüglich auf den Menschen,
von dem es durchaus nur Eine Art giebt, und keine Verschiedenheit
auf mehr, als Eine, zu schliessen berechtigt. Auch trennt der gewöhnlichste
Sprachgebrauch diese Begriffe sorgfältig. Unsre Rinder
und der Auerochse sind verschiedene Arten, Schweizerische und Holsteinische
Kühe verschiedene Racen. Indess schwanken hier die Gränzen
in einander. Denn die Arten vermischen sich fruchtbar, und es liegt
184ihnen ein gemeinsamer Typus zum Grunde. Ein zweites charakteristisches
Kennzeichen des Racenunterschiedes ist die Verschiedenheit des
ursprünglichen Wohnsitzes. Dass abweichende Racen unter den Einflüssen
des nämlichen Wohnsitzes entständen, lässt sich nicht annehmen,
und es gehört zu den Bedingnissen der Erdengeschöpfe, dass man
sich jedes, wie wandernd es werden möge, von einer Heimath abhängig
denkt. Der Mensch überhaupt erinnert an seine Heimath, die Erde, und
jeder einzelne an seine besondre.

Sucht man nun nach diesen Bestimmungen die vorhandenen Menschenracen
auf, und sieht man dabei auf die ganze physische Beschaffenheit,
den Typus im Allgemeinen, so entdecke ich keine irgend haltbare
Gränze, durch die man Racenunterschied von Nationalunterschied
deutlich absondern könnte. Nimmt man Nation bloss im physischen,
von allen politischen Begriffen getrennten Sinne, so giebt es einen Nationalhabitus,
der sich durch Abstammung fortpflanzt und durch Mischung
verändert. Warum sollte man diesen nun nicht Racenunterschied
nennen? Man könnte zwar diesen letzteren auf den durch
körperliche Ursachen bewirkten beschränken, und den Nationaltypus
allgemeiner mit Hinsicht auf Verfassung, Cultur und alle andren intellectuellen
Einflüsse nehmen. Wie aber ist es möglich, dies im Einzelnen
zu unterscheiden? Zwar hat man bei der Eintheilung in Racen eine
mehr umfassende, weniger Classen bildende zur Absicht gehabt, und
allerdings lassen sich kleinere Verschiedenheiten, als allgemeine Aehnlichkeiten,
grösseren entgegensetzen. Dadurch aber wird diese Eintheilung
zu einer bloss ideellen eines Systems, von dem sich niemals alle
Willkührlichkeit trennen lässt. Es giebt in diesem Verstande keine Racen
unter den Menschen, sondern die Menschen lassen sich, ihren Verschiedenheiten
nach, unter gewisse Racen bringen. Man denkt es sich
freilich anders, und begreift unter Race verschiedne, aber näher mit einander
verwandte Nationen zusammen, die man als von Einem Stamm
herkommend ansieht. Allein diese Verwandtschaftsgrade am körperlichen
Habitus mit irgend einiger Sicherheit zu unterscheiden, dürfte
wohl immer ein vergebliches Bemühen bleiben, und da das Menschengeschlecht
doch ein Ganzes ausmacht, müssen auch die Racen wieder
mit einander verwandt seyn. Man kommt also auf diesem Wege nicht zu
einem festen Begriff, sondern zu stufenweis näherer und entfernterer
Verwandtschaft.

Ein Unterschied zwar scheint zu einer allgemeinen Eintheilung zu
berechtigen. Es ist der der Hautfarbe, da offenbar ganz verschiedene
Nationen constant dieselbe haben und bei Mischungen die Abschattungen
sich, wie eine Farbenleiter berechnen lassen. Er ist unverkennbar
der einzige haltbare Eintheilungsgrund des äusseren Typus des Menschgeschlechts.
Dagegen lässt sich eher bezweifeln, ob er in irgend einer
185Rücksicht ein an Folgerungen fruchtbarer sey? Der Zusammenhang der
Farbe mit der Organisation ist überhaupt noch nicht mit hinlänglicher
Genauigkeit erörtert. Die Säugethiere sind auf eine geringere Zahl von
Farben beschränkt, als die Fische und Vögel, und unter ihnen auf die
kleinste der Mensch. Bei den Vögeln steht die Schönheit der Farben mit
der Geschlechtsentwicklung und der Stimme in Verbindung. Die Menschen
werden nicht, wie einige Thiergattungen, zufällig mit verschiednen
Farben geboren, sondern immer mit derselben, ihrer Abstammung
entsprechenden. Die abweichenden Fälle sind krankhafte Ausnahmen.
Doch ist dies hier und da auch Thiergattungen eigen. In Italien erkennt
man die einheimischen Rinder an der weissen, die Schweizerischer Abkunft
an der braunrothen Farbe.

Aber auch in der menschlichen Hautfarbe sind doch nur Schwarz
und Weiss die bestimmten Unterschiede. Vielleicht noch das Amerikanische
Kupferroth. Was sonst gebräunte Farbe ist, dürfte schwerlich
scharfe Abgränzung erlauben. Ob nun die weisse oder schwarze Farbe
die ursprüngliche ist, ob die schwarzen Menschen unter Umständen
schwarz geworden, oder von dem ganzen ursprünglich schwarzen Geschlecht
ein Theil mehr oder weniger gebleicht ist, wer will dies entscheiden?
Wer entscheidet überhaupt, ob die Menschen an einem einzigen
Punkte der Erde, oder an mehreren zugleich entstanden sind? Man
mag das Schaffen als wiederholte unmittelbare Willensacte, oder als das
Setzen Einer sich selbst entwickelnden Naturkraft betrachten, so sprechen
gleichviel Gründe für die eine und die andre Annahme. Das aber
lässt sich mit unumstösslicher Gewissheit behaupten, dass, wenn man
den Menschen in seinen höchsten Beziehungen auf Intellectualität und
Empfindung, Dichtung und Kunst, nimmt, die weisse Farbe allein die
seinem Geschlechte bestimmte seyn kann; nicht weil sie die schönste
ist, denn dies ist Geschmackssache, aber weil ihre Klarheit und Durchsichtigkeit
jeden leisesten Ausdruck erlaubt, und weil sie Mischungen
und Nuancen zulässt, da das Schwarz vielmehr ein Aufhören aller Farbe
ist.

Unter den schwarzen Menschen giebt es aber nicht nur physiognomische,
racenartige Unterschiede, sondern auch Nuancen der Schwärze.
Eine besondere Classe bilden die eigentlichen Negern mit wollig
krausem Haar, der abgeplatteten Gesichtsbildung, und der eigen anzufassenden
Haut. Dies ist also ein besonderer Typus, der aber gerade deswegen
gar nicht zu der Forderung berechtigt, andre solche ähnliche Typen
im Menschengeschlecht finden zu wollen.

Wendet man nun das hier Gesagte auf die Sprachen an, so ergiebt
sich von selbst:

1. dass, wenn der Racenunterschied mit der Nationalität, insofern
sie auf reiner Abstammung beruht, zusammenfällt, die Sprachen von
186demselben entweder ganz, oder insoweit abhängig sind, als nicht Mischungen,
Culturverhältnisse und geschichtliche Ereignisse darin Abänderungen
hervorgebracht haben;

2. dass, wenn die Raceneintheilung bloss Classification eines wissenschaftlichen
Systems ist, die Sprachen insoweit damit in Verbindung
stehen, als man bei Bildung dieses Systems auch auf sie Rücksicht genommen
hat;

3. dass, wenn bei der Classification in Racen die Hautfarbe zum
Eintheilungsgrunde genommen wird, die Sprachen damit durchaus in
keiner irgend erkennbaren Berührung stehen. 4951

80. Alles concentrirt sich daher für die Sprache in dem einzigen Begriff
der Nation in dem oben festgestellten Sinne desselben. Die Sprachkunde
hat aber nun das doppelte Verhältniss in Betrachtung zu ziehen,
wie (§.81-100.) jede besondre Sprache sich über die verschiedenartigen
Individualitaeten, welche eine Nation in sich fasst, verbreitet? und
wie (§. 101-155.) die allgemeine menschliche Sprache, die an sich nur
in der Gleichartigkeit aller einzelnen erscheint, sich in der Verschiedenheit
der Nationen in besondre vertheilt?

Erstes Kapitel
Von der Sprache in Beziehung auf die Verschiedenheit
der in der Nation vorhandenen Individualitäten

81. Um dies Verhältnis ganz rein im Auge zu haben, setze ich hier voraus,
dass Nation und Sprache gänzlich zusammenfallen, und nur Eine
Sprache in wenig gesonderten Mundarten durch die ganze Nation herrsche.
Eine solche Sprache geht also immerfort aus der Verschiedenheit
aller Einzelnen im Volke hervor, und es ist schon oben (§.75.) der
Schwierigkeit erwähnt worden, sich das Entstehen einer Sprache unter
wenigen und wenig verschiedenen Individuen zu denken. Etwas Genaues
oder gar Numerisches lässt sich freilich darüber nicht bestimmen,
aber soviel ist gewiss, dass Sprachen, die jetzt von einer sehr geringen
Anzahl von Menschen gesprochen werden, wie die Vaskische, Lettische
u.a.m., wenn man in den Reichthum ihrer Ausdrücke und Formen eingeht,
unwillkührlich die dringende Vermuthung erwecken, dass sie sich
ehemals über viel zahlreichere Stämme verbreitet haben. Gewiss ist es
auch, dass Sprachen verhältnissmässig kleiner Bevölkerungen, wie die
Holländische, Dänische, Schwedische, gerade hierin ein mächtiges Hinderniss
finden, ihrer Literatur den Schwung zu geben, zu dem ihr Bau
sie berechtigen würde. Dies liegt aber mehr in der zu nahen Berührung,
in welcher diese Sprachen mit Sprachen viel grösserer Volksstämme
187stehen, und darin, dass die Forschbegier und die Aufmerksamkeit überhaupt
sich, ohne Rücksicht auf die Sprache, dahin wenden, wo Literatur
und wissenschaftliche Entwicklung die grösseste Ausbeute versprechen.
Die Berührung der Welt mit dem Menschen ist der elektrische
Schlag, aus welchem die Sprache hervorspringt, nicht bloss in ihrem
Entstehen, sondern immerfort, so wie Menschen denken und reden. Die
Mannigfaltigkeit der Welt und die Tiefe der menschlichen Brust sind die
beiden Punkte, aus welchen die Sprache schöpft. An je mehr und verschiedneren
Menschennaturen sich daher die Gegenstände spiegeln,
desto reicher ist der Stoff, desto grösser die Kraft der Sprache bei übrigens
gleichen Umständen und gleicher Regsamkeit der Einbildungskraft
und des Sprachsinns. Hieraus fliesst nun zwar keineswegs die völlige
Unmöglichkeit der Entstehung einer Sprache in einer einzigen
abgesonderten Familie, ja in einem einzigen Menschenpaare. Was die
Sprache, sowohl im Total des Innren ihrer Bedeutungen, als in ihrem
Bau an Vollständigkeit bedarf und was jede, auch die scheinbar dürftigste
und unvollkommenste besitzt, liegt in der Geschlossenheit jeder, in
sich auch immer vollständigen Menschennatur. Aus jedem Einzelnen
gehen, wie Strahlen, die Richtungen aus, welche zugleich ein Ganzes
der Weltansicht und des Sprachbaus umschliessen. Allein es sind auch
Fülle und Mannigfaltigkeit nothwendig, und diese können nur unter
Vielen gefunden werden. Es müssen dem Einzelnen vom Andren neue
Gegenstände und neue Gestaltungen bekannter zukommen. Diese aber
fordern Verschiedenheit der Individualitaet. Nichts überhaupt reizt den
Menschen so an, als Fremdartigkeit, in der er doch tiefer verschlossene
Uebereinstimmung ahndet. Alles oben (§. 41.47.) von der Nothwendigkeit,
dass der aufglimmende Gedanke aus einem Andren zurückstrahle,
Gesagte verstärkt sich, wenn diese Wechselberührung in grosser Verschiedenheit
der Individualitäten Statt findet. Auch in der vollkommen
gebildeten Sprache entreisst sich das Wort, als das Eigenste des Daseyns,
oft schwer der Tiefe der Brust, wo nun das erste hervorbrechen,
der erste articulirte Laut die Bande der thierischen Dumpfheit lösen
sollte, mag wohl grosse Kraft und wundervoll begeisternde Anregung
dazu nothwendig gewesen seyn, und es ist wohl mit Recht zu bezweiflen,
ob diese sich anders, als in dem regsamen Anstoss eines Volkes fanden,
wo nicht mehr die gleichartige individuelle Verwandtschaft durch
Abstammung sichtbar ist. Wenn man überhaupt bedenkt, dass alles Erheben
des menschlichen Daseyns der Geselligkeit bedarf, und dem isolirten
Menschen vielleicht immer an der Dunkelheit thierischen Lebens
genügt hätte, ja einzelne merkwürdige Beispiele dies beweisen, so befestigt
man sich in der Vorstellungsweise, sich die Menschheit in keiner
Epoche anders, als in Völker vertheilt zu denken, und zur Entstehung
der Sprache die Verschiedenheit der Individualitaet als nothwendig anzusehen,
188die nur in einem Volke möglich ist. Wie es sich selbst mit der
Wahrheit dieser Annahme verhalten möchte, so ist doch keine andre für
die Anwendung fruchtbar.

82. Die erste Verschiedenheit der Individualitäten innerhalb einer
Nation ist die von der Natur gegebene des Geschlechts und des Alters.
Die weibliche Eigenthümlichkeit, die sich so lebendig und sichtbar
auch in dem Geistigen ausprägt, erstreckt sich natürlich auch auf die
Sprache. Frauen drucken sich in der Regel natürlicher, zarter und dennoch
kraftvoller, als Männer aus. Ihre Sprache ist ein treuerer Spiegel
ihrer Gedanken und Gefühle, und wenn dies auch selten erkannt und
gesagt worden ist, so bewahren sie vorzüglich die Fülle, Stärke und Naturgemässheit
der Sprache mitten in der diesen Eigenschaften immer
raubenden Bildung, in der sie in gleichem Schritt mit den Männern fortgehen.
Sie vermindern dadurch den Nachtheil der Spaltung, den die
Cultur immer zwischen dem Volke und dem Ueberrest der Nation hervorbringt.
Wirklich durch ihr Wesen näher an die Natur geknüpft,
durch die wichtigsten und doch gewöhnlichsten Ereignisse ihres Lebens
in grössere Gleichheit mit ihrem ganzen Geschlechte gestellt, auf eine
Weise beschäftigt, welche die natürlichsten Gefühle in Anspruch
nimmt, oder dem inneren Leben der Gedanken und Empfindungen volle
Musse gewährt, frei von Allem, was, wie das Geschäftsleben und
selbst die Wissenschaft, dem Geist eine einseitige Form aufdrückt, nicht
selten zwischen äusserer Beschränkung und innerer Sehnsucht in einem
Streite, der, wenn auch schmerzhaft, doch fruchtbar auf das Gemüth
zurückwirkt, oft der Ueberredung bedürftig und durch innere Lebendigkeit
und Regsamkeit zur Rede geneigt, verfeinern und verschönern
sie die Naturgemässheit der Sprache, ohne ihr zu rauben, oder sie zu
verletzen. Ihr Einfluss geht im Familienleben und im täglichen Umgang
so unmerklich in das gemeinsame Leben über, dass er sich einzeln nicht
festhalten lässt. Die weibliche Eigenthümlichkeit bringt aber auf die
eben gesagte Weise nicht eine eigne Sprache hervor, sondern nur einen
eignen Geist in die Behandlung der gemeinsamen. Auch bei genauer
Aufmerksamkeit würden sich kaum einzelne Ausdrücke und Wendungen
auffinden lassen, welche dem andren Geschlecht mehr, als dem
unsrigen eigenthümlich wären. Indess bezeugt Cicero aus seiner Erfahrung,
dass veraltete Ausdrücke sich länger im Munde der Frauen erhalten,
was, da dasselbe im Volk Statt findet, das im Vorigen Gesagte bestätigt.

83a. Wo beide Geschlechter in grosser Absonderung leben, und wo,
was jedoch nicht durchaus bei den Völkern der sogenannten Wilden der
Fall ist, das weibliche in grosser Abhängigkeit gehalten wird, könnte
man sich wohl die Aussonderung einer Weibersprache aus der gemeinsamen
denken. Die immer und unter gleichem Drucke zusammen Lebenden
189können sich von selbst zu einer Gleichartigkeit der Ausdrücke
und Wendungen bilden, und haben auch ein Interesse dem andren Theil
unverständlich zu bleiben. Es ist daher zu verwundern, dass von den
Gynaeceen der Griechen und den Harems der Morgenländer, so viel ich
weiss, so etwas nirgends angedeutet wird. Es mag aber nur am Mangel
der Beobachtung liegen. Erwähnt werden, soviel mir bekannt ist, wesentliche
Verschiedenheiten der Sprechart der Weiber nur bei Amerikanischen
Völkern, und die Erscheinung einer ganzen verschiedenen Weibersprache
kommt nur bei den Kariben vor. Glücklicherweise sind die
Nachrichten von dieser, wenn auch nicht ganz ausreichend, doch eben
so dürftig nicht 5052, und obgleich die Sache noch nicht vollständig untersucht
ist, so scheint diese Weibersprache in der That ein eigner, aber
verwandter Dialect des Karibischen. Er hat sich daher, indem er früher
einem ganzen Stamm angehörte, wohl nur im Munde der Weiber erhalten,
und die Erscheinung gehört, wie man auch bisher meistentheils angenommen
hat, mehr der Geschichte, als der Sprachkunde an. In den
andren Amerikanischen Sprachen werden nur einzelne, den Weibern eigenthümliche
Ausdrücke angeführt. Sie beziehen sich meistentheils
hauptsächlich auf die Benennungen der verschiednen Verwandtschaftsgrade;
diese aber sind fast durchgängig nach dem Geschlecht des Redenden
verschieden, was vermuthlich in der Verschiedenheit der Empfindung
seinen Grund hat, mit welcher beide Geschlechter den
Familienkreis umfassen. Nur ist der Ursprung gerade dieser Ausdrücke,
die in das höchste Alterthum zurückgehen, so dunkel, dass sich der Beweis
schwer würde führen lassen. Ausser diesem Fall hat wohl die weibliche
Eigenthümlichkeit auf die besondren Sprecharten der Weiber, von
denen hier die Rede ist, keinen Einfluss. Sie beruhen auf Lebensweise
und Völkersitte. Es wäre sehr wichtig auszumitteln, ob diese Weiberidiotismen
wirklich ausschliesslich der neuen Welt angehören. Ich habe
es oben mit Absicht zweifelhaft ausgedruckt, und mich auf die Thatsache
beschränkt, dass es nur von ihren Sprachen angemerkt wird. Drei
verschiedene Ursachen würden es in der That begreiflich machen, dass
sich die Aufmerksamkeit wirklich vorzugsweise in Amerika auf diesen
Punkt gewandt hätte. Erstlich hat man, wenn man die Sprachen ohne
Literatur und Alphabet in Eine Classe wirft, unter diesen von den Amerikanischen
bei weitem ausführlichere und in den innern Bau genügender
eingehende Schilderungen, als von denen der übrigen Welttheile.
Zweitens rühren die der Amerikanischen meistentheils von Katholischen
Missionaren her, die einestheils durch die Ohrenbeichte gezwungen
wurden auf die Eigenthümlichkeiten der Sprechart der verschiedenen
Volksclassen einzugehen, andrentheils wegen der verbotnen Grade
beim Heirathen auf die Verwandtschaftsnamen genaue Aufmerksamkeit
richten mussten. Endlich war die eigne Sprache der Karibischen
190Weiber früh bekannt, und der Forschungsgeist fand hierin einen natürlichen
Anstoss derselben Erscheinung bei andren Völkerstämmen nachzuspüren.
Im Japanischen findet sich ein eignes nur von den Weibern
gebrauchtes Pronomen und zwar bloss in der 1. Person. Dies ist um so
auffallender, als selbst den Semitischen Sprachen, die doch die 2. Person
gegen die Analogie der meisten, wenn nicht aller andren Sprachen
nach dem Geschlecht unterscheiden, die 1. Person einfach lassen. Das
eine der weiblichen japanischen Pronomina (denn es giebt mehrere, alle
aber der 1. Person) ist dasselbe, dessen sich die untren Volksclassen bedienen,
wara, nur mit hinzugesetztem wa, warawa; die andren sind alle
eigentlich Pronomina reciproca, dem Begriff von sich entsprechend. Ihr
eigenthümlicher Gebrauch bei dem andren Geschlecht liegt daher vielleicht
nur in der von diesem angenommenen Gewohnheit die Ichheit in
einem praegnanten Sinn und auf das Selbst, wie auf etwas Drittes bezogen
zu bezeichnen. 5153 Diese Eigenthümlichkeit des Japanischen deutet
aber übrigens gar keine besondre Weibersprache an, sie ist kaum einmal
eine Anwendung der Geschlechts-Unterscheidung auf das Pronomen,
sondern scheint ganz wesentlich mit den Abstufungen zusammenzuhangen,
welche die Rangverschiedenheit fast in alle Theile des grammatischen
Ausdrucks dieser Sprache bringt.

83b. Wo es in Amerika eigne Sprachen der Weiber giebt, ist die der
Männer die allgemeine für beide Geschlechter. Die besondre der Weiber
wird ihnen geheim gehalten, oder von ihnen zu lernen verschmäht.
Umgekehrt dagegen haben unter den Mandingo in Afrika die Männer
eine besondre, den Weibern unverständliche Sprache, deren sie sich bei
gewissen Gelegenheiten bedienen. 5254

84. Mit dem im Vorigen im Vorbeigehn erwähnten besondren Pronomen
1. pers. der Kinder im Japanischen hat es dieselbe Bewandtniss
als mit dem der Weiber. In den Amerikanischen Sprachen werden aber
sich über einen ganzen Theil der Sprache erstreckende Eigenthümlichkeiten
des Ausdrucks der Kinder verschiednen Alters erwähnt. Es kehrt
auch hierin nur die Erscheinung wieder, dass beständiger und ausschliesslicher
Umgang, und Absicht sich durch Eigenheiten vor andren
auszuzeichnen und ihnen unverständlich zu machen im Schoosse der
gemeinsamen Sprache besondre Ausdrücke und Wendungen erzeugt.
Ausserdem mischt sich in diese Sprecharten natürlich der kindische
oder jugendliche Charakter der Sprechenden.

85. Auf conventionelle Art und erst durch Verhältnisse entstanden,
welche der Gesellschaft ihren Ursprung verdanken, sind die besondren
Sprachen, die in der gemeinsamen aus dem Betriebe desselben Gewerbes,
der gleichen Beschäftigung entstehen. Sie erstrecken sich gewöhnlich
nur auf den Kreis der sich auf das Gewerbe selbst beziehenden
Ausdrücke, und bei uncultivirten Völkern, wo noch die verschiednen
191Arten menschlicher Thätigkeit nicht so bestimmt getrennt sind, darf
man sie gar nicht, als nur dergestalt suchen, dass, die solche Gewerbe
vorzugsweise treiben, eine Anzahl von Gegenständen einzeln bezeichnen,
welche dem übrigen Volk gleichgültig und unbekannt sind. Wie die
Karibische Weibersprache, so ist die mit vielen Wörtern Norwegischen
Ursprungs vermischte Sprache der Shetländischen Fischer mehr der
Geschichte, als der Sprachkunde angehörend. Sie sollen sich derselben
nur, wenn sie in See sind, bedienen. Es fragt sich indess noch, ob dies
wirklich bloss eine See- und .Fischersprache ist. 5355 Das ganze Volk dieser
Inseln spricht, insofern es nicht durch höhere Bildung zum Englischen
übergegangen ist, noch Norwegisch, da diese Inseln lange den Norwegern
und Dänen unterworfen waren, ja vermuthlich von Norwegen aus
zuerst bevölkert wurden.

86. Den wichtigsten Einfluss auf die Sprache und ihre Behandlung
hat der Unterschied, welchen höhere Geistesbildung, sorgfältigere Erziehung
und mit Rücksicht auf beides sich absondernder Umgang hervorbringen.
Dieser Unterschied ist gar nicht nothwendig an gewisse
Classen oder Stände gebunden, sondern läuft sehr oft durch alle hindurch,
und dies ist für die Sprache, wie für die Bildung selbst der günstigste
Fall. Es ist indess natürlich, dass die verschiedene Art der in einem
Volke herrschenden Absonderung der Stände und des Ranges mit
demselben gewissermassen zusammenfällt, da das, was den Unterschied
bildet, doch vorzüglich in dem ausschliessenderen Hingeben des
Geistes an Gedanken und Empfindungen liegt, und daher die mehr
selbständige Unabhängigkeit, die grössere Freiheit von drückenden
Nahrungssorgen, die Entfernung von körperlicher Arbeit die Abstufung
ausmachen. Hieran knüpfen sich aber auch, bald in zarteren, bald in
roheren Nuancen, Stolz, Herrschbegier und Unterdrückungssucht und
arten in die Begriffe blosser Vornehmlichkeit aus. Man kann daher auch
in Absicht der Sprache die Sprachen der Bildung und des Ranges nicht
ganz als dieselbe Classe ansehen, sondern muss sie oft auf das bestimmteste
von einander unterscheiden.

87. Die Bearbeitung von Ideen, die mit Sorgfalt gehegte Dichtung,
die wissenschaftliche Behandlung, die Leitung der Staatsgeschäfte in
ihren verschiedenen Formen schaffen sich in der gemeinsamen Sprache
eine höher und feiner gebildete, die man, da sie selten lange der Schrift
entbehrt, die Schriftsprache zu nennen pflegt. Zwischen dieser und der
Volkssprache entsteht alsdann ein wohl bei keiner Nation, die eine Literatur
besitzt, fehlender Unterschied. Die Religion, ganz auf Ideen beruhend,
vereinigt sich gewöhnlich mit der Schriftsprache, es giebt aber
auch, wie schon oben (§.74.) berührt worden, Fälle, wo sie sich eine
von der Schrift- und Volkssprache des Landes verschiedene dritte
wählt. Das südliche und östliche Asien bietet Sprachen dar, die wir
192bloss als Schrift- und wissenschaftliche Sprachen kennen, ohne zu wissen,
wann und in welchem Umfang sie gesprochen worden sind. Das
Sanskrit, Pali und Kavi sind von dieser Art, sie sind aber, da in diesem
Theile des Menschengeschlechts Dichtung, Philosophie und Wissenschaft
ganz aus der Religion hervorgehen, ganz vorzüglich religiöse
Sprachen. Bloss eigne Mundart dieser Gattung, aber nicht so religiöser,
sondern philosophischer und wissenschaftlicher Art ist der alte Stil des
Chinesischen, das Ku-wén. Dies liegt ganz innerhalb des Kreises, den
ich (§.81.) hier meiner Untersuchung gezogen habe, wo nämlich dieselbe
Sprache durch die ganze Nation herrscht. Das Ku-wén zeichnet
sich aber noch durch eine in sehr wichtigen Punkten abweichende
Grammatik aus, und wird dadurch, als viel mehr eigne Sprache, dem
Volk unzugänglicher. Dagegen ist die Schriftsprache, wie wir sie z. B.
in den Europaeischen Nationen kennen, nur eine eigne Behandlung
derselben Sprache. Die Schriftsprache wird zugleich die Umgangssprache
der gebildeten Classen, und auch in dieser vereinten doppelten Eigenschaft
finden wir sie ganz, auch der Abstammung nach, von der
Volkssprache verschieden. Das Hindi ist die Gesellschaftssprache aller
Mahomedanischen Höfe in Indien, erstreckt sich über Länder ganz verschiedner
Volkssprachen, und besitzt eine eigne ausgebreitete Literatur.
Allein auch ohne die letztere und aus dem Schoosse derselben Sprache
heraus bildet sich eine solche höhere Gesellschaftssprache, die in der
Wahl der Ausdrücke und Wendungen und den Abstufungen der Geltung
der Wörter besteht. Von dieser Art sind die verschiedenen im Malaiischen
üblichen Idiome oder Style, wie man sie nennen will. Die
Sprache des Hofes, nur zu fürstlichen Personen gebraucht, die der gebildeten
Gesellschaft, der Kaufleute und des Volks haben jede ihre eignen,
nur für diese Abstufungen passenden Ausdrücke und zwar für die
gemeinsten und gewöhnlichsten Dinge, wie schlafen, essen, sterben,
sprechen u. s. f. 5456 Auch unter uns giebt es Aehnliches, aber nur einzeln,
und in grösserer Freiheit, da in jenen Sprachen der Rangunterschied
sich über einen grösseren Kreis von Ausdrücken und Wendungen erstreckt,
fester bestimmt, und ausserdem an caerimonieuse Formeln,
vorzüglich im Gebrauch der Pronomina, gebunden ist. Auch die Mixteka
Sprache hat, und wie es scheint, in noch grösserem Umfange, als die
Malaiische, ein solches eignes Wörterbuch für die vornehmeren Classen,
in welchem namentlich alle Theile des Körpers eigne Ausdrücke
annehmen. Ob man sich aber dieser nur im Reden zu diesen Classen
bedient, oder ob sie gleichsam eine abgesonderte Sprache für diesen
Theil der Nation unter sich ausmachen, ist aus den vorhandenen Nachrichten
nicht immer deutlich zu sehen. Im Malaiischen ist jedoch das
Letztere der Fall. Dagegen ist das bhasa-krama 5557 auf Java seiner Hauptbestimmung
nach eine nur von dem Geringeren zum Vornehmeren gebrauchte
193Sprache, die aber dergestalt durch die ganze Nation geht, dass
auch im Volk die Kinder nie anders zu ihren Eltern reden. Diese, so wie
alle Vornehmeren antworten in gewöhnlichem Javanischen. Dieser Gebrauch
ist um so merkwürdiger, als die Sprache der Verehrung (bhasa-krama)
nur zum vierten Theil aus gewöhnlichem Javanischen, das auch
noch durch die Aussprache und in den Endungen verändert ist, übrigens
aber aus Sanskritischen und Malaiischen Wörtern besteht. Am
ehesten sollte man Sprachverschiedenheit bei den streng in Kasten geschiedenen
Nationen erwarten. Ich kenne indess weder bei den Aegyptiern,
noch bei den Indern eine Spur, aus welcher sich dies schliessen
liesse. War es wirklich in Indien der Fall, so konnte es wohl nur in der
untersten Klasse, bei den Sutras statt finden. Die drei oberen, die Zweifachgebornen,
umschlang dazu offenbar ein zu enges religiöses Band.
Die Sutras aber konnten eine ganz verschiedne Sprache haben, da sie
vielleicht nicht einmal dieselbe Abstammung mit den andren theilten,
sondern von diesen unterjochte Urbewohner waren, wie neuerlich Lassen
behauptet hat. 5658

88. In den hier erwähnten Fällen erstreckt sich der Einfluss des
Rangunterschiedes vorzüglich auf die zu gebrauchenden Wörter und ist
lexikalisch; in anderen geht er, mehr oder weniger tief, in den grammatischen
Bau ein. Das Gewöhnlichste ist eine Verschiedenheit des Pronomen
nach dem Rangunterschiede der Redenden. Spielt nun das Pronomen
in der grammatischen Formation keine wichtigere Rolle als z. B. in
den Sanskritischen Sprachen, so berührt dieser Gebrauch kaum die eigentliche
Sprache. Wenn man im Sanskrit den, welchen man ehren will,
mit einem eignen dazu gestempelten Pronomen in 3. pers. sing., im
Deutschen mit dem gewöhnlichen Pronomen 3. pers. plur. anredet, so
wird dadurch in der übrigen Sprache nichts verändert. Wenn aber, wie
im Vaskischen 5759 das Pronomen bald indem es vom Verbum regiert wird,
bald indem es die angeredete Person anzeigt, einen untrennbaren Theil
der Conjugation ausmacht, so bildet es, wenn es eine eigne höflichere
Form besitzt, ganz eigne Conjugationen, die durch alle Tempora und
modi durchgeführt werden müssen. Auffallend ist es, dass in den Amerikanischen
Sprachen gerade das Pronomen von allem Rangunterschied
frei ist. Denn wenn im Mexikanischen auch die den Substantiven ganz
gleich kommenden selbständig gebrauchten Pronomina die Ehrfurchtssylbe
der Substantiva annehmen, so verschwindet aller Unterschied da,
wo sich das Pronomen, als possessivum, mit den Substantiven, und in
sehr verschiedenen Beziehungen mit dem Verbum verbindet. 5860 Dagegen
bietet die Mexikanische Sprache ein mir sonst im gesammten Sprachgebiet
unbekanntes Beispiel des Eindringens des Rangunterschiedes in
alle Theile der Grammatik dar. Denn er kann an allen Redetheilen angedeutet
werden, ändert alsdann häufig die gewöhnlichen Formen der
194Wörter und bringt neue, oft sehr lange und verwickelte hervor. Beim
Nomen (denn alle unter diesem begriffene Redetheile nehmen diese Bildung
an) wird dem Worte die Endung tzin angehängt. Es verliert aber
vorher seine ursprüngliche Endung und wird auf seine Grundform zurückgeführt.
Diese Aenderung nimmt man mit allen Wörtern vor, die
sich auf die Ehrerbietung fordernde Person beziehen, und sagt also z. B.
nie im Gespräche mit ihr mo-quauh, dein Stock, sondern immer moquauh-tzin,
dein verehrter Stock. Auch an Eigennamen von Königen
findet sich diese Sylbe wie in Tecpal-tzin, Quauh-temo-tzin. Beim Verbum
ist die Sache verwickelter. So oft von dem Gegenstande der Ehrerbietung
die Rede ist, also wo er in 2. oder 3. Person Subject, oder wenn
das Verbum in 1. Person steht, Object des Verbum ist, wird allemal, die
Bedeutung möge es zulassen oder auch nicht, das reflexive Verbum (das
eigentliche Medium der Griechen) gebraucht. Dies genügt aber noch
nicht. Dies Medium wird nun weiter entweder in die Gattung der Verben
verwandelt, bei welchen der Handlende, ohne selbst die Handlung
zu begehen, sie durch einen andren verrichten lässt, oder in die, wo die
Handlung, ausser ihrem directen und unmittelbaren Gegenstande, noch
einen andren hat, auf den sie sich indirect und mittelbar zu seinem Nutzen
oder Schaden bezieht. Will man nun diese Form noch verstärken, so
hängt man ausserdem die Ehrfurchtssylbe tzin an dieselbe, und behandelt
vermittelst der Endsylbe oa das Ganze, als ein aus einem Nomen
abgeleitetes Verbum. 5961 Ob die Bedeutung des Wortes den Gebrauch des
Medium und jener Gattungen von Verben zulässt oder nicht, wird
durchaus nicht beachtet, die sich auf sie beziehenden Charakteristiken
gelten nicht mehr einzeln, als solche, sondern verbunden als Ehrfurchtsform.
Die Unangemessenheit des Begriffs zu ihrer Bedeutung
lässt sogar diese leichter in ihnen erkennen. Soll wirklich ein Medium in
diese Form treten, so hängt man, ohne weitre Verwandlung, bloss die
Endung tzinoa daran; ist dasselbe mit den oben angedeuteten Gattungen
der Verben der Fall, so verdoppelt man ihre Kennsylben, so dass
diese einmal der Bedeutung des Worts, das andremal der Ehrfurchtsform
angehören. Die Vorstellungsweise, welche dem Gebrauch dieser
Formen zum Grunde liegt, lässt sich im Ganzen wohl einigermassen errathen.
Durch das Medium wird der vornehmeren Person ihr Ich zweimal
vorgeführt, eine ähnliche Berücksichtigung der Persönlichkeit ist
im Gebrauch des Verbum mit doppelter Beziehung enthalten, und die
Idee der Verrichtungen durch andre erinnert an Macht und Freiheit von
eigner Bemühung. Da aber der Niedrigere, da wo der Vornehmere nur
Gegenstand des gebrauchten Verbum ist, auch in 1. Person dieselben
Formen braucht, so fällt diese Beziehung derselben ganz hinweg, und
man kann sich nicht erwehren zu denken, dass nicht ein Hauptgrund
dieses Sprachgebrauchs allein in dem Umschweife des Ausdrucks und
195der Feierlichkeit der langen daraus entstehenden Formen liegen sollte.
Denn das einfache ni-c-tlasotla ich liebe ihn, wird in der verstärkten
Ehrfurchtsform zu ni-c-no-tlasoti-li-tzin-oa. 6062

89. Es ist eine für die Sitten und den Charakter der Nationen nicht
uninteressante Bemerkung, dass die erniedrigenden Ausdrücke, deren
sich in einigen Asiatischen Sprachen der Geringere gegen den Vornehmeren
bedient, wie im Malaiischen: ich Sklave, wovon es drei immer
demüthigere Abstufungen giebt, im Japanischen: ich Unwürdiger, im
Chinesischen (gleichsam zur Demüthigung des Gelehrtenstolzes) ich
Einfältiger
, in den Amerikanischen Sprachen gar nicht gefunden werden.
Wären die Völker der neuen Welt bloss immer wild herumstreifende
Horden gewesen, so wäre dies sehr begreiflich. Da es aber grosse
Reiche und mannigfaltige politische Einrichtungen dort gab, so beweist
diese Erscheinung, was auch sonst aus der Geschichte dieser Reiche
klar ist, dass, ungeachtet des grossen Despotismus der höheren Classen
in Mexiko und Peru, demselben doch ein gewisser höherer Geist der
Freiheit beigemischt war. Sehr merkwürdig ist es auch, dass diese und
ähnliche Benennungen, soviel ich habe entdecken können, in den Sprachen
der den Malaien so nahe verwandten Südsee-Insulaner nicht angetroffen
werden. Es giebt gar keine eignen Ehrfurchtsformeln in ihnen,
und doch sind die Stände bestimmt geschieden, und die gesellschaftliche
Bildung ist so verfeinert, dass Mariner's 6163 Pflegemutter auf den Tonga
Inseln ihn mit Sorgfalt nicht nur in der Reinheit der Sprache von
fremden Ausdrücken benachbarter Inseln, sondern auch in Allem unterrichtete,
was in Anzug, Sitten und Gespräch dem guten Ton angemessen,
und eines egi, Edlen, würdig, oder ihm unanständig war. Bei
den Mexikanern scheint dem Gebrauch der Ehrfurchtssylbe tzin gar
nicht Ehrerbietung, sondern Zärtlichkeit zum Grunde zu liegen. Denn
diese Ehrfurchtssprache ist zugleich eine des Wohlwollens und der innigsten
Liebe, und dies scheint ihr ursprünglicher Sinn. Die Eltern bedienen
sich derselben gegen ihre kleinen Kinder, und indem Tapia in
seiner Mexikanischen Grammatik 6264, als Beispiele solcher Formen die
Redensarten ti-no-namic-tzin, du bist mein geliebter Mann, ti-no-cone-tzin 6365,
du bist mein geliebtes Kind, anführt, versichert er, dass kein Spanischer
Ausdruck die Innigkeit desselben erreiche. Es ist nicht zu läugnen,
dass die Empfindung und der Begriff inniger mit dem Gegenstande
verwebt werden, wenn ihre Bezeichnung, nicht kalt in adjectiver Gestalt
daneben gestellt, sondern zu einer eignen Sprachform gemacht,
ihn gleichsam zu einem ganz andren, dieser Empfindung ganz eignen,
stempelt. Durch eine sehr natürliche Ideenverbindung drückt das tzin
auch Bedauern und Mitleid aus, 2. / koko-s-ka-tzin-tli, der arme Kranke. 6466
Die als roher beschriebenen Bergbewohner sollen das tzin nur in der
196ersten Person von sich gebrauchen, und zu Andren, auch Vornehmeren,
auf die gewöhnliche Weise reden. Tapia legt ihnen dies als eine Rohheit
und Grobheit aus. Vermuthlich ist in der Bemerkung nur das Wahre,
dass sie tzin nicht gegen Fremde gebrauchen. Zur Ehrfurchtssprache
mag das tzin erst im gesellschaftlichen Zustande (wie Tapia sagt entre
los Indios politicos
) geworden seyn, da auch mag sich zuerst die wunderbare
Behandlung der Ehrfurchtsverba ausgebildet haben. Im Gebirge
mag tzin nur als Ausdruck der Zärtlichkeit und des Bedauerns gelten,
im letzteren Sinn mag es der arme, dürftige Bewohner, wie das Volk
oft thut (man erinnre sich an das pobrecito der Italiäner), von sich brauchen,
und natürlich nicht auf den Vornehmeren passend finden. Hierin
scheint mir vorzüglich ein Beweis zu liegen, dass diese, in andren Sprachen
den Diminutiven gegebene Bedeutung die ursprüngliche ist. Die
nahe Verwandtschaft des tzin mit der Diminutivsylbe ton zeigt die ganz
gleiche grammatische Behandlung beider Wörter. Wenn ein mit tzin
verbundnes Wort ohne Pronomen possessivum steht, nimmt es die erst
weggeworfne Substantivendung wieder an; quauh-tzin-tli, der verehrte
Stock. Dasselbe thut die Diminutivsylbe ton im gleichen Fall, und nur
sie. Auch die Pluralbildung ist dieselbe bei den Ehrfurchts- und Verkleinerungswörtern.
Im Mexikanischen der Spanischen Geistlichen kann
man diese Ehrfurchtssprache gleichsam als neu aufgelebt ansehen. Sie
halten nicht nur darauf, dass sie gegen sie gebraucht werde, sondern die
Sprachlehrer (sämmtlich Geistliche) empfehlen auch sorgfältig, überall
wo von Gott und göttlichen Dingen die Rede ist, diese umständlichen
und schleppenden Formen zu gebrauchen. 6567

90. Ich bin absichtlich länger bei diesem Einfluss des Unterschiedes
der Stände auf die Sprache verweilt, um an auffallenden Beispielen zu
zeigen, wie mehr oder weniger verschiedene Sprachen in derselben Nation
und bei gleicher Abstammung herrschend seyn, äussere Umstände,
selbst solche, die gar nicht tief in den ganzen Charakter eingehen, die
Sprache verändern, ja wie ganz eigenthümlich ihr angehörende Begriffe
(wie der des Medium) nach zufälligen Zwecken, ganz gegen ihre ursprüngliche
Natur verdreht werden können. Es geht daraus der innige
Zusammenhang zwischen der Sprache und allem den Menschen Betreffenden,
und zugleich ihre bewundernswürdige Biegsamkeit hervor, sich
jeder an sie gemachten Anforderung hinzugeben, und alles in Begriffen
oder Lauten in sie verpflanzte Fremde sich gleich organisch anzubilden,
und mit sinniger Berücksichtigung ihrer Zwecke zu gestalten. Allein der
zugleich für die Sprache und die Nationalbildung günstige Fall ist immer
nur der, wo eine einzige Sprache unvermischt durch die ganze Nation
läuft, nur die wesentlichen und natürlichen Bedingungen des
menschlichen Daseyns auf sie einwirken, und ihr nichts aufgebürdet
wird, was nicht in ihrer eignen Natur freiwillige und leichte Begegnung
197findet. Nur da ergiesst sich die Sprache frei und wohlthätig durch alle
Classen der Nation, und von diesem ihrem Hin- und Zurückströmen
zwischen dem Volke und den gebildeteren Ständen, den einzelnen Beschäftigungen
Gewidmeten und den ein vielseitigeres Leben Führenden,
von diesem wahren Lebensprocesse der Sprache in der Nation
muss ich hier noch Einiges hinzufügen.

91. Die Scheidung des Volks von den sich nicht zum Volke Rechnenden
ist in dem Daseyn einer Nation so unvermeidlich, dass sie sich wohl
in jeder ohne Ausnahme findet, sie ist aber zugleich für Alles, was die
höchsten Zwecke des Menschen betrifft, so wichtig, dass sie in diesem
Gebiet nie einen Augenblick aus den Augen gesetzt werden kann. Der
letzte dabei zu erreichende Zweck, um gleich diesen zu bezeichnen, ist
nun der, durch eine beständige ungehemmte und energische Gemeinschaft
zwischen diesen beiden Theilen der Nation zu bewirken, dass auf
das Volk alle wesentliche Früchte der Bildung, nur mit Ersparung des
mühevollen Wegs, auf dem sie erlangt werden, herabströmen, die höheren
Stände aber durch den gesunden, geraden, kräftigen, frischen Sinn
des Volkes, durch das in ihm lebende Zusammenhalten alles Menschlichen
bewahrt werden vor der Mattigkeit, Flachheit, ja Verschrobenheit
unverhältnissmässiger Einwirkung einseitiger Bildung. In einem geistig
und sittlich gediegenen, starken, unverdorbenen Volke liegt allein die
sich erneuernde Kraft der Nation; die Bildung, insofern sie, als philosophische
und poetische, Ideen und Empfindungen bearbeitet, führt diesen
Stoff nur in eine höhere, mehr idealische Sphäre hinüber, und wendet,
als technisch und scientifisch, nur das an wenigen Gegenständen
roh und zufällig Erfahrne und Versuchte, auf künstliche Weise und
nach Principien, auf viele systematisch an, und schreitet in neuen Erfahrungen
und Versuchen fort. Die höheren Stände können und dürfen jener
Kraft nicht fremd seyn, und insofern sie sie theilen, bilden sie Eine
Masse mit dem Volk, mit dem sie, alle Classen hindurch, namentlich in
der Religion, innerlich und äusserlich verknüpfende Bande haben, sie
zeichnen sich nur durch andre Bestrebungen und daraus hervorgegangne
Fähigkeiten und Ansichten aus. Jene Scheidung ist daher wahrhaft
nur da vorhanden, wo die Bildung irre geleitet hat, oder die Natur zur
Rohheit hinabgesunken ist: Wo gesunde Natur und ächte Bildung richtig
auf einander einwirken, ist weder Spaltung, noch Gegensatz, nur aus
andrer Entwicklung der Kräfte entspringende, sich gegenseitig ergänzende
Verschiedenheit. Die Gemeinschaft zwischem dem Volk und dem
übrigen Theil der Nation beruht nun grösstentheils auf der alle Ideen
und Empfindungen vermittelnden Sprache, und wird durch sie so vortreflich
bewirkt, da die Sprache die Kunst besitzt, indem sie nur das
Bekannte wiederzugeben scheint, in der unmerklich veränderten Geltung
des Ausdrucks etwas Verschiedenes darzubieten, und das Neue
198immer an das schon tief in die Natur Eingegangene zu knüpfen. Es gehört
aber dazu nicht bloss Einerleiheit der Sprache überhaupt, sondern
die Sprache des Volks und die der Gebildeten müssen einander möglichst
nahe bleiben, wozu unter uns das Lesen derselben Bibelübersetzung
eins der kräftigsten Mittel ist, es muss zwischen beiden nur die Art
des Unterschiedes herrschen, welcher die Classen der Sprechenden
selbst charakterisiren sollte, und es müssen sich in die Eine, dort kräftigere,
vollere, ungewähltere, und hier verfeinerte Sprache nicht lästige,
trennende Höflichkeitsformeln, wie die, von denen wir eben gesprochen,
eingedrängt haben.

92. Betrachtet man nun, wie im Vorigen den Einfluss der Sprache
auf die Verschiedenheit der Bildungsstufen, so den umgekehrten, welchen
sie auf die Sprache ausüben, so liegt zuerst am Tage, dass es ausschliesslich
das Volk ist, von dem nicht nur die Sprache ursprünglich
ausgeht, sondern das auch immerfort ihre Fülle, ihre Stärke und ihre
unmittelbare Beziehung auf die lebendige Anschauung, die Phantasie
und das Gefühl bewahrt und erhält. Diese muss man als einen unumstösslichen,
wahrhaft leitenden Grundsatz nie ausser Acht lassen. Die
höher und feiner gebildeten Classen haben daran natürlich mit Theil,
und in dem Grade bedeutender, in dem ihre Bildung in einem richtigen
Verhältniss zu dem ganzen Wesen der Nation steht, aber was dies in
ihnen bewirkt, ist nicht die Bildung, nicht dasjenige, was sie vom Volk
unterscheidet, sondern das, worin ein tüchtiges, unverdorbenes, von
Rohheit und Unsitte freies Volk glücklicherweise mit ihnen übereinstimmt.
Das Schaffende in der Sprache ist immer die Natur, die bewusstlos
die Fülle der Sprache aus sich ergiessende Kraft des menschlichen
Geistes im geselligen Zusammenwirken, und das hierüber oben
(§.73. 74.) in andrer Beziehung Gesagte findet auch hier seine Anwendung.
Die Bildung läutert und sichtet den empfangenen Stoff; sie führt
zuerst, und dies ist auf die ganze Sprache von dem wichtigsten und rein
wohlthätigem Einfluss, die Aussprache auf schärfer umgränzte und weniger
zahlreiche Laute zurück, die meisten Volksmundarten haben eine
grössere Anzahl, besonders unbestimmt in einander übergehender Vocallaute,
als die gereinigte Sprache im Munde der Gebildeten; sie bestimmt
ebenso genauer die Geltung der Wörter, und sondert die verschiednen
Gebiete der Begriffe; sie wirft einen Theil derselben, bald als
der anständigeren Sprechart nicht angemessen, bald als Provincialismen
zurück; dies macht sie sich zu einem besondren Geschäft, und
auch absichtlos geht ihr ein andrer im Gebrauche verloren, indem der
Kreis der Gebildeten aus einer geringeren Zahl von Individuen besteht,
und eine geringere Zahl wirklicher Gegenstände behandelt, es auch
Princip der gebildeten Gesellschaftssprache ist, nur so, wie die Andren
zu reden, und sich nicht die Kühnheit zu erlauben Wörter der Volkssprache
199in sie hinüberzuführen; ebenso wirkt sie auf die grammatischen
Formen und Constructionen, regelt dieselben, macht sie gleichmässiger
unter sich, behandelt da oft, wie es in vielen deutschen Verben der starken
Conjugation, die sich in ihnen nur noch im Volk erhalten hat, ergangen
ist, als Ausnahme, was tief als Regel im innersten Wesen der
Sprache begründet ist. Von allen diesen Seiten ist ihr Einfluss läuternd
und sichtend, aber verarmend.

93a. Von andren her aber bereichert die Ausbildung auch unläugbar
die Sprache. Sie entwickelt und spaltet die Begriffe und erweitert dadurch
den Kreis derselben; als Sprache der feineren, von der Natur ferner
lebenden Gesellschaft beschränkt sie sich zwar, wie eben bemerkt
worden, auf eine kleinere Zahl von Gegenständen, aber als Sprache der
Wissenschaft erstreckt sie sich weit über die Volksbeobachtung hinaus
über die ganze Natur, sie bedarf also neuer Wörter und bildet diese
durch Ableitung und Zusammensetzung aus dem vorhandenen Sprachvorrath,
oder entlehnt sie, der minder günstige Fall, aus fremden Sprachen.
Noch bedeutender und wohlthätiger wirkt sie durch innerliche
Bereicherung, indem sie die Bedeutungen der Wörter auf neue Begriffe
und Nuancen derselben hinüberführt, und ihnen eine bis dahin unbekannte
Geltung verschafft. Ob die Ausbildung, welche die Sprache
durch die feinere Gesellschaft, die Schriftsteller und die Grammatiker
erhält, auf die grammatischen Formen schaffend, ihren Kreis erweiternd,
wirkt? ist eine schwierige, kaum mit Unterscheidung aller verschiedenen
Fälle genau zu beantwortende Frage. Dass die grammatischen
Formen im Laufe der Zeit abnehmen, ist gewiss, und namentlich
an dem germanischen Sprachstamm durch die meisterhaften, und in
keiner andren Sprache bisher aufzuweisenden Arbeiten Jacob Grimm's,
denen sich die Boppischen angeschlossen haben, auf das überzeugendste
factisch dargethan. Hieran aber möchte ich der Cultur nur den geringeren
Antheil beimessen. Es geschieht dies auch im Munde des Volks
durch das Abschleifen der Endungen im langen Gebrauch, aber da dies
Abschleifen erst entsteht, wenn diese Endungen für das Gefühl bedeutungslos
werden, eigentlich durch das Erkalten und Erstumpfen des nur
in den früheren Epochen der Sprachen frischen und lebendigen Sprachsinns.
Denn wir mögen es nun begreifen oder nicht, so kann es nicht
abgeläugnet werden, dass die Sprachen ein Hauch der Menschheit aus
dunkler, unbekannter Zeit her scheinen, der sich zwar von Generation
zu Generation mittheilt, aber in derselben Sprache nicht wieder erneuert,
sondern verweht, eine Glut, die, je ferner ihrem Ursprunge, desto
fühlbarer erkaltet. Auf die Ausmärzung von Formen, welche im Gebrauch
wohl entbehrt werden können, aber aus lebendigerer, gleichsam
mehr ursprünglicher Naturansicht, und tieferem Gefühl seiner selbst
hervorgegangen sind, hat die Cultur wohl Einfluss. So findet sich der
200Dualis im Slawischen und Germanischen Sprachstamm nur noch in
Volksmundarten. Auch jene allgemeine Verarmung der Grammatik befördert
und beschleunigt sie gewiss. Denn worin, als darin, dass sie immer
Volkssprache geblieben ist, und eigentlich keine Literatur besessen
hat, läge es wohl sonst, dass die heutige Litthauische Sprache ihre ursprünglichen
grammatischen Formen reiner und vollständiger bewahrt
hat, als ihre heutigen Slawischen und Germanischen Schwestern? Wenn
aber die Sprachen von einem Culminationspunkt der Grammatik herabsteigen 6668,
so fragt es sich, ob es in den Phasen, die sie durchgehen, auch
ein Aufsteigen zu demselben giebt, und welchen Antheil, der dann nur
ein bereichernder seyn könnte, die Cultur an diesem nimmt? An ein solches
Aufsteigen, auf das ich in der Folge noch werde öfter zurückkommen
müssen, glaube ich allerdings, nur in sehr verschiedenem Masse
und in sehr verschiedner Art nach der eigenthümlichen Beschaffenheit
der Sprachen. 6769 An sich aber liegt es in der Natur der Sache in vielen,
und die Zergliederung der vorhandenen Sprachen bietet auch einzelne,
jedoch nur sparsam aufzufindende beweisende Thatsachen dazu dar.

93b. Ein sehr einleuchtendes Beispiel aus der Mbayischen Sprache
habe ich in einer früheren Schrift gegeben. 6870 Das Zusammenschmelzen
des Hülfsverbum mit dem Stammworte im Futurum der Romanischen
Sprachen in ihrem späteren Zustande, da sie in dem früheren noch Pronomina
dazwischen schoben, gehört auch hierher; amar ai, amar l'ai,
aimerai. 6971 Ganz gewöhnlich ist in den Sprachen die Erscheinung, dass
Affixa, die ursprünglich eigene Wörter waren, sich im Gebrauch abschleifen
und den Stammlauten aneignen. Von dieser gewissermassen
gedankenlosen Assimilation aber ist eine offenbar absichtlich aus richtigem
Gefühl der Analogie der Sprache im Ungrischen im Laufe der Zeit
entstandene auf eine merkwürdige Art verschieden. Die Ungrische
Sprache theilt nämlich die Vocale in drei Classen, starke, a, o, u, schwache,
e, ö, ü, und gleichgültige, 1. / ä, i, e. In wahrhaft Ungrischen Wörtern
finden sich niemals zugleich Vocale der beiden ersten Arten, die Vocale
eines jeden gehören bloss einer von beiden an, nur die der dritten vermischen
sich mit beiden. Dies ursprüngliche Bildungsgesetz der Wörter
geht auf die grammatische Anfügung über. Der Vocal des Stammworts
bestimmt den des Affixes; hal, Fisch, hal-ak, die Fische, kar, Arm, karok,
die Arme, üst, der Kessel, üstök, die Kessel. Die Affixa können
aber zum Theil mit einem suffigirten Pronomen allein stehen, und alsdann
bestimmt ihr Vocal den des Pronomen. So wird nek, die den Dativ
bildende, aber immer suffigirte Praeposition, zu nak in halnak, dem
Fische, behält dagegen sein e in nekem, mir, neked, dir u. s. f. Es gilt
daher als allgemeines Gesetz, dass der Vocal des selbständigen Worts
unverändert bleibt, dagegen der des abhängigen sich nach jenem umwandelt.
201Dieser Vocalwechsel unterscheidet sich sehr sichtbar von dem
in den Sanskritischen Sprachen üblichen. Dieser letztere gründet sich
zum Theil gewiss, vielleicht aber auch ganz auf die Leichtigkeit der
Aussprache, besteht in einer durch die Endsylben des Worts auf dessen
Anfangs sylben ausgeübten Wirkung, und knüpft sich, wo sie bedeutsam
ist, an die grammatische Unterscheidung der Formen. Der Ungrische
Vocalwechsel beruht auf dem Wohllautsgesetz, in demselben Wort
nur gleichartige Vocale zu lieben, besteht immer in einer Wirkung der
Anfangssylben auf die Endsylben, und wird zum Bindungsmittel der
Einheit des Worts, verwandelt das getrennte oder locker angefügte
grammatische Zeichen in wirkliche Beugung. Je mehr sich also das Gesetz
dieses Vocalwechsels in der Sprache befestigt, desto mehr besitzt
sie Grammatik. Denn sie unterscheidet alsdann immer sorgfältiger, und
bezeichnet immer sichtbarer den Unterschied zwischen der Materie
und der Form der Sprache, was das Ziel aller Grammatik ist. Nun ergiebt
sich aus der Vergleichung der ältesten Denkmäler der Ungrischen
Sprache, dass dies Gesetz ehemals in geringerem Umfange beobachtet
wurde, als jetzt, und zwar mit folgendem merkwürdigen Unterschiede.
Bei Affixen, die niemals Selbständigkeit erhalten, und nur in einem einfachen
Consonanten bestehen, der mit einem Bindevocal an den Endconsonanten
des Wortes geheftet wird, wie das t des Accusativs, folgt
bei den Aelteren und Neueren dieser Bindevocal dem des Worts; hal-at,
den Fisch, tüz-et (spr. tüset), das Feuer. Affixa dagegen, die unter Umständen
selbst Suffixa annehmen, erscheinen in den ältesten Sprachurkunden
noch mit unverändertem Vocal, und erst die spätere Sprache
unterwirft sie der regelmässigen grammatischen Umbildung. In dem ältesten
bekannten Denkmal der Ungrischen Sprache, einer Leichenrede,
die zwischen das Jahr 1192 und 1210 gesetzt wird, findet man daher
halal-nek, dem Tode, Paradisum-ben, in dem Paradiese, wo die spätere
und heutige Sprache halal-nak, Paradisum-ban sagen. Dieselbe Unregelmässigkeit
dauert, und zwar immer nach dem Grade ihrer mehreren
Selbständigkeit, auch bei nachfolgenden Schriftstellern noch fort, und
hat sich bei dem gemeinen Volke, vorzüglich in einigen Gegenden, bis
auf den heutigen Tag erhalten. So ist dies auf der einen Seite also ein
wirkliches Beispiel der sich durch die gebildete und Schriftsprache befestigenden
Gesetzmässigkeit grammatischer Formen, indem es zugleich
auf der andren die Beharrlichkeit zeigt, mit welcher das Volk sich
der Umänderung stammhafter Vocale widersetzt. 7072

93c. Wir stehen nur überall den ältesten Sprachepochen zu fern, und
das erste Gerinnen der Elemente zu einer Sprache geht so unmerklich
vor, dass es uns vielleicht selbst unter unsern Augen entschlüpfen würde.
Die Entstehung der Romanischen Sprachen gehört uns geschichtlich
sehr wohl bekannten Jahrhunderten an. Allein trotz der treflichen
202Arbeiten Raynouards bleibt uns gerade das Wichtigste, der unmittelbare
Austritt aus der Römischen in die neue Form auch am meisten in
Dunkel gehüllt. Zur Entscheidung der Frage über die Bereicherung der
Sprachen an grammatischen Formen durch die erhöhete Bildung wird
es daher besser seyn, ohne Rücksicht auf so fern liegende Sprachepochen,
die verschiedenen Arten zu bestimmen, in welchen diese Frage
genommen werden kann. Die Grammatik gewinnt nämlich und erweitert
sich, indem, was ursprünglich blosse, noch willkührlich verschiebbare
Redensart, Aneinanderreihung von Sachworten ist, zu fester
Form, zu durch den grammatischen Begriff bestimmtem Sachworte
wird; oder wenn die Beugungen da, wo sie vorher mehr nach ungewissem
und zufälligem Sprachgebrauch angewendet wurden, anfangen
schärferer Begränzung der grammatischen Begriffe zu folgen; oder endlich
wenn wirklich neue Beugungslaute entstehen. Das Letzte lässt sich
von der Bildung ebensowenig, als das Schaffen neuer Wortlaute erwarten.
Allein der Gewinn an Formalität und an Uebereinstimmung derselben
mit der allgemeinen Grammatik kann und ist sehr häufig ihre
Frucht. Indess fährt auch hier die Cultur nur auf dem Wege fort, den die
Sprache schon selbst gebahnt hat. So mannigfaltige Materialien auch
selbst das Chinesische besitzt, um zu Flexionen oder einem Analogon
davon zu gelangen, so hat doch die in dieser Nation so bedeutend vorgeschrittene
literarische Cultur die Sprache diesem Baue nie um einen
Schritt mehr genähert. In der jetzt auch literarisch gewordnen Volkssprache
liegt allerdings eine solche, wenn gleich sehr geringe Annäherung.
Ob aber die Volkssprache diesen Schritt erst in der Folge der Zeit
gethan, oder ob sie sich schon immer vom älteren Stil unterschied? lässt
sich nicht gehörig entscheiden. Wieviele Jahrhunderte das Sanskrit in
allen Zweigen der Wissenschaft und Dichtung bearbeitet worden ist, so
hat sich die bestimmte Bedeutung der Tempora nie so scharf darin abgegränzt,
als wir es schon in dem ältesten Denkmale Griechischer Sprache,
im Homer, antreffen. In den Constructionen dagegen verdankt die
Sprache der gesellschaftlichen und literarischen Bildung die bedeutendsten
Bereicherungen, da es hier nicht auf das Schaffen eines neuen
Stoffs, sondern auf das Eingehen neuer Verbindungen, anderes und anderes
Verschlingen des Gedanken ankommt. Dies kann, wie wir am
Griechischen sehen, rein und ausschliesslich aus dem Schoosse der eignen
Sprache geschehen, aber es entsteht vorzüglich auch da, wo verschiedene
Sprachen in ihren Literaturen auf einander wirken. Je freier
und vielseitiger eine Nation in ihrem geistigen Schaffen, je mehr sie von
der Ueberzeugung durchdrungen ist, dass das in jeder Sprache einzeln
Vortrefliche muss auch aus ihr auf irgend eine eigenthümliche Weise
zurückstrahlen können, desto mehr erweitert sie den gesetzmässigen
Kreis der Behandlung ihrer Sprache. In der Deutschen ist dieser Vorzug
203besonders sichtbar, und sie hat hierin ein grosses und edles Vorbild an
der Römischen. Kein Volk ist wohl je eifersüchtiger auf seine Nationaleigenthümlichkeit
gewesen, als das Römische, und doch leuchtet aus
den Schriftstellern der schönen Zeit der Römischen Literatur, vorzüglich
den Dichtern, das Bestreben sich Griechische Sprachformen und
Wendungen anzueignen unverkennbar hervor. Es wäre durchaus ungerecht,
die Nationen darum einer tadelhaften Nachgiebigkeit gegen das
Fremde zu beschuldigen. Das Bewahren der Nationalitaet ist nur dann
wahrhaft achtungswürdig, wann es zugleich den Grundsatz in sich
fasst, die scheidende Gränze immer feiner, und daher immer weniger
trennend zu machen, sie nie zu beengender Schranke werden zu lassen.
Denn nur dann fliesst es aus einem wirklichen Gefühl für die Veredlung
des Individuums und der Menschheit her, welche das letzte Ziel alles
Strebens sind. Wie bei Völkerzügen und durch andre geschichtliche Ereignisse
Umänderungen der Sprachen durch die Mischung der Nationen
erzeugt werden, so entstehen auch, wenn sich ihre Gedanken in ihren
Literaturen berühren, ähnliche, nur feinere und weniger in die
Augen fallende, und dies ist allein das Werk der Bildung und geht erst
durch sie, und nicht einmal immer, auf das Volk über. Jene geschichtliche
Mischung der Nationen selbst wirkt, wie alles, was Natur und
Schicksal herbeiführen, vorherrschend und sprachenerzeugend, beginnt
aber bei dem am meisten Materiellen in der Sprache, dem Einführen
neuer Wörter, und dringt, auch wo sie dies in überschwenglichem
Masse thut, und selbst in der Betonung, einem jeder Sprache so eigenthümlichen
Punkt, sichtbar ist, doch, wie das Beispiel des Englischen 7173
zeigt, in den wortverknüpfenden Sprachbau nicht immer tief ein. Die
Wörter aber weiss sie durch den täglichen Volksgebrauch bis zu organischer
Einverleibung zusammenzuschmelzen. Die intellectuelle Berührung
ist auch im intellectuellen Theile der Sprache wirksamer, und trift
daher am meisten die Construction. Die durch sie eingeführten Wörter
sind mehr technische und wissenschaftliche, als tief ins Leben eingreifende,
und bleiben oft mehr ein äusserer Zuwachs, als sich mit der
Sprache wahrhaft innig zu verschmelzen.

94. Nimmt man nun den sprachbereichernden Einfluss der gesellschaftlichen
und schriftstellerischen Bildung zusammen, so ist er wesentlich
kein Schaffen neuen Stoffs, sondern besteht vorzüglich darin,
dass sich die Bildung in die fertig da stehende Sprache mehr und besser
hineinbaut, nicht das Material bedeutend vermehrt, aber in dem vorhandenen
dem erweiterten Gedanken, dem erhöheten und verfeinerten
geistigen Leben mehr Raum und mehr Wohnlichkeit verschafft. Es wird
als ein ganz allgemeiner und gar nicht erst eines Beweises bedürfender
Grundsatz angenommen, dass sich die Sprachen nach den körperlichen
und geistigen Bedürfnissen der Nationen erweitern, von einer kleinen
204Zahl von Wörtern, die sich nur auf die niedrigsten, noch wenig das
bloss thierische Leben übersteigenden Bedürfnisse beziehen, ausgehen,
und die Gränzen dieses Kreises nach und nach weiter stecken. In dieser
Ausdehnung und auf diese Weise verstanden, halte ich jedoch diese Annahme
für durchaus unrichtig. Das Sprechenlernen ist, wie im Vorigen
(§.59.) gezeigt worden, nur eine gesellschaftliche Entwicklung des
Sprachvermögens. In jedem Einzelnen liegt nothwendig die ganze Sprache
(§.54.). So wie also ein menschliches Volk menschlich da steht,
und der Mensch ist immer Mensch, erhebt sich nicht allmählich von
thierischem zu menschlichem Daseyn, ist auch eine vollständige, in alle
mannigfaltigen Tiefen des Gemüths Wurzel schlagende, und sich möglicherweise
in alle Regionen des Weltalls, über alle darin vorhandene
Gegenstände ausdehnende Sprache gegeben. Wie Eine schöne Frühlingsnacht
auf einmal alle Blüthen eines vollen Baumes hervortreibt,
damit und damit allein möchte ich die Sprachen vergleichen. Nachher
entsteht wenig neuer Stoff mehr in ihnen, nur der vorhandene bildet
sich und wird fortgebildet. Je mehr ich Sprachen von Nationen studire,
die man gemeinhin dem Ursprung aller Sprache näher glaubt, desto
mehr bestärke ich mich in dieser Ansicht. Denn von allem, was ich hier
bekämpfe, lässt sich in der Wirklichkeit der Sprachen auch nicht die
mindeste factische Spur nachweisen. Wie herabsetzende Schilderungen
man auch von Stämmen einzelner Wilden, und vielleicht auch nicht
immer mit Recht, entwerfen mag, so ist, wie man irgend genügende
Nachrichten von ihrer Sprache hat, der Mensch ganz und rein darin. In
jeder liegt die Schilderung des auf den Menschen äusserlich einwirkenden
Naturganzen, in jeder finden sich die Anklänge des innern Bewusstseyns
und Gefühls nach allen Richtungen hin, in jeder schon deutliche
Beweise, wie der sinnliche Begriff zu geistiger Andeutung geworden ist.
Jeder ist der wesentliche grammatische Typus eingeprägt, und diese Regelmässigkeit
der Form wirkt schon auf den Gehalt des Stoffes zurück.
Wenn nun auf diese Weise überall Anklänge von Ideen angetroffen werden,
wenn man, bei gehöriger Kenntniss, für keine eine Handhabe vermissen
würde, wenn eine Anzahl unläugbar bestimmte Ausdrücke besitzt,
wie lässt sich da beschränkend behaupten, dass die Sprache sich
noch nicht über diese oder jene Stufe des Menschendaseyns erhoben
habe? Ist nicht vielmehr der Stoff zu Allem vorhanden, und liegt es an
mehr, als dass er innerlich, durch mannigfaches Denken und Sprechen
reiner, klarer und vielfacher entwickelt werde? Denn an diesen Entwicklungsstufen
wird niemand zweifeln, sie setzen aber alle schon volles
Menschendaseyn voraus. Etwas andres ist es, dass allerdings nach
der Lage der Völker und ihrer Beschäftigungen verschiedene Classen
von Gegenständen auch mit verschiedenem Wortreichthum ausgestattet
sind. Aendert ein Volk seinen Wohnort oder seine Lebensweise, wird
205es von der Mitte des Landes ans Meer versetzt, so ändert sich natürlich
jenes Verhältniss und die neue Natur und neue Beschäftigung erhalten
vorher nicht im Gebrauche gewesene Benennungen. Diese aber werden
alsdann entweder von einem fremden Volke entlehnt, oder durch die
inneren Mittel, welche jede Sprache besitzt, ohne neue Erfindung von
Grundwörtern, aus den vorhandenen neue Ausdrücke zu bilden, aus
der eignen Heimath genommen. Aber auch von dieser Spracherweiterung
rede ich mehr hypothetisch. Ein wirkliches Beispiel ist mir nicht
bekannt, und in dem Zustande, in dem wir die Nationen kennen, sind
sie schon dergestalt alle Zustände der Menschheit durchgangen, haben
sich dergestalt gemischt und haben soviel allmähliche Ueberlieferungen
auch von weiter Ferne her erhalten, dass sehr zu zweifeln ist, ob es z. B.
auch in der Mitte der grössesten Continente ein einziges Volk geben
mag, dessen Sprache ein Ausdruck für das Meer fehlte. Allein aus der
Gleichförmigkeit dieses Ausdrucks in einem grossen Theile von Süd-Amerika
lässt sich schliessen, dass er nicht aus dem Schoosse der einzelnen
Sprachen hervorgegangen ist, sondern sich durch Sage und Ueberlieferung
verbreitet hat.

95. Die Zahlen, von denen einige Nationen wirklich nur sehr wenige
bestimmt bezeichnen, sind oft als ein Beweis des dürftigen Anfangs der
Sprachen angeführt worden. Die geringe Anzahl der Zahlwörter liegt
aber gar nicht in der Armut der Sprachen, sondern in der Natur des
Zahlensystems selbst, das, wie der Mensch sehr frühe richtig fühlt, zu
seiner Vollkommenheit nicht vieler Grundwörter, sondern bequemer
Verbindungen und Vervielfältigungen weniger bedarf. Dazu aber liegen
die Mittel in jeder Sprache, und deutliche Spuren zeigen auch, dass sich
auf diese Weise das Zahlensystem, ohne alle Erfindung neuer Wurzellaute,
bloss durch sinnige Benutzung des vorhandnen Wörtervorraths
erweitert. In den Inselsprachen der Südsee sind die Wörter für einige
grössere Zahlen sichtbar aus Haar entstanden, obgleich jetzt nicht in
jedem Dialect die sich auf diese Weise entsprechenden Ausdrücke zugleich
im Gebrauch sind. 7274 Im NeuSeeländischen wird schon 10 so ausgedruckt,
in den übrigen Dialecten 100. Nun ist es aus vielen Reisebeschreibern
bekannt, dass uncultivirte Nationen, wenn ihre Hände, Füsse
und Zehen nicht mehr ausreichen, um eine grössere Zahl anzudeuten,
ihre Haare zeigen. Es ist also hier die unbestimmte Menge zu dem Zeichen
einer grossen bestimmten Zahl.geworden. Dass dieselbe Umwandlung
mit andren Zahlwörtern vorgegangen ist, zeigt auch der Umstand,
dass in verwandten Mundarten dasselbe Wort bisweilen für verschiedene
Zahlen gilt. So ist mano auf Neuseeland und Tahiti für 1000, auf den
Tonga-Inseln für 10 000 gebräuchlich. Dass der Mensch grössere Zahlen
kaum anders bezeichnen kann, liegt in der Natur der Sache, und
zeigt sich auch in den Sprachen. Der Mensch nimmt die Zahlwörter von
206Gegenständen her, die in dieser Zahl vorkommen, von den Fingern, Zehen
des eigenen Körpers, aber auch von Gegenständen ausser ihm, wie
die Abiponen vier nach den Zehen eines Vogels, fünfnach einer Tigerhaut,
wo die Flecke zu fünfen zusammenstehen; 7375 nun aber lässt sich
eine Menge von Gegenständen nie als genaue Zahl übersehen. Auch darin
mag ein Grund der geringen Anzahl von Zahlwörtern in allen Sprachen
liegen. Mit den drei ersten Zahlen scheint es eine andre Bewandtniss
zu haben, mir ist in keiner Sprache ein Beispiel bekannt, dass sie
von Gegenständen der Natur hergenommen wären. Die Menschen können
auch im gegenwärtigen Verkehr der Wörter für grössere Zahlen sehr
leicht entbehren, indem sie, wie es viele uncultivirte Völker wirklich
thun, Reihen von kleineren Quantitaeten wirklicher Dinge hinlegen und
dann im Zählen nie über die ihnen geläufige höchste Zahl hinausgehn.
Nirgends lässt sich die Sache so leicht an die Stelle des Wortes zur gegenseitigen
Verständigung setzen. Mit dem Handel, der oft mit Auswärtigen
geschieht, verbunden, führt endlich das Zählen leicht fremde Wörter
ein, die aber oft abgesondert in der Sprache stehen bleiben, und
keine Verwandtschaft weder beweisen noch begründen. Es lässt sich
daher keine solche aus den fast ganz gleichen Vaskischen und Galischen
und Kymrischen Wörtern für 2, 6, 7 schliessen. Diese Wörter sind, wie
sie selbst zeigen, aus dem Lateinischen oder einer dieser verwandten
Sprache in sie übergegangen. Neben diesen stehen rein einheimische
Zahlwörter, aber mehr im Vaskischen als in den beiden andren Sprachen,
und in diesen ist keine Aehnlichkeit auffallend. Es ist daher anzunehmen,
dass jene fremden Zahlen die einheimischen Laute verdrängt
haben. Im Tahitischen ist diese Verdrängung noch sichtbar. Denn für 2
geht durch alle Inseldialecte der Südsee, und durch den ganzen Malaiischen
Sprachstamm das Wort der Sanskritischen Sprachen: Neu-Seeländisch
dūa, Tahitisch rua 7476, Sandwichisch lua 7577, Tongisch: ua (wozu
das Wort in Zusammensetzungen auch im Tahitischen und NeuSeeländischen
wird, maua 7678, wir beide). Es giebt aber überhaupt im Malaiischen
und namentlich in den Südseedialecten mehrere Sanskritwörter.
In den Zahlen aber ist 2 das einzige, und dies ist gerade in das Pronomen
(dessen erste Person aber auch Sanskritisch ist) verwebt. Auf diese
merkwürdige Erscheinung werde ich ein andresmal zurückkommen.
Hier bemerke ich nur, dass im Tahitischen 2 auch ein gar nicht mit Sanskritischen
verwandtes Wort piti hat. Welches von beiden mag nun das
frühere seyn? Synonyma von Zahlen gehören zu den seltensten Erscheinungen
in den Sprachen, lassen sich aber durch Sprachvermischung und
selbst durch Beziehung des Zahlbegriffs auf verschiedne Gegenstände
erklären. Im Tahitischen bin ich einem zweiten auf der Spur: pae 7779 für 5,
da diese Zahl sonst in allen Dialecten (nach der obigen Ordnung dïma,
rima, lima, nima) Hand ist. Aus allen diesen Gründen ist die so vorzugsweise
207versuchte Zusammenstellung der Zahlen der Nationen, so merkwürdige
Folgerungen sich auch vielfach daraus ziehen lassen, für das
Innere der Sprachen nicht von der Wichtigkeit, die man ihr oft beigelegt
hat. Das Zahlensystem macht ein gewissermassen abgesondertes Gebiet
für sich aus, hat seine eigenen Gesetze und Analogieen, und druckt mehr
diese den verschiedenen Sprachen auf, als sich in ihm die Verschiedenheiten
dieser spiegeln. Man muss immer erst wissen, ob die Verschiedenheit
von Zahlwörtern daraus herrührt, dass die Zahlen auf verschiedne
Gegenstände bezogen sind, oder daraus, dass derselbe Gegenstand verschieden
benannt wird, ehe sich das mindeste daraus schliessen lässt.

96. Die Elemente der Sprache sind an sich nur Töne, man kann das
Wort als blossen, ja leeren Schall der Sache, der Empfindung entgegensetzen,
die Geltung vor dem Verstande hebt diese seine Wesenlosigkeit
nicht auf, sie nimmt vielmehr zu, je klarer und vollständiger sein Inhalt
durchschaut wird. Auf der andren Seite schlägt das Wort Wurzel in der
Phantasie und dem Gefühl, wenn diese lebendiger sind, als der zergliedernde
und dialectisirende Verstand. Es hat zugleich geheimnissvolle,
nicht immer klar zu machende, symbolische Anklänge an den Gegenstand,
den es bezeichnet, die nicht immer an diesem selbst fühlbar werden,
wohl aber an solchen andren Wörtern, deren Gegenstände die Anschauung
und Phantasie ähnlich anregen, so wie im Deutschen Wolke,
Welle, wehen, Wolle, weben, wickeln, wälzen, wollen u. a. m. in unverkennbarem
Lautzusammenhange stehn. Wort und Sprache können also
leerer, trockner und kälter, einseitig mit dem Verstande, oder voller, frischer,
lebendiger, tiefer mit der Anschauung, der Einbildungskraft, dem
Gefühl, dem unbewusst wirkenden Sprachsinn aufgenommen werden.
Diese Aufnahme scheint ihnen selbst fremd, aber wenn sich auch nicht
läugnen lässt, dass ihre Beschaffenheit einen wesentlichen Einfluss darauf
ausübt, so scheint die Folge für sie gleichgültig. Dies ist aber, genau
untersucht, nicht der Fall. Die Sprache trägt immer den Hauch ihres in
ihren Schicksalen im wirklichen Sprechen erfahrenen Lebens an sich.
Die mehr zum Anschauen, Empfinden und Handlen gebrauchte, an
kräftigere Gedanken, Phantasieen, Gefühle, Leidenschaften öfter geknüpfte
gewinnt eben dadurch und bewahrt mehr nährende und entzündende
Kraft, als eine nur an schwach aufwallende oder gleich gezügelte
und beschränkte gebundne, meistentheils im Gebrauche bloss aufhellenden
und ordnenden Verstandes befangne. Die Quelle dieser Kraft,
Frische und Lebendigkeit der Sprachen kann daher in den Nationen
nicht in den gebildeten Classen, insofern sie dem Volke entgegenstehen,
gesucht werden. Sie gehören dem Volke und jenen Classen, insofern sie
Eins mit ihm ausmachen, oder jene Kraft, neben der Bildung, in sich
erhalten, an. Ihrer Natur nach schwächt die Bildung dieselbe, und dann
ist, um sie in der Sprache nicht sinken zu lassen, rege und lebendige
208Gemeinschaft der höheren Sprache mit der Volkssprache nöthig. Conventioneller
Zwang, einseitigere Verstandesbeschäftigung und weniger
unmittelbare mit der Natur bringen dies hervor. Am nachtheiligsten
wirkt es auf die höhere Gesellschaftssprache, und es ist daher immer
schlimm, wenn diese vorherrschenden Einfluss auf die Schriftsprache
hat oder im Moment der schönsten Literatur gehabt hat. Der günstige
Fall ist allemal der umgekehrte. Allein auch den wahren Sprachsinn, die
durch die Worte und Wendungen gehende Analogie, ob sie gleich nicht
zum deutlichen Bewusstseyn kommt, den Sinn, in dem Worte mehr als
blossen Schall oder kalten Begriff zu finden, bewahrt das Volk treuer
und besser, als dies Sache der gebildeten Stände ist. Bei wenig geflissentlicher
Beschäftigung mit Gegenständen des Nachdenkens geht dem Volke
das wahre Licht über die Begriffe oft erst in der Wortform auf, und
so viele Wortspiele und sprichwörtliche Redensarten im Munde des
Volks beweisen klar, wie es in der Wortbekleidung selbst einem tieferen
Sinne nachspürt. Dies liegt, wie es mir scheint, darin, dass die Sprache
auf das Volk mehr in ihrer geschlossenen Gesammtheit wirkt, und der
Sinn des Volks, gerade weil er mehr fühlt, als zergliedert, für diese Wirkung
empfänglicher ist. Die sogenannte gebildete Sprache ist eine nach
absichtlichem Gebrauch gespaltne, gereinigte, also verarmte, in ihrem
Zusammenhange zerrissene. Dies zeigt die Vergleichung jedes für die
Schriftsprache bestimmten Wörterbuchs mit dem wahren, aus andren
Hülfsmitteln bekannten Sprachschatze. Der Sprachforscher muss immer
über die Schrift- und Gesellschaftssprache hinausgehn. Die Verstandesbildung
wird immer einigermassen auf Kosten des unentwickelten
Gefühles erworben, und verkennt auf den untersten und mittleren
Stufen sogar die Rechte desselben, erst wenn sie zum letzten Ziele
durchdringt, verbessert sie diesen zwiefachen Fehler. Die Sprache erfährt
aber vorzüglich das Unglück, dass die auf sie gerichtete Bildung
meistentheils nur einseitig ordnend, sichtend, aufhellend, aber eben dadurch
die Fülle, die Kraft, die Wirkung der in ihr liegenden, nie ganz zu
entwickelnden Analogie verletzend ist. Der blosse Verstand, nicht der
Volkssinn, sträubt sich die Sprache als wesentlich mit dem Menschen
verwachsen, als ein nie ganz zu ergründendes Geheimniss zu betrachten,
und neigt immer hin, sie nur als einen Inbegriff gesellschaftlich erfundener,
in sich gleichgültiger Zeichen, deren lästiger Verschiedenheit
man nun einmal nicht los werden kann, anzusehen. Es ist nicht zu verhindern,
dass diese Art der Bildung nicht auch auf das Volk übergeht,
der Schulunterricht verbreitet sie absichtlich, bemüht sich das Sprechen
zu regeln, die Provincialismen zu vertreiben, theilt sogar theoretische
grammatische Begriffe mit. Es würde ein Misgriff seyn, dies zu tadeln.
Jede Aufhellung der Begriffe, jede Gewöhnung, alles, was der Mensch
thut, der ihm vom Verstande vorgeschriebenen Regel zu unterwerfen, ist
209wohlthätig und im Entwicklungsgange der Menschheit geboten. Es wäre
auch überflüssig, etwas dagegen zu unternehmen. Die grössere Kräftigkeit,
der mehr umfassende Reichthum der Volkssprache, die Fülle der
Dialecte währen doch solange das ihnen inwohnende Leben währt, und
sie über diesen Punkt hinaus erhalten zu wollen, wäre thöricht und unmöglich
zugleich. Worauf dagegen allerdings hingearbeitet werden
müsste, wäre jene Bildung weniger dürftig und wahrhaft in das Volk
eindringender zu machen, den Unterricht von der bloss scheinbar wissenschaftlichen
Zurüstung zu befreien, ihn weniger pedantisch puristisch
einzurichten, minder auf die Form, die, bei geistloser Behandlung,
so leicht zur leeren Hülse wird, als auf den Kern der Sprache, die in den
Wörtern liegenden Begriffe, Andeutungen, Bilder zu richten. Was ich
hier zu Gunsten der Volkssprache gesagt habe, gilt indess, wie ich noch
hier bemerken muss, hauptsächlich nur von Sprachen reinen, ungemischten
Ursprungs, oder an denen die vorhandene Mischung nicht
mehr fühlbar genug ist um die Sprache zu hindern, in wahrhaft organischer
Einheit zu wirken. Jede Mischung stört natürlich die natürliche
Sprachanalogie, wenn sie aber eine Zeitlang gewährt hat, bildet sich
eine neue, da die Sprache immer strebt, sich, das Verschiedenartige homogen
machend, zu einem Ganzen abzurunden. Der Unterschied liegt
daher nicht sowohl darin, ob die Sprachen rein oder vermischt sind,
denn höchst wahrscheinlich giebt es keine einzige unvermischte, sondern
nur in welchem Grade die Störungen der Mischung sich wieder ins
Gleichgewicht gesetzt haben.

97. Wenn die Bildung, die gesellschaftliche und schriftstellerische,
wie nicht zu läugnen ist, auf der einen Seite die Kraft der Volkssprache
schwächt, so schafft sie auf der andren in der Sprache eine neue, höhere,
edlere und wohlthätigere, welche allein ihr angehört. Die Bildung
ist, ihrem allgemeinen Begriffe nach, eine stärkere und mehr abgesonderte
Richtung auf das Intellectuelle. Dies liegt selbst ihren niedrigeren
Graden, der blossen Verfeinerung, und sogar ihren Ausartungen zum
Grunde, ihre wahre und edle Bedeutung aber wird dadurch erschöpft.
Wenn nun der Mensch, durch den inneren Drang seines Geistes getrieben,
höhere Punkte auf dieser Bahn zu erreichen versucht, so bedarf
und gewinnt er durch die sich vor ihm erschliessende Idee eine Kraft,
die man allgemein die der Begeisterung nennen kann. Diese lebt in der
Philosophie, der Dichtung, der Kunst, so wie in der grossartigen Behandlung
jeder Wissenschaft, endlich, wenn sie auch da nicht selbstschaffend
ist, in schwächerem oder stärkerem Anklang in jedem, der
für diese Bestrebungen Sinn besitzt. Sie kann, wenn auch auf natürlicher
genialer Anlage beruhend, doch da wo einmal Scheidung zwischen
Volk und höher Gebildeten vorhanden ist, immer von Bildung abhängig,
nicht dem Volke, als solchem, angehören, aber der aus ihr hervorgehende
210Sinn liegt der Sinnesart des Volks näher, als der Manier der auf
halbem Bildungswege stehen Gebliebnen. Diese Gattung geistiger Erzeugung
bindet sich nun in ihrer Behandlung der Sprache nicht an willkührliche
Gesetze und Convenienzen bloss gesellschaftlicher Bildung,
geht auf den ganzen Sprachreichthum, die Volkssprache, die alterthümliche
zurück, und schafft sich dadurch eine eigne, in welcher Anschauung,
Phantasie, Nachdenken und Gefühl sich in Freiheit und Kraft bewegen,
wo aber überall Harmonie und Gleichgewicht walten, und Mass
und strenge Scheu den wahren inneren Tact vor jedem Misklang bewahren,
weil eine idealische Ansicht herrscht, und Alles, was unter die
Betrachtung kommt, der Wirklichkeit enthoben, in das Gebiet des Gedanken
hinübergeführt wird. Wie die Sprache, gleichsam als ein Naturwesen
in Einheit auf das Volk einwirkt, so wird hier aber durch die zum
höchsten inneren Gefühl der Sprache gelangende Kraft auf sie in Einheit
zurückgewirkt, und die Sprache kommt dieser, ihrer Natur angemessnen
Begegnung freiwillig entgegen. Dieser letzten Stufe bedarf die
Sprache allemal zur Vollendung ihrer Ausbildung. Die Erringung dieses
Ziels hängt mit der Schrift und der Literatur zusammen. Es fragt sich
nur hier, ob sie eine selbstschaffende, oder bloss eine sammelnde, ordnende,
nachbildende Literatur, und in welchem Grade beides besitzt?
Wie der Geist etwas wahrhaft Neues schafft, muss er mit der Sprache,
es auszudrucken, ringen, durch dies Ringen, zu welchem sie ihm selber
die Kraft leiht, gewinnt die Sprache, sie kann sogar auf dem intellectuellen
Wege nur so und auf keine andre Weise gewinnen. Denn nur so
wirkt der Mensch mit einer Kraft auf sie, welche, wie sie selbst, aus seinem
Innersten hervorstrahlend, ihm in der Art ihres Wirkens selbst unbekannt
ist. In diesem intellectuellen Streben, das sich, so wie einmal
das Höchste darin gezeigt ist, absteigend, nie allmählich aufsteigend, in
schwächeren Graden weiter verbreitet, geht, wie überhaupt, so ganz
besonders für die Sprache, das Wichtigste und Wohlthätigste von der
Philosophie und der Dichtung aus. Die Dichtung gehört ihr ganz und
ausschliesslich an, aber auch die Philosophie steht mit ihr in einem engeren
Bunde. Da sie rein auf Gedanken beruht, und der Gedanke untrennbar
mit der Sprache verwachsen ist, so muss die wirklich schaffende
Philosophie (denn nur von dieser kann und darf hier die Rede seyn)
sie so behandeln, dass sie den Gedanken, wo er über das logisch Erklärbare
hinausgeht, ergänzt und seine Erzeugung befördert. Die Sprache
empfindet daher ihre Wirksamkeit in ihrem innersten Leben und ihren
verborgensten Tiefen, und eine wahrhaft und in Freiheit metaphysisch
gebildete Sprache, in der Art wie es die Griechische war, ist zur Erreichung
der höchsten Intellectualität in einer Nation eine unerlassliche
Bedingung. Die Philosophie, in deren Bestreben es liegt, immer das Einzelne
an Allgemeineres zu knüpfen, und endlich in die Tiefe hinabzusteigen,
211wo der Mensch und die Natur sich in Einheit zusammenschliessen,
ist zugleich der Mittelpunkt, von dem jedes wissenschaftliche, ja
überhaupt jedes nur irgend auf innere Zwecke gerichtete menschliche
Bemühen seine Richtung und sein geistiges Leben empfängt. Es giebt
daher kaum einen Punkt, wo die Sprache ihres wohlthätigen Einflusses
entbehrt. Je wahrhaft[er] philosophisch der Charakter der wissenschaftlichen
Bildung in einer Nation ist, desto fördernder wird er der
Sprache. Es wäre ein Irrthum zu glauben, dass darum die Dichtung in
ihr verlöre. Vielmehr welkt diese früher und unwiederbringlich dahin,
wo sie in einem Zeitalter oder einem Volk allein, ohne gleichmässiges
philosophisches Fortschreiten desselben, aufblüht.

98. Erstirbt nach und nach die Kraft des genialischen intellectuellen
Schaffens, so kann aus der Bildung nicht mehr etwas innerlich Bereicherndes
oder Belebendes hervorgehn, und die Spaltung, die sie zwischen
ihrer und der Volkssprache gemacht hat, ist zu gross, als dass diese
erfrischend auf sie einwirken könnte. Die Sprache hat dann ihren
Gipfelpunkt ohne Möglichkeit einer Rückkehr zu ihm erreicht, und ein
neuer Glanz kann nur in einer neuen Form aufflammen. 7880 Es war daher
ein sehr glücklicher Wurf des Schicksals, dass in den Verheerungen und
Völkermischungen in Italien die Römische Sprache dergestalt untergieng,
dass die Italienische in ganz neuer Gestalt auftreten musste und
hernach, von vielen politischen Ereignissen begünstigt, in jugendlicher
Frische auf die grossen Männer wirkte, an denen keine andre Nation
gleich reich gewesen ist. 7981 Die Griechische Sprache war hierin unglücklicher.
Der ungeheuren Verwüstungen und der wiederholten Völkereinfälle
ungeachtet, denen das unglückliche Land unaufhörlich ausgesetzt
war, hielt sich, wozu vielleicht die Gebirge und die Zerstreuung der Bevölkerung
auf minder zugänglichen Inseln beitrug, die Sprache fester in
den Bewohnern, ward aber mit vielen fremden, sich nicht organisch mit
ihr verschmelzenden Wörtern vermischt und sank in der, das Bewusstseyn
ihres wundervollen Baues mehr und mehr verlierenden Nation
zum blossen Volksdialect herab. Das Neugriechische kann sich von den
Fesseln dieser Verderbniss nicht mehr befreien, und hat dabei keine entschädigenden
Vorzüge gewonnen, je mehr es unter den reinigenden und
sichtenden Händen seiner Bearbeiter dem Volk entzogen 8082 und der alten
Sprache näher gebracht wird, desto wehmüthiger erinnern die überall
sichtbaren Ueberreste und Trümmer an die verlorene Schönheit und
Grösse. Liesse sich auch die alte Sprache ganz wiederherstellen, so würde
der Geist erliegen im vergeblichen Ringen mit den Mustern, die einmal
nicht mehr erreicht werden können. Daher glänzt das Neugriechische
nur noch als Poesie des Volks, das, aller früheren Schicksale der
Sprache unkundig, in sorgloser Naivetät sich seiner Natur überlassend,
die Töne forthallen lässt, denen einmal ein nie ganz verklingender Zauber
212beigemischt ist, und daher steht die kraftvolle, wahrhaft dichterisch
mahlende, anmuthige und rührende Sprache der Volkslieder in so lebendigem
Contrast mit der Mattigkeit und Schwäche der Versuche der
neueren Griechischen Literatur. Bis jetzt konnte dies nicht anders seyn.
Indem auf der einen Seite die Nation von der rohesten Barbarei in ungerechter
und schmachvoller Knechtschaft gehalten wurde, suchten Gelehrte
in der Schriftsprache die alte Sprache wiederherzustellen. Sie
giengen darin so weit, dass, nach einem sehr vollwichtigen Zeugniss 8183,
in dieser Beziehung gar keine feste Gränzlinie zwischen beiden Sprachen
mehr bestimmt werden kann. Aus so heterogenen Elementen liess
sich kein wohlthätiges Zusammenwirken denken. Wenn sich aber die
Griechen, wie dazu jetzt ihnen und der Menschheit die frohe Hoffnung
aufblüht, wieder zu einem Zustande erheben, wo ihnen jeder Art des
äusseren Wohlstandes und jeder Gattung geistiger Thätigkeit in innerer
gesetzmässiger Freiheit nachzustreben vergönnt ist, so wird auch, und
alsdann wirklich aus dem neu erwachenden Volksleben, die Sprache
veredelt und erweitert hervorgehen, und die Aufgabe, ihr eine eigenthümliche
Stelle neben der älteren zu sichern, ihre Lösung durch die
That finden.

99. Die beiden entscheidenden Momente im Leben der Sprachen
sind daher ihr nicht weiter begreifliches, sich nur durch die That ankündigendes
Erscheinen, als Stoff, und die höhere Befruchtung dieses
Stoffs durch den ihr mitgetheilten Hauch intellectueller Begeistrung.
Nur in diesen beiden Punkten geht wahrhaft neue Schöpfung in ihnen
vor, wie man an allen sieht, die man vor und in der Epoche der höchsten
Blüthe ihrer Literatur kennt. Was sie sonst von dem Menschen erfahren,
ist nur das lebendige Fortwälzen, oder anders und anders Mischen
des Stoffes, oder baare und blosse, vorbereitende oder nachhallende
Cultur, mehr äusserlich, als innerlich bereichernd, mehr die Form regelnd,
als neu gestaltend. Jene beiden Momente sind aber nicht gerade,
wie Zeitepochen unterschieden. Man könnte sich denken, dass sie beide
in Einen Punkt zusammenfielen, und die Sprache und Literatur gewinnen,
wenn die Blüthe der letzteren ganz kurz nach dem Zeitpunkt erscheint,
in dem man die erstere gestaltet erblickt. Die Italienische und
Englische Literatur sind darin glücklicher gewesen, als die Französische
und die Deutsche. Es gehört, und darum habe ich diese ganze Erörterung
in diesen Theil dieses Abschnittes aufgenommen, zu dem Einfluss,
den die Sprache von der Verschiedenheit der intellectuellen Bildung,
die in einer Nation herrscht, erfährt, dass es nothwendig wird, auf jene
beiden Punkte zu achten. Das Entstehen des Stoffes der Sprache erscheint,
wie wir gesehen, immer an der Masse des Volks. Die Bildung,
die, wenn sie auch Allen gemein wäre, doch immer Sache der Einzelnen
ist, hat wenig oder gar keine, diesen Stoff schaffend erweiternde Kraft.
213Dagegen fällt die intellectuelle Bearbeitung gerade dem Individuum anheim,
und ist nicht ohne abgesonderte Richtung auf das Intellectuelle,
also ohne Bildung denkbar, wenn man nur Bildung, in welcher natürliche
Anlage herrscht, nicht bloss künstliche Cultur unter dem Worte
versteht. Was man, als einen Classenunterschied in der Nation begründend,
Bildung, Cultur, Civilisation nennt, ist wiederum sehr verschieden,
je nachdem es wirklich auf höherer und freierer Intellectualität,
richtigerer und erweiterter Ansicht, oder wesentlich nur auf kastenmässiger,
vornehmer Absonderung beruht. Beides aber vermischt sich natürlich
in der Wirklichkeit, und hat auch in der Freiheit von körperlicher
Arbeit und dem Druck der blossen Sorge des Lebens, in der geringeren
Zahl unmittelbarer Berührungspunkte mit der Natur, endlich in dem
abgesonderten Umgang, bei allem sonst so mächtigen Unterschiede, einen
gemeinsamen Charakter. Was nun die Sprache in dieser Spaltung
von der Masse der Nation, was von den Classen, die sich ihr absondernd
gegenüberstellen, was endlich von den Einzelnen, die auf irgend
einem Punkte des intellectuellen Gebiets das Höchste erreichen, zu erwarten
hat, ist im Vorigen zu schildern versucht worden. Wir haben gesehn,
wie das sichtbare Schaffen den Einzelnen angehört; denn es liegt
klar vor uns da, wozu Sophocles, Plato, Demosthenes die Griechische
Sprache, Dante und Ariost die ihrige, Haller, Klopstock, Göthe die unsrige
gemacht haben. Der Antheil des Volks ist das gleichsam bewusstlos
treue Bewahren der gewiss auch nur in der Masse selbst entstandenen
Sprache. Ihr Heil beruht also auf dem Volk und den einzelnen grossen
Geistern, die unter ihm aufstehn. Die sogenannten gebildeten Classen,
sowohl die höheren der geselligen Ordnung, als die gelehrten, wirken,
insofern sie sichten, läutern, wählen, verarmend, insofern sie ordnen,
regeln, formen, gestaltend und fördernd, und mehr das eine oder das
andre nach Massgabe ihrer besondren Beschaffenheit. Auf die Art des
Verhältnisses, welches in jedem bestimmten Falle diese Spaltung der
Nation nach den verschiedenen Bildungsgraden annimmt, wirken nun
mehrere Dinge zugleich, vorzüglich aber die innere politische Verfassung
der Nation, verbunden mit ihrer Sitte und Lebensweise, und ihre
äussere Berührung mit andren, anders gebildeten, ja mit solchen, die,
selbst untergegangen, nur noch im Edelsten, ihren Gedanken und Thaten
fortleben. Hieraus und aus dem oben allgemein über Volks- und Bildungs-Sprache
Entwickelten muss sich jede Nuance bestimmen lassen,
die man aus dieser Ursach, ihrem Verkehr mit den verschiedenen Classen
der Nation, entstehend in der Wirklichkeit antrifft. Die wundervolle
Kraft der Sprache so verschiedenartigen Forderungen zu genügen, ohne
dadurch als Mittel allgemeiner Verständigung zu verlieren, sich jeder
Individualität hinzugeben, und dadurch an innerem Reichthum zu gewinnen,
ohne ihrer Einheit und Harmonie Eintrag zu thun, wird bei der
214Erörterung der Bildung des Worts und des Einflusses der Construction
in ein helleres Licht gesetzt werden.

100. Wenn man den Unterschied betrachtet, der in dem Punkte, von
dem hier die Rede ist, unter den heutigen Nationen, denen des Alterthums,
vorzüglich den Griechen, endlich in noch früherer Zeit herrschte,
wenn man auch, indem man sich mit dem Gedanken in diese versetzt,
von der geschichtlichen Erfahrung verlassen wird, so scheint
hierbei nichts von so grosser Wichtigkeit zu seyn, als die Epoche, in
welcher ein Volk früher oder später auf seiner Entwicklungsbahn steht,
und dies ist gewiss auch der Fall. Je näher die verschiednen Elemente,
welche in derselben Nation verschiedenartig auf die Sprache einwirken,
einander bleiben, je geringer die Spaltung ist, desto harmonischer, sinnig
gestaltender ist, bei gleichem Culturgrade, die Wirkung auf die
Sprache. Indess ist selbst die Grösse der Trennung minder verderblich,
als das Vorherrschen conventioneller Formen in derselben. Die Sprache
ist Natur, und wird von jeder Unnatur verletzend berührt. Sie verlangt
Freiheit und Allgemeinheit des Umgangs, und fühlt in der Beschränkung
lästigen Zwang. Es liegt, meiner Ueberzeugung nach, hauptsächlich
hierin, in der Verschiedenheit der inneren politischen Lage beider
Völker, dass die Sanskrit-Sprache nie, auch nicht äusserlich in ihren
Constructionen, die schöne, freie und geschmeidige Gliederung erreichte,
deren sich die Griechische erfreut. Da wir aber fast nichts von ihren
Schicksalen wissen, so kann es allerdings auch daher rühren, dass sie
vielleicht auf einer früheren Stufe ihrer Ausbildung aufhörte, wirklich
lebende Sprache zu seyn. Es ist daher auch ganz in Dunkel gehüllt, wie
sie sich, als sie dies war, zur Volkssprache verhalten mochte. Dass sie
indess dies im Allgemeinen war, nicht in der Gestalt, in der wir sie kennen,
blosse Hof- oder Priester- oder Schriftsprache, so wie wir von allen
diesen Gattungen von Sprachen Beispiele im heutigen Asien sehen,
zeigt ihr ganzer Bau und ihr grosser Wörterreichthum. Bei aller Beschränktheit
des Umgangs und Verkehrs in Athen auf eine sehr geringe
Anzahl von Bürgern, und bei aller Empfindlichkeit des Atheniensischen
Ohrs für die grössesten Feinheiten der Sprache, war doch neben der gebildeten
Sprache auch ein gröberes Reden im Schwange, wie deutliche
Spuren in den Schriftstellern zeigen. Schon das Land- und Stadtleben
musste einen solchen [Unterschied] hervorbringen. Um sich diesen Unterschied
gänzlich hinwegzudenken, muss man sich in vorgeschichtliche,
mythische Zeit versetzen, zu deren Versinnlichung aber die Homerische
dienen kann. Denn wenn gleich Unterschied der Stände in ihr
sichtbar geschildert ist, so geht er doch fast gänzlich wieder in volksmässig
freier Gemeinschaft auf, und auch die Sprache trägt keines der
Kennzeichen an sich, an denen sich auf irgend eine Entfernung von der
allgemeinen Volkssprache schliessen lässt.215

Zweites Kapitel
Von der Vertheilung der Sprache unter mehrere Nationen

101. Die Sprache erscheint in der Wirklichkeit nur als ein Vielfaches.
Wenn man allgemein von Sprache redet, so ist dies eine Abstraction des
Verstandes; in der That tritt die Sprache immer nur als eine besondre, ja
nur in der allerindividuellsten Gestalt, als Mundart, auf. Auf diese Weise
ist auch die Ueberschrift dieses Kapitels zu nehmen, nicht etwa als
verbreitete sich eine Ursprache über die Nationen des Erdbodens, eine
bloss hypothetische Annahme, von der noch in der Folge gehandelt
werden wird.

102. Es folgt unmittelbar aus dem im vorigen Kapitel Entwickelten,
dass eine Sprache solange dieselbe bleibt, als die Nation, die sie redet.
Erst mit dieser selbst wird sie zu einer andren. Bis dahin ist sie die nämliche,
nur durch die allmälichen Umänderungen der Zeit umgestaltete.
So sieht man mit Recht die Griechische Sprache von Homer bis zu den
Alexandrinern hin, als Eine Sprache an, so grosse Verschiedenheiten
auch die Vergleichung auf so entfernten Zeitpunkten zeigt. Indess sind
die Gränzen hier niemals genau zu bestimmen. Denn auch die Nationen
gehen allmälich in einander über, so dass niemand den Punkt angeben
kann, wo der Römer (im antiken Sinne des Worts) zum Italiener geworden
ist, und in Sprachen, die durch Uebergang einer in die andre entstehen,
bleibt so viel Gleichartiges übrig, dass auch da kein reiner Abschnitt
zulässig ist. Indess tritt in der Geschichte der Nationen und der
Sprachen ein Zeitpunkt ein, in welchem die neue Erscheinung auf einmal
da steht, und diesen muss man alsdann als den entscheidenden ansehen,
nur nicht vergessen, dass er nicht der wirkliche, sondern nur
scheinbare Anfangspunkt ist. Insofern leidet der Grundsatz der Identität
der Nationen und Sprachen, so richtig er an sich ist, grosse Schwierigkeiten
in der Anwendung, und erfordert fernere Erläuterung.

103. Da die Sprache ein Abdruck der nationalen Individualität ist,
auf diese aber, auch dasjenige nicht zu rechnen, was in ihr ursprüngliche
Eigenthümlichkeit seyn mag, alle Umstände einwirken, in welche
die Nation nach und nach versetzt wird, so ist die Verschiedenheit der
Sprachen eine natürliche und begreifliche Erscheinung. Auf der andren
Seite kann auch die neben der Verschiedenheit herrschende Gleichartigkeit
keine Verwunderung erregen, da auch die grösseste nationelle
Verschiedenheit immer in der allgemeinen Menschennatur zusammenkommt.
Auf diese Weise erscheint vielleicht das ganze Eingehen des
Sprachstudiums in die Untersuchung des Ursprungs dieser Verschiedenheit
überflüssig, oder wenigstens ein eben so abgesonderter Theil
desselben, als es in der Naturkunde die Geschichte der Wanderungen
216der Pflanzen und Thiere ist. Es liegt aber in den hier verglichenen Gegenständen
ein so mächtiger Unterschied, dass er jede Vergleichung
derselben unstatthaft macht. Die Naturkörper liegen für die sinnliche
Wahrnehmung und Zergliederung, als wirkliche Individuen da. Die
Sprache ist, als wirklich und individuell, nur fragmentarisch im einzelnen
Sprechen vorhanden, als Ganzes muss sie, wie ein wahres Gedankenwesen,
aus dem Sprechen der Einzelnen auf irgend einem Raume
und in irgend einer Zeit zusammengetragen werden. Die Kenntniss ihrer
Entstehung dient daher wesentlich dazu, ihre Natur besser zu begreifen,
und dasjenige, was wirklich und in der That verbunden ist,
wird nothwendig unrichtig und einseitig angesehen, solange man es,
diese Verbindung miskennend, abgesondert betrachtet. Der Gegenstand
der Untersuchung selbst bleibt unvollständig, wenn man nicht
zugleich das Element mit hineinzieht, das zu seiner Bildung mitgewirkt
hat. Das Studium der Sprachen muss sich aber ausserdem immer an das
des Menschen anschliessen, und es ist für die Kenntniss seiner Sprachfähigkeit,
die also die Sprachfähigkeit im Allgemeinen ist, wichtig zu
wissen, wie ihre verschiedenen Offenbarungen (denn dafür muss man
die verschiedenen Sprachen ansehn) auch in ihrem Entstehen durch
oder unabhängig von einander sich gegenseitig verhalten. Die Untersuchung
kann daher nicht zurückgewiesen werden, da ohne sie die Sprache
im Allgemeinen nicht gehörig durchschaut wird, und auch in den
einzelnen Sprachen vieles dunkel bleibt.

104. Genau genommen ist keine Sprache auch nur ein einziges Jahrzehend
hindurch, oder nur auf einem irgend ausgedehnten Raume dieselbe.
Insofern würde die Vielfachheit der Sprachen ins Unendliche gehen.
Solange aber und soweit, dem Raum nach, die vorhandenen
Verschiedenheiten die Individualität der Sprache nicht wesentlich verändern,
wird sie als dieselbe betrachtet. Ob und inwiefern sich dies
durch Begriffe bestimmen lässt, wird in der Folge vorzüglich bei dem
Unterschiede zwischen Mundarten und Sprachen genauer untersucht
werden. Hier setzen wir voraus, dass über die Identität der Sprachen,
die auf ihrer ganzen ungeschiedenen Individualität beruht, durch das
Gefühl entschieden ist, und reden nur von dem Verhältniss mehrerer
Sprachen zu einander. Untersuchen wir hier, was die Uebereinstimmung,
Gleichartigkeit, Einerleiheit der Sprachen bedingt, so ist dies
immer nur so zu verstehen, wie eine solche Einerleiheit, der Individualität
der Sprachen, als eigner, und abgesonderter, unbeschadet, bestehen
kann. Die erste und hauptsächlichste Frage nun, die sich hier darbietet,
ist die, ob die Verschiedenheit und Gleichartigkeit der Sprachen einen
geschichtlichen Grund hat, oder bloss so anzusehen ist, wie überhaupt
in der Natur geschiedne, aber mehr oder minder verwandte Arten, die
zu Einer Gattung gerechnet werden, bestehen? Diese Frage allgemein
217und aus allgemeinen Gründen entscheiden zu wollen, scheint mir dem
Wesen der Sprachkunde, als einer Erfahrungswissenschaft, unangemessen.
Man muss vielmehr die Untersuchung von den Sprachen und der
Geschichte beginnen, und darf sich erst, wo man von diesem Wege verlassen
wird, aus blossem Raisonnement geschöpften Folgerungen anvertrauen.
Dies kann jedoch hier in einer blossen Einleitung zur allgemeinen
Sprachkunde unmöglich so verstanden werden, als wollte man
die vorhandenen Sprachen von diesem Standpunkte aus zergliedern
und soviel als möglich bis zu ihrem Ursprunge hinaufsteigen. Es kommt
hier nur darauf an, im Allgemeinen, aber auf eine wirklich aus der Erfahrung
geschöpfte und mit Beispielen belegte Weise, die Arten aufzuzählen,
wie ein geschichtlicher Zusammenhang zwischen Sprachen in
Rücksicht auf ihre Entstehung vorhanden seyn kann? Man muss aber
hierbei den zwiefachen Weg einschlagen, einmal zu untersuchen, welche
innere Verhältnisse auf diese Weise in den Sprachen entspringen,
und welche geschichtliche Umstände fähig sind, dieselben hervorzubringen?

105. Um die Sprachen in dieser Hinsicht zu betrachten, muss man
aber wieder auf die einzelnen Sprachen zurückgehen und die Frage aufwerfen,
ob sich in ihnen eine sie charakterisirende, dergestalt feste
Form findet, dass sie, solange diese besteht, die nämlichen sind, wenn
sie zerschlagen wird, aber zu anderen werden? Liesse sich eine solche
Form erkennen, so würden alle mit einer Sprache mögliche Veränderungen
sogleich in solche zerfallen, bei welchen diese Form bestehen
bleibt, und in solche, bei welchen sie aufhört dieselbe zu seyn. Dass sich
dies wirklich so verhält, ist sowohl aus der Natur der Sache, als der Erfahrung
sichtbar. Der Ausdruck der Gedanken giesst sich in einer Nation,
die man sich von den Störungen fremden Einflusses frei denkt, natürlich
und von selbst in eine Form, die dadurch das allgemeine
Verständniss bedingt, dass jeder Einzelne in derselben die wiederfindet,
die er, käme der Anstoss von ihm her, selbst der Rede gegeben haben
würde, und die Individualität der Sprache beruht darauf, dass in derselben
Bahn fortgefahren wird, nur vielleicht mit Abweichungen, in welchen
das Wesen der ursprünglichen Form nicht bloss immer erkennbar,
sondern vorherrschend ist. In der Wirklichkeit ist diese Form vorzüglich
da sichtbar, wo in aus einander entstandenen Sprachen eine alte
untergegangen und eine neue entstanden ist. In den Sprachen des Lateinischen
Europa, um mich des Ausdrucks eines ebenso sachkundigen,
als scharfsinnigen Sprachforschers zu bedienen, und im Persischen z. B.
erkennt jeder auf den ersten Anblick gegen das Lateinische und das
Sanskrit eine neue, vorher nicht da gewesene Sprachform und mithin
das Entstehen wirklich neuer Sprachen.

106. Die Schwierigkeit gerade der wichtigsten und feinsten Sprachuntersuchungen
218liegt sehr häufig darin, dass etwas aus dem Gesammteindruck
der Sprache Fliessendes zwar durch das klarste und überzeugendste
Gefühl wahrgenommen wird, dennoch aber die Versuche scheitern,
es in genügender Vollständigkeit einzeln darzulegen, und in
bestimmte Begriffe zu begränzen. Mit dieser hat man auch hier zu
kämpfen. Die charakteristische Form der Sprache hängt an jedem einzelnen
ihrer kleinsten Elemente, jedes wird durch sie, wie unmerklich
es im Einzelnen sey, auf irgend eine Weise bestimmt. Dagegen ist es sehr
schwer, ja ich möchte wohl sagen, unmöglich, einen einzigen Punkt aufzufinden,
von dem sich behaupten liesse, dass sie an ihm entscheidend
haftete. Der Grund dieser Schwierigkeit liegt tief in der Natur der Sprache
selbst. Da sie nichts anders, als das Denken, bezogen auf die Articulationsfähigkeit
der Sprachorgane ist, so erlaubt die Gleichartigkeit des
menschlichen Denkens, welche ebendadurch zugleich eine der allgemeinen
sprachbildenden Gesetze ist, verbunden mit der Gleichartigkeit
der Sprachwerkzeuge, zwar Verschiedenheiten unter den Sprachen,
macht aber nicht nur jeden schneidenden Contrast, sondern sogar jede
vollständig rein bestimmte Gränze zwischen ihnen unmöglich. Die
Töne dienen, auf welche Weise man auch die Analogieen ihrer Bedeutungen
zusammenzustellen versuchen mag, zur Bezeichnung der verschiedensten
Gegenstände und Begriffe, und gehen so mannigfaltig in
einander über, dass sich dem Gange, dem sie geschichtlich gefolgt sind,
nur in ganz concreten Fällen auf die Spur kommen lässt. Der in den
Sprachen liegenden grammatisch technischen Mittel weiss sich der
sprachbildende Geist dergestalt zu bemeistern, und ihnen eine verschiedne
Geltung zu geben, dass auch ihre Anwesenheit oder ihr Mangel
durchaus nicht zu allgemein entscheidenden und untrüglichen Folgerungen
über das Wesen der Sprachform führt. Wenn man daher
irgend eine gegebene Sprache durchgeht, so findet man schwerlich einen
einzigen Punkt, den man sich nicht, dem Wesen ihrer Sprachform
unbeschadet, auch anders denken könnte, und wird genöthigt zu dem
Gesammteindruck zurückzukehren. Hier tritt sogleich das Gegentheil
ein; die entschiedenste Individualität fällt klar in die Augen, drängt sich
unabweisbar dem Gefühle auf. Geht man hiervon unmittelbar auf das
Material und die Technik der Sprache zurück, so bleibt kaum etwas andres
übrig, als Alles und jedes, so concret, wie es dasteht, als die
Sprachform ausmachend, zusammenzufassen, mithin diese in einem
Sinne zu nehmen, welcher eigentlich die Möglichkeit irgend einer Veränderung
in derselben Sprachform ausschliessen würde. Die Sprachen
können hierin noch am wenigsten unrichtig mit den menschlichen Gesichtsbildungen
verglichen werden. Die Individualität drängt sich auf,
Aehnlichkeiten werden erkannt, aber kein Messen und kein Beschreiben
der Theile, im Einzelnen und in ihrem Zusammenhange, vermag
219die Eigenthümlichkeit in einen Begriff zusammenzufassen. Sie ruht auf
dem Ganzen, und in der wieder individuellen Auffassung, daher auch
gewiss jede Physiognomie jedem anders erscheint. Da die Sprache, in
welcher Gestalt man sie aufnehmen möge, immer ein geistiger Aushauch
eines nationell individuellen Lebens ist, so muss Beides auch bei
ihr eintreffen. Wieviel man in ihr vereinzeln, heften und verkörpern
möge, so bleibt immer etwas, und gerade das Hauptsächlichste in ihr
übrig, worin die Einheit und Odem eines Lebendigen ist.

107. Ich glaube die Verlegenheit, in welche hier die Sprachforschung
geräth, nicht übertrieben zu haben. Die Neugriechische, der Englischen
ähnliche Bildung des Futurum scheint der Altgriechischen Sprachform
schnurstracks entgegengesetzt. Dächte man sie sich aber in dieselbe
hineinverwebt, so könnte damit ihr Wesen dennoch sehr füglich bestehen.
Es ist schon wahrscheinlich, dass ihre Futura ähnliche, nur verwachsene
Umschreibungen sind, und dass sie sich auch getrennt bleibenden
Umschreibungen nicht entschieden widersetzt, beweist das
Perfectum ihres Passivs. Die Zusammensetzungen der Nomina machen
einen wichtigen Theil der Sanskritsprachform aus, und haben einen
entschiedenen Einfluss auf die Redefügung, aber das Lateinische und in
neuerer Zeit das Spanische und zum Theil selbst das Französische zeigen,
dass Sprachen von dem Gebrauche so häufiger Zusammensetzungen
zurückkommen können, ohne darum ihre Sprachform zu verändern.
Auf ähnliche Weise könnte man mit den meisten andren
grammatischen Eigenthümlichkeiten verfahren, und ich wüsste wenigstens
keine namhaft zu machen, mit der es nicht der Fall wäre. Man
muss daher, wenn man diesen Weg verfolgen will, das Wesen der
Sprachform in die Menge gleichartiger Eigenthümlichkeiten (z.B. im
Neugriechischen der durch Umschreibung ausgedruckten grammatischen
Formen) oder in die Verbindung gewisser mit einander setzen,
wodurch aber, da es nun auf ein Mehr oder Weniger ankommt,
nothwendig Unbestimmtheit entsteht.

108. Ich habe es mir angelegen seyn lassen, deutlich und ausführlich
zu zeigen, wie schwierig, ja wirklich unmöglich es ist, an den einzelnen
Theilen des Sprachbaus das Feste von dem Flüssigen, oder um es noch
bestimmter auszudrücken, das die Individualität der Sprachen wahrhaft
Bedingende von dem Zufälligen und Gleichgültigen rein und mit
wahrer Genauigkeit abzuscheiden. Denn etwas, allgemein ausgedruckt
allerdings Wahres, aber in der Anwendung auf das Einzelne Unhaltbares
hinzustellen, ohne es sogleich auf seine wahre Geltung zurückzuführen,
ist das Verderblichste, was bei Sprachuntersuchungen geschehen
kann. Ist es aber auch unmöglich, das nicht abzuläugnende Gefühl
der Einerleiheit und Verschiedenheit der Sprachformen in bestimmte
Begriffe und erschöpfende Definitionen zu begränzen, so muss es immer
220eine andre Methode geben, dasselbe auf eine andre Weise bis zu
dem Grade, welcher dem Zwecke der Wissenschaft genügt, zu umschreiben
und festzustellen. Ausser der Verzichtleistung auf die höchste
Genauigkeit, unterscheidet sich dies Verfahren vorzüglich dadurch,
dass es den Tact in Anspruch nimmt, der durch sorgfältige Vergleichung
verschiedner Sprachformen erworben wird und in dem Grade untrüglicher
ist, in dem er sich mehr auf tiefes und erschöpfendes Studium des
Einzelnen gründet.

109. Die drei Punkte, worin die Sprachen sich von einander unterscheiden,
sind das Material ihrer Wörter, die grammatische Behandlung
und Zusammenfügung derselben, und ihr, diesen beiden Theilen gemeinschaftliches
Lautsystem. Die Mischung der Wörter übt zwar oft
unverkennbaren Einfluss auf die der Sprache eigenthümliche Wortbildung,
und bisweilen auch auf die grammatische Form aus, und wenn sie
lange in einer Sprache bestanden hat, ist sie kaum ohne allen solchen
Einfluss denkbar. Im Ganzen aber und gewöhnlich ordnen sich die
fremden Wörter den einheimischen Sprachgesetzen unter, wie die dem
Englischen beigemischten Lateinischen oder aus Lateinischen entstandenen
Wörter die Germanische Genitivendung annehmen, und die Arabischen
Wörter im Türkischen den Dualis ungebraucht lassen. Bisweilen
aber findet sich beides mit einander verbunden, wie eben jene
Wörter im Englischen einen von dem der Germanischen abweichenden
Accent in die Sprache bringen, und die Arabischen Wörter im Persischen
ihre Participial und Pluralformen beibehalten. Wo nun die grammatische
Einwirkung der Sprachmischung in Absicht der Wörter nicht
bedeutend ist, da wird auch in derselben Sprache die Sprachform nicht
verändert, die Sprache bleibt dieselbe und nimmt nur einen Theil des
Materials einer andren in sich auf. Solche Sprachen mit gemischtem
Wörtervorrath theilen sich wieder in verschiedene Classen, je nachdem
die eingedrungenen Wörter entweder ihre fremde Natur mehr geltend
machen, oder sich mehr der einheimischen angestalten, und vorzüglich
je nachdem sie in ihrer ursprünglichen Sprache noch fast unverändert
angetroffen werden, oder in einem früheren, mehr oder weniger schwer
zu erkennenden Zustand übergegangen sind. So finden sich unter den
Sanskrit-Wörtern im Malaiischen viel mehr solche, die kaum unbedeutende
Lautveränderung erfahren haben, als unter den gleichen der Südsee-Inseln.
In dem Materiale der Sprache, dem Inbegriff ihrer Wörter,
kann also die Sprachform, welche die Einerleiheit der Sprachen bedingt,
nicht anders, als höchstens indirect gesucht werden, da der Einfluss
der Sprachform auf dasselbe allerdings nicht abzuläugnen ist.

110. Dagegen liegt die Sprachform unverkennbar in dem grammatischen
Bau, und ein Uebergang in einen wesentlich verschiednen ist, von
aller Beschaffenheit der Wörter abgesehen, ein Uebergang in eine neue
221Sprache. Ueber die Unbestimmtheit, die hier in dem Grade und der Art
der Verschiedenheit übrigbleibt, habe ich mich im Vorigen ausführlich
verbreitet. Die Sprachform, ganz im Allgemeinen betrachtet, ist die
Form, in welcher eine Sprache ihre Wortlaute zum Ausdruck des Gedanken
gestaltet und ordnet. Da wohl jede Sprache hierin eine gewisse
Freiheit gestattet, und die Beschaffenheit des Vorzutragenden Verschiedenheiten
nothwendig macht, so muss die Sprachform diese Mannigfaltigkeit
des Ausdrucks in sich fassen, und ist insofern ein nach ihnen gebildetes
Abstractum. Es würde aber durchaus unrichtig seyn, sie auch
an sich bloss als ein solches daseynloses Gedankenwesen anzusehen. In
der That ist sie vielmehr der durchaus individuelle Drang, vermittelst
dessen eine Nation dem Gedanken Geltung in der Sprache verschafft.
Da uns aber nie gegeben ist, diesen Drang in der Gesammtheit seines
Wirkens, sondern nur in seinen jedesmal einzelnen Wirkungen zu sehen,
so bleibt uns nur übrig, die Gleichartigkeit seines Wirkens in einen
todten allgemeinen Begriff zusammenzufassen. In sich ist jener Drang
Eins und lebendig. Da er auf den Ausdruck des Gedanken, nicht auf die
Bezeichnung eines Gegenstandes geht, so betrifft er allemal die verbundene
Rede, die man sich überhaupt in allen Sprachuntersuchungen, die
in die lebendige Wesenheit der Sprache eindringen sollen, immer als
das Wahre und Erste denken muss, da das Zerschlagen der Sprache in
Wörter und Regeln nur ein todtes Machwerk wissenschaftlicher Zergliederung
ist. Die Wortlaute hangen mit der verbundenen Rede auf das
innigste zusammen, allein auf dem Punkte, auf dem hier die Untersuchung
steht, wird davon abgesehen, ob der Drang, von dem hier die
Rede ist, als ein ursprünglicher, auch sie schafft, oder bloss als ein in
seiner Richtung veränderter (wie bei dem Uebergange aus einer Sprachform
in die andre) sich vorhandener Sprachlaute bedient.

111. Wir sahen im Vorigen, dass sich die Sprachform objectiv an der
grammatischen Technik nicht genau in Begriffen abgränzen lässt. Versuchen
wir nun die Arten ihrer möglichen Verschiedenheit, zur Beurtheilung
des geschichtlichen Zusammenhanges mehrerer, zu überschlagen,
so fällt zuerst die Verschiedenheit der schaffenden Kraft jenes eben
bezeichneten Dranges in die Augen. Er kann sich nämlich des Stoffes
herrischer bemeistern, ihm sichtbarer und consequenter sein Gepräge
aufdrucken, oder mehr ihn und seine stoffartige Natur walten lassen.
Ferner liegt in dem Gedankenausdruck selbst schon an sich ein Zwiefaches,
nämlich die Form, an welche sich der Geist in der Aneinanderreihung
der Theile des Gedanken gewöhnt, und die Anschaulichkeit, welche
die Sprache der Bezeichnung dieser Gedankentheile auch im
Ausdrucke giebt. Man kann auch das Erstere, was vorzüglich im Syntaktischen
der Grammatik liegt, als mehr auf die eigne Thätigkeit des
Sprechenden bezogen, das Letztere als vorzugsweise die Leichtigkeit
222des Verständnisses bezweckend ansehen. Aber auch hierbei liegt der
wahre Zweck tiefer und wirklich in der innerlich gefühlten Nothwendigkeit,
der Form des Gedanken auch in der Sprache einen sinnlichen
Ausdruck zu verschaffen. Unter den Begriff dieser beiden Richtungen
lassen sich nun, wie unter zwei Classen, die einzelnen Verschiedenheiten
der Sprachform bringen. Statt zu vereinzeln und zu zergliedern,
muss man daher, um die Eigenthümlichkeit ihrer Form in dieser Hinsicht
aufzufassen, die Sprache, soviel als möglich, in ihrer Einheit zu
nehmen versuchen, und vermittelst eines durch ihr Studium geschärften
Tactes das Wesentliche vom Zufälligen unterscheiden. Es bedarf
kaum hierbei der Bemerkung, dass man vorzugsweise alsdann in jeder
Sprache die Punkte aufzusuchen hat, von welchen die entschiedensten
Eigenthümlichkeiten derselben ausgehen und wohin man vorzugsweise
das Pronomen und Verbum rechnen kann. Dies im Einzelnen auszuführen,
wird erst in der Folge dieser Untersuchung möglich seyn. Ueberhaupt
kann volles Licht über die hier abgehandelte Materie erst die klare
Einsicht in die Verschiedenheiten des Baues der hauptsächlichsten
vorhandenen Sprachen verbreiten. Ehe man aber in die Theile des
Sprachbaues eingehen konnte, musste die Sprache im Ganzen in allen
ihren wesentlichen Beziehungen betrachtet werden, und unter diesen
konnte das nicht unerörtert bleiben, was erst macht, dass eine Sprache
diese und keine andere ist. Hierüber gleich vorläufig leitende Grundsätze
aufzustellen, wird auch den folgenden Untersuchungen förderlich
seyn.

112. Die Gleichheit der grammatischen Form in dem hier angedeuteten
Sinne genommen, ist daher allein das die Einerleiheit der Sprache
Bedingende. Allein und für sich würde sie indess nicht hinreichen, dieselbe
in zwei Sprachen zu beurkunden, wenn dabei das Lautsystem unbeachtet
bliebe. Der Laut erst (§.45.) bildet die wahre Individualitaet
der Sprache. Man muss aber hier einen Unterschied machen zwischen
dem Lautsystem im Allgemeinen, und concreten Lauten in Wörtern
und grammatischen Formen. Die blosse Vergleichung des ersteren führt
nicht leicht zu entscheidenden Folgerungen. Die Laute gehen in einander
über, unter verwandten setzen sich aus zufälligen Ursachen, selbst
in ganz gleichen Sprachen, oder in derselben verschiedene in blossen
Mundarten fest. Der Mangel selbst mehrerer Buchstaben im Alphabet
ist, da dieselben durch die verwandten Laute ersetzt werden, gar nicht
von so grosser Erheblichkeit, als er auf den ersten Anblick zu haben
scheint. Oft ist es auch, wie sonderbar es scheinen mag, schwer zu entscheiden,
ob ein Laut in einer Sprache vorhanden ist. Die auf den Sandwich-Inseln
aufgenommenen Wörterverzeichnisse haben bald die einen
ein l, bald die andren ein r, niemals dasselbe beide Buchstaben, weil der
wahre Laut so zwischen beiden liegt, dass das Europaeische Ohr unschlüssig
223bleibt, wohin es ihn rechnen soll. Auf gleiche Weise ist es mir
mit k und t mit einem sich hier aufhaltenden Eingebornen dieser Inseln
gegangen. Die grössere Anzahl von Nasen- oder Gurgellauten unterscheidet
sehr oft auch mehr Dialecte, als Sprachen. Das Toscanische
giebt hiervon ein merkwürdiges Beispiel, und wenn man auch die Toscanische
Aspiration allenfalls aus dem alten Tuskischen ableiten kann,
was übrigens blosse Vermuthung bleibt, so zeigen wenigstens viele andre
Beispiele, dass eine solche Annahme zur Erklärung der Erscheinung
keineswegs nothwendig ist. Eines der merkwürdigsten Beispiele gänzlicher
Lautverschiedenheit in sehr nahe verwandten Sprachen, von der
mir bisher auch nicht einmal ein Versuch einer Erklärung bekannt ist,
giebt die Portugiesische gegen die Spanische Sprache mit ihren häufigen
Nasentönen, dem Verwandeln des Lateinischen cl, pl, Spanischen
ll, in sch 8284, und andren Eigenthümlichkeiten. Alle diese Umstände nun,
durch welche die Laute einer Sprache, über das Verhältniss ihrer übrigen
Verschiedenheiten hinaus, von denen einer andren abweichen, gehörig
abzusondern, wird immer überaus schwierig seyn, und das Feste
der Sprachform sich in der allgemeinen Beschaffenheit des Lautsystems
allein nur selten nachweisen lassen, so wesentlich auch diese Beschaffenheit
zu der Erklärung aller Spracheigenthümlichkeiten bleibt.

113. Jede solche Ungewissheit und Unbestimmtheit verschwindet
aber bei der Gleichheit concreter grammatischer Formen. Ein besonders
merkwürdiges Beispiel dieser Art ist im Sanskrit, Griechischen und
Gothischen, dem sich hierin die ganze Reihe der übrigen Germanischen
Sprachen anschliesst, die Gleichheit der Conjugation von wêda, οἶδα
und vait. 8385 Hier kommt Gleichheit der Wortlaute, Eigenthümlichkeit
des Vocalwechsels vom Singular zum Plural 8486, und der sonderbare anomalische
Umstand zusammen, dass die vergangene Zeit in der Bedeutung
der gegenwärtigen genommen wird. Hier ist also Gleichheit der
Analogie und Anomalie in derselben Form. Das Lateinische und Litthauische
bieten in diesem Fall gerade keine grammatische Gleichheit
dar. Das Sanskritische wid erscheint bei ihnen bloss als sehen im Lateinischen
videre, und Litthauischen wéizdmi. Wissen, żinnaú 8587, stammt
von dem Sanskritischen jnâ. Beide Sprachen aber sind jenen in anderen
Formen auf das überraschendste gleich, wie datum, datu, statum, statu
ebensowohl Lateinische, als Sanskrit-Wörter sind, und wie schon öfter
auf die Gleichheit der Conjugation des Verbum seyn im Praesens im
Sanskrit, Griechischen und Litthauischen aufmerksam gemacht worden
ist. Alle hier genannten Sprachen haben daher concrete grammatische
Flectionen, solche, in welchen das geistige und phonetische Bildungsprincip
dasselbe ist, und die im Laut übereinkommen, mit
einander gemein. Die immer auch übrigbleibende Lautverschiedenheit
darf hierbei keinen Anstoss erregen, da, ohne dieselbe, diese Sprachen
224aufhören würden, eigne Sprachen zu seyn. Gerade weil die Individualitaet
der Sprache auf dem Laute beruht, so weichen die individuellen
Sprachformen immer in den Lauten von einander ab, allein diese Abweichung
lässt sich, da wo Einerleiheit der Sprachform unter mehreren
herrscht, nach durchgehenden Analogieen zu dem Urlaut zurückführen,
und beweist dadurch noch mehr die wirkliche Uebereinstimmung.
Jenen Beispielen aber eine Menge hinzuzufügen, ja auszuführen, dass
der ganze grammatische Bau jener Sprachen durchgängige Analogie
zeigt, würde aus den jetzt darüber vorhandenen Arbeiten leicht seyn.
Ich unterlasse es nur, weil man diejenigen Leser, welche sich wahrhaft
für diese Untersuchungen interessiren, als vertraut mit diesen Arbeiten
voraussetzen darf.

114. Eine solche Gleichheit nun in concreten grammatischen Formen
erlaubt keinen Zweifel mehr über ihren wirklichen geschichtlichen
Ursprung. Stände das Beispiel von οἶδα allein da, so müssten die Laute
einer Sprache von der andren überkommen, könnten nicht unabhängig
von einander gebildet seyn. Ob wir also gleich gar keinen Zusammenhang
zwischen der Lateinischen und Indischen Sprache geschichtlich
kennen, so muss ein solcher Zusammenhang vorhanden gewesen seyn,
da Indische, im Griechischen (denn ich habe absichtlich gerade solche
ausgewählt) nicht vorhandne Flexionslaute sich im Lateinischen vorfinden.
Es wäre aber eine wahrhaft unmögliche Annahme, dass eine
Gleichheit, wie die oben von οἶδα angeführte, in zwei, übrigens grammatisch
verschiedenen Sprachen allein und abgesondert da stände. Die
Grammatik bildet immer mehr oder minder, loser oder fester, ein Ganzes
von Analogieen, und darum gerade lässt sich die Verwandtschaft
der Sprachen soviel überzeugender an ihr, als an den Wörtern zeigen,
weil was irgend tief in sie eingreift, in die Bildungsgesetze der Sprache
übergeht, oder aus ihnen entspringt. Wörter bleiben dagegen oft immer
Fremdlinge in der Sprache, und nehmen von grammatischen Eigenthümlichkeiten,
ausser dem Accent, höchstens Endungen oder Artikel
mit sich hinüber, die aber dann bedeutungslos werden, und ihr grammatisches
Leben verlieren.

115. Entkleidet man die Sprachform von ihren Lauten und lässt man
bloss den Begriff (§. 111.), die Behandlungsart ihrer Wörter in der verbundenen
Rede, in ihr zurück, so berechtigt sie durchaus zu keinem
Schluss auf geschichtlichen Zusammenhang. Ihre Gleichheit beruht alsdann
auf allgemeineren Gründen, und wären besondre historische vorhanden,
so müssten sie anderswoher bewiesen werden. Gehen wir aber
auf dasjenige zurück, was wir über die wahre Natur der Sprachform, als
eines Dranges den Gedanken in Worte zu kleiden, weiter oben (§. 110.)
gesagt haben, so fällt beim ersten Anblick in die Augen, dass bei einer
solchen Unterscheidung der Technik der Sprachform von ihren Lauten
225die erstere schon an sich nur eine Abstraction seyn kann, und irgend
grosse Gleichheit derselben zwischen zwei Sprachen, bei völliger Verschiedenheit
der Laute, kaum denkbar ist. Die Entstehung und Entwicklung
der Grammatik in jeder Sprache geschieht im und vermittelst
des Sprechens. Der Laut und der Begriff vereinigen sich zur Bildung der
grammatischen Form, und da der Laut das Verständniss vermittelt, aus
den Lippen hervorgehend dem Ohre zurückkehrt, so ist in diesem Zusammenwirken
der auch in sich fügsamere Begriff das mehr abhängige
Element. Wo man daher Gleichheit der grammatischen Behandlungsart
mit wesentlicher Verschiedenheit der grammatischen Laute anzutreffen
glaubt, da wird tiefere Prüfung entweder dennoch Lautzusammenhang
entdecken, oder die scheinbare Gleichheit in solche Gränzen zurückweisen,
dass beide Sprachen nur als zu Einer Classe, oder nur ganz entfernt
als zu Einer, in gewissen Punkten dieselbe grammatische Ansicht
theilenden Völkermasse gehörend erscheinen. Dies wird uns namentlich
bei den Amerikanischen Sprachen sehr ernstlich beschäftigen müssen,
die durch den Süden und Norden des Welttheils hindurch grosse
grammatische Aehnlichkeit zeigen, indess die Zurückführung der Laute
einer auf die andre bisher nur sehr einzeln hat gelingen wollen. Die Semitischen
Sprachen stehen den Sanskritischen (ein Verhältniss, das es
von der äussersten Wichtigkeit wäre, recht genau und ausführlich auszumitteln)
sehr viel näher, als beiden die Koptische und andre in die
gleiche Kategorie gehörende, allein die Aehnlichkeit scheint doch nur
eine Classenverwandtschaft, auf keine Weise eine zu Voraussetzung geschichtlichen
Zusammenhanges berechtigende.

116a. Es muss aber, indem man die Sprachform zum Massstab der
Einerleiheit oder Ungleichartigkeit der Sprachen annimmt, der Begriff
derselben sehr sorgfältig von den ihn begleitenden Lauten unterschieden
werden. Nur diese berechtigen auf geschichtlichen Zusammenhang
zu schliessen, und thun dies immer, die Form der Sprache möge, dem
Begriff nach, dieselbe oder eine verschiedene seyn. Denn es kann nicht
nur gedacht werden, sondern es findet sich starke Verschiedenheit der
grammatischen Behandlungsart mit vieler Uebereinstimmung auch der
grammatischen Laute. Es können nemlich diese in grösserer oder geringerer
Zahl, mit bedeutenderen oder unbedeutenderen Abweichungen
gegenwärtig bleiben, aber der sie verknüpfende grammatische Sinn in
seinem ursprünglichen Zustand bis zum Entstehen einer wahrhaft neuen
Sprachform in Vergessenheit oder Verwirrung gerathen.

116b. Da dies gerade der sichtbarste Fall neuer Spracherzeugung ist,
so bleibe ich bei demselben stehen, und beginne mit ihm die Betrachtung
der verschiednen Möglichkeiten inneren Sprachzusammenhanges.
(§. 104.) Das mir bekannte auffallendste Beispiel der hier erwähnten
Art giebt das Neugriechische. Declination und Conjugation sind aus altgriechischen
226Flectionen, von denen viele ganz unverändert geblieben,
zusammengesetzt. Aber kaum eine einzige Declination oder ein einziges
Tempus hat sich in seinem Ganzen unverändert erhalten, in den
meisten sind Beugungen verschiedner gemischt, oder ihrem ursprünglichen
Sinne entgegen gebraucht. Die Reduplication, also ein ganzes
technisches Mittel der alten Grammatik, ist untergegangen. Der Gebrauch
des Augments bei zusammengesetzten Verben, der schon bei
den Alten in einigen so schwankend war, dass das Augment sogar doppelt
gesetzt ward, ist noch ungewisser geworden, und scheint kaum feste
Regeln zu erlauben. 8688 Der Infinitiv hat sich gänzlich verloren, ist
aber im Verbum seyn, in völliger Vergessenheit seiner Bedeutung, zur 3.
Person beider Numeri geworden. Die zusammengesetzten Tempora verbinden
widersinnig durch alle Personen hindurch die 3. des Hülfsverbum
mit dem regelmässig durchflectirten Aorist des Conjunctivus 8789,
oder bedienen sich einer Abkürzung des Hülfsverbum und Zusammenziehung
mit einer Conjunction, worin der Ursprung ganz unkenntlich
wird. 8890 Das Besitzpronomen wird durch den Zusatz des Wortes eigen
gebildet. 8991 Nimmt man nun zu diesen einzelnen Abweichungen, unter
denen ich hier nur die bekanntesten und auffallendsten ausgewählt
habe, die Verschiedenheit der Construction und die gänzliche Aufopferung
der Quantität, die zum Theil ganz andre Betonung hervorbringt,
hinzu; so erhält man (ohne noch auf die Veränderung der Wörter in
Laut und Bedeutung zu sehen) den Eindruck einer durchaus neuen
Sprachform bei sehr grosser Gleichheit der grammatischen Laute.
Wenn ich hier von Verwirrung der Formen, Vergessenheit ihrer Bedeutung
sprach, so geschah dies nur in Vergleichung mit der älteren Sprache
und um auf die Art des Ueberganges aufmerksam zu machen. Es
versteht sich von selbst, dass die neue Sprache ihre eigne Analogie hat,
und in dieser wieder durch die ihr eigenthümliche Consequenz ein Ganzes
bildet. Es ist ausserdem für den den Nationen beiwohnenden
Sprachsinn merkwürdig zu beobachten, wie neben und selbst in den
Abweichungen das Gefühl der Analogie der alten Sprache sich sichtbar
erhalten hat. Jene Verwirrung könnte nur dann einen Vorwurf gegen sie
bilden, wenn sie schlechterdings zur alten zurückkehren sollte. Wie
man in ihr eine neue, und sich als solche entwickelnde sieht, fällt der
Vorwurf hinweg. Die neugeprägte Form tritt in die Sprache ein, und
wirkt in ihr lebendig fort. Ihr in dieser Beziehung fast gleichgültiger
Ursprung ist nur insoweit wichtig, als es allerdings von der richtigen
und consequenten Bildung der Wortbeugungen abhängt, wie tief und
allgemein consequent verfolgte Analogie durch die ganze Sprache
durchgeht. Auch in den alten classischen Sprachen, deren Form für untadelhaft
gehalten wird, finden sich hie und da Spuren, dass ältere Formen
durch Misdeutung sprachwidrig genommen, oder solche, welchen
227man ohne genauere Prüfung keinen Mangel ansieht, auf sonderbare und
der Art unserer neueren Sprachen ganz ähnliche Weise zusammengesetzt
sind.

117. Die lateinischen Töchtersprachen haben zwar viel mehr, als die
Neugriechische, von den Römischen grammatischen Lauten eingebüsst
und das ihnen Uebriggebliebne viel stärker verändert, sie befinden sich
aber im Ganzen mit ihr in demselben Fall. Diese schon ursprünglich
grössere Lautverschiedenheit und der mächtige Schwung, den die Literatur
schon früh in der neuen Form gewann, haben diese Sprachen viel
sichtbarer zu wahrhaft neuen gemacht. Ihre frühesten Bearbeiter waren
Dichter aus der Blüthe der Nation, so dass die Sprache veredelt, aber
nicht dem Kreise des Volks entzogen wurde. Dadurch gestaltete sie sich
in Freiheit und Mannigfaltigkeit, und nie wurde bei der an ihr versuchten
Bildung, wie bei der Neugriechischen Sprachverbesserung, an
Rückkehr zum Alten gedacht, immer nur der Entwicklung in neuer Eigenthümlichkeit
nachgestrebt. Alle glücklichen Folgen, welche Wohlstand,
Cultur und politische Bedeutsamkeit der Nationen über die Sprachen
verbreitet, wurden diesen neuentstandenen zu Theil, indess die
Bewohner des alten Griechenlands mit Knechtschaft, Mangel, politischer
Vernichtung und aus allem diesem entstehender Verwilderung zu
kämpfen hatten.

118. Die Persische Sprache liefert, überzeugender, als irgend eine
andre, den Beweis, dass die Einerleiheit der Sprachen nicht in der Vergleichung
der Wörter, sondern im grammatischen Baue gesucht werden
muss. Der Wörtervorrath zeigt bloss eine Mischung Arabischer und
Indo-Germanischer Wörter, und das Uebergewicht der Menge ist auf
der Seite der ersteren. Selbst die flüchtigste Ansicht der Grammatik
aber kann nicht zweifelhaft lassen, dass es eine Indo-Germanische
Sprache ist, welche Arabische Wörter in sich aufgenommen hat. In den
grammatischen Bau ist wesentlich nicht Semitisches übergegangen, einzelne
Unregelmässigkeiten, wie dass bisweilen Persische Schriftsteller
auch Persischen Wörtern den umlautenden Arabischen Plural geben,
thun kaum als Ausnahmen der Allgemeinheit dieser Behauptung Eintrag.
Was in der Persischen Grammatik nicht Sanskritisch ist, und es
giebt dessen nur wenig, ist bis jetzt unbekannten Ursprungs. Die Arabischen
Wörter gelten nur als Wörter, und wenn sie in ihren einheimischen
Plural- und Participialformen bedeutsam erscheinen, so ist dies
nicht anders, als wenn wir dem Deutschen lateinische Wörter in ihren
Casusformen beimischen. Wenn man hierin die lateinischen Töchtersprachen
und die Englische mit der Persischen vergleicht, so ist in demselben
der Grad der Verschmelzung der fremden und einheimischen
Elemente in der hier beobachteten Folge dieser Sprachen geringer. In
den Lateinischen Töchtersprachen erkennt oft erst die etymologische
228Untersuchung das nicht lateinische Wort, und es theilt dieselbe grammatische
Behandlung mit denen des eigentlichen Stammes der Sprache.
Im Englischen fallen die nicht Germanischen Elemente sogleich ins
Auge, die Sprache besitzt zwar, wie in der Betonung, so in den Substantiv-
und Adjectivendungen, ein zwiefaches System nach dem Ursprung
ihrer Wörter, aber beide sind ihrer Eigenthümlichkeit angepasst, aber
einzelne Wörter bilden Ausnahmen, wo Stämme und Endungen verschiedenen
Ursprungs sich verbinden (wie dukedom, dolesome, plentiful,
drinkable), und alle Elemente fügen sich den einheimischen Beugungen
des Verbum. Im Persischen gehört das Arabische so wenig zur
eigentlichen in sich geschlossenen Sprache, dass es in der Willkühr der
Schriftsteller steht, mehr oder weniger davon einzumischen. Es entstand
daher keine neue Sprache, als die Araber um die Mitte des siebenten
Jahrhunderts Persien unterjochten, sondern die Nation gewöhnte
sich nur, Bruchstücke der Sprache der Sieger in der ihrigen zu dulden.
Dagegen mit dem Sanskrit verglichen, ist die Sprache sichtbar von derselben
Sprachform, in einem Verhältniss, das sich nur geschichtlich erklären
lässt, aber zu einer verschiednen, eignen Sprache geworden. Die
Einerleiheit beruht auf der Gleichheit der wesentlichsten grammatischen
Formen in ihrem Begriff und ihren Lauten, durch die Verschiedenheit
muss die Art des Verhältnisses, in dem die Sprache zum Sanskrit
steht, bestimmt werden. Sichtbar ist dies kein unmittelbarer
Uebergang, wie der des Lateinischen zum Italienischen, des Griechischen
zum NeuGriechischen. Die Sprache behält nicht eine grössere
Anzahl Sanskritischer Formen bei, die sie, da das Gefühl ihrer Bedeutung
sich theils verloren, theils verirrt hat, ihrem ursprünglichen Zweck
unangemessen anwendet, sie ist hiervon reiner, ihr Charakteristisches
liegt hauptsächlich in der Entblössung von grammatischen Formen,
darin dass sie durch die Verbindung sehr weniger ihre Zwecke in grosser
Einfachheit zu erreichen weiss. Sie entspringt aus Sprachen, die uns
zwar, ihrem grammatischen Bau nach, noch nicht hinlänglich bekannt
sind, von denen aber das Zend gewiss auch des Indo-Germanischen
Stammes war.

119. Es ist bewundernswürdig, wie auch in der Geschichte der Sprachen
bisweilen ganz gleiche Erscheinungen in sehr verschiedenen Gegenden
des Erdbodens wiederkehren. Das Englische befindet sich mit
dem Persischen so sehr in gleichem Fall, dass es schwerlich in zwei andren
Sprachen ein Beispiel davon geben mag. Die Uebereinstimmung
seiner grammatischen Formen mit Sanskritischen ist unverkennbar, es
entspringt aus einem Zweige der Germanischen Mundarten, dem Angelsächsischen,
es theilt mit dem Persischen den Charakter grammatischer
Einfachheit, es hat eine Beimischung fremder Wörter erfahren,
die aber die wesentliche Form seiner Grammatik nicht verändert haben.229

120. In den bis hierher angeführten Beispielen sehen wir Sprachen
von einem festeren organischen und beugungsreicheren Bau zu einem
minder zusammenhängenden und formloseren übergehen. Die technisch
grammatischen Mittel der Sprachen, von welchen aus die neuen
entstehen, werden theils unrichtig, theils sparsam und einförmig gebraucht,
einige gehen gänzlich verloren. So entbehrt das Persische und
Englische der Reduplication 9092, von der schon das Angelsächsische nur
schwache Spuren aufbewahrt 9193, und dem Persischen ist der Ablaut
gänzlich fremd. So verschieden die Sprachen, von denen wir hier reden,
in sich sind, so haben sie dennoch durch den ähnlichen Gang ihrer Entstehung
einen gemeinsamen Charakter. Alle enthalten Beugungsformen,
die, mit grösserer oder geringerer Lautveränderung, Elemente eines
fester organisirten grammatischen Baues waren, allein als einzelne,
aus ihrer vollständigen Verbindung herausgerissene Bruchstücke; sie
wenden dieselben entweder ihrer ursprünglichen Bestimmung unangemessen
an, verbinden sie auch wohl auf diese Weise, oder beschränken
die grammatische Form, indem sie wenige Auxiliare mit ungebeugt bleibenden
Wörtern verbinden. Gegen die Stammsprache erhalten daher
diese Sprachen den Charakter des Unzusammenhanges und der grammatischen
Dürftigkeit, der sie aber, wie schon oben bemerkt worden,
gar nicht in ihrer Eigenthümlichkeit trifft. Daneben bedienen sie sich,
um die Lücke der grammatischen Formen auszufüllen, natürlich desselben
Mittels, welches alle formarmen Sprachen anwenden, das grammatische
Verhältniss durch eigene Wörter anzuzeigen. Dies ist aber nur
eine Folge ihrer eigenthümlichen Beschaffenheit und muss sorgfältig
von derselben getrennt werden. Diese besteht in dem bruchstückartigen
Gebrauch aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissener
wirklicher Beugungsformen.

121. A. W. v. Schlegel hat diese Gattung der Sprachen mit dem Namen
der analytischen, so wie die eines vollständig organischen und
beugungsreichen Baues mit dem der synthetischen belegt 9294, und diese
letztere Benennung vorzüglich ist in andere Schriften übergegangen.
Ich glaube mit einigen Worten angeben zu müssen, warum ich mich
derselben absichtlich nicht bediene. Der Name der synthetischen soll
zwar den Unterschied von agglutinirenden bezeichnen, dass die Synthese
die einzelnen Theile in Eins verschmelzt, aber jede Synthese setzt
immer ein zu verbindendes Mehreres voraus, und wo ist dies, wenn z. B.
aus binden ich band wird? eine Lautbeugung, die gerade den feinsten
Sprachorganismus vorzugsweise charakterisirt. Die Zusammenschmelzung
in Eins lässt sich auch nur gradweise unterscheiden. Man kann
nicht sagen, dass sie da sey, oder fehle, sie ist in gewissem Verstande
immer vorhanden, nur mehr oder weniger innig. Der in jede feinste
Abschattung der Ideen eingehende Urheber jener Benennungen bemerkt
230bei den synthetischen und analytischen Sprachen selbst, dass die
Gränzlinie nicht scharf zu ziehen ist 9395, und es passt dies noch mehr auf
die synthetischen und affigirenden. Darum aber halte ich abscheidende
Namen für nachtheilig, und habe mich, sowohl bei einer, übrigens der
Schlegelschen ganz ähnlichen Eintheilung aller Sprachen 9496, als hier bei
der Absonderung der formloseren von den fester organischen nur solcher
Umschreibungen bedient, welche sowohl den Unterschied, als den
Uebergang der trennenden Gränzen in einander angeben. Der Ausdruck
analytische Sprachen scheint mir noch weniger passend. Es geht
in den hier genannten Sprachen nicht sowohl eine Auflösung der synthetischen
Formen vor, als dass man durch Verbindungen einiger, unaufgelöst
bleibender, andre entbehrlich macht. Das Persische fügt dasjenige
Praesens von seyn, was eigentlich nur diesen Gebrauch hat, und
ganz mit den Personenendungen des Verbum übereinkommt, die PronominalSuffixa
und den Artikel anderen Wörtern (Substantiven und
Adjectiven) an. Die ganze scheinbar flectirte Conjugation kann als eine
solche Anfügung angesehen werden. Es geht hierin nicht aus seinem
Indo-Germanischen Charakter heraus. Von der enklitischen Behandlung
der abgekürzten Pronominalformen und von ἐοτι im Griechischen
bis zu dieser Anfügung ist nur ein geringer Schritt weiter; in sich ist die
Erscheinung dieselbe. Hier verbindet also eine analytische Sprache, was
in der ihr zum Grunde liegenden synthetischen unverbunden ist. Oder
soll man das Persische nicht zu den analytischen Sprachen rechnen?
Dann sieht man, wie unbestimmt der Begriff derselben, und wie
schwierig er anzuwenden ist. Soviel ich einsehen kann, bleibt für den
Begriff des Analytischen nur das übrig, dass, was in den synthetisch genannten
Sprachen durch ein geformtes Wort ausgedruckt wird, hier einen
Ausdruck durch mehrere (allein auch das bei weitem nicht immer)
hat.

122. Ich habe bisher den leichteren Fall inneren Sprachzusammenhanges
abgehandelt, den des sichtbaren Ueberganges einer Sprache in
eine andre, und eines solchen, von dem wir aus den Zeiten sichrer Geschichtskunde
Beispiele besitzen. Es giebt aber Sprachen, in welchen,
indem sie durchaus und vollkommen eigne und insofern verschiedne
sind, dennoch Gleichheit der Sprachform in dem oben (§. 112.) bestimmten
Sinne unverkennbar ist, ohne dass irgend an einen Uebergang
der einen in die andre, wie der so eben betrachtete, gedacht werden
kann. Beispiele hiervon geben die Sanskrita- und Griechische Sprache.
Sie sind unläugbar verschiedene Sprachen, nicht bloss Dialekte, man
müsste denn dies Wort in ganz ungewöhnlich weitem Sinne nehmen.
Sie haben aber einen im Ganzen und sehr vielem Einzelnen übereinstimmenden
Bau, und ihre concreten grammatischen Formen sind sich
dergestalt gleich, dass sie sich grösstentheils, nach bestimmten Gesetzen
231und Lautverhältnissen, auf einander zurückführen lassen. Ihr gegenseitiges
Verhältniss verglichen mit dem der bisher betrachteten hat
das Auffallende, dass, indem sie viel sichtbarer verschiedene Sprachen
sind, dennoch jene in dem Begriffe der Sprachform weiter von einander
abweichen. Alle aus Zerschlagung einer organischen Form entstandene
Sprachen stehen mit denen, welchen sie ihren Ursprung verdanken,
dem Begriffe nach, in einer Art grammatischen Gegensatzes und bilden
zwei abgesonderte Classen, da die Sprachen, von denen ich hier rede, in
dieselbe gehören. Niemand wird läugnen, dass das Alt-Griechische, in
Rücksicht auf den grammatischen Begriff, weit mehr mit dem Sanskrit,
als mit dem Neu-Griechischen übereinstimmt, obgleich das Material in
dem letzteren sogar bis zur Möglichkeit gegenseitigen Verständnisses
dasselbe ist. Das Charakteristische, wodurch sich das Neu-Griechische
vom Alt-Griechischen unterscheidet, lässt sich, in scharf bestimmten
Begriffen angeben. Das Gleiche vom Griechischen und Sanskrit zu
thun, würde zu den schwierigsten Aufgaben gehören, und niemals in
gleichem Grade gelingen. Beide Sprachen unterscheiden sich mehr
durch ihre Individualität, als durch ihren Begriff.

123. Die Erweiterungen, welche die Geschichte Asiens durch Klaproths
vortrefliche Forschungen aus Chinesischen bisher unbenutzten
Quellen erhalten, haben der Einsicht in den Zusammenhang der Indo-Germanischen
Völkerschaften und Sprachen ein neues Feld eröffnet. 9597
Die Annahme, dass die Urväter aller dieser Völkerschaften das mittlere
Asien bewohnt, und sich von da vorzüglich nach Süden und Westen
(Indien, Persien und Europa), aber auch nach Osten und Norden in
mehreren in verschiedne Zeiten fallenden Wanderungen verbreitet haben,
steht zwar noch nicht als geschichtlich gewiss da, hat aber überwiegende
Wahrscheinlichkeit gewonnen. Die Chinesischen Schriftsteller
erzählen von einem blonden Volke mit blauen Augen, das im 3.
Jahrhundert vor unsrer Zeitrechnung an den Chinesischen Gränzen
wohnte. Dies Volk, welches den Namen Ou sun trug, so wie die Bewohner
von Choŭ le, die Ting ling und die Kian kŭen (nachher Hakas und
Khirgizen genannt), alle in Farbe der Haare und Augen einander ähnlich 9698,
sieht Klaproth als gegen Osten ausgewanderte IndoGermanische
Völker an, und ihre Bildung berechtigt allerdings zu dieser Voraussetzung,
um so mehr als die Sprachen der Völker, mit welchen die erwähnten
Stämme dort in Berührung geriethen, die Türkische, Mongolische
und Mandschurische, viel Germanische Wurzeln enthalten. Die Alanen,
die Klaproth für dieselben mit den Albanen erklärt, und deren Namen
er scharfsinnig mit dem Wort Alpe in Verbindung bringt, sind offenbar
Germanischen Stamms. Sie zogen sich westwärts vom Jaxartes in den
Norden des Kaspischen Meers, und wir sehen also östlich und westlich
von der Mitte Asiens Völkerstämme, den Germanischen an Körperbildung
232ähnlich, und von den andren dort wohnenden Mongolischen, Türkischen,
Tungusischen Völkern verschieden, welches auf einen dazwischen
liegenden Stammsitz, als Ausgangspunkt, schliessen lassen kann.
In diesem unmittelbar nördlich von Tübet findet sich ein Land mit
Sanskritischem, mit einheimischen Mythen in Verbindung stehenden
Namen, Khotan, von kustana, Brust der Erde, wo die Buddha Religion
schon vor unsrer Zeitrechnung waltete, und von wo aus sie sich vielleicht
in die Nachbarländer verbreitet hat. Ob Khotan darum einer der
Stammsitze der Hindus, oder nur eine alte gegen Norden gewanderte
Hinduische Colonie war? bleibt freilich unentschieden. Das Letztere
hat sogar viel mehr Wahrscheinlichkeit für sich. Allein Colonien werden,
wie wir es zwischen Griechenland und Kleinasien sehen, oft in
Stammsitze zurückgeschickt und immer sehen wir hier einen Zusammenhang
Indischer und blonder Germanischer Völker. 9799 Die Yuctchi,
die drei Jahrhunderte vor Christus westlich von der Chinesischen Provinz
Kan sou wohnten, auch Yucti heissen, und als die Vorväter der Yut
in Guzerate angesehen werden, gehörten vielleicht auch zu jenem blonden
Geschlecht. Denn sie lebten längere Zeit vermischt mit den Ou sun,
und die Yut haben Europaeische Gesichtsbildung und ein dem Griechischen
ähnliches Profil. Zweifelhafter ist es, ob man in diesen Yucti die
Gothen erkennen darf, deren Namen auch darauf führen kann, ein andres
Volk der blonden Race, die Hou oder Khoute für einen Gothischen
Stamm zu halten. 98100

124. Ich habe absichtlich hier nur Nachrichten berühren wollen,
welche den Zusammenhang aller zum Indo-Germanischen Stamm gehörenden
Völkerschaften, wie in einem einzigen Punkte wahrscheinlich
machen, ohne darum überhaupt von dem Asiatischen Ursprung der
Germanischen und Hellenischen Stämme zu reden. Ich habe aber auch
diese Nachrichten so kurz, als möglich, zusammengefasst, weil sie doch
nur die Gleichartigkeit und Verschiedenheit der Sprachen, die zu dieser
Familie gehören, im Allgemeinen begreiflich machen, über die Art des
inneren Zusammenhanges derselben dagegen keine näheren Aufschlüsse
geben. Um diesen aber ist es uns hier zu thun, da wir hier nicht gerade
dem Ursprung dieser bestimmten Sprachen, sondern den Arten der
Sprachverzweigung überhaupt nachspüren. Da Sanskrit, Griechisch,
Germanisch, Slawisch sich nicht unmittelbar aus einander herleiten lassen,
so werden sie gewöhnlich Schwestersprachen genannt und auf eine
gemeinsame untergegangene Mutter zurückgewiesen. Es ist aber leicht
zu zeigen, dass dies ein blosses Zurückschieben ins Unbekannte, mehr
ein Aufgeben aller Erklärung, als eine Erklärung selbst ist.

125. Wir haben es hier — und um die Erörterung zu erleichtern, bleibe
ich bloss bei dem Griechischen und Sanskrit stehn — mit Sprachen zu
thun, welche einen festen, zusammenhangenden, rationellen, organischen
233Bau besitzen, die grammatischen Verhältnisse durch untrennbare,
längst verwachsne, ihrem Ursprunge nach grossentheils gar nicht
erkennbare Beugungen, durch künstlich angewandte Reduplication
und Ablaut bezeichnen, an denen also die Grammatik, wie es die Natur
ihres Wesens erfordert, als eine Form, geschieden von der Materie erkannt
wird. Davon nun, dass solche Sprachen aus Sprachen gleicher
Beschaffenheit entsprungen wären, oder um es anders auszudrucken,
dass zwei Sprachen, wie die Sanskrita, Griechische, Gothische, in dem
Verhältnisse zu einander ständen wie das Lateinische und Italienische,
giebt es in der Sprachenkunde, soweit ich darin nachzuforschen vermag,
kein Beispiel. Wir sehen — um für Leser zu reden, die solche Ausdrücke
zu wägen verstehen — aus dem Geformten nicht das Geformte
hervorgehn. Die Erfahrung also verlässt uns.

126. Es könnte daher nicht getadelt werden, hier auch die Untersuchung
zu schliessen, und sich mit der Bemerkung zu begnügen, dass es
gleichartige, auf einen gemeinsamen, aber nicht mehr auszumittelnden
Ursprung hinweisende Sprachen giebt. Indess ist es doch möglich, die
Aufgabe, kann sie auch nicht eigentlich gelöst werden, wenigstens näher
zu bestimmen. Die Erklärungsweise, dass eine Sprache durch Verpflanzung
oder den Lauf der Zeit sich von ihrer ursprünglichen Form
bis zur Entstehung neuer abbeugt, scheint mir, wenn von Einer in sich
fertigen und geschlossnen die Rede seyn soll, im gegenwärtigen Fall
nicht anwendbar. Ich wüsste mir nicht die Beschaffenheit der Sprache
zu denken, welche auf diese Weise dem Griechischen und Sanskrit zum
Grunde liegen könnte. Die durch den Ablauf der Jahrhunderte umgewandelten
Sprachen, die wir in den Germanischen und Slawischen verfolgen
können, haben einen andren Charakter der Verschiedenheit,
nemlich den des allmählich ohnmächtiger werdenden Bildungsprincips.
Wenn das Spanische, wie man es in Amerika redet, auch noch so lange
fort gesprochen wird, so kann zwischen demselben und dem Spanischen
des ursprünglichen Mutterlandes kein so grosser Unterschied,
und kein solcher entstehen, als der die hier in Rede stehenden Sprachen
auszeichnet. Es tritt kein neues Bildungsprincip hinzu; mögliche Mischungen
abgerechnet, entstehen nur Eigenheiten der Aussprache, der
Redensarten, am seltensten gewiss auch der Beugungen. Im Sanskrit
und Griechischen findet sich ein merkwürdiges zwiefaches Verhältniss.
Auf der einen Seite waltet in ihnen noch die Fülle des Lebensprincips in
reger Kraft, wenn sie auch im ersteren gleichsam noch üppiger, und bisweilen
über das grammatische Bedürfniss hinaus wuchert. Man kann
daher ihren Ursprung nicht in eine Sprache setzen, in der das fortbildende
Gefühl sich schon abzustumpfen und zu verschwinden beginnt.
Einheit des Ursprungs aber muss vorhanden seyn, da sich sonst die
Uebereinstimmung der concreten grammatischen Formen nicht erklären
234lässt. Auf der andren Seite enthalten aber Sanskrit und Griechisch
auch nicht undeutliche Spuren älterer erloschener Formen. Jenes ist im
Ganzen, dieses im Einzelnen der Fall. Sie tragen in diesen einzelnen
Spuren denselben Charakter an sich, der dem Laufe der Zeit, wo die
kunstvollere Grammatik untergeht, angemessen ist. Es haben sich Formen
schon abgeschliffen, es hat sich Geformtes, wie verwachsenes Auxiliar
angefügt. Der Ausgang der ersten Person des Praesens im Atmanepadam,
der zweiten des Singulars des Imperativs des Parasmaipadam
im Sanskrit, das die Verba endende ω, λέγοιμι und das ϑ des Aoristus
passivi im Griechischen können in dieser Beziehung angeführt werden. 99101
Ist dies Letztere wirklich aus der Wurzel von τίϑημι genommen,
so ist ἐτέϑην gerade wie j'aurai zusammengesetzt, und in einer uns als
ursprünglich geltenden, sogenannten synthetischen Sprache, wie in einer
abgeleiteten, sogenannten analytischen, verfahren. In einigen dieser
Fälle weichen beide Sprachen von einander ab, und die abgestumpftere
Form gehört nur der einen an; in andren aber, wie in wada und λέγε
hatten Griechisch und Sanskrit und in einigen Personenendungen 100102 des
Perfectum auch das Gothische gleichen Schritt, und die vollere Form
scheint also allen gemeinsam zum Grunde gelegen zu haben. Dass nun
diese Sprachen mitten in einem lebensreichen, kunstvollen Bau auch
Beweise verschwindender Grammatik in sich tragen, widerspricht dem
Begriff keineswegs. Auf Sprachen, deren Charakter im Ganzen ein
durchaus verschiedener ist, können im Einzelnen gleiche Ursachen eingewirkt
haben, es würde sogar unrichtig seyn, eine solche Einförmigkeit
des Bildungsprincips in weitverbreiteten Sprachen, die nothwendig zusammengesetzter
Natur sind, anzunehmen, es ist natürlich, dass viele
Gattungen der Einflüsse in Einer zusammenkommen, das Entscheidende
ist nur, welche das Uebergewicht hat, oder dass Ein bildendes Princip
alle diese Einflüsse sich unterordnet. Der Charakter des Ganzen
reisst in den Sprachen allemal das Einzelne mit sich fort. Vergisst man
diesen Grundsatz in der Beurtheilung der Sprachen festzuhalten, so
miskennt man mit ihrer Natur selbst auch allen wahren Unterschied unter
denselben. Denn so abweichend sind sie nun einmal nicht von einander,
dass auch in den verschiedensten nicht einzelnes Gleichartiges
vorkommen sollte. Da die Richtung im Sanskrit und Griechischen ganz
beugungsartig ist, so wirken jene abgeschliffenen Formen nicht als solche,
die Endungen von wada und λέγε gelten nicht als das, was sie sind,
als blosse Bildungsvocale verlorener, sondern, die Mannigfaltigkeit der
Beugungen vermehrend, als neue Formen.

127. Nach dem hier Vorausgeschickten glaube ich in diesen Sprachen
zweierlei zu entdecken. Auf einen früheren Zustand der Sprachen
dieses Stammes ist ein andrer gefolgt, der die Regsamkeit eines neubildenden
Princips mit sich geführt hat. Aber der Stoff, dessen es sich bedient,
235war von gleichartiger, jedoch innerhalb allgemeinen gleichen
Charakters, wieder in früherer Verzweigung, längerer oder kürzerer
Dauer verschiedner Beschaffenheit. Ich halte es in der Sprachumbildung
für ein ewiges und unabänderliches Gesetz, dass, solange eine
Sprache ruhig in sich fortbesteht, sie an demselben Ort nur die Wirkungen
der Zeit, in der Schwächung des Lebensprincips, an verschiedne
verpflanzt, ausserdem dialektische Abbeugungen erfährt; dass aber, soll
aus ihr eine wirklich verschiedne hervorgehn, sie durch irgend ein Ereigniss
in ihrem Wesen erschüttert werden muss. Die Nationalität muss
verändert werden. Denn die Sprachen erfahren nichts, was nicht vorher
die Nationen empfinden. Nationen aber können entstehen und untergehen.
Das Griechische wäre nicht zu Neugriechischem, das Lateinische
nicht zu Italienischem geworden, wenn nicht mächtige Umwälzungen
den politischen Zustand des Hellenischen und Römischen Volkes zertrümmert
hätten. Die Grammatik beider hätte allmählich an Kraft und
Fülle verloren, wäre aber nicht in Verwirrung gerathen, und keine von
beiden hätte sich, nach dem erlittenen Sturze, elastisch wieder in erneuerter
Gestalt erhoben. Was dem Sanskrit und Griechischen das Leben
gegeben, muss gerade entgegengesetzter Natur gewesen seyn. Neue Nationen
haben sich zusammengeschlossen, und die Epoche ihres Werdens
haben die neuen Sprachen bezeichnet. Da sie aber das Gepräge
eines mit gleich tiefem und lebendigen Sprachsinn begabten Volkes tragen,
so muss der Stoff, aus dem sie gebildet wurden, in seiner Gleichartigkeit
und Verschiedenheit, deren nähere Bestimmung wir für jetzt dahingestellt
seyn lassen, einem solchen Volksstamm angehört haben.

128. Wenn man das Sanskrit, die Persische, Griechische, Lateinische,
die Germanischen und Slawischen Sprachen, sie mit einander vergleichend,
betrachtet, so sieht man, dass sie zwar (§.122.) nicht bloss
Dialecte Einer Sprache sind, sich aber wie Dialecte von einander unterscheiden.
Sie haben, dem Begriff nach, denselben grammatischen Bau,
ganze Formen finden sich, fast unverändert, in allen gemeinschaftlich,
die Laute der bloss ähnlichen, so wie vieler Wurzeln, lassen sich, nach
aufzufindenden Gesetzen, auf einander zurückführen. Der Charakter
der Dialecte ist, dass sie in derselben Sprache durch Entfremdung, vermittelst
sich absondernder Vereinigung entstehen. Dasselbe Princip
muss auch der Entstehung dieser Sprachen zum Grunde liegen. Der individuelle
Unterschied beruht nur auf der Art und den verschiednen
Graden der Entfremdung. Alle hier genannten Sprachen leiten auf die
Vermuthung, dass in jede mehrere Mundarten zusammengeflossen
sind. In allen hat das Pronomen mehrere Grundwörter. Manches im
Sanskrit, namentlich die Vielfachheit der Personenendungen deutet auf
Verschiedenheit von Mundarten hin. Ich denke mir daher diese Sprachen,
jede aus einzelnen Mundarten, die sich, da in verschiedenen Zeiten
236kleinere Stämme energisch zu grösseren Nationen vereinigt wurden,
zu Sprachen zusammenbildeten, hervorgegangen. Auf diese Weise lässt
sich ihre Entstehung und ihre Beschaffenheit begreifen. Sie wurden zu
eignen Sprachen, sie haben ihr eignes Bildungsprincip, dies lag in der
Zusammenschmelzung kleinerer Stämme zu einer grösseren Einheit,
die dem Nationalgeist einen neuen Schwung gab, auch selbst vielleicht
einem ihn elektrisirenden Ereigniss ihr Daseyn verdankte. Es war auch
neue Bildung nöthig, oder vielmehr sie entstand von selbst, da die in
gemeinschaftliche Rede zusammentretenden Mundarten doch Verschiedenheiten
hatten, in verschiednen Bildungsepochen stehen konnten.
Hieraus erklärt sich dann natürlich das Zusammenseyn ursprünglicher
und schon verbrauchter Formen. Es entstanden auf diesem Wege
auch vermuthlich ganz neue grammatische Begriffe. War z. B. die Zahl
der tempora oder modi in den noch grammatisch dürftigeren Mundarten
geringer, allein ihre Formen in verschiednen verschieden, so konnten
sie in der neuen zusammenfassenden Sprache zur Bezeichnung feinerer
grammatischer Verhältnisse anfänglich durch richtig geleitetes
Sprachgefühl vorbehalten, nachmals wirklich gestempelt werden. Ich
will hier nur Ein, aber in die Augen fallendes Beispiel anführen. Die
grammatische Tempusform, welche nach Bopps Grammatik die siebente
Bildung des vielförmigen Praeteritum ist, hat das Griechische Plusquamperfectum
hervorgebracht, awûwrusam ist, wenn man den Unterschied
abrechnet, dass das Sanskrit den Wurzelvocal wiederholt, im
Griechischen aber immer mit ε reduplicirt wird, in der Reduplication
und dem Augment, von derselben Formation, als ἐτετύφειν. Im Sanskrit
ist dies aber kein eigenes Tempus, sondern nur eine Art, wie eine Anzahl
von Wurzeln (jedoch eine grosse, da alle Causalverba von dieser
Art sind) dasjenige Vergangenheitstempus bildet, das man im Sanskrit
mehr deshalb, weil die Griechischen Aoriste daraus abstammen, als
weil es immer aoristische Bedeutung hätte, Aoristus nennt. Allein auch
bei den Griechischen Epikern, also in der älteren Sprache findet sich,
wie im Sanskrit, diese augmentirte Reduplication im Aorist, wie
ἐπέφϱαδον, ἔπεφνον, ἐϰέϰλετο beweist. 101103 In ein wie hohes Alterthum
diese Sprachen für uns hinaufgehen, so sind sie sichtbar aus noch älteren
entsprungen. Ja es ist überhaupt nicht glaublich, dass wir eine einzige
Sprache kennten, mit welcher dies nicht der Fall seyn sollte. Worauf
ich aber nur habe aufmerksam machen wollen, ist einmal, dass nicht
allen Eine, ja keiner von ihnen eine, die sich bloss durch die gewöhnlichen
Umwandlungen der Zeit in sie verändert hätte, zum Grunde liegt,
sondern dass aus noch nicht in diesem Umfang entwickelten Sprachen
durch glücklichen Anstoss wirklich neue entstanden sind.

129. Wenn ich die Beschaffenheit der Indo-Germanischen Sprachen
richtig aufgefasst habe, so sind sie (§.127.) durch ein neues Bildungsprincip
237aus gleichartigem Stoff (gleichartig nämlich mit ihnen und unter
sich) erzeugt worden; aber so, dass das Unvollkommnere und Dürftigere
zu freierer und höherer Entwicklung und grösserem Umfange
übergegangen ist. Diese letztere Annahme kann auf den ersten Anblick
unerwiesen scheinen. Ich leite sie aber aus dem kraftvollen Lebensprincip
dieser Sprachen ab, dessen Culminationspunkt ich für das Griechische
in das Homerische Zeitalter setze. Ein solches lässt sich nur aus
einer steigenden, nicht aus einer schon wieder sinkenden Kraftentwicklung
erklären. Auch eine gewaltsam in ihrem Wesen erschütterte und
sich nun in neuer Gestalt wieder ermannende Kraft, wie wir sie zum
Theil in den lateinischen Töchtersprachen sehen, lässt sich hier nicht
voraussetzen, weil in solchen Fällen immer die untergegangene Sprache
und ihre zerschlagene Form sichtbar bleiben. Man wird daher nothwendig
auf die obige Annahme geführt. Beugungssprachen scheint es natürlich
aus Anfügungssprachen abzuleiten. Das Sanskrit führt sogar darauf,
da es in der Wortbildung die Suffixa so deutlich und rein vom
Wortstamm abscheidet. Man muss sich indess über einen solchen allmälichen
Uebergang von Anfügungs- in Beugungssprachen nicht täuschen.
Eine letztere im wahren Verstande entspringt niemals allmälich,
sondern immer nur durch eine im Geist der Nation innerlich aufflammende
und nun die Sprache umgestaltende Ansicht, wie die magnetische
Kraft unter gewissen Umständen die chemische Mischung der
Theile eines Körpers verändert. Wenn grosse Klarheit und lebendige
Anschaulichkeit der Begriffe, Gefallen am Ton und Gefühl für Gesetzmässigkeit
und Mannigfaltigkeit in ihm den Sprachsinn weckend ergreifen,
so schmelzen die Hauptwörter mit den bedingenden zusammen,
gruppiren sich, wie lebendige Individuen, und erhalten durch den umbildenden
Ton ihre Gestaltung. Dass hier Begriff und Ton zugleich, wie
ein schaffender Hauch, die in einer Sprache, wie z. B. die Tahitische,
einzeln zerstreuten Elemente, zu Ganzen gestaltend versammeln, beweist
in den Indo-Germanischen Sprachen namentlich die innere Umwandlung
der Vocale, das Guna, der Ab- und der Umlaut. Die Bildung
durch Ablaut ist, schon nach Grimms Bemerkung 102104, nie eine fortsetzender
Sprachentwicklung, sondern immer ursprünglich. Da die Laute
und das Verhältniss der Sylben verändert, gewichtiger und leichter gemacht
werden, so sieht man, dass das Wort als ein Ganzes behandelt ist.
Hiermit ist aber die Beugung in ihrem wahren Sinne gegeben. Denn sie
ist nichts andres, als ein solcher Ausdruck des Begriffs in unzertrennlicher
Verbindung mit seinen grammatischen Verhältnissen, dass das
Wort immer dasselbe, nur verschieden gestaltet, erscheint. Ein solcher
grammatisch bildender Sinn hat sichtbar schon die Sprachen durchwaltet,
welchen auch die ältesten uns bekannten unter den Indo-Germanischen
ihren Ursprung verdanken. Es beweisen dies die Mannigfaltigkeit
238der Formen, die nicht alle Einer Bildung, ja nicht Einer Bildungsepoche
angehören, und diejenigen, welche sichtbar früher in vollständigerer
Gestalt vorhanden waren.

130. Die Geschichte aller Welttheile zeigt, dass das Menschengeschlecht
in vielen seiner Epochen, und vorzüglich in den früheren, in
sehr kleine Völkerhaufen vertheilt gewesen ist. Selbst die kürzere oder
längere Vereinigung in grosse Reiche hat diese innere Absonderung
nicht immer bedeutend geschwächt. Die Vielfachheit der Sprachen
musste namentlich grösser seyn, ehe die Veranlassungen verbindenden
Verkehrs häufiger wurden. In Afrika und Amerika ist dies noch heute
sichtbar, und gerade, wo man die Anfänge der Indo-Germanischen Nationen
sich am wahrscheinlichsten denken kann (§. 123.), sehen wir
noch in der Zeit sichrer Geschichtskunde viele hin und herwandernde,
bald verbundne, bald geschiedene Horden. Die Annahme der Entstehung
dieser Sprachen aus einzelnen Mundarten, die wir (§. 128.) oben
in ihnen selbst begründet gefunden haben, wird also auch durch die
Geschichte herbeigeführt. Aus diesen konnte ein neues Bildungsprincip,
dessen Nothwendigkeit wir oben (§. 129.) erkannten, Sprachen erzeugen,
die sich als edlere und allgemeinere von den Volksmundarten
abschieden. Denn nur in dem Uebergewicht der Herrschaft oder der
geistigen Anlagen eines Stammes und einer Mundart, die alsdann die
übrigen mit sich fortreisst, kann ein solches Princip hier gefunden werden.
Solange es an einem solchen Uebergewicht fehlt, sind alle Mundarten
gleichberechtigt. Die sich auf und über ihnen erhebende Sprache
hat vorher in ihrer Mitte geweilt, aber nun, als äusserlich oder innerlich
herrschend, als Schrift- oder Dichtersprache in ein geschichtliches Daseyn
getreten, trennt sie sich weiter und weiter. 103105 Es schliesst sich hier
das an, was ich (§.99.) oben von den beiden entscheidenden Momenten
in den Schicksalen der Sprachen, ihrem Erscheinen als Stoff, und der
höheren Befruchtung dieses Stoffs durch intellectuelle Begeisterung
und dem möglichen Zusammenfallen dieser beiden Punkte gesagt habe.
Das Phänomen der IndoGermanischen Sprachen erfordert die Erklärung
des Entstehens der einzelnen aus früheren, und ihres Verhältnisses
zu einander. Das Erstere wird durch das eben Gesagte aufgehellt. In
Absicht des letzteren kann die Entstehung gleich Dialecten (§.128.)
verschiedener Sprachen, namentlich aber der hier betrachteten, nur
durch wechselndes Nähern und Entfernen, Verbinden und Trennen von
Stämmen, die zu Einem ursprünglich enge zusammenwohnenden gehörten,
in verschiedenen Zeiträumen, begreiflich werden. Denn bei
wirklicher Gleichartigkeit des Sprachsinns, also der geistigen Richtung
und der sinnlichen Anlagen der Sprachwerkzeuge und des Ohrs, muss
doch eine hinlängliche Anzahl von Ursachen vorhanden gewesen seyn,
die Verschiedenheiten hervorzubringen. Ich bin weit entfernt mir das
239Entstehen der letzteren so vorzustellen, als wären aus Einer Mundart,
wie aus einem untheilbaren Punkt bloss durch die Folge der Zeit und
die in ihr vorgegangenen Veränderungen jene verschiedenen Sprachen
hergeflossen. Es ist aber (§.75.) auseinandergesetzt worden, dass die
Natur der Sprache darauf führt, sie uns nie anders, als in einem Volke
zu denken. Mit diesem selbst aber ist die Verschiedenheit von Mundarten
gegeben. Denn die Sprache eines Volks ist, da immer Haufen von
Mitgliedern verbunden unter sich und getrennt von andren leben, nie
genau eine und die nämliche, aber dennoch im gemeinsamen Verständniss,
bei der Gleichartigkeit der einwirkenden Ursachen und der das
Ganze umschlingenden Verbindung, im Ganzen dieselbe. So konnte auf
einem grösseren oder kleineren Landstrich der oben (§.129.) erwähnte
grammatisch bildende Sinn Stämmen verschiedener Mundarten eigen
seyn. Ein Volk kann aber aus einander gehen, alsdann trägt jeder Theil
sein gleichartig sprachbildendes Princip in sich fort, allein die Spaltung
wächst bei dem nun abgerissnen lebendigen Verkehr. Immer setzt indess
dieser Process voraus, dass das sprachbildende Princip noch in
zeugender Regsamkeit sey, was innerlich von der intellectuellen und
sinnlichen Lebendigkeit der Nationen, äusserlich grossentheils davon
abhängt, dass die Sprache sich noch nicht zu fest verkörpert habe, was
vorzüglich bei Erhaltung der Schrift und auf dem Gipfel ihrer Literatur
ihr Schicksal ist.

131. Ich habe hier nur die Indo-Germanischen Sprachen im Ganzen
und beispielsweise erwähnt. Jede dieser Sprachen steht aber wieder in
einem nur ihr eigenthümlichen Verhältniss zu den übrigen, und es wäre
von der grössesten Wichtigkeit, dies gründlich im Einzelnen zu untersuchen.
Das Lateinische vorzüglich würde dabei in einem sehr neuen
Lichte erscheinen. Es ist unläugbar, dass eine grosse Menge von Lateinischen
Wörtern sich leichter unmittelbar aus dem Griechischen, als dem
Sanskrit herleiten lässt, so wie dass der Stamm, dem diese Sprache angehört,
sich mit andren Italischen vermischt hat. Auf der andren Seite
aber giebt es im Lateinischen eine bedeutende Anzahl, dem Griechischen 104106
fremder und unmittelbar aus dem Sanskrit übergegangener
Wörter 105107, bewahrt die Grammatik (§.113.) rein und unverändert
Sanskritisch gebliebene, dem Griechischen mangelnde Formen, und ist
das Oscische, dem man gerade die hauptsächlichste Beimischung nicht-Griechischer
Elemente beimisst, höchst wahrscheinlich auch Sanskritischen
Stammes. Denn es ist schon von Bopp bemerkt worden, dass der
auch in Oscischen Inschriften vorkommende AltLateinische Ablativ in
od der Sanskritische in ât ist, der sich gleichfalls nicht im Griechischen
findet. So unhaltbar daher die bisher nicht ungewöhnliche Theorie ist,
dass die Lateinische Sprache, ihre Vermischung mit Italischen Wörtern
und Formen abgerechnet, aus dem Griechischen, namentlich aus dem
240Aeolischen Dialect geflossen sey, und so bestimmt man dem Lateinischen,
so gut als dem Griechischen selbst, eine unmittelbare Abkunft
von den ursprünglichen Mundarten des Indo-Germanischen Stammes
beimessen muss, so scheint dennoch ein Theil dieser Sprache nur unmittelbar
aus dem Griechischen abgeleitet werden zu können. Der
Grund davon mag in verschiedenen, zu verschiedenen Zeiten unternommenen
Einwanderungen in Italien liegen. Es müsste nur durch tiefe
und sorgfältige Untersuchung bestimmt werden, welcher Theil der
Sprache sich in dem einen, oder dem andren Falle befindet. Ob aber
etwas dem IndoGermanischen Stamme ganz fremdes im Lateinischen
sey? wird durch das oben vom Oscischen Gesagte sehr zweifelhaft gemacht.
Soviel ich zu urtheilen im Stande bin, liegt in der Grammatik
und ihren Formen durchaus nichts dieser Art, das Meiste darin spricht
sogar unverkennbar für unmittelbaren Ursprung aus dem Sanskrit, oder
früheren ähnlichen Mundarten. Mit einzelnen Wörtern aber ist es vermuthlich
anders.

132. Ich habe im Vorigen, immer der Idee getreu bleibend, dass allein
der grammatische Bau über die Einerleiheit oder Verschiedenheit der
Sprachen entscheidet, einen zwiefachen Uebergang aus einer Sprache in
eine andere neue in Betrachtung gezogen; zuerst (§. 116.a-121.) einen
solchen, wo aus kunstvoll organisirten, beugungsreichen Sprachen andre
eines unvollkommneren grammatischen Baues und von minder kräftigem,
oft auch minder consequenten Bildungsprincip durchhaucht, entstehen;
hernach aber (§. 122-131.) einen solchen, wo mehrere Sprachen
jenes höheren Organismus und nahe verwandter grammatischer Form
aus ähnlichen, aber minder entwickelten und umfassenden zusammenfliessen.
Ich habe zu Beispielen Sprachen des Indo-Germanischen Stammes
gewählt, an denen, in Abkunft und Forterzeugung, dieser zwiefache
Uebergang offenbar wird. Ich hätte auch die Semitischen anführen können,
die, auf ähnliche Weise unter einander verwandt, auch neueren
Sprachen, dem Neu-Arabischen und Maltesischen das Daseyn gegeben
haben. Man kann aber auch, den Gesichtspunkt erweiternd, hierin zwei
allgemeine Uebergangsweisen der Sprachen sehen, eine des Zusammentretens
mehrerer verwandten Mundarten zu Einer sich durch neues Bildungsprincip
neu gestaltenden Sprache, und eine des Herabsinkens eines
kunstvolleren Organismus zu einem weniger vollkommnen. Ich ziehe
sogar dies vor, da alsdann die Untersuchung unabhängiger wird von dem
historischen Ursprung der Indo-Germanischen Sprachen, und ich wohl
fühle, dass die Art, wie ich diesen angenommen, Zweifel übriglassen
kann.

133. In beiden hier betrachteten Fällen war aber auch das als ursprünglich
Angesehene schon mit grammatischer Form begabt, und es
bliebe daher noch der Ursprung einer solchen Sprache aus einer der
241grammatischen Form ermangelnden übrig. Um hier nicht ins Unbestimmte
zu verfallen, muss man den Begriff der Form im strengsten Verstande
nehmen. Ich fasse daher unter den Sprachen ohne grammatische
Form alle zusammen,, die, wie das Chinesische, das Verständniss gar
nicht von grammatischen Zeichen abhängig machen, oder wie die Südseesprachen,
die grammatischen Wörter abgesondert und unverbunden
lassen, oder endlich, wie das Coptische, dieselben lockrer und fester,
allein immer so anfügen, dass diese Anfügung keine Beugung des Wortes
genannt werden kann. Für einen Uebergang nun aus einer solchen
Sprache in eine mit Beugungen versehene kenne ich in der bisherigen
Sprachenkunde kein Beispiel. Ich habe oben (§.129.) von der Möglichkeit
eines solchen Ueberganges geredet, und glaube gezeigt zu haben,
dass ein allmälicher, bloss mechanisch durch die Aussprache entstehender
wohl festere Anfügung, nie aber Beugung, die immer ein neues Bildungsprincip
erfordert, hervorbringen kann. Ich möchte auch keinesweges
behaupten, dass nothwendig ein solcher Uebergang habe
vorgehen müssen, und dass es nicht vielmehr bei weitem wahrscheinlicher
sey, dass die Beugungssprachen von ihrem ersten Ursprunge an
solche gewesen wären. Man kann sich Unterschiede der Sprachen, wie
der hier bemerklich gemachte, als verschiedne Epochen der Sprachentwicklung
denken, sich vorstellen, dass eine Sprache, die sich noch regelmässiger,
als der neue Chinesische Styl, der grammatischen Wörter
bediente, zu einer der Tahitischen ähnlichen, diese durch allmähliche
Anfügung zu einer, wie die Koptische, die letztere endlich, bei innigerer
Verschmelzung der Affixa, den Semitischen ähnlich geworden wäre,
und dies kann nicht nur die Verschiedenheit dieser Sprachformen in ein
helleres Licht setzen, sondern es wird dadurch wirklich eine Stufenfolge
des grammatischen Organismus in der menschlichen Sprache aufgestellt.
Aber damit behauptet man keineswegs, dass auch in der Wirklichkeit
diese Gattungen in der That aus einander entstanden seyen. In
der ganzen Eintheilung der Sprachen in anfügende und beugende liegt
aber etwas Willkührliches, das nicht davon getrennt werden kann. In
keiner Sprache ist Alles Beugung, in keiner Alles Anfügung. Der wahre
hier in Betrachtung kommende Unterschied ruht (§.111.) in der Herrschaft
des schaffenden Sprachsinns über den todten Stoff. Erwacht dieser
plötzlich, wo er bisher geschlummert hat, so können aus mechanisch
anfügenden Sprachen beugend wortgestaltende hervorgehn. Es
kann auch der Anstoss dazu dadurch gegeben werden, dass, wie es in so
vielen anfügenden Sprachen angetroffen wird, gewisse Anfügungen gar
nicht mehr, als solche, erkennbar sind. Es ist aber nicht der Zweck dieser
Schrift, Vermuthungen nachzuhängen und Hypothesen aufzustellen,
sondern einzig die Natur der Sprachen aus Thatsachen und auf dem
Gebiete geschichtlicher Forschung zu entwickeln.242

134. Ich schliesse hier die Betrachtung der möglichen Uebergänge
von einer Sprachform in eine andre. Der Gegenstand kann zwar durch
das Wenige hier Gesagte unmöglich für erschöpft gehalten werden. So
wie man je zwei Sprachen genau zergliedert, die sich in einem solchen
Falle befinden, so wird man immer anders und anders speciell individualisirte
Entstehungsarten entdecken. Die Verfolgung dieses Weges
hätte aber zu einer ins Einzelne gehenden Untersuchung aller Sprachen
geführt, die kein Einzelner zu leisten im Stande ist. Es kam hier, meiner
Absicht nach, nur darauf an, die allgemeinen Gattungen der Sprachentstehung,
unter die sich die einzelnen Verschiedenheiten als besondre
Arten bringen lassen, und die Hauptgesichtspunkte anzugeben, auf die
es hierbei ankommt. Die Anwendung der hier aufgestellten Grundsätze
in der Folge dieser Schrift wird die sicherste Prüfung ihrer Richtigkeit
und Hinlänglichkeit seyn.

135. Forschen wir nun, nach der oben (§.104.) angegebenen Folge
unsrer Betrachtungen, den Entstehungsgründen neuer Sprachen in den
Schicksalen der Völker nach, so lassen sich dieselben auf folgende drei,
die bald einzeln, bald mit einander verbunden wirken, zurückführen:
Verlauf der Zeit, Veränderung des Wohnplatzes, Mischung verschieden
redender Stämme. Zu diesen dreien tritt aber eine vierte hauptsächliche,
durch welche jene erst ihre grösseste Wirksamkeit erhalten, die
sich aber nicht mit ihnen in gleiche Reihe stellen lässt, weil sie nicht
leicht ohne sie oder eine von ihnen erscheint, jene aber auch allein für
sich wirksam sind, nämlich eine solche Umgestaltung des politischen
und sittlichen Zustandes, dass dadurch die Nationalitaet verändert
wird, entweder erhebenden Aufschwung erhält, oder gewaltsame, dem
Untergange mehr oder weniger nahe führende Erschütterung erfährt.
Vorzüglich wirksam auf die Sprache, und neue Zustände, theils selbst
schaffend, theils bezeichnend und heftend, ist die in Dichtung oder wissenschaftlichem
Streben plötzlich auflodernde intellectuelle Begeisterung.
Es liesse sich wohl bezweifeln, ob das Entstehen sehr vollkommener,
auf die Intellectualitaet wieder mächtig zurückwirkender Sprachen
je anders als durch das Eintreten solcher Epochen erklärt werden kann?
Ich rechne jedoch dies zu der in Erweiterung und Erhebung bestehenden
Veränderung der Nationalität, da es, seiner Natur nach, wirklich
damit zusammenhängt.

136. Durch den blossen Verlauf der Zeit entsteht eigentlich weder
eine neue Nation, noch eine neue Sprache. Die ursprüngliche Auffassung
der Sprache wird nur durch die Umstände modificirt, welche die
Folge der Jahrhunderte herbeiführt, von denen oben (§.93.) schon ausführlicher
geredet worden ist, und die sich, wenn es nicht an Denkmalen
fehlt, in ungetrennter Folge aus einander herleiten lassen. Dennoch
werden die in einer langen Periode in einer Sprache auch bloss auf diese
243Weise, ohne Hinzukommen einer andren Ursach, entstehenden Veränderungen
so bedeutend, dass das Verständniss nach und nach des Studiums
bedarf. Alsdann kann und muss man die Unterscheidung einer
neuen Sprache machen, weil sie wirklich grammatikalisch und lexicalisch
von der vorhergehenden und nachfolgenden abweicht. Wie aber
die Gränze zwischen Mundart und Sprache immer schwankend bleibt,
so ist es auch hier. Ja, wenn man Mundart, wie man unstreitig muss,
immer nur als die dem Raume nach verschiedene Sprache nimmt, so
erlaubt die Abänderung der Sprache in der Zeit noch viel weniger eine
scharfe Bestimmung, da die Folge der Generationen mehr, als das Wohnen
der Stämme eine in sich stätige Grosse bildet. Indess lassen sich
doch auch im blossen Laufe der Zeit, vorzüglich nach einzelnen merkwürdigeren
in der Sprache erscheinenden Werken Einschnitte machen,
die nicht willkührlich sind, sondern in denen die Sprache in der That
wesentlich als eine andre erscheint. Grimm nennt diese Epochen mit
einem besonders passenden Ausdruck Niedersetzungen der Sprache. 106108
Das Alt-, Mittel- und Neu-Hochdeutsche bilden drei sehr grosse und
merkwürdige Sprachepochen dieser Art. Dagegen lässt sich das Alt-
und Neu-Griechische, Alt- und Neu-Arabische hierher nicht rechnen.
In beiden Fällen waren einzelne Katastrophen dazwischen getreten,
und hatten das allmäliche Wirken des Verlaufs der Zeit nicht beschleunigt,
sondern aufgehoben und plötzlich verändert, in Griechenland Nation
und Sprache gewaltsam zerrissen, bei den Arabern die weitverbreitete
Herrschaft und das Vorwalten der wissenschaftlichen Bildung
gebrochen. Auch jene Veränderungen der Deutschen Sprache kann
man nicht ausschliesslich der Wirkung der Zeit beimessen, sie gehören
zugleich Begebenheiten und neu entstandnen Bestrebungen an, wie namentlich
das Neu-Hochdeutsche sich grösstentheils durch die Reformation
und Luthers Bibelübersetzung festgesetzt hat. Aber sie danken ihr
Daseyn dem stillen, inneren Entwicklungsgange, den Sprache und Geist
der Nation zugleich nehmen, in dem der Einfluss so gegenseitig ist, dass
er sich einzeln nicht rein abscheiden lässt, und der doch insofern der
Thätigkeit der Zeit zuzuschreiben ist, da ohne äussere plötzliche und
zufällige Unterbrechung der vorhergehende Zustand darin stätig auf
den nachfolgenden einwirkt. Die Sprachen hangen aber auf eine so
merkwürdige Weise von der Art der geistigen Auffassung ab, dass dadurch
der Lauf der Zeit in seinem Einfluss gewissermassen gehemmt,
oder wenigstens sichtbar verzögert wird. Wenn die Literatur einer Nation
eine Höhe erreicht hat, die man sich berechtigt glaubt, als einen Gipfelpunkt
anzusehen, so verändert sich die Sprache von dieser Epoche an
bei weitem langsamer, als vorher. Das fortgesetzte Lesen derselben Werke
erhält das Verständniss, das Bestreben der Nachbildung erlaubt der
Sprache nicht so weit von dem Typus jener Vollendung abzuweichen,
244und wenn dies zuerst auch nur auf die Schriftsprache einwirkt, so verbreitet
sich doch der Einfluss davon nach und nach auf die ganze Nation.
Es wird dadurch, wenn auch kein wirklicher Stillstand, doch ein
gleichmässigeres Fortrücken hervorgebracht. Ob Schrift und Literatur
überhaupt den Veränderungsgang der Sprachen aufhalten oder beschleunigen?
scheint mir nicht leicht zu entscheiden. Ich glaube, dass,
besonders bis man eine befriedigende Höhe erreicht zu haben meint,
das letztere der Fall ist. Die Schrift heftet zwar allerdings, aber das
Hangen des Volks am einmal Sprachüblichen und das Forttragen derselben
Wörter und Formen in der mündlichen Rede scheint noch viel
fester und stätiger. Die Schrift heftet die Sprache auf eine Weise, welche
die Betrachtung über sie weckt. Gerade die Betrachtung aber führt zur
Ummodelung. Zugleich bringen Schrift und Literatur allemal mehr Leben
und Regsamkeit in die geistige Thätigkeit, erzeugen mehr Bestrebungen,
die Sprache und ihre Form geltend zu machen, und je vielfacher,
je mehr auf sie selbst gerichtet ihr Gebrauch ist, je häufiger sie sich
neuen Begriffen, neuen Wendungen anschmiegen muss, desto weniger
kann sie dieselbe bleiben. An hinlänglichen Beobachtungen fehlt es
hierbei noch. Sie könnten aber in Amerika angestellt werden, wo man
in noch lebenden Sprachen von Stämmen, welche nie Schrift gekannt
haben, Werke von Missionarien des 17. Jahrhunderts besitzt. Diese, mit
der Sprache der heutigen Eingebornen verglichen, könnten zu interessanten
Aufschlüssen führen. Zu solchen Vergleichungen, die man z. B.
mit Eliots um 1661 erschienener Uebersetzung der Bibel in die Massachusetts
Sprache vornehmen könnte, würde die MissionarienSchule in
Connecticut eine leicht zu benutzende Gelegenheit an die Hand geben.
Einigermassen beweisend ist schon, dass keiner solchen Veränderung
dieser Sprache, auch nicht von dem schätzbaren neuesten Herausgeber
der Eliotschen Grammatik, Herrn Pickering, erwähnt wird. Wo Nationen,
wie die alten Gallier und Britten in den Druiden Instituten, und
soviel sich aus einigen Angaben schliessen lässt, auch die Mexikaner,
das Gedächtniss an die Stelle der Schrift setzend, Dichtung oder Philosophie
in mündlicher Ueberlieferung besassen, konnte dies in dem geschichtlichen
Gange der Sprache neue Verhältnisse hervorbringen.

137. Der Veränderung, die eine Sprache durch Verrückung des
Wohnplatzes einer Nation erfährt, habe ich schon (§. 126.127.) gelegentlich
erwähnt. Dieser Einfluß ist natürlich immer mit dem der Zeit
verbunden, und gewöhnlich treten auch an dem neuen Wohnort nähere
Berührungen oder selbst Mischungen mit fremden Sprachen, immer
neue Lebensverhältnisse hinzu. Geschieht die Verrückung des Wohnorts
in eine weite Entfernung, wie bei unsren Colonisationen in andren
Welttheilen, so umgiebt den Pflanzer eine fremde Natur, neue Gegenstände
müssen benannt, alte Wörter nach neuen Begriffen gestempelt
245werden. Dies abgerechnet wird die Abweichung der Sprache des neuen
Wohnsitzes von der in dem alten natürlich zur dialectartigen Verschiedenheit.
Sie wird auch grösser oder geringer seyn, je nachdem die Verpflanzung
in einen Zeitpunkt fällt, wo die Muttersprache einen geringeren
oder höheren Grad der Festigkeit erlangt hat. Die Beschaffenheit
des neuen Dialects hängt endlich von dem bestimmten Theile des Mutterlandes,
der natürlich schon da seine Mundart besitzt, ab, von dem
die Colonie ausgieng, so wie ganz vorzüglich von dem Bildungsgrade
derer, welche sie ausmachen. Die anziehendste Erscheinung dieser Art
bieten unstreitig die Nord-Amerikanischen Freistaaten dar. Auf beiden
Seiten des Oceans sieht man Englische Nation und Sprache, durch alle
Einflüsse einer grossen und hervorstechenden Literatur gebildet, und
durch alle Fortschritte der Civilisation bereichert, mit einer politischen
Verfassung, welche der Rede in Aufstellung und Behauptung der
Grundsätze einer edlen und menschenfreundlichen Freiheit ein weites
und fruchtbares Feld einräumt. Ueber die Verschiedenheiten dieses
Englisch-Amerikanischen Dialects giebt es eigne interessante Schriften. 107109
Ueber den Spanisch-Amerikanischen Dialect ist mir keine ähnliche
Arbeit bekannt. Diese Erscheinungen der neueren Zeit, bei denen
sich der Einfluss des veränderten Wohnsitzes erst wenige Jahrhunderte
lang beobachten lässt und wo die getrennten Sprachtheile in unausgesetztem
Verkehr mit einander geblieben sind, erlauben indess keine sicheren
Schlüsse auf die Wirkungen der Völkerverpflanzungen in der
früheren und vorzüglich der entferntesten Geschichte. In der damaligen
Abgeschiedenheit der Völker konnte und musste beinahe die Macht
dieser Einwirkung grösser seyn. Da, wo eine solche Erörterung vorzüglich
wichtig seyn würde, bei den Zügen der Völker, welchen die alten
classischen Sprachen ihr Daseyn verdanken, gehen uns zu sehr die geschichtlichen
Angaben dazu ab. In Amerika finden sich interessante
Beispiele weitgewanderter Völker, die an mehreren Orten Spuren ihrer
Sprache hinterlassen haben. Am sichtbarsten ist dies bei den Kariben
der Fall. Leider aber ist gerade der grammatische Bau ihrer Sprache
sehr wenig bekannt.

138. Das mächtigste Princip in der Veränderung der Sprachen und
ihres Gebiets ist die Mischung der Nationen. Alles in der Art ihrer Verbreitung
über den Erdboden hängt natürlich von der Verbindung und
Trennung gleich und verschieden Redender ab. Wie weit sich die Mischung
der Sprachen erstreckt haben möge, lässt sich im Einzelnen
nicht entscheiden. Bei dem Völkergewühle, das beständig auf dem Erdboden
geherrscht hat, bei der Reihe von Jahrhunderten, die für unsere
Geschichtskunde in Nacht begraben liegen, ist wohl mit Sicherheit anzunehmen,
dass es auch unter den uns für einfach geltenden Sprachen
keine einzige reine und unvermischte giebt. Auf der andren Seite finden
246sich, um gleich die beiden Extreme einander gegenüberzustellen, auch
Sprachen, die in roher Verwirrung aus Wörtern und Wendungen ganz
verschiedner bestehen, und nicht Sprachen einer Nation, sondern rohe
Austauschmittel zwischen Menschen verschiedener sind, in die Classe
der Sprachen zu setzen, die (§.85.) besondren Gewerben und Beschäftigungen
eigen sind. Hierhin ist neben andren die lingua Franca in
den Häfen des Mittelmeeres zu rechnen. Aber auch Volksdialecte von
vielfacher und verwirrender Mischung kommen in Gegenden vor, wo
Nationen verschiedener Sprachen an einander stossen. 108110 Diese Fälle
übergehe ich hier ganz und rede nur von der Mischung, als einem Entstehungsgrunde
der Sprachen überhaupt, und so, wie man sie auch in
hochgebildeten Sprachen antrifft.

139. Zuerst muss man unterscheiden, ob die Mischung der Sprachen
bloss aus dem häufigen Verkehre mit Fremden, oder aus wirklichem
untermischten Zusammenwohnen, der Einverleibung verschiedener
Volksstämme in denselben politischen Verein entspringt. Im ersteren
Fall dringt das fremde Element natürlich weniger tief in die Sprache
ein, und verbreitet sich nur auf die Gegenstände dieser Gemeinschaft.
Wo aber verschiedene Volksstämme wahrhaft zusammenfliessen, oder
doch Theile desselben Staatskörpers werden, da entstehen sehr verschiedenartige
Verhältnisse nach dem Uebergewicht, welches die Sprache
des einen über den andren erhält. Der schwächere Stamm wird genöthigt
die Sprache des stärkeren anzunehmen, und dieser drückt sich
nun in zwei Sprachen aus, wie es in Biscaya, NiederBretagne und Wales
geschieht, und bei so vielen Amerikanischen Völkerschaften der Fall
war, und noch heute selbst ohne politischen Zwang ist. Dann stirbt die
Sprache des schwächeren Stammes entweder ganz aus, wie es der Cornischen,
Alt-Preussischen und mehreren Asiatischen und Amerikanischen
gegangen ist, oder sie erhält sich in immer kleiner werdendem
Umfang, wird auch mit Ausdrücken der vorherrschenden Sprache vermischt.
Zugleich aber nimmt auch diese Elemente von ihr in sich auf.
Ob das Uebergewicht hier immer von dem äusseren der physischen
Macht zu verstehen ist? kann zweifelhaft scheinen. Man pflegt sogar im
Gegenteil zu behaupten, dass die in Bildung mehr fortgeschrittene
Sprache die weniger ausgebildete verdrängt, und durch diese geistige
Herrschaft den Besiegten oft an dem Sieger rächt. Man kann als Beispiele
hiervon die Zurückdrängung der einheimischen Sprachen in Hispanien
und Gallien, als diese Länder Römische Provinzen wurden, und
das Vorherrschen des Lateinischen im Romanischen anführen. In der
höheren Cultur und Civilisation liegt der Grund jener Erscheinungen
gewiss, der Gedanke unterwirft sich die Masse, und man braucht sich
die Colonien, die Gesittung unter rohe Völker bringen, nicht gerade
zahlreich zu denken. Nur in der Sprache möchte ich den Grund nicht
247gerade suchen, und ich halte es für nothwendig, das hier zu bemerken,
wo es gerade auf die Erforschung des ihr Eigenthümlichen ankommt,
und es daher wichtig ist, es mit der Wahrheit des über sie Behaupteten
genau zu nehmen. Die eine angeblich rohere Sprache Redenden hangen
darum mit nicht minder grosser Liebe an ihr, es muss erst eine gänzliche
Umwandlung mit ihnen vorgehen, ehe sie für die feineren Schönheiten
einer cultivirteren Sprache Empfänglichkeit gewinnen. Dagegen weichen
die, welche diese sprechen, wie wir an einer Menge von Beispielen
sehen, sehr leicht bei Vermischung mit roheren Mundarten von ihrer
Reinheit ab. Daher setzt Niebuhr, wie er 109111 von der zauberischen Gewalt
der Griechischen Sprache über fremde Völker redet, und sie mit
treffenden Beispielen belegt, sehr richtig „und Nationalität” hinzu.
Welches Verhältniss unter sich mischenden Sprachen entsteht, welche
die Oberhand gewinnt, hängt von der Art ab, wie sich das gemeinsame
Sprechen gestaltet, und diese von der Lage, in welche die sich mischenden
Nationen gegen einander treten, von der Eigenthümlichkeit ihres
Charakters, der Art des sich unter ihnen bildenden Zusammenwohnens
und des politischen Bestandes, den jeder beider Theile für sich bewahrt,
von der Sprache nur, insofern sie natürlich dies Alles begleitet, oder
höchstens bloss mittelbar. Im abendlichen Europa hatte die Römische
Verfassung, die sich vor allen des Alterthums durch Consequenz und
Festigkeit auszeichnete, Zeit gehabt tiefe Wurzeln zu schlagen. Die dort
Fuss fassenden Völker waren keineswegs so barbarisch, als die Römer
sie zu schildern bemüht waren; sie besassen übrigens auf gleichem
Stamm mit der Römischen emporgewachsene Sprachen. Ueber die Türken
vermochten Griechische Civilisation und Sprache in Jahrhunderten
nichts. Die Sprachen hangen immer auf das innigste mit der Geschichte
der Nationen zusammen. Es sind aber in dieser Hinsicht auch bei bekannten
Erscheinungen, wie z. B. der Untergang des Griechischen und
Römischen ist, noch eine Menge von Punkten aufzuhellen übrig. Viele
aber dürften auch immer unerklärlich bleiben. Wie unbegreiflich ist,
um nur dies Beispiel anzuführen, der schnelle Untergang des Iberischen
und Keltischen im grössten Theile der Spanischen Halbinsel, da noch
zu Strabo's Zeit (also am Anfange unsrer Zeitrechnung) Turdetanische
Sprache und Literatur im südlichsten Spanien blühten.

140. Dass sich die Mischung der Sprachen vorzüglich in ihrem Wörtervorrathe
zeigen muss, begreift sich von selbst, da in diesem sehr verschiedne
Elemente neben einander bestehen können. Ob der grammatische
Bau je wahrhaft gemischt sey, ist eine schwerer zu beantwortende
Frage. In gewissem Verstande ist auch dies unläugbar. Die Wörter verschiedenartigen
Ursprungs werden, wie wir von Persischen und Englischen
gesehen (§. 118.), wohl verschieden flectirt und grammatisch behandelt.
Die Römer, die Dichter vorzüglich, nehmen auch in bloss
248Römische Worte Griechische Constructionen auf, behalten auch Griechische
Flectionen bei. Alles dies geht aber dennoch nicht eigentlich tief
in den grammatischen Bau ein. Wenn das, was ich oben (§. 110.) über
denselben, als die wahre Sprachform, den wahrhaft individuellen
Drang des Gedankenausdrucks gesagt habe, richtig ist, so lässt sich in
diesem auch nur solche Vermischung denken, welche die ursprüngliche
Einheit nicht wesentlich stört. Indess ist es doch sehr wichtig bei der
Erörterung der Sprachen die Aufmerksamkeit noch genauer auf diesen
Punkt zu richten, da man allgemeinem Raisonnement in den Sprachen
niemals zu sehr vertrauen muss. Wo die zusammenfliessenden Sprachen
schon an sich gleichartig sind, droht der Einheit von der Vermischung
auch des grammatischen Baues geringere Gefahr. Wenn, wie ich
die Vermuthung bei den Sanskritischen Sprachen geäussert habe,
Mundarten in Eine Sprache zusammengehen, so ist eine solche Vermischung
unläugbar vorhanden. Sehr viel anders ist schon der Fall der lateinischen
Töchtersprachen, obwohl auch da Sprachen desselben Stammes
zusammentraten.

141. Es ist eine sehr interessante Frage, ob sie eine Mischung Germanischen
und Römischen grammatischen Baues verrathen? Um dieselbe
gründlich zu beantworten, muss man, glaube ich, unterscheiden,
ob man von wirklicher Einführung Germanischer grammatischer Laute
in diese Sprachen, oder von blossem Einfluss der verschiedenen grammatischen
Ansicht redet? Die erstere würde ich durchaus läugnen.
Raynouard 110112 glaubt die unregelmässige Bildung des Praesens des Romanischen
Verbum aver aus dem Gothischen aigan, haben, herleiten zu
können, aus dem er auch alle Einmischungen von g in die Flectionen
dieses Verbum erklärt. Dies wäre höchst merkwürdig, da alsdann concrete
Beugungsformen diesen Sprachen gemeinschaftlich wären. Denn
Raynouard vergleicht das Romanische ai(1. pers. sing. praes.) und aic
(1. pers. sing, praet.) mit dem Gothischen aih, und, wie es scheint, auch
aguem (1. pers. plur. praet.) mit aigum. Ich möchte indess die Richtigkeit
dieser Bemerkung bezweifeln. 111113 Ai scheint ebenso aus aver entstanden,
wie sai aus saver, dei aus dever 112114, as, a und an bieten kaum
eine entfernte Aehnlichkeit mit den entsprechenden Gothischen Formen
aiht, aih und aigun dar. Im Praeteritum agui, aguest, ac, aguem,
dem Conjunctiv desselben agues cet., dem sogenannten zweiten Conditionalis
agra und dem Participium agut verschwindet der Diphthongus
ganz. Da überhaupt aver, mit Ausnahme sehr weniger Beugungen, den
Stammvocal von habere durchaus festhält, aigan dagegen, das ein anomalisch
als Praesens gebrauchtes ablautendes Praeteritum eines Verbum
der 8. starken Conjugation ist, deren Vocale im Praesens ei, im
Part, praet. i sind, nie ein blosses a haben kann, so halte ich diesen Umstand
für entscheidend, jede Vergleichung beider Verba aufzugeben.
249Die Aehnlichkeit des Gothischen aih mit dem Romanischen aic scheint
mir daher zufällig, und dies nur eine Abkürzung von agui. Die Ansetzung
eines c ist ausserdem, wenigstens im Praesens nicht ohne Beispiel
im Romanischen; vauc für vau, tenc für ten. 113115 Sollten nicht auch cug
und aug (die Participia von cuidar und auzir), die Raynouard für Verwandlungen
von id und z in g hält 114116, so erklärt werden müssen? Denn
das Spanische caigo (cado) und oigo (audio) beweisen keinen Uebergang
von d in g. d ist da ausgefallen, wie man aus den übrigen Beugungen
sieht, und g im Praesens zwischengeschoben, wie im Romanischen
c angesetzt wird. Dies beweisen traigo (traho), salgo (salire) und andre.
Indess bleibt immer das g in der Romanischen Conjugation, da wo es
nicht Stammconsonant des Verbum ist, in den Endungen gui 115117, gra,
gut, sehr sonderbar, und es ist zu bedauern, dass sich Raynouard nicht
ausführlicher darüber auslässt. Ich halte agui nur für eine veränderte
Aussprache von habui. Der Hauch, der ui begleitete, konnte leicht von
b zu g abirren, wie w und h auch verwandt sind. Dass man auch avut
für agut findet 116118, scheint dies zu beweisen. Wäre das letztere Gothischen
Ursprungs, so wären hier Participia zwei ganz verschiedener
Wörter. Gleicher Art ist agues, habeas, und daraus vermuthlich agra
und agut entstanden. Unter den Verben, die ihren Conditionalis in gra
und ihr Participium in gut bilden, giebt es zwar mehrere, die sich füglich
einzeln erklären lassen, wie beure, begra aus Verwandlung von b in
g, cogler, colgra aus Versetzung des g, tener, tengra aus einer, auch in
andren Sprachen nicht ungewöhnlichen Annahme eines g nach einem
Nasenlaut. Da aber bei andren keine solche Erklärungen möglich sind,
wie bei plazer, plagra, poter, pogra, voler, volgra 117119, und da alle diese
Conditionale auch eine zweite Form in ria bei sich haben, so halte ich
die in gra, so wie die Participien in gut für Verbindungen mit dem Hülfsverbum
aver. Im Spanischen anduve und Italienischen apparirebbe ist
diese Zusammensetzung unverkennbar.

142. Die Häufigkeit der von den Grammatikern als unregelmässig
angesehenen Verba, und ihre systematische Bildung, welche sie in eigne
Classen abzutheilen erlaubt, könnten auf die Vermuthung führen, dass
die Eigenthümlichkeit des Gothischen, den Unterschied des Praeteritum
vom Praesens durch ablautenden Stammvocal zu bezeichnen, vorzüglich
auf das Spanische eingewirkt habe; sabe und supe könnten an
binde und band erinnern. Genauere Erwägung macht aber auch dies
sehr unwahrscheinlich. Die Vocalveränderung in den Spanischen unregelmässigen
Verben ist hauptsächlich zwiefacher Art. Die eine beruht
auf Lautgewohnheiten, die ursprünglich gar nicht die Conjugation angehen,
allein auf sie angewandt, und zur Unterscheidung bestimmter
Personen und Tempora gebraucht werden. Die zweite hingegen zeigt
sich wirklich nur zwischen dem Praesens und Praeteritum und den aus
250dem einen und andren abgeleiteten Tempora. Zu der ersteren dieser
beiden Arten rechne ich die Verwandlung von e in ie und o und ue. Es
giebt keinen Redetheil, in dem sie nicht vorkäme, und ursprünglich halte
ich sie nicht bloss für einen durch die Natur der nachfolgenden Sylben
bewirkten Umlaut. Denn sie findet sich nicht nur bei volltönenden
und gewichtigen Endungen, wie ciegamente, sondern auch bei einsylbigen
Wörtern, wie pues. Diese Diphthongisirungen scheinen mir eine
Verbreiterung und Verderbniss der ursprünglichen hellen und reinen
Vocale. Solche sind Volksmundarten gewöhnlich, und die erste und
hauptsächlichste Stufe des Ueberganges von der Lateinischen zu den
neueren Sprachen war gerade, dass, bei der Zerrüttung des gesellschaftlichen
und Culturzustandes, die Sprache zu dem Volke herabsank.
Raynouard bemerkt 118120 nach Sanchez, dem Herausgeber einer Sammlung
von Gedichten vor dem 15. Jahrhundert, dass man ue mit o reimen
liess, ein klarer Beweis, wie schwankend noch damals diese Aussprache
war. Noch merkwürdiger und doch für den Einfluss der Nachsylben
sprechend ist, dass diese Reime nur von ein- oder zweisylbigen Wörtern,
wo ue in der ersten Sylbe steht, und nur mit Wörtern, wo o sich in
der Endsylbe findet, muerte, fuerte, fuent mit carrion, campeador, sol,
angeführt werden. Vermuthlich sprach man da mort, fort und behielt
nur die Schreibung in ue bei. In der Conjugation aber widerstanden
auch in den Verben, auf welche diese Aussprache übergieng, die gewichtigen
und helltönenden Endungen, wie -amos, drè, è, der Veränderung
des Stammvocals, und nur die leichteren, wie o, e, an, liessen dieselbe
zu, wie Bopp schon bei duerme bemerkt hat. Auf diese Weise
beschränkte sich diese Umbeugung des Vocals auf das Praesens und den
Imperativus und berührt auch in diesen nicht die beiden ersten Personen
des Plurals. Sie wird dadurch mittelbar zur grammatischen Unterscheidung,
dass sie aber nicht wahrhaft dies zur Absicht hatte, beweisen
tengo, tenga, ten, vengo, venga, ven, verglichen mit tienes u. s. w.
Obgleich die 1. pers. sing, indic. und das Praes. Conj. so wie der Imperativ,
ausser den zwei ersten Pluralpersonen, in den unregelmässigen
Verben dieser Gattung immer den Diphthongus haben, fällt er hier wegen
des Gewichtes der zwei Consonanten ng und des Nachdrucks des
einsylbigen Imperativs hinweg. 119121 Diese Art der Vocalveränderung ist
daher weder dem Lateinischen, noch Gothischen zuzuschreiben, sondern
liegt, unter der Mitwirkung allgemeiner Lautgesetze, ganz eigentlich
in dem Uebergange von der älteren zur neueren Sprache. In dieselbe
Classe zähle ich auch decir und reir, wo der Stammvocal i der alten
Sprache im Infinitiv, den beiden ersten Pluralpersonen des Praesens und
der zweiten des Imperativs decimos, decis, decid in e übergeht, wovon
der Grund nicht leicht anzugeben seyn möchte. Pedir, deservir, conseguir
u. a. m. sind nur darin in einem andren Fall, dass umgekehrt der
251Vocal jener vier Ausnahmen bildenden Beugungen der lateinische
Stammvocal (petere, servire, consequi) ist.

Die zweite Art der Vocalveränderung, die aber eine viel kleinere Anzahl
der Verba trifft, scheidet wirklich das Praesens vom Praeteritum
und die von beiden herkommenden Tempora durch den Vocalwechsel
von einander. Der Wechsel geht von

a auf i; hace, hizo.

a auf u; cabe, cupo; sabe, supo; trae, truxe, was aber schon dem
neueren traxe gewichen ist.

e auf i; queremos, quisimos; venimos, vinimos.

o auf u; podemos, pudimos; ponemos, pusimos.

Caber und saber ändern auch in der 1. pers. sing, praes. ihren Stammvocal,
ohne anscheinenden Grund, von a in e um (quepo, ), was dann
auf das immer von dieser Person gebildete Praesens conjunct. (tengo,
tenga, salgo, salga) und die Personen des Imperativs, die eigentlich nur
dies tempus sind, da ihm selbst bloss die beiden zweiten Personen angehören,
übergeht. Des Uebergangs von e auf u habe ich nicht erwähnt,
da ich ihn nur in tener (tenemos, tuvimos) kenne, und hier leicht, wie in
anduvimos an eine Zusammensetzung mit aver gedacht werden kann.
Noch giebt es aber die merkwürdige Erscheinung, dass dieser Wechsel
die ersten zwei Personen des Praeteritum unberührt lässt, und nur bei
den dritten eintritt, von diesen aus aber sich über die ganzen abgeleiteten
Tempora erstreckt; und zwar findet es sich so zwischen e und i, hiere,
herimos (Praesens) her u.s.w. (Praeteritum) hiriò, hirieron, hiriese
u.s.w. und so mehrere andre Verba, zwischen o und u, muere, morimos
(Praesens) morì u.s.w. (Praeteritum) muriò, murieron, muriese u.s.w.
Ebenso geht dormir und beide haben die Eigenheit, dass auch die beiden
ersten Pluralpersonen des Praes. Conjunct., die sonst immer dem
Praesens folgen, das u annehmen, muramos, durmamos. Einen verschiednen
Vocal in den dritten und übrigen Personen des Praeteritum
hat auch pedir mit einer Reihe andrer Verba; pedì u. s.w., pidiò, pidieron.
Es stimmen auch in ihnen die ersten Personen des Praeteritum mit
den beiden ersten des Plurals des. Praesens überein. Der Unterschied
dieser Verba von den obigen besteht nur darin, dass sie im Singular des
Praesens und der letzten Person des Plurals keinen gebrochnen Vocal,
sondern ein reines i haben, und die beiden ersten Personen des Plurals
dies i ausnahmsweise in e verwandeln, folglich die letzten Personen des
Praeteritum mit dem Singular des Praesens übereinstimmen. Die diesen
Verben zum Grunde liegenden lateinischen haben zum Theil e (petere,
pido, pedir), zum Theil i (tingere, tiño, teñir) zum Stammvocal. Die Verwechslung
dieser Lateinischen Laute mag zum Gebrauch beider in der
Spanischen Conjugation dieser Verba Anlass gegeben haben. Wenigstens
sehe ich keinen andern Grund. Dass aber das i hier nie anders in e
252übergeht, als da wo die nachfolgende Sylbe ein i hat, erklärt sich aus der
Verwandtschaft dieser Vocale und ist also wieder eine Wirkung des
nachfolgenden Lauts auf den vorhergehenden. Merkwürdig ist, dass
hier dieselben Personen des Praesens des Indicativs und die dem Imperativ
allein eigentümlichen (im Conjunctiv ist es anders) in Absicht
des Stammvocals gleichförmig bleiben, als bei der Umbeugung in ie
und ue, obgleich der Grund hier nicht derselbe seyn kann; pido, pides,
pide, pedimos, pedis, piden, cuezo, cuezes, cueze, cocemos, coceis, cuezen,
pide, pedid, cuece, coced. So gern und fest heften sich Lautverschiedenheiten
an grammatische Bedeutsamkeit, oder vielmehr so übereinstimmend
ist in den Sprachen die Wirksamkeit des grammatischen
Begriffs und des Lautgefühls. Was in dieser zweiten Art der Vocalveränderung
dem Ablaut wirklich ähnlich sieht, betrift nur sehr wenige Verba,
und kann sehr leicht aus dem auch im Lateinischen in facio, feci,
capio, cepi u.s.f. verhandenen entstanden seyn. Auf jeden Fall reicht
dies zu seiner Erklärung, hin. Dass bisweilen der Ablaut nur die dritten
Personen trifft, ist sowohl dem Lateinischen, als Gothischen fremd, und
eine Eigenthümlichkeit der neueren Sprache.

Die unregelmässigen Spanischen Verba geben also gar keine Veranlassung
an einen Einfluss des Gothischen auf ihre Bildung zu denken.

143. Ganz anders kann es sich aber mit den Fällen verhalten, wo
nicht concrete grammatische Formen oder eigenthümliche Lautbehandlungen
übergegangen seyn sollen, sondern der fremde Einfluss nur in
der Anwendung grammatischer Ansichten beruht. Allein auch von dieser
Gattung scheint mir nichts Germanisches sehr tief in die Grammatik
der lateinischen Töchtersprachen eingedrungen zu seyn. Raynouard
schreibt es Gothischem und Fränkischem Einflusse zu, dass man die
Pronomina ille und ipse auf eine Weise brauchte, aus welcher die Artikel
des Romanischen hervorgiengen. 120122 Da nämlich die Germanischen
Sprachen Demonstrativ-Pronomina als Artikel brauchten, so führten
sie, indem sie Lateinisch sprachen, diese Gewohnheit in die fremde
Sprache über. Hierbei muss man aber annehmen, dass die Römischen
Provincialen, denen dem Lateinischen nach diese grammatische Ansicht
ganz fremd seyn musste, sklavisch der fremden folgten, und auch
unter sich diese Art zu reden beständig beobachteten. Denn sonst hätte
der Artikel unmöglich allgemein werden können. Eine solche Passivität
gerade der grössesten Volksmasse lässt sich, meines Erachtens, nicht
mit dem Uebergewicht, ja man möchte wohl sagen, der Alleinherrschaft
des Lateinischen in der Grammatik der Romanischen Sprachen in Einklang
bringen, und es ist mir vielmehr sehr wahrscheinlich, dass, ohne
alle Mischung mit Fremden, die Römischen Provincialen von selbst
zum Artikel gelangt seyn würden. Ich suche nämlich die Entstehung
desselben im Verfall der Bildung und der Abnahme des Sprachsinns.
253Wenn das grammatische Bewusstseyn der Einheit der Periode nicht
recht lebendig ist, so sucht man nach äusseren Hülfsmitteln der Verdeutlichung.
Es ist dann natürlich, den Substantiven ein Pronomen vorausgehen
zu lassen, das gleichsam die Stelle der zeigenden Gebehrde
vertritt. Auch unter uns bedient sich das Volk dieser Pronomina häufiger,
als die gebildete Sprache. Dieselbe Erscheinung konnte daher und
musste gewissermassen eintreten, so wie man anfieng minder gut und
minder richtig lateinisch zu schreiben. Mitwirken musste allerdings das
Beispiel der fremden Eroberer, wären aber die Provincialen nicht auch
für sich in denselben Hang verfallen, so dürfte jener Gebrauch des ille
nie häufig genug geworden seyn um das Pronomen zum Artikel abzuschleifen.
Schon A. W. v. Schlegel bemerkt, dass die Sprachen, sich
selbst und dem natürlichen Wechsel aller Dinge überlassen, auch ohne
fremde Beimischung, einen natürlichen Hang besitzen zu analytischen
zu werden. 121123 Dies ist aber nichts anders, als das allmäliche Abnehmen
des formenzusammenhaltenden Sprachsinns. Dagegen leitet 122124 er das
mit haben zusammengesetzte Futurum des Romanischen von dem Gothischen
ab, das auch eines einfachen Futurum ermangelt, und auch bisweilen
haben zur Bildung dieses Tempus anwendet. Allein auch diese
Mischung Germanischer und Römischer Grammatik scheint mir nicht
so gewiss und fordert wenigstens nähere Bestimmung. Auch hier hätten
sich die Römischen Provincialen ganz negativ verhalten und der fremden
Ansicht unbedingt folgen müssen, was mir durchaus unwahrscheinlich
vorkommt. Schlegel zeigt sehr richtig die Gründe, warum
das lateinische Futurum bei dem Verfall der Sprache leicht untergehen
konnte. Sie liegen in der Schwierigkeit, die feinen Unterschiede zwischen
dem Lateinischen Futurum in bo und dem Imperfectum, und zwischen
dem in am und dem Praesens Conj. festzuhalten. Wie aber die
Grammatik einmal in Verfall gerieth, musste die Wirkung auf die Provincialen
dieselbe seyn. Es muss hier ausserdem in Betrachtung kommen,
dass ein Futurum, das man, seiner Bildung nach, als ein eignes
und einfaches Tempus ansehen kann, überhaupt in der ganzen Sprachenkunde
eine höchst seltne Erscheinung ist, wenn es nur überall ein
solches, das nämlich auch ursprünglich Futurum gewesen wäre, giebt.
Die beiden Futura des Sanskrits sind zusammengesetzt, die Griechischen
und Römischen zum Theil dies, zum Theil nur Umbeugungen des
Praesens oder des Conjunctivs zum Futurum. In den Semitischen Sprachen
ist es sehr klar, dass eigentlich kein Futurum vorhanden ist. 123125 Im
Griechischen ist neben diesem Tempus eine Art es durch ein Hülfsverbum
zu bilden in vollem und beständigem Gebrauch. Die Römischen
Provincialen konnten also, wie auf den Artikel, so auch auf ein Futurum
durch ein Hülfsverbum verfallen. Dass sie gerade haben wählten, kann
von den Gothen, die dies bisweilen thaten, entlehnt seyn. Aber es ist
254auch an sich eine natürliche Begriffsverbindung, und denkt man an Gothischen
Ursprung, so ist es sogar auffallend, dass nicht auch die andren
Gothischen Hülfsverba des Futurum, munan, wiljan, skulan in die neue
Sprache übergiengen, und dieser der im Gothischen häufige Gebrauch
des Praesens für das Futurum fremd blieb. Nimmt man aber auch den
Gothischen Ursprung an, so zeigt es sich hier recht, dass die Römische
formenbildende Grammatik die Oberhand hatte. Denn im Gothischen
bleiben die Hülfsverba immer getrennt, im Romanischen treten zwar
auch Wörter zwischen den Infinitiv und das ihn zum Futurum stempelnde
Hülfsverbum. Aber die Richtung der Lateinischen Conjugation
ist doch unverkennbar. Denn jene Einschiebungen haben keinen Bestand,
und die Personen des Hülfsverbum verschmelzen in Eine Form
mit dem Infinitiv. Die Gothen hätten daher nichts, als eine Redensart
dazu hergegeben, und Schlegel bemerkt sehr richtig, dass, da doch die
Germanischen Einwandrer lange Zeit beide Sprachen zu reden fortfuhren,
es sonderbar wäre, dass nicht Redensarten sollten von der einen in
die andre übergegangen seyn. Er führt bei dieser Veranlassung einige
scharfsinnig ausgewählte Beispiele solcher Redeweisen an. 124126 Die Untersuchung
der Lateinischen Töchtersprachen scheint mir daher die Behauptung
zu bestätigen, dass die Mischung der Sprachen zuerst von der
Mischung des Wortvorraths ausgeht, meistentheils dabei stehen bleibt,
bisweilen aber sich von da auf Redensarten, Fügungen der Redeweise
und grammatische Ansichten erstreckt, nicht leicht aber wirkliche concrete
grammatische Formen zusammenbringt, es müssten denn diese
sich ausschliesslich an die Wörter ihrer Sprache heften, wodurch nicht
sowohl Mischung, als vielmehr grössere Scheidung der Elemente entsteht.
Man darf indess hierbei auch nicht die besondre Natur dieser Romanischen
Sprachen vergessen. Ihre sie charakterisirende Eigenthümlichkeit
gieng nicht aus der Mischung Germanischer und Römischer
Rede und Sprache hervor, sondern aus der durch die siegreiche Einwandrung
fremder Stämme bewirkten Zerstörung des politischen Bestandes,
der darauf folgenden Zerrüttung des ganzen Culturzustandes, und
der diese Katastrophen begleitenden Verderbniss der Sprache. Sie sind
nicht sowohl Erscheinungen der Sprachvermischung, als des Sprachverfalls,
so glänzend sie sich auch wieder aus diesem neu entwickelt
haben. Ausserdem kennt man den Zustand nicht, in dem sich, schon
vor aller Einwanderung, die Römische Sprache im Munde des Volks in
Oberitalien, Gallien und Iberien befinden mochte. So entstand das, was
Schlegel mit Recht sehr auffallend nennt 125127, die Entwicklung eines Systems
analytischer Sprachen aus dem Zusammentreffen von Völkern
synthetischer, um mich hier seiner Terminologie zu bedienen.

144. Verlauf der Zeit, Verrückung des Wohnplatzes, Mischung der
Völkerstämme sind gleichsam die natürlichen, in dem gewöhnlichen
255Gange der Schicksale der Sprachen und Nationen liegenden Entstehungsgründe
ihrer Umwandlungen, die allgemeinen Kategorien, auf
welche sich diese zurückführen lassen. Jedes dieser drei verschiednen
Momente steht in einem besondren Verhältniss zur Sprache, und übt
für sich einen eignen und bestimmten Einfluss auf dieselbe. Nicht immer
aber lässt sich dieser in einem einzelnen gegebenen Falle rein abscheiden,
da oft mehrere Veränderungsursachen zusammentreffen. Allein
ausser diesen drei allgemeinen Entstehungsgründen neuer oder
umgewandelter Sprachen giebt es noch einen andren, in sich mächtigeren,
aber gewöhnlich von einem oder mehreren jener begleiteten, nämlich
die geschichtlichen Ereignisse, welche den Zustand der Nationen,
und mit ihm den der Sprachen verändern. Da sie aber immer durch individuelle
Umstände specificirt sind, so lässt sich ihr Einfluss nicht im
Allgemeinen bestimmen. Jeder Fall muss einzeln betrachtet werden.
Die Classificirung der Sprachveränderungen erfordert gleiche Behutsamkeit,
als die der Sprachen selbst. Indess unterscheiden sich doch auf
den ersten Anblick zwei, die Schicksale der Sprachen hauptsächlich bestimmenden
geschichtliche Umwälzungen, das Entstehen neuer Nationen
und das Untergehen bisheriger. Von beiden ist im Vorigen ausführlich
gesprochen worden. Sie sind aber nicht immer körperlich, sondern
vorzüglich geistig und moralisch zu nehmen. Eine Nation entsteht oder
geht unter, wenn sie einen neuen Nationalbestand gewinnt, oder ein
vorhandener sich auflöst. Da die Sprache mit den geistigen Fortschritten
der Völker im engsten Zusammenhange steht, so ist die Zerrüttung
des Culturzustandes der wahre Untergangspunkt ihres Wesens. Es verschwindet
alsdann die gebildete Sprache, und nur die Volksdialekte
bleiben übrig. Mit diesen aus älterer Zeit her nicht immer hinlänglich
bekannt, hält man bisweilen für neu, was wirklich alt ist, setzt in die
Classe der Sprachumwandlungen, was in die der Sprachverschiedenheiten
derselben Nation gehört.

145. Auf diese Weise hat man Einiges in den neueren, durch Verderbniss
der älteren entstandenen Sprachen zu erklären versucht. Ein
treffendes Beispiel hiervon giebt 126128 im Neugriechischen die Bildung der
2. pers. sing, praes. indicat. pass. in εσαι. Sie ist offenbar der Analogie
der übrigen Personen desselben Tempus und dem Sanskritischen Verbum
gemässer, als die in der Griechischen Schriftsprache gewöhnliche
Ausstossung des Consonanten und Zusammenziehung der Vocale.
Auch Buttmann 127129 vermuthet, dass diese Form in ungebildeten Dialekten
fortdauernd in Gebrauch gewesen seyn möge. Sie ist also ein in das
Neugriechische übergegangener Archaismus der Volkssprache. Dagegen
scheint mir die Neugriechische Endung der 3. pers. plur. praes. ουν,
statt ουσι, auf keinen unbekannten Dialect der alten Sprache hinzudeuten. 128130
Den beiden Sanskritischen Endungen anti, und an des Praesens
256und Augment-Praeteritum entsprechen die Griechischen des Praesens
und Imperfectum ουσι (ursprünglich οντι, lateinisch unt) und ον. Das
Neugriechische ουν ist entweder eine Veränderung des helleren Consonanten
σ in das dunklere n, oder ein Verkennen des eigentlich Charakteristischen
in der Personenendung des Praesens und Imperfectum, woraus
Vermischen beider hervorgieng, indess sich doch der durch das
ganze Praesens herrschende vollere Vocallaut erhielt. Das Letzte ist das
Wahrscheinlichere, da das alte Imperfectum in der neueren Sprache
untergegangen ist, und die erste der beiden Annahmen nur dann natürlich
erscheint, wenn die Bildung der neueren Sprache von οντι statt
ουσι ausgegangen wäre, so wie im Neuhochdeutschen das Gothische
and zu en geworden ist, der Doppelconsonant aber sich vom Sanskrit
an durch das Gothische, Alt- und Mittelhochdeutsche hindurch erhalten
hat, ja in sind noch fortlebt.

146. Nach dieser Betrachtung der verschiedenartigen Möglichkeit
geschichtlichen Zusammenhanges unter den Sprachen lassen sich nun
über ihre Verwandtschaft folgende Sätze aufstellen.

1. Sprachen, in welchen Gleichheit oder Aehnlichkeit concreter
grammatischer Bezeichnungen sichtbar ist, (und nur solche) gehören zu
demselben Stamm.

2. Sprachen, welche, ohne eine solche Gleichheit concreter grammatischer
Bezeichnungen, einen Theil ihres Wörtervorraths mit einander
gemein haben, gehören zu demselben Gebiet.

3. Sprachen, welche weder gemeinsame grammatische Bezeichnungen,
noch gemeinsamen Wörtervorrath besitzen, allein Gleichheit oder
Aehnlichkeit in der grammatischen Ansicht (der Sprachform dem Begriff
nach) verrathen, gehören zu derselben Classe.

4. Sprachen, welche sich weder in den Wörtern, noch den grammatischen
Bezeichnungen, noch der grammatischen Ansicht gleichen, sind
einander fremd, und theilen nur das mit einander, was allen menschlichen
Sprachen, als solchen, gemeinsam ist.

147. Um etwas irgend sicheres über die Verwandtschaft der Sprachen
festzustellen, scheint es mir durchaus nothwendig, die verschiedenartigen
Aehnlichkeiten, welche sich unter ihnen finden, zu sondern,
und den Einfluss, welchen jede auf den wirklichen oder idealen Zusammenhang
der Sprachen ausüben kann, einzeln zu bestimmen. Dies habe
ich hier zu thun versucht, und es kann nur darüber Zweifel entstehen,
ob die Classification richtig gemacht ist? Ich habe den geschichtlichen
Zusammenhang zum Haupt-Eintheilungsgrund gewählt. Er erstreckt
sich über die Sprachen desselben Stammes und desselben Gebiets, ist
aber wenigstens unerwiesen bei denen derselben Classe. Als einzigen
Beweis des geschichtlichen Zusammenhanges habe ich den Laut angenommen.
Bis dahin dürften leicht alle, welche sich mit Untersuchungen
257dieser Art beschäftigen, mit mir einig seyn. Dagegen kann Verschiedenheit
der Meinung sehr leicht bei der von mir zwischen Stamm und Gebiet
gemachten Unterscheidung eintreten. Die Wichtigkeit der Untersuchung
des grammatischen Baues der Sprachen für die Beurtheilung
ihrer Verwandtschaft wird von den Sprachforschern sehr ungleich beurtheilt.
Einige und zum Theil solche 129131, welche dem Sprachstudium die
wichtigsten Dienste geleistet haben, verwerfen dieselbe nur so eben
nicht als ganz unnütz, halten sie aber für keineswegs entscheidend. Andre
sprechen zwar dies nicht geradezu aus, wenden sich aber bei Untersuchungen
über Sprachverwandtschaften doch gleich zur Vergleichung
der Wörter. Denjenigen, welche von der Wichtigkeit grammatischer
Untersuchungen zu diesem Zweck günstiger urtheilen, kann es doch
eine zu enge Bestimmung scheinen, dass nur solche Sprachen zu demselben
Stamme, derselben Familie gehören sollen, welche Aehnlichkeit
in wirklichen, concreten grammatischen Bezeichnungen haben.

148. Ich halte dagegen gerade den so bestimmt von mir zwischen
Sprachstämmen und Sprachgebieten gemachten Unterschied für wesentlich
und nothwendig, indem er bezweckt, dass aus einer Erscheinung
nicht mehr, als sie wirklich anzeigt, geschlossen wird. Die grossen 130132
Verschiedenheiten der Urtheile über die Verwandtschaften der
einzelnen Sprachen scheinen mir, wo sie nicht aus mangelhafter Untersuchung
entspringen, vorzüglich daher zu kommen, dass man sich weder
das, was man sucht, den Begriff und die Art der Verwandtschaft,
noch die Art der Beweiskraft vollkommen klar gemacht hat. Beides
kommt wohl zum Theil daher, dass diese Erörterungen meistentheils zu
historischen, seltner zu linguistischen Zwecken angestellt werden. Dem
Geschichtsforscher genügt es oft zu wissen, dass Völker zusammengehören,
sie mögen nun eigentlich zu demselben Stamme gehören, oder
sich nur mit einander vermischt, oder zu einem Ganzen vermischt haben.
Den Sprachforscher aber kann dies nicht befriedigen. Er verlangt
zu wissen, ob zwei Sprachen in Eine zusammengeflossen sind, oder nur
Eine und eben dieselbe sich umgewandelt hat, und im ersteren Fall welche
der beiden das Uebergewicht erhalten hat? Ihm ist also die Frage
wichtig, ob zwei Sprachen, wie z. B. die Persische und Gothische, oder
die Persische und Arabische sich bloss auf einem Flecke des Erdbodens
berührt haben, oder ob sie mittelbar oder unmittelbar durch Umwandlung
Einer Sprache zu der Gleichartigkeit, welche in ihnen liegt, gelangt
sind? Er hat dabei nicht bloss diesen einzelnen Fall, sondern tiefere und
genauere Einsicht in die Natur der Sprache überhaupt zum Zweck. Zu
einem Stamm, zu einer Familie kann ich nun Sprachen nur insofern
rechnen, als die, nach der oben (§.110.) gemachten Ausführung, die
Einerleiheit der Sprachen bedingende Form bloss soweit in ihnen verschieden
ist, dass darin ein sich durch Gleichheit des Lautes als geschichtlich
258beurkundender gemeinschaftlicher Urtypus sichtbar bleibt.
Dies aber kann nur aus der Untersuchung des grammatischen Baues
hervorgehn. Wörtergemeinschaft kann aus Familienverwandtschaft,
aber auch aus blosser Berührung entstehen, und das eine und andre beweisen.
Sie lässt also die Art des Sprachenzusammenhanges gerade in
dem Punkte, welcher für den Sprachforscher der wichtigste ist, unentschieden.
Worauf es nur freilich hauptsächlich ankommen würde, ist,
ob sich Beispiele fänden, wo, bei mangelnder Aehnlichkeit des grammatischen
Baus, aber vorhandener Wörtergemeinschaft, ein Zusammenhang
zwischen zwei Sprachen bestände, der sich deutlich als Familienzusammenhang
ankündigte. Selbst dann aber müsste dieser doch auf
andrem Wege bewiesen werden, und die in der obigen Classification
gemachte Sonderung bliebe gleich nothwendig.

149. Die Gränzen bei der Bestimmung desselben Stammes so enge
zu ziehen, wie ich gethan habe, halte ich gleichfalls für richtig, und
selbst wenn dies zweifelhaft seyn sollte, würde es mir zweckmässig
scheinen. Nach den bisher mit der Zusammenstellung von Sprachfamilien
gemachten Versuchen ist es weit mehr wichtig, bloss und allein bei
dem wirklich Gewissen stehen zu bleiben, und dem Zusammenfassen
zweifelhafter oder zufälliger Aehnlichkeiten zu wehren, als gefährlich
der Aufdeckung wahren Zusammenhanges den Weg zu versperren.
Gäbe es Sprachen desselben Stammes, die gar keine Spuren der Gleichheit
concreter grammatischer Bezeichnungen enthielten, so müssten sie
doch in sehr specieller Gleichheit grammatischer Ansichten übereinkommen,
und nach der obigen Eintheilung zu derselben Classe gehören.
Sie würden daher eine Instanz gegen die zwischen Stamm- und
Classenzusammenhang gemachte Unterscheidung bilden. Dass sich
eine solche irgendwo finde, halte ich weit eher für möglich, als dass,
wovon im vorigen Paragraphen die Rede war, Sprachen von ganz verschiedner
Grammatik desselben Stammes seyn könnten. Es ist dies daher
ein Punkt, welcher der Aufmerksamkeit der Sprachforschung empfohlen
bleiben muss. Immer aber legt nur der Laut Zeugniss von
wirklich einmal gemeinschaftlich gewesener Rede ab, und beurkundet
dadurch geschichtlichen Zusammenhang, und es ist schwer zu begreifen,
wie, wenn ein solcher Zusammenhang vorhanden gewesen wäre,
nicht auch und sogar ganz vorzüglich die grammatischen Laute davon
die Spuren an sich tragen sollten. Gleichheit grammatischer Ansicht,
selbst in ganz speciellen Fällen, kann aber bei Nationen, die nie mit einander
in Berührung standen, aus allgemeiner Gleichheit der Anlagen
und Einwirkungen entspringen. Dies nicht mit einander zu vermischen,
wird daher immer sehr schwer seyn. Einen solchen Fall, der, wäre er der
einzige seiner Art in der Sprache, gerechte Zweifel erregen würde, bietet
die Vergleichung des Finnischen und Ungrischen dar. Beide Sprachen
259dulden in einem Worte nur Vocale gleicher Natur, und ändern die
der Anfügungssylben nach diesem allgemeinen Gesetz um. (§.93.b)
Diese Lautgewohnheit nun würde ich durchaus für keinen Beweis geschichtlichen
Zusammenhanges zwischen den beiden Sprachen halten.
Es ist nicht allein natürlich, sondern das Beispiel vieler Sprachen beweist
es auch, dass das Ohr ein gewisses Aehnlichmachen der Vocale in
den verschiednen Sylben desselben Wortes liebt. Allein die Uebereinstimmung
geht hier weiter. Das Finnische und das Ungrische erkennen
mit kleiner Verschiedenheit dieselben Vocale für zusammengehörend
und verschieden, und für gleichgültig an, die Ungern a, o, u als starke
Vocale, e, ö, ü als schwache, 1. / i, e als gleichgültig in der Mitte liegend; die
Finnen dieselben als starke und gleichgültige, und ä, ö, y als schwache.
Da aber in dieser Vertheilung und Verwandtschaft der Vocale etwas
durch die Natur der Sprachwerkzeuge allgemein Gegebenes liegt, so
würde ich diese Uebereinstimmung, wenn sie die einzige zwischen den
beiden Sprachen wäre, nicht für einen hinreichenden Beweis ihrer
Stammverwandtschaft halten. Es tritt hier das oben (§. 112.) über den
Unterschied des Lautsystems von concreten Lauten Gesagte ein. Ich
lasse daher vorläufig die oben (§. 146.) gemachte Eintheilung ungeachtet
der dagegen erhobenen Zweifel bestehen, und bleibe nur aufmerksam,
ob sich die zwischen der ersten und zweiten, und zwischen der
ersten und dritten gezogenen Gränzen bei Vergleichung der einzelnen
Sprachen bewähren.

150. Unter dem Ausdruck, dass Sprachen zu demselben Stamm gehören,
verstehe ich, dass ihre Form, dies Wort im oben ausgeführten
Sinne genommen, entweder wesentlich dieselbe, oder eine dergestalt
veränderte sey, dass sich die Veränderung als ein Uebergang von der einen
in die andre nachweisen lässt. Das Wort in seinem erweiterten Sinne
genommen, sind Sprachen desselben Stammes nur Eine und eben
dieselbe Sprache. Sprachen desselben Gebiets hingegen sind und bleiben
verschiedene Sprachen, haben wesentlich verschiedene Form und
verschmelzen dieselbe nicht mit einander. Der Begriff der menschlichen
Fortpflanzung ist sehr oft auf die Sprachen sehr unrichtig angewendet
worden. Selbst auf Nationen findet er nicht vollkommene Anwendung,
da viele andre Dinge, als die Abstammung auf die Nationalität einwirken
und bei der Vermischung mit Fremden diese sich bald mehr abgesondert
unter sich, bald mit den ursprünglich Eingeborenen fortpflanzen.
Auf Sprachen aber passen diese Begriffe noch weniger. Wenn
Sprachen untergehen und in veränderter Gestalt wieder aufleben, wie
es bei dem Griechischen und Lateinischen der Fall war, oder wenn sie,
in andre Gegenden verpflanzt, mit andren Elementen gemischt, zu andren
werden, wie man sich dies vom Sanskrit und Gothischen denken
260kann, so ist dies nur im uneigentlichsten Verstande eine Erzeugung zu
nennen. Alles Entstehen der Sprachen aus einander ist nur ein Anderswerden
unter anderen Umständen. 131133 Die Ausdrücke Mutter- Töchter-
Schwester-Sprachen sind daher nur ganz uneigentlich zu nehmen, und
werden besser vermieden.

151. Die Uebereinstimmung, welche Sprachen zu Einem Stamme
rechnen lässt, kann sehr verschiedene Grade haben, nach welchen dieselben
enger zusammengehören, oder einander ferner stehen. Man hat
daher für diese verschiedenen Grade Bezeichnungen aufgesucht, den
Stamm in Zweige, Familien, einzelne Sprachen und Mundarten
getheilt. Dies kann allerdings mannigfaltigen Nutzen gewähren, allein
zu wissenschaftlicher Genauigkeit wird man darin schwerlich jemals
gelangen. Das Schlimme ist nämlich, dass es an einem irgend sichren
Eintheilungsgrunde fehlt, und sich weder das Mass und die Art der
Wörtergemeinschaft, noch der Grad der grammatischen Uebereinstimmung
angeben lässt, warum zwei Sprachen nicht zu derselben Familie,
sondern nur zu demselben Zweig, nicht zu demselben Zweig, sondern
nur zu demselben Stamme gezählt werden können. 132134 Nur bei Bestimmung
der verhältnissmässigen Uebereinstimmung mehrerer gleichartigen
Sprachen kann hierin das Gefühl allgemeiner Sprachähnlichkeit
mit einiger Richtigkeit entscheiden. Sehr schwer aber würden bei mehreren
Stämmen die z. B. als zu gleichen Familien gehörend angegebenen
Sprachen einen gleichen Aehnlichkeitsgrad unter sich bewahren. Aus
diesen Gründen, die ich gleich in der Folge noch in ein helleres Licht
stellen werde, versuche ich diese Unterabtheilungen, von denen sich,
meinem Urtheil nach, niemals alle Willkühr entfernen lässt, gar nicht,
und halte es für nützlicher und belehrender, in stammverwandten Sprachen
nur genau darauf zu achten, welche Verschiedenheiten Folge der
Zeit, oder der Eigenthümlichkeit des besondren Volkstamms, oder endlich
der Mischung mit Fremden sind. Die mit Sicherheit zu machenden
Hauptabtheilungen bleiben immer die im Vorigen angegebenen: Sprachen,
die eine in die andre übergehen, und Sprachen, die, gleichsam
dem Raum nach verschieden, nach Art der Dialekte von einander abweichen.
In dem ersteren Fall ist wieder das Herabsteigen von einem
Culminationspunkt und das Aufsteigen zu demselben zu unterscheiden,
die Zerstörung eines kunstreichen grammatischen Baues und das Entstehen
eines solchen durch das Zusammentreffen bildender Ursachen.
Doch ist in den Sprachen nie weder plötzlicher Uebergang, noch Stillstand.
Ihre Umwandlungen schlingen sich in ununterbrochner Reihe
fort, und bilden, wie das Sprechen selbst, ein Continuum. Die Gränzen,
die man in ihrem Laufe zwischen ihnen zieht, sind nur Behelfe der Wissenschaft,
daraus entstehend, dass die allmälichen Veränderungen unbemerkt
bleiben, sowohl wenn sie Erscheinungen vorbereiten, als wenn
261sie den Zustand, der noch bestehend scheint, schon umzugestalten beginnen.

152. Die Sprachen, welche sich nur Wörter durch wechselseitigen
Verkehr mittheilen, und nicht desselben Stammes, sondern nur desselben
Gebiets sind, bilden ihrer Natur nach niemals eine Reihe, und geben
daher keine Veranlassung, sie durch Unterabtheilungen von einander
abzusondern. Die sich in ihnen findende Mischung macht vielmehr
eine Nebenabtheilung von der nach der Stammverwandtschaft aus. Die
Sprachen desselben Stammes, oder die Mundarten derselben Sprache
sind entweder reine oder gemischte. Da die Mischung die Folge geschichtlicher
Ereignisse ist, so vermischen sich ohne Unterschied Sprachen
desselben Stammes und Sprachen verschiedener.

153. Bei den Sprachen derselben Classen hört der Einfluss des geschichtlichen
Zusammenhanges auf. Er ist entweder gar nicht vorhanden,
oder nicht erweisbar, oder macht, auch als vorhanden erwiesen,
hier nicht den Eintheilungsgrund aus. Denn wir haben weiter oben
(§. 116.a) gesehen, dass sogar stammverwandte Sprachen zu verschiedenen
Classen gehören können. Die Sprachform, welche hier den Eintheilungsgrad
abgiebt, wird mit Beibehaltung derselben grammatischen
Laute, indem sie dieselben nur nach einer andren Idee verknüpft, zu
einer andren. Diese rein idealische und wissenschaftliche Eintheilung
richtet sich nach den Verschiedenheiten, welche die Sprachforschung
unter allen bekannten Sprachen entdeckt. Es kann daher auch erst bei
der Uebersicht des allgemeinen grammatischen Baues aller Sprachen
und seiner verschiedenen Arten ausführlicher von ihr die Rede seyn.

154. Dass auch Sprachen ganz verschiedener Stämme, die sich niemals
weder unmittelbar oder mittelbar berührt hätten, und ausserdem
zu verschiedenen Classen gehörten, dennoch in ihrem Bau gewisse allgemeine
Aehnlichkeiten haben müssten, folgt von selbst aus der Einerleiheit
der menschlichen Natur und der menschlichen Sprachwerkzeuge.
Es zeigt sich auch factisch in der Möglichkeit, sich von jeder
Sprache aus mit jeder verständigen zu können. Die Gesetze des Denkens
sind bei allen Nationen streng dieselben, und die grammatischen
Sprachformen können, da sie von diesen Gesetzen abhangen, nur innerhalb
eines gewissen Umfangs verschieden seyn. Wirklich lassen sich
in jeder Sprache, auch im Chinesischen alle auffinden, in jeder die Arten
sie zu bezeichnen oder stillschweigend anzudeuten oder vorauszusetzen
angeben, die ideelle Verschiedenheit liegt nur, da jede dieser
Formen verschiedene Ansichten zulässt, in der unter diesen gewählten.
Auch der Umfang der Tonreihe der Sprache und die Hauptgattungen
der Töne sind dieselben, und also auch da ist die Verschiedenheit innerhalb
bestimmter Gränzen eingeschlossen. Ebenso als man behaupten
kann, dass jede Sprache, ja jede Mundart verschieden ist, kann
262man, von einem andren Standpunkte aus, den Satz aufstellen, dass es
im Menschengeschlecht nur Eine Sprache giebt und von jeher gegeben
hat. Um zu der einen oder der andren dieser Folgerungen zu gelangen,
kommt es nur darauf an, bei der Betrachtung der Eigenthümlichkeiten
der einzelnen Sprachen ihre Verschiedenheiten oder ihre Aehnlichkeiten
aufzufassen, da sie immer beide zugleich besitzen, vermittelst jener
sich bis ins Besonderste hin spalten, vermittelst dieser sich bis zur
Einheit verbinden. Da aber diese Einheit nur auf dem formalen Verhältniss
der Sprache zu den Bedingungen des Denkens beruht, so führt
sie durchaus nicht auf die Annahme einer Ursprache. Die grammatische,
von der hier die Rede ist, würde dieselbe seyn, wenn auch alle
Sprachen von ursprünglich zugleich, aber getrennt vorhanden gewesenen
abstammten, und niemals in Berührung mit einander getreten wären.

155. Eine andre Frage aber ist es, ob die Einheit aller menschlichen
Sprachen sich auf besondre grammatische Bezeichnungsmittel, und namentlich
auf einzelne grammatische Laute erstreckt. In gewissem Verstande
ist auch dies offenbar, auch in Absicht der technischen Bezeichnungen
und der Laute der Grammatik können die Sprachen nur
innerhalb gewisser Gränzen verschieden seyn. Die Frage erlaubt aber
auch eine speciellere Fassung. Die Pronomina, um dies Beispiel anzuführen,
sind, insofern man die persönlichen des Singulars, und vorzüglich
die der beiden ersten Personen nimmt, ebenso als andre Grundwörter
der Sprache anzusehen. Sie greifen aber immer tief in den Charakter
der Grammatik ein, da in allen Sprachen gewisse Formen entweder
sichtbar von ihnen gebildet sind, oder einen solchen Urspung vermuthen
lassen. Wäre eine grammatische Lautgleichheit unter den Sprachen
vorhanden, so dürfte sie sich vorzugsweise in den Pronominallauten
finden, da die Pronomina (mit dem Ueberreste der Sprachen in dem
Zustande, in dem wir dieselben kennen, verglichen) gewiss zu den ältesten
Wörtern gehören, und bei der tiefen und im ganzen Menschengeschlecht
gleichen Beziehung, die sie auf das Bewusstseyn der Persönlichkeit
haben, wenig Veranlassung zur Verschiedenheit in der zu ihrer
Bezeichnung ergriffenen Lautanalogie geben. Auf dem ganzen Erdboden
müsste, scheint es, das Ich und das Du ziemlich gleichförmig lauten.
Stammten aber alle Sprachen von Einer ab, so würde in diesen Urbegriffen
und Urlauten am wenigsten Abweichung zu erwarten seyn. Es
ist daher gewiss nicht unwichtig, durch eine Vergleichung der Pronominallaute
zu sehen, ob bei einer grossen Anzahl von Sprachen, oder bei
solchen, die dem Stamm und Gebiet nach sehr von einander entfernt
sind, die nämlichen vorkommen, oder ob wenigstens alle auf ein gewisses
Lautgebiet beschränkt sind. In diesen beiden Fällen würde es zwar
unentschieden bleiben, ob der Grund der Uebereinstimmung die allgemeine
263Einerleiheit der menschlichen Natur, oder ein besondrer geschichtlicher
wäre, aber dies letztere würde mehr Wahrscheinlichkeit
im Ersteren gewinnen.

Anmerkungen264

11voir Niebuhrs Rom. Gesch. S. 37. Anm.

22voir Ich bemerke bei Gelegenheit dieses Namens, dass ich alle Eigennamen, ohne
Rücksicht auf die Aussprache, so schreibe, wie es der Gebrauch bei uns mit
sich führt, oder wie die Nation sie schreibt, von der wir sie entlehnt haben.
Wo es interessant seyn kann, und die Aussprache sehr abweicht, füge ich sie
in Klammern hinzu. Mejico zu schreiben oder Mechico nach deutscher Aussprache
zu sagen, heisst die unrichtige Spanische Aussprache des Namens
unter uns zu verpflanzen. Mexico, wie man es gewöhnlich ausspricht, ist eine
Verdeutschung, die man ebenso beibehalten muss, wie Lissabon, Chili (wie
unser ch gesprochen), Venedig und so viele andre, ebenso als man die Tiber,
und nie ohne Auffallen der Tiber sagt. Alle Sprachen ziehen einen Theil der
fremden Namen in ihr Gebiet hinüber. Wie weit das gehen soll, lässt sich theoretisch
nicht bestimmen. Man nimmt am besten die Thatsache als Gesetz an,
lässt, was einmal so gestempelt ist, unverändert, stempelt aber nicht selbst.
Der einheimischen und mithin einzig wahren Aussprache von Mexico kommt
das Italiänische Messico am nächsten, nur dass es mehr wie unser seh lauten
müsste. Denn weil die Spanier diesen letzteren Laut in ihrer Sprache nicht
besitzen, so schreiben sie den zwischen dem scharfen s und unsrem seh
schwebenden Laut der Mexicanischen Sprache in ihrer Verlegenheit sonderbarer
Weise mit einem x, das dann der allgemeinen Aussprache dieses Buchstabens
in ihrer Sprache folgte. Dieselbe widersinnige Orthographie musste
sich der sch-Laut auch in andren Amerikanischen Sprachen von den Spanischen
Missionarien gefallen lassen. Vgl. §. 53. Anm. 1.

33voir Dies ist um so auffallender, als Herodot (I. 57.) die Einerleiheit der westlichsten
und östlichsten Pelasgischen Mundart seiner Zeit ausdrücklich bezeugt,
und also mit der damaligen Sprache nicht unbekannt war.

43voir So, um nur ein Beispiel anzuführen, ein ausführliches Abiponisches Wörterbuch
Dobrizhoffers, das ich mich vergeblich bemüht habe, bei seinen Verwandten
und Ordensbrüdern aufzusuchen. Der nicht gedruckte Theil der Sammlungen
Hervas, welcher ganz grammatischen Inhalts und wichtiger für die eigentliche
Sprachkunde ist, als sein Werk, ruht im JesuitercoUegium in Rom, wo die
Benutzung mit grosser Gefälligkeit verstattet wird. Ich hatte schon bei dem
Leben des verdienten Mannes, während meines Aufenthalts in Rom, eine Abschrift
dieser Aufsätze nehmen lassen. Da diese aber nicht gehörig collationirt
war, so habe ich mir durch die Güte des Preussischen Ministers in Rom, Herrn
Bunsen eine neue, durchaus zuverlässige verschafft. Meine frühere Abschrift
hat der verewigte, um die allgemeine Sprachkunde so vielfach verdiente Vater
bei dem Mithridates, aber nach dem Zweck dieses Werks, das nur ganz
kurze Nachrichten enthalten sollte, nur sehr unvollständig benutzt.

54voir So habe ich eine handschriftliche Grammatik und ein solches Wörterbuch
der Aravakischen Sprache, die erstere von Schumann, das letztere von Quandt,
beides Missionarien der Brüdergemeine, an mich gebracht. Diese
Hülfsmittel sind nicht nur, ausser zwei sich in Philadephia befindenden (Catalogue
of the library of the American Philosophical Society
, p. 224. nr.
1578. 521.) handschriftlichen Arbeiten gleicher Art von Theodor Schulz,
die einzigen ausführlichen über diese Sprache, sondern auch dadurch vorzüglich
wichtig, dass sie über den Karibischen Sprachstamm, zu welchem
das Aravakische zu gehören scheint, und von dem die Nachrichten sehr unvollständig
sind, ein helleres Licht verbreiten.

65voir Saggio di storia Americana. T. 3. p. 352.

76voir Schlözer erhielt auf dieser Reise von dem Ex-Jesuiten Camano in Faenza
eine von demselben verfasste Grammatik der Chiquitischen Sprache, die,
vorzüglich durch ihre Buchstabenveränderungen, eine der merkwürdigsten
unter den Amerikanischen ist, und von der es an allen andren Nachrichten
fehlt. Da ich dies aus dem angeführten Briefe ersah, wandte ich mich an den
gelehrten Sohn des grossen Mannes, den damals noch in Moskau lebenden
Etatsrath Schlözer. Durch seine zuvorkommende Güte besitze ich nunmehr
Camano's eigenhändige Handschrift. Er erstreckte seine grosse Gefälligkeit
noch weiter, und schickte mir in einer zweiten Sendung noch andre Papiere
über Amerikanische Sprachen aus dem Nachlasse seines Vaters, die aber unglücklicherweise
in dem Hause in Petersburg, von dem sie an mich besorgt
werden sollten, bei der grossen Ueberschwemmung untergiengen.

87voir Mariner's (herausgegeben durch Dr. Martin), Kendall's (herausgegeben
durch Professor Lee) und der Englischen Missionarien über die Tongische,
Neuseeländische und Tahitische Sprache.

98voir Der würdige Astarloa, von dem ich in den Nachträgen zum Mithridates (Th.
4. S. 319.) gesprochen habe, und der viel wichtigere und nützlichere Sprachuntersuchungen
angestellt hatte, als sich aus seinen gedruckten Werken entnehmen
lässt, hatte eine sehr grosse Menge dieser Namen gesammelt und erklärt.
Seine Papiere befinden sich in den Händen seines Freundes, des nachmaligen
Ministers in Madrid, Erro y Aspiroz, und es ist sehr zu bedauern,
dass dieser gleichfalls sehr kenntnissreiche Mann noch nicht dazu gekommen
ist, dieselben, wie er seit langer Zeit beabsichtet, geordnet herauszugeben.

109voir Ueber das Entstehen der grammatischen Formen und ihren Einfluss auf die
Ideenentwicklung. Gelesen 1822, erschienen in den Abhandlungen der
Akademie der Wissenschaften in Berlin 1823.

1110voir In meiner Schrift: lettre à Monsieur Abel Rémusat sur la nature des formes
grammaticales en général, et sur le genre de la langue Chinoise en particulier
.
Paris. 1827.

1211voir Dies ist leider sehr schwer, allein nur darum, weil die Wichtigkeit, Erzählungen
und Reden unmittelbar, aus dem Munde der Eingebornen aufzubewahren,
auch von denen nicht gefühlt worden ist, ja noch jetzt nicht gefühlt
wird, welche die reichlichste Gelegenheit dazu hätten. Gilij spricht von anziehenden
Erzählungen der Maipuren, die ihre alten Ueberlieferungen betrafen,
und die er aufschrieb, giebt aber seinen Lesern, als Sprachprobe, einen
von ihm verfertigten Aufsatz geistlichen Inhalts. Von den Reden NordAmerikanischer
Häuptlinge findet man (z. B. in Morse's report on Indian
affairs
. p 71. App. p. 5. 21. 53. 121. 141. 242.) höchst interessante Uebersetzungen,
nur sehr Weniges aber besitzt man von solchen Reden in der Originalsprache.
Ich habe noch vor Kurzem Schritte gethan, um mir mehr
davon zu verschaffen. In Mexikanischer Sprache giebt es noch ganze Geschichtsbücher,
welche mit unsrem Alphabet bekannte Eingeborne unmittelbar
nach der Eroberung der Spanier aufgesetzt hatten. Noch nie aber ist
es mir gelungen, nur Eine Seite davon zu erhalten.

1312voir Ich sage indess dies nicht um diesen Formeln ihr wirklich verdientes Lob zu
entziehen. Kurz, einfach und von Vorfällen des gewöhnlichen Lebens hergenommen,
passen sie für den Zweck, den man mit ihnen beabsichtete, wenigstens
besser, als halb poetische, halb philosophische Vorträge über religiöse
Geheimnisse von Männern gehalten, die doch der Sprachen nicht vollkommen
mächtig waren. Von Geistlichen, die für sehr gelehrt in der Chiquitischen
Sprache gehalten wurden, sagte ein Eingeborner: ja, ja, die Sprache
des Hauses Gottes verstehen sie schon ganz gut. Er unterschied also diese
von Fremden gebildete, in ihrem Umfang beschränktere Sprache von der eigentlichen
und wahren des Volks. Immer aber sind die Bacmeisterschen Formeln
zu dürftig, um mehr als die einfachste Constructionsart daraus kennen
zu lernen. Man findet sie in Murr's Journal. Th. 6. S. 202-211. Bacmeister
gab sie 1773 in Petersburg mit einer Bitte wegen einer Sammlung von
Sprachproben heraus. Katharina die Grosse ertheilte damals dem Sprachstudium
einen Anstoss, dessen Absicht man nicht genug preisen kann. Wenn
er wenig erfolgreich geblieben ist, so lag es nur daran, dass die Kaiserin
nicht von Männern umgeben war, die richtigere und tiefere Ansichten über
die Natur solcher Untersuchungen und Sammlungen besassen.

1413voir Das erstaunenswürdigste Unternehmen dieser Art ist John Eliot's schon
1666 erschienene, und 1680 neu aufgelegte Uebersetzung der ganzen Bibel
in die Sprache der Massachusetts Amerikaner.

1514voir Man lese die ebenso gemässigten, als gründlichen Vorstellungen, welche die
Preussische Hauptbibelgesellschaft hierüber der Englischen gemacht hat in
dem im Jahr 1827 erschienenen Jahresbericht, p 13-17. Es ist zu hoffen,
dass auch andre Bibelgesellschaften dem Beispiele der unsrigen, jenen Beschluss
nicht anzunehmen, folgen werden.

1615voir Account ofthe Tonga Islands. II. p. 377-383. 2. Auflage, die ich immer allein
gebrauche. Obgleich in dieser Auflage der grammatische Anhang leider
nicht paginirt ist, so scheint es mir doch nothwendig die Seitenzahl zum
Nachschlagen anzuführen.

1716voir Ich habe von hier an bis zu den Worten: sondern beiden entgegengesetzt.
eine Stelle aus meiner Abhandlung über den Dualis aufgenommen, da sie
wesentlich hierher gehört, und jene Abhandlung nicht jedem Leser gleich
zur Hand seyn möchte.

1817voir Bernhardi, den ich bei diesen Materien immer gern zu Rathe ziehe, druckt
das Nemliche folgendergestalt aus: Ich und Du sind entstanden durch Sprache,
Gespräch, Gegenwart. Anfangsgründe der Sprachwissenschaft. S. 191.
4.

1918voir Marsden grammar ofthe Malayan language. p. 42. u. f.

2019voir In diesem gehört zwar nur ku dem Pronominalunterschied an, aber
auch das Malaiische wird zu ku abgekürzt.

2120voir Da die Tahitische Sprache kein k hat, so werden die Malaiischen ku und kau
in ihr zu u und oe.

2221voir Bernhardi a. a. O. S. 199. 2.) 3.) Einen Fall, der dem hier Gesagten zu widersprechen
scheint, siehe §. 53.

2322voir Marsden a. a. O. Elemens de la gramm. Japonaise par le P. Rodriguez, traduits
par M. C. Landresse
. p. 9-11. 80-82. Arte de la lengua Japona compuesto
por el Herrn. Fr. Melchor Oyanguren de Sta Ines
. p. 21-24.

2423voir Martin, der Herausgeber von Mariners Beschreibung der Tonga-Inseln,
schreibt my und atoo. Ich bediene mich in dieser ganzen Schrift bei allen
aussereuropäischen Sprachen immer nur unsrer deutschen Rechtschreibung.
Jedes solcher Wörter kann also nach dieser gelesen werden. Von den
Buchstaben und Zeichen, die ich werde für uns fehlende Laute gebrauchen
müssen, werde ich ein Verzeichniss geben. Wo ich etwa von dieser allgemeinen
Regel glaubte, abweichen zu müssen, werde ich es besonders bemerken.
Es versteht sich jedoch von selbst, dass ich vor einer solchen
Uebertragung in eine eigne Rechtschreibung allemal das ganze Lautsystem
der Sprache in seinem Zusammenhange studire, alle in ihr vorkommenden
Laute, soviel es die jedesmaligen Hülfsmittel erlauben, feststelle, an der
Seite derselben die bisher gebrauchten Orthographieen bemerke, und erst
nach diesen Vorarbeiten den Buchstaben wähle, mit dem ich jeden dieser
Laute nach sorgfältiger Prüfung bezeichne. Vgl. §. 4. Anm. 1. Das ei in
mei ist ein kurzes, rasch ausgesprochenes. In der Tahitischen und Neuseeländischen
Ortspartikel mai habe ich das ai der Grammatiker dieser Sprachen
beibehalten, da es möglich ist, dass diese Mundarten den Ton breiter
und gewichtiger halten.

2524voir Bei allen in dieser Schrift erklärten Stellen fremder Sprachen, bei welchen
es auf die grammatische Fügung ankommt, befolge ich die von Abel-Rémusat
im TschoungYoung beobachtete Methode. Zuerst steht der Text der
fremden Sprache. Dann kommt eine Uebersetzung oder Erklärung jedes
Wortes desselben ohne Ausnahme, und in der nämlichen Folge, in welcher
es steht. Ist die Uebersetzung nicht mit Einem Worte zu geben, so sind die
mehreren mit Strichen verbunden, ist ein weiterer Zusatz oder eine Erklärung
nöthig, so steht alles das Wort Betreffende in einer Parenthese. Die
wörtliche Erklärung enthält also immer genau so viel Wörter, Wortverbindungen
oder Parenthesen, als Wörter im Text vorhanden sind. Auf sie folgt,
wo es nothwendig ist, eine treue, doch auch Deutsch verständliche Uebersetzung
in gewöhnlicher Schrift.

2625voir Ich setze bei auf einander folgenden, aber getrennt ausgesprochenen Vocalen
die puncta diaereseos bald über den ersten, bald über den zweiten Vocal,
je nachdem es die Deutlichkeit des Drucks rathsam macht. Dasselbe beobachte
ich bei Setzung des Accents über Diphthongen.

2726voir Mariner. II. 379.

28 Voir note 26.

2927voir Mariner. II. 382.

3028voir l. c. Wörterbuch.

3129voir Wenn man bedenkt, dass das Neuseeländische Pronomen 1. sing, ahan
(Tong. an, Tahitisch van) wohl sichtbar mit dem Sanskritischen ahan zusammenhängt,
und dass atü oft in tu abgekürzt wird, so könnte es denen,
die gern etymologisiren, einfallen mei und atü mit den Sanskritischen PronominalStammsylben
ma und tu zu verbinden. Ich möchte aber so gewagte
Herleitungen keineswegs begünstigen. Ma hat wahrscheinlich einen andren,
eigentlichen Pronominalursprung. Auch im Japanischen (Landresse. §. 76.
p. 81.) giebt es ein Pronomen 1. pers. mi.

3230voir Man sehe über diese Wörter Mariner. II. 359. 365. 366. und im Wörterbuch
unter ihnen selbst und unter give und towards.

3331voir Oyanguren. 23. Landresse. §.21.

3432voir sonata, la, de essa parte. Oyanguren. 23.

3533voir cerca de vos. Oyanguren. 23. Ganz ähnlich sagt man bisweilen im Italiänischen
con meco.

3634voir p. 21. pronombre comune, p. 22. con iguales.

3735voir Rodriguez erwähnt konata als Pronomen 1. pers. gar nicht. Nach seiner
wunderbaren Eintheilung, wo die einzelnen Pronomina theils im etymologischen,
theils im syntaktischen Theil aufgeführt werden, hat er sonata (übersetzt
bei Landresse Vous) im ersteren als einziges Pronomen 2. pers. Im letzteren
kommen unter mehreren Formen konata und sonata (verglichen mit
Votre excellence) als termes honorifiques vor. §. 18. und 76. p. 81. Nach
Oyanguren ist konata gemeines Pronomen der ersten Person, dagegen vornehmes
der zweiten und in dieser ist ihm sonata, als unter Gleichen geltend,
entgegengesetzt, p. 21. 22. Sie widersprechen sich also über sonata geradezu.
An einen möglichen Zusammenhang dieser Pronomina mit den Ortsbezeichnungen
scheint keiner von beiden gedacht zu haben.

3836voir Cirbied (Grammaire de la langue Armenienne. 207.) übersetzt diese 3. Person
il, aber Villotte (Dictionarium LatinoArmenicum. hh. vv.) ipse, se. Sie
hat also immer eine Beziehung auf das Selbst. Ich habe bei allem aus dem
Armenischen Angeführten immer genau Villotte mit Cirbied verglichen, und
die Abweichungen sorgfältig bemerkt. Der in das Journal Asiatique (II.
297-312.) eingerückte Brief des Doctors Zohrab muss jedem, der sich mit
dem Armenischen beschäftigen will, gerechtes Mistrauen gegen Cirbied's
Grammatik einflössen.

3937voir Cirbieds Grammatik. 554. 555.

4038voir Villotte führt zwar dies Adverbum nur bei illic, bei istic aber antr [an]. Ich
halte aber das End-r für keinen Wurzellaut des Pronomen.

4139voir Wörterbuch, p. 176. A person fronting another who addresses him. Lee
übersetzt e mära gewöhnlich durch sir, und giebt es im Paradigma der Declination
p. 10. als Vocativ von ränga tira, einer aus dem vornehmsten Stande
der Neuseeländer
, an. Man könnte es daher auf diesen Stand beschränkt
und unsrem Durchlaucht ähnlich halten. Es wird aber in den bei ihm vorkommenden
Gesprächen (p. 100. 101.) ganz allgemein und bei ganz niedrigen
Handarbeitern gebraucht.

4240voir Man vergleiche hiermit, was Niebuhr (Römische Geschichte. I. 55.) über
die Unzulässigkeit der Sprachableitung von Einem Menschenpaare sagt.

4341voir v. Chamisso in Kotzebues Entdeckungsreise. Th. 2. S. 46.

4442voir In Lee's Neuseeländischem Wörterbuch, und es lässt sich in diesen Dingen
immer von einer dieser Sprachen auf die andere schliessen, führt der beiweitem
grössere Theil der Wörter die Angabe bei sich, dass sie auch als Personenoder
Ortsnamen dienen.

4543voir Adrian Balbi's introduction à l'Atlas ethnographique. p. 262., wo aber
fälschlich vae gedruckt ist. A grammar ofthe Tahitian dialect. In der 1821
erschienenen Uebersetzung des Evangeliums Johannes kommt wirklich nur
pape vor.

4644voir Dobritzhoffer's historia de Abiponibus. T. 2. p. 199.

4745voir Vielleicht stehen mit dieser Sprache die Trauergesänge in Verbindung, welche
bei Begräbnissen auf den Tonga Inseln üblich sind. Sie werden in der
Volksclasse welche sich diesem Geschäfte widmet, von Vater zu Sohn überliefert,
ohne dass sie irgend einer versteht oder ihren Ursprung kennt. Da
man deutlich Tongische Wörter darin erkennt, so sind sie vermuthlich in einem
veralteten Dialect dieser Sprache gedichtet. Mariner's account. Th. 2.
p. 217.

4846voir Man sehe mehrere Beispiele dieser Art in Balbi's Introduction à l'Atlas ethnographique
du globe
. p. LXXXII-LXXXVI.

4947voir Die höchst einfache Conjugation besteht nemlich bloss aus dem vor das Verbum
gestellten Pronomen. Bloss das Futurum verändert das Pronomen 1.
pers. sing, aus mi in ma, und setzt in den übrigen Personen zwischen das
Pronomen und das Verbum die Sylbe va. Die drei andren Tempora: Praesens,
Imperfectum und Perfectum werden nur durch den Accent unterschieden.
Im Praesens und Perfectum (das seiner Natur nach ein Praesens ist)
liegt der Accent auf dem Pronomen, miba, ich liebe, habe geliebt, im Imperfectum
auf dem Verbum, mibá, ich liebte. Grammatikalsk indledelse til
tvende — Sprog Fanteisk og Acraisk forfattet af Chr. Protten
. S. 35.

5048voir Man leitet Race von radix, radius (als linea propagionis) und ratio (Menage
h. v.) ab. Es ist aber auffallend, dass die in den Lateinischen Töchtersprachen
diesen Wörtern in ihrer eigentlichen Bedeutung entsprechenden Ausdrücke
sämmtlich verschieden sind, das Lateinische hingegen die auf Geschlechtslinie
angewandten Wörter, ramus, stirps, unverändert, nur in metaphorischem
Sinne braucht.

5149voir Klaproth hat den Racenunterschied und das Verhältniss desselben zur Sprache
in einem eigenen ausführlichen Aufsatz (Memoires relatifs à l'Asie. II. 1-54.)
abgehandelt. Die Unhaltbarkeit der bisher über die Racen aufgestellten
Systeme ist darin auf das überzeugendste dargethan, und die richtige Folgerung
gezogen, dass es unbezweifelt weit mehr als fünf verschiedene Menschenracen
giebt, dass aber-die bisherigen Beobachtungen noch nicht hinreichen,
sie und die aus ihrer Mischung entstandenen Völker bestimmt von einander
abzusondern. Dagegen muss ich gestehen, dass ich auf die Beweiskraft
der Liste gleichlautender Wörter der Mongolischen und Kaukasischen Race
kein besondres Gewicht legen würde. — Gegen die auf die Gesichtsbildung
gegründete Benennung der Mongolischen Race erklärt sich Klaproth mit
Recht in den tableaux historiques de l'Asie. p. 153.

5250voir Sie finden sich in Raymond Breton's 1665 in 8. in Auxerre herausgekommenen
Dictionnaire Caraibe Frangois et Frangois Caraibe. Er fügt bei einer
nicht unbedeutenden Zahl von französischen Wörtern den Weiberausdruck
hinzu. Diese habe ich in einem doppelten Wörterbuch gesammelt, so dass
man nicht bloss die einheimischen Weiberwörter, sondern auch, was vorzüglich
wichtig ist, den Kreis der Gegenstände übersehen kann, auf den sie sich
erstrecken.

5351voir Ich habe schon oben (§. 53.c) der Verwirrung erwähnen müssen, welche
in der Schilderung des Japanischen Pronomen nach den bis jetzt vorhandenen
Hülfsmitteln herrscht. An der Thatsache, dass die Weiber sich eines
eignen Pronomen 1. pers. bedienen, lässt sich nicht zweifeln. Rodriguez
(Landresse. §. 76. p. 81.) und Oyanguren (p. 21.) bezeugen es einstimmig.
Allein über die Beschaffenheit und selbst den Gebrauch der
verschiedenen bei ihnen vorkommenden Formen sind sie höchst unbefriedigend.
Rodriguez hat warawa (ob hier wa eine Wiederholung der ersten
Sylbe des wahren Pronomen, oder, was wahrscheinlicher ist, die bestimmende,
auch an Substantiva gehängte Partikel §.7. ist, wird nicht gesagt;
ra ist Bescheidenheits- oder Demuthspartikel. §. 104. p. 102.), wagami
(waga
ist zugleich pronomen 2. pers., dessen sich Bediente, Schüler und
Kinder, vermuthlich unter sich, bedienen; ga ist der Ausdruck der grössesten
Verachtung, dagegen mi ehrende Partikel §. 104. p. 101., so dass in
der Zusammensetzung wagami das ga wohl auf irgend eine Weise die
ebenso lautende Genitivpartikel ist; wagamino, aber auch mino allein ist
sui §. 22.), midzukara (midzukarano, sui), Oyanguren hat die letztere
Form unter den weiblichen nicht; dagegen folgende, bei Rodriguez fehlende:
iibun, üko, 1. / iisin, sing: iiga (dies scheint zu heissen, dass 1. | iisin der plur.
wir ist, allein sonst ist das Pluralsuffix su), iimon. Unmittelbar darauf setzt
er hinzu: und viele von diesen sind dasselbe mit egomet, ich selbst, 1. / iisin,
ich in Person, iimon ist sich selbst fragen.

5452voir Mithridates. Th. 3. a. S. 167.

5553voir Balbi's introduction. p. 40. Mithridates. Th. 2. S. 302. 303.

5654voir W. Marsden's grammar ofthe Malayan language. p. XV-XVII.

5755voir Beide Wörter sind auch Malaiisch, und stammen aus dem Sanskrit, bhäsa,
Sprache, ist bhäshä, dem krama entspricht das Malaiische krämat, ehrwürdig,
das aus dem Sanskritischen krama stammt, welches, von kram, gehen,
herkommend, Ordnung, Methode, dann aber heilige Vorschrift und Macht,
Stärke bedeutet.

5856voir de pentepotamia Indica. p. 28. 29.

5957voir Mithridates. Th. 4. S. 324. 325.

6058voir Eine höchst wunderbare Höflichkeitsformel ist das schleppende Neugriechische
Pronomen, τοῦ λόγου, ich u. s. f.

6159voir Dass man hier gerade die Endung oa wählt, liegt wohl daran, dass man die
mit tzin vermehrte Grundform als ein Adjectivum in o ansieht. Dem Verbalbegriff
gehört bloss a an.

6260voir ni ist das Pronomen der 1. subjectiven, c das der 3. objectiven, no das der 1.
reflexiven Form, tlasoti die wegen der gleich folgenden Kennsylbe veränderte
Grundform tlasotla, lieben, li die Kennsylbe der Handlungen zum Nutzen
oder Schaden eines Dritten.

6361voir Account. T. 2. p. 94.

6462voir Arte novissima de lengua Mexicana que dictò D. Carlos de Tapia Zenteno p.
15. 16.

6563voir ti ist das pron. pers. 2. pers. sing., no das pron. poss. 1. pers. sing. Bist ist
ausgelassen, die Form des persönlichen Pronomen macht von selbst den
Ausdruck zum Verbum.

6664voir kokoa, krank seyn, eigentlich ein reflexives Verbum: wenn jemand etwas am
Leibe schmerzt, das s gehört dem Perfectum an, welches der Bildung der
Verbal-Adjectiva in qui zum Grunde liegt, ka entsteht allemal aus der Endung
qui, wenn das Wort einen andren Zusatz erhält, tli ist eine der SubstantivEndungen.

6765voir Es wäre interessant den Urspung der Sylbe tzin zu kennen. Genau lässt sich
die Etymologie nicht angeben. Darauf führen kann, dass tzin-ti anfangen
heisst. Hierin könnte der Begriff der Kleinheit liegen. Wahrscheinlicher aber
bedeutet tzin in diesem Verbum selbst das erste, alte (auch in andren Sprachen
als Zärtlichkeits- und noch öfter als Verehrungs-Benennung gebraucht),
hinter uns liegende. Die Göttin Centeotl, die als die ursprüngliche
angesehen wird, führt eigentlich (A. v. Humboldts Monumens des peuples
de l'Amérique
. p. 97.) den Namen Tzinteotl. Tzin-tlan, wörtlich Hinter-ort,
ist eine der Mexikanischen Praepositionen. Daher begegnet sich höchst sonderbarer
Weise die Ehrfurchtssylbe tzin mit Wörtern ganz andrer Natur.

6866voir Man vergleiche die Einleitung zu Bopps trefflicher Beurtheilung von
Grimms deutscher Grammatik. Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik.
1827. S. 251.

6967voir Von diesem Aufsteigen zur Grammatik handelt meine Abhandlung: über
das Entstehen der grammatischen Formen [o. S. 31 ff.], in welcher ich die
Hauptideen noch jetzt für richtig halte, obgleich ich schon, als ich sie niederschrieb,
fühlte, wieviel mir nicht bloss zur lichtvollen Auseinandersetzung,
sondern auch zur nothwendigen Begränzung der Behauptungen noch durch
Nachdenken und Studium zu thun übrigblieb, und obgleich ich sie, ohne
den akademischen Beruf, damals nicht herausgegeben haben würde. Wenn
es (S. 18.) in dieser Abhandlung heisst: Je mehr sich eine Sprache von ihrem
Ursprung entfernt, desto mehr gewinnt sie, unter übrigens gleichen Umständen,
an Form, so kann nun, um die Ansicht zu vervollständigen, hinzugesetzt
werden: Je mehr sich eine Sprache von dem Culminationspunkt ihrer
Grammatik entfernt, desto mehr verliert sie, unter übrigens gleichen Umständen,
an Form. So wird durch diesen zweiten Satz der erste, welcher den
Endpunkt des Gewinnens im Dunkel Hess, gehörig begränzt.

7068voir Ueber das Entstehen der grammatischen Formen. Abhandlungen der Akademie
der Wissenschaften zu Berlin. Historisch-philologische Classe.,1822.
1823. S. 414.

7169voir Raynouards gramm. de la langue des Troubadours, p. 184. 222.

7270voir Man vergleiche über das hier von der Ungrischen Sprache Gesagte Rävai's
antiquitates literaturae Hungaricae. p. 9-17. 91-100. und dessen Grammatica
Hungarica
I. 96-101. Ich freue mich bei dieser Veranlassung diesen
Mann nennen zu können, dessen Werke lange nicht so bekannt zu seyn
scheinen, als sie durch den sich in ihnen ankündigenden, von richtigen Begriffen
über Sprachentstehung und Bildung geleiteten gründlichen Forschungsgeist
verdienen.

7371voir Wenn man die Gesetze der Englischen Betonung studirt, was eine der lehrreichsten
linguistischen Beschäftigungen ist, so findet man in den Wörtern
Germanischen und Romanischen Ursprungs deutlich geschiedne Gesetze
derselben. In den ersteren herrscht aber doch nicht die eigentlich Germanische,
immer dem Gewicht des Sinnes folgende Betonung, wie an dem Beispiel
der mit im zusammengesetzten Wörter zu sehn ist, und die Behandlung
der Romanischen in diesem Punkt erscheint, auch mit übrigens grosser
Gesetzmässigkeit, doch gewissermassen zufällig. Beide Systeme aber hat der
eigentümliche Geist der Sprache wieder verbunden, und seiner Weise angepassf

7472voir Geradezu dasselbe Wort für den Zahl- und den ursprünglichen Sach-Begriff
haben heute nur Neuseeland und die Sandwich Inseln. Neuseeländisch sind
udu udu (die Verdopplung ist überhaupt und bei allen Dingen, die Vielheit
mit sich führen, eine ganz gewöhnliche grammatische Form dieser Sprachen)
die Haare und udu zehn. Das d des Worts ist der mit r verwandte
Laut. Nicholas (voyage. II. 331.) schreibt huru huru und Lee verweist bei
udu udu auf uru uru, was aber in seinem Wörterbuch fehlt. Im Sandwichischen
ist die Sache, der Unvollkommenheit unsrer Materialien wegen, Ungewisser.
Der junge Insulaner nannte mir die Haare lau ocho, in einem handschriftlichen
sehr kurzen Wörterverzeichniss, das ich der Güte des Herrn
von Martius verdanke, heissen sie ocho (in Spanischer Orthographie, da es
von einem Spanier herrührt: ojo), dies halte ich für eine Verstümmelung des
wahren Worts. Das Sandwichische lau ocho ist vermuthlich das Tengische
lau ulu, Haar des Hauptes, obgleich sonst der Kopf Sandwichisch nach dem
Insulaner poo, nach dem Spanier po heisst. Hundert ist Sandwichisch nach
dem Insulaner lau, nach dem Spanier aber achtzig: rau, wieder also derselbe
Laut. Ist dies richtig, so beweist es, dass lau für mehrere grosse Zahlen gebraucht
wird, was meine obige Ableitung noch mehr bestätigen würde. Tahitisch
und Neuseeländisch ist rau hundert, und dasselbe Wort bedeutet in
der letzteren Sprache auch die Krone, den Hauptbusch der Aeste eines
Baums, ferner ein Blatt, so wie auch das Tongische lau. Nichts ist natürlicher
als den Haaren des Kopfs und dem Blätterschmuck des Baums denselben
Namen zu geben. Tahitisch hat man für Haar rouro.

7573voir chejenk-nare, vier, eigentlich Zehen eines gewissen Vogels, necenhalek,
schönes Fell. Dobritzhoffer.

7674voir Nach der in diesen Dialecten ganz gewöhnlichen Veränderung des d in r.

7775voir Der oben erwähnte Spanier schreibt arua (das a ist blosse Vorschlagsylbe),
so wie er überhaupt immer r, nie l hat. Das mag nach einem eignen Dialect
der Insel seyn. Der Insulaner in Berlin spricht für r immer l.

7876voir Zweifelte man, dass dies ua von 2 herkäme, so hebt die Vergleichung der 2.
pers. dual. des Pronomen, die nichts, als die Zahl zwei selbst mit einem sich
sonst aus der Sprache erklärenden Vorschlag ist, NeuSeel. ko-duä, Tah.
orua, alle Ungewissheit auf.

7977voir Dies Wort bedeutet nämlich in der Uebersetzung des Evangelium Johannis
4, 18. 6, 9. 10. offenbar diese Zahl. Aber in demselben Kapitel v. 1. und 25.
hat es eine andre Bedeutung, die und deren Zusammenhang mit der Zahl ich
noch nicht habe aufspüren können.

8078voir Die edelste Naturkraft kann sich nur eine Zeitlang durch sich selbst halten,
sie versiegte, wo sie nicht durch äussre Beimischungen neue Belebung empfienge.
Grimm. Deutsche Gramm. II. 76.

8179voir A. W v. Schlegel scheint dieselbe Meinung zu haben, ob er sie gleich nicht
ausdrücklich ausspricht. Denn er leitet den Vorzug, den das Italienische in
Absicht des Wohlklangs vor dem Lateinischen und den germanischen Sprachen
hat, aus der Vergessenheit der eignen Muttersprachen her, in welche
die beiden sich mischenden Nationen verfielen. Observations sur la langue
et litterature Provenqales
. p. 37.

8280voir Man lese über diese Bemühungen, das Neugriechische der alten Sprache zu
nähern, David's méthode pour étudier la langue Grecque moderne p. VI. Er
entschuldigt sich, diese Neuerungen nicht in seine Sprachlehre aufgenommen
zu haben, da gar nicht zu bestimmen sey, wie weit sie gehen könnten,
und sie doch noch keinen wirklichen Theil (partie intégrante) der Sprache
ausmachten. In der Vergleichung des Alt- und Neugriechischen p. 29. führt
der Verfasser an, dass die Sprachverbesserer zwar die Endung -ουν der 3.
pers. plur. praes. des NeuGriechischen im Indicativus unverändert lassen,
aber im Conjunctiv, wo dieselbe im Volksdialect gleichlautend ist, in -ωσι
flectiren. Dies ist ein merkwürdiges Beispiel versuchter gewaltsamer Eindrängung
von grammatischen Flectionen.

8381voir David a.a.O.

8482voir Raynouard (Gramm. comparée des langues de l'Europe Latine p. XXIV.)
erwähnt bloss der Veränderung von pl in ch, ohne weiter etwas hinzuzufügen.
Allein auch cl verwandelt sich so, clavis, llave, chave, clavus, clavo,
chavelho. Auch fl erleidet diese Veränderung, flamma, llama, chama. Noch
sonderbarer ist chegare für das Spanische llegare, da dies doch wohl eben so
von legare stammt, als llevare von levare. Wenn aber nicht cheiro mit olere
zusammenhängt, was ich nicht zu entscheiden wage, so kenne ich in keinem
Portugiesischen Worte ch für ein einfaches Lateinisches l. Vielmehr scheint
dieser Laut nur durch die Ausstossung des l zu entstehen. Denn auch Wörter
mit blossem c werden zu ch, wie capellus der späteren Latinität zu chapeo,
und gleichergestalt, was ich aber nicht weiter zu erklären wüsste, Wörter
mit p, wie populus, Pappel, zu choupo. Daneben ist weder cl, noch pl
dem Portugiesischen fremd. Es scheint aber fast, dass die Beibehaltung und
Umwandlung dieser ursprünglichen Lateinischen Laute verschiedenen Zeiten
oder Mundarten angehört. Denn sie findet sich bei denselben Wörtern
zugleich. So giebt es piano, llano und cháo; plantar und chantar; pluma und
chumazo. Die Verwandlung gehört der ursprünglichen Volksaussprache an;
die Schriftsprache scheint ihr nicht immer treu geblieben zu seyn, und wo
sie jetzt Wörter aufnimmt, erhält sie ihnen ihre reinen Laute.

8583voir Bopps Beurtheilung der deutschen Grammatik von Grimm in den Jahrbüchern
für wissenschaftliche Kritik. 1827. S. 259. Man vergleiche Grimms
Gramm. I. 851. 852. und bei der ganzen Folge der Germanischen Sprachen.

8684voir Dieser besteht, man maglöfiev wirklich für die 1. praet. oder praes. nehmen,
gerade wie in widmas und widma, da beiden tempora dieser Vocalwechsel
gemein ist. Zu den gleichen in der Boppischen Beurtheilung angeführten
Fällen im Griechischen gehört auch ἐπέπιϑμεν, verglichen mit πέποιϑα.

8785voir Das Litthauische hat, auf eine dem Griechischen ähnliche Weise, eine doppelte
Conjugation mit der 1. pers. sing, in u und mi. żinnaú heisst also ich
weiss
, wie wéizdmi ich sehe.

8886voir Davids Parallelismus, p. 39. 40.

8987voir David sagt, dass die regelmässigere Verbindung δέλω γράψει oder ψράψει
im Volk durchaus nicht gebräuchlich ist. Vermuthlich gilt dasselbe von
ἤϑελα γράψει, wo er es aber nicht bemerkt. Parallelismus, p. 45.

9088voir δὰ aus δέ (λω) νὰ.

9189voir Gewöhnlich ἒδικος oder apocopirt δικὸς, aber, nach Coray's Beispiel, jetzt
in der Schriftsprache ἰδικὸς von ἴδιος.

9290voir Wenn ich die Reduplication zu dem Bau kunstvollerer Grammatik zähle, so
thue ich es nur insofern, als sie in Sprachen, welche einen solchen Bau besitzen,
in denselben, nicht ihrem rohen Begriff der Wiederholung des Begriffs,
sondern feinerer grammatischer Andeutung nach (z. B. als Zeichen der Vergangenheit),
verwebt worden ist. Denn sonst ist die Sylben- und sogar Wortwiederholung
gerade den Sprachen sehr einfachen, gewöhnlich roh genannten
Baus vorzugsweise eigenthümlich. In der grössesten Mannigfaltigkeit
findet sie sich in den Sprachen der Südsee-Inseln, die man, meiner bisherigen
Spracherfahrung nach, als ihren Hauptsitz ansehen kann. Die kunstvolleren
Sprachen aber verschmähen auch durchaus nicht die Mittel, deren
sich jene bedienen, und es zeigt sich auch darin die Nichtigkeit aller scharfen
Eintheilung der Sprachen in Gattungen und Classen. Das Sanskrit und
Griechische bleiben auch in der Reduplication ihrem charakteristischen
Unterschiede getreu. Die erstere dieser Sprachen dehnt den Gebrauch derselben
weit über den feineren in der Conjugation aus, und scheint phonetisches
Gefallen daran zu finden.

9391voir Grimms Gramm. I. 898.

9492voir Observations sur la langue et la littérature Provençales. p. 14-18.

9593voir La ligne de division entre les deux genres n'est pas tranchée.

9694.voir Lettre à Monsieur Abel-Rémusat. p. 48. 49.

9795voir Man muss hierüber die reichhaltigen tableaux historiques de l'Asie nachlesen.
Vorzüglich gehört der Peuples de race blonde überschriebene Abschnitt
p. 161. und die 12. Tafel des Atlas hierher.

9896voir Den Hakas werden grüne Augen zugeschrieben. Aber schwarze galten für
ein Zeichen Chinesischer Abstammung, und schwarze Haare waren von übler
Vorbedeutung, l. c. 168.

9997voir Klaproth's tableaux. Text. 182. Atlas. Taf. 6. Memoires relatifs à l'Asie. II. 281.

10098voir Klaproth's tableaux. p. 167. 287.

10199voir Man sehe hierüber Bopp in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik
1827. S. 260. 279. besonders Anm. **) 285. und in seiner Grammatik
S. 165. 166. In allen seinen Arbeiten über den Indo-Germanischen Sprachbau
hat der gelehrte Verfasser diesen Rückblick auf ältere untergegangene
Sprachformen zu benutzen versucht. In Einzelnem ist es möglich verschiedener
Meynung zu seyn, aber das Daseyn unverkennbarer Spuren solcher
Formen, die man im Griechischen auch schon früher vermuthet hat, wird
niemand leicht abläugnen können.

102100voir Bopp in den Annals of Oriental literature. p. 35.

103101voir Man sehe meine besondre Abhandlung über diese Formen.

104102voir Deutsche Grammatik. II. 5.

105103voir Eine vortreffliche Darstellung dieses Ganges der Schrift- und Volkssprachen
sehe man in Grimms Vorrede S. XII. zur zweiten Ausgabe seiner
Grammatik. Sie hat um so mehr Werth, als sie von einem Manne herrührt,
der seine Behauptungen immer nur auf vollständige und genaue Kenntniss
des Geschichtlichen gründet.

106104voir Niebuhr (Römische Geschichte. I. 82.) bemerkt, was einen sehr interessanten
Unterschied ausmachen würde, dass Haus, Feld, Pflug, Wein, Oel,
Milch, Rind, Schwein, Schaaf, Apfel und andre Lateinische Wörter, welche
Ackerbau und sanfteres Leben betreffen, mit dem Griechischen übereinstimmen,
während alle Gegenstände, die zum Krieg oder der Jagd gehören,
mit durchaus ungriechischen Wörtern bezeichnet werden.

107105voir Zur Verbesserung eines früheren Irrthums und zum Beweise, dass man bei
Unkenntniss des Sanskrits nur mit der grössesten Vorsicht im Griechischen
und Lateinischen etymologisiren darf, führe ich hier vertere an, das
sichtbar von einer durch Guna veränderten Form der Wurzel writ, in 1.
pers. praes. warte, stammt und dem ich in meiner Prüfung der Untersuchungen
über die Urbewohner Hispaniens S. 79 einen ganz falschen Ursprung
anwies.

108106voir Deutsche Gramm. 2. Aufl. Vorr. S. XI.

109107voir Memoir on the present State of the English language in the United States
of America by John Pickering
in den Memoirs of the American Academy of
Arts and Sciences
. Cambridge. 1809. Vol. 3. Part 2. p. 439. — A vocabulary
or collection of words and phrases, which have been supposed to be peculiar
to the United States of America, by John Pickering
. Boston 1816. Von
dieser letzteren Schrift kenne ich bloss den Titel aus dem Catalogue of the
library of the American philosophical society
. Philadephia, 1824. (p. 227.)
und weiss daher nicht, inwiefern sie ein neues Werk, oder nur eine Umarbeitung
der obigen Abhandlung ist.

110108voir Mehrere Beispiele der einen und der andren Art dieser Mischsprachen
werden in Balbi's introduction à l'atlas ethnographique p. 37-39. angeführt,
wo aber das Einzelne sorgfältige Prüfung fordert.

111109voir Römische Gesch. I. 62. 63.

112110voir Elémens de la gramm. de la langue Romane avant l'an 1000. p. 76. 77.

113111voir A. W. v. Schlegel (Observations sur la langue et la littérature Provençales.
p. 35.) hat diese Behauptung bereits widerlegt. Ich habe indess doch noch
bei ihr länger verweilt, weil es mir der Mühe werth schien, in Einiges dabei
einzugehen, was er nicht berührt hat.

114112voir Raynouards gramm. de la langue des Troubadours, p. 208. 209.

115113voir Raynouards gramm. de la langue des Troubadours, p. 210.

116114voir l. c. p. 210.

117115voir Raynouard a.a.O.p. 183. nt. I. redet von Verben in er und ir, die ihr Praeteritum
in gui machen. Ich finde aber keine Beispiele solcher Verba angeführt.

118116voir l. c. p. 176.

119117voir Raynouards gramm. de la langue des Troubadours, p. 223.

120118voir Raynouard's gramm. comparée des langues de l'Europe Latine. p. XXXI.

121119voir Die Französische Sprache bewahrt diese Lauteigenthümlichkeit, ob ihr
dieselbe gleich nicht fremd ist, nicht mit derselben Regelmässigkeit. Sie
bildet auch viens, viens, vient, venons, venez, viennent, lässt aber die Diphthongisirung
auch bei den schwachen Endungen viendrois u.s.w. zu.
Was ich aber hier eine Ausnahme dieser zuerst von Bopp (Jahrbücher für
wissenschaftliche Kritik. 1827. S. 251. u.f.) entdeckten Lautgewohnheit
nenne, kann auch als eine Einwendung gegen diese Behauptung angesehen
werden. Hierüber mich näher auszusprechen, wird in der Folge ein schicklicherer
Ort seyn. Hier berühre ich diesen Punkt nur als eine wahrscheinliche
Erklärungsart.

122120voir Elémens de la grammaire de la langue Romane avant l'an 1000. p. 44-49.

123121voir Observat. s. la langue et la littérat. Provençales. p. 18.

124122voir l. c. p. p. 33. 34.

125123voir Man sehe Ewalds kritische Grammatik der Hebräischen Sprache §. 111.
u.f. und §. 278., wo die Behandlung der Modus und Tempusbildung mir
ein sehr nachahmungswürdiges Beispiel abzugeben scheint, wie die Grammatik
nicht nach den herkömmlichen Begriffen, sondern nach dem eigenthümlichen
Geist jeder Sprache betrachtet und bearbeitet werden muss.

126124voir Observat. sur la langue et la littérat. Provençales. p. 34. 35.

127125voir Observations sur la langue et littérat. Provençales, p. 21. 22.

128126voir Davids συνσπτικὸς παραλληλισμὸς τῆς Έλληνικῆς καὶ Γραικικῆς γλώσσης.
p. 30. 31.

129127voir Ausführliche Griechische Sprachenlehre. I. 354. Anm. 8.

130128voir Vergleiche David (l. c. p. p. 29), der dies anzunehmen scheint.

131129voir Klaproth. Asia polyglotta. p. IX. X. Ich gestehe aber, dass mich die wenigen
dort angeführten Gründe durchaus nicht überzeugt haben. Man würde,
heisst es an der angeführten Stelle, schwerlich darauf gekommen seyn,
zu erkennen, dass das Deutsche und Persische zu demselben Stamme gehören,
wenn man bloss die Grammatik beider Sprachen verglichen hätte.
Mir scheint dagegen, dass es nur an Ungeübtheit in solchen Untersuchungen
hätte liegen können, wenn dieser Zusammenhang, den die Grammatik
so deutlich ausspricht, und schon das einzige Verbum seyn beweist, verborgen
geblieben wäre. Indess möchte ich auch nicht gern von einem unmittelbaren
Zusammenhange des Persischen mit dem Deutschen reden, da
man unter dem letzteren gewöhnlich unsre heutige Sprache versteht. Die
Stammverwandtschaft mit dem Persischen liegt im Sanskrit, und zunächst
muss man daher das Persische auch mit den ältesten Germanischen Sprachen
vergleichen. Es bleibt indess allerdings wahr, dass die Vergleichung
der Wörter leichter, als die des grammatischen Baues ist. Dagegen lässt sie
es auch oft sehr zweifelhaft, ob die Verwandtschaft zweier Sprachen eine
des Stamms, oder nach meiner Terminologie des Gebiets ist, d. h. ob sie in
ihrem innersten Wesen so übereinstimmen, dass sie, das Wort im weiteren
Sinne genommen, eigentlich Eine Sprache ausmachen, oder ob bloss die
eine Wörter der andren in sich aufgenommen hat. So wäre es doch gewiss
ein Fehlschluss gewesen, wenn man das Persische wegen vieler darin aufgenommener
Arabischer Wörter hätte für eine Semitische Sprache erklären
wollen. Ich bin indess weit entfernt, darum das Verfahren zu tadeln,
die Verwandtschaft der Sprachen vorzugsweise nach Wörtervergleichungen
zu bestimmen, und werde gleich zeigen, wie diese indirect auch wahre
Stammverwandtschaft beurkunden können. Auch kommt hier in Betracht,
dass Klaproth den Ausdruck Stammverwandtschaft bloss der allgemeinen
Sprachverwandtschaft
, von der ich weiter unten reden werde, entgegensetzt,
zwischen dem Familien- und Gebietszusammenhange aber wenigstens
an dieser Stelle gar nicht unterscheidet. In diesem Sinne ist es allerdings
richtig, dass auch ein abweichender grammatischer Bau nicht zum
Beweise gegen die Schlüsse dient, die man aus der Uebereinstimmung der
Wurzeln zweier Sprachen ziehen kann.

132130voir Ein Beispiel solcher Verschiedenheit kann man in Rasks Brief an Nyerup
(Rask über das Alter und die Aechtheit der Zend-Sprache. S. 61-80.) und
Klaproths Asia polyglotta und tableaux historiques de l'Asie sehen. Rask
schrieb aber jenen Brief längst vor dem Erscheinen dieser Werke, und vor
seiner eignen Asiatischen Reise.

133131voir Schon Klaproth (Asia polyglotta. p. [43.].) hat das Unpassende der Anwendung
dieser Begriffe auf die Sprachen gerügt.

134132voir Rask, der in seinem Briefe an Nyerup (in der durch v. Hagen veranstalteten
Uebersetzung seiner Schrift Ueber das Alter und die Aechtheit der ZendSprache.
S. [63].) es Adelung zum Vorwurf macht, die Anlegung eines solchen
Fachwerks vernachlässigt zu haben, geht, wenigstens an dieser Stelle,
über die Ausmittelung eines sichren Eintheilungsgrundes stillschweigend
hinweg. Ich kann daher nicht gleichen Werth mit ihm auf diese Abtheilungen
legen.